Rätsel gelöst: Bisher war strittig, wie die Schlangen die Giftkanäle in ihren Fangzähnen entwickelt haben – und warum die Giftzähne unabhängig voneinander in so vielen Schlangengruppen entstanden sind. Jetzt liefern Mikroanalysen die Erklärung. Anders als gedacht besitzen alle Schlangen winzige Innenfalten in ihren Zähnen. Bei den Giftschlangen-Embryos wird eine dieser Falten größer und bildet den Giftkanal, der dann mit Dentin ausgekleidet wird.
Der Tötungsbiss der Giftschlangen ist ein perfekt ausgeklügeltes System der Natur: Der Kopf der Schlange schnellt mit einem enormem Tempo vor und beißt zu – diese Bewegung ist eine der schnellsten unter den Wirbeltieren. Je nach Schlangenart injiziert das Reptil dann ihr Gift über eine eingekerbte Furche oder durch einen hohlen Kanal im Fangzahn in ihre Beute. Bei einigen Schlangenarten ist dieser Fangzahn zudem nicht fest, sondern nach hinten einklappbar.
Unabhängig voneinander entwickelt
Das Überraschende daran: Obwohl der Giftapparat der Schlangen und im Speziellen ihre Giftzähne ein so komplexes System sind, haben verschiedene Schlangengruppen wie Vipern, Giftnattern und die giftige Wasserschlange Fordonia dieses Merkmal unabhängig voneinander entwickelt. „Es war immer schon ein Rätsel, warum die Fangzähne sich so viele Male bei den Schlangen entwickelt haben, aber kaum in anderen Reptilien“, sagt Alessandro Palci von der Flinders University in Australien.
Zwar wusste man, dass sich die Gruben oder Hohlkanäle der Giftzähne bei den Schlangenembryos aus tiefen Einfaltungen der inneren Zahnepithels bilden. Warum dies aber nur bei den Giftschlangen passiert und ob auch andere Schlangen die Vorstufen solcher Faltungen besitzen, blieb aber unklar. Deshalb haben Palci und sein Team nun die Morphologie und Entwicklung der Giftzähne bei 26 Schlangenarten erstmals in mikroskopischem Detail mitverfolgt.
Verborgene Fältchen
Die Analyse enthüllten: Anders als gedacht besitzen alle Schlangen eine Art Mikrofaltung im Inneren ihrer Zähne. „Dieses Merkmal ist für diese Reptilien ursprünglich“, berichten die Forschenden. „Bei den giftzahnlosen Schlangen ist dieses Plicidentin aber auf die Basis der Zähne beschränkt, es ist nur dort vorhanden, wo der Zahn mit dem umgebenden Gewebe verbunden ist.“ Sie vermuten, dass diese Falten dazu beitragen, den Zahn im Gewebe zu verankern.
Die winzigen Fältchen der Zahninnenhaut sind nur im Micro-CT zu erkennen und wurden daher bislang nicht bemerkt. Doch sie bilden die Grundlage, aus der die verschiedenen Schlangengruppen relativ einfach und schnell Giftzähne bilden konnten: „Die Evolution der Giftzähne liefert ein elegantes Beispiel dafür, wie ein von gemeinsamen Vorfahren ererbtes Merkmal, das Plicidentin, dabei hilft, eine neue komplexe Struktur zur Giftinjektion zu bilden“, schreiben Palci und seine Kollegen.
Von der Falte zum Giftkanal
Wie ein solcher Giftzahn entsteht, konnte die Forschenden bei ihren Untersuchungen mitverfolgen: Bei den Giftschlangen bildet sich eine der Innenfalten im Zahn stärker aus und zieht sich von der Zahnbasis bis in dessen Spitze. Diese Furche ist während der Embryonalentwicklung auch an der Zahnaußenseite als schmale Kerbe zu erkennen. Erst nachdem diese Hautfalte voll ausgebildet ist, erfolgt die Ablagerung des harten Dentins auf dem Zahn.
Vergleichende Untersuchungen ergaben, dass auch die in den Wüsten Nord- und Mittelamerikas lebenden Krustenechsen ihre Giftzähne auf ganz ähnliche Weise bilden. Auch sie besitzen die Plicidentin-Fältchen und nutzen sie als Ausgangsbasis für die Giftgrubenbildung, wie das Team herausfand. Das bestätigt, dass das Plicidentin ein schon bei den Schlangenvorfahren vorhandenes Merkmal war, das dann mehrfach unabhängig für den Giftapparat zweckentfremdet wurde.
„Dies liefert eine neue und einfache Erklärung für die erstaunlichen morphologischen und entwicklungsbiologischen Ähnlichkeiten der Schlangen-Giftzähne und dafür, dass so viele Schlangengruppen solche Giftzähne unabhängig voneinander neu entwickeln konnten“, konstatieren Palci und sein Team. (Proceedings of the Royal Society B Biological Sciences, 2021; doi: 10.1098/rspb.2021.1391)
Quelle: Flinders University