Vielversprechendes Potenzial: Ähnlich wie Sonne und Wind lässt sich auch verdunstendes Wasser als Energiequelle nutzen. Forscher haben nun berechnet, wie viel Energie die Nutzung dieses allgegenwärtigen Naturphänomens theoretisch in Zukunft erzeugen könnte. Demnach hat die Verdunstung das Potenzial, vergleichbare Mengen an Energie zu produzieren wie andere erneuerbare Ressourcen. Der entscheidende Vorteil: Ihre Verfügbarkeit ist deutlich geringeren Schwankungen unterlegen.
Verdunstung ist ein allgegenwärtiges Phänomen. Der Prozess, bei dem Wasser allmählich in den gasförmigen Zustand übergeht, beeinflusst Wasserressourcen, Wetter und Klima – und ist eine wichtige Energiequelle der Natur: Viele Pflanzen nutzen die Kraft der Verdunstung, um ihre Sporenkapseln und Spaltöffnungen zu bewegen und auch im Mikrokosmos können hygroskopische, wasseranziehende Materialien ein Feuchtigkeitsgefälle in mechanische Energie umwandeln.
Doch die Verdunstungsenergie von Wasser lässt sich auch im größeren Maßstab nutzen, wie jüngste Forschungsergebnisse zeigen. So ist es Wissenschaftlern vor zwei Jahren gelungen, die Kraft der Verdunstung als Stromquelle zu nutzen: Sie entwickelten ein Nano-Material, das sich bei Änderung der Luftfeuchtigkeit wie ein Muskel ausdehnt und zusammenzieht und auf diese Weise als Motor fungiert und zum Beispiel einen Generator antreiben kann.
Unbekanntes Potenzial
In der Verdunstung scheint demnach eine bislang ungenutzte Kraft zu stecken. Könnte der Menschheit neben Sonnenenergie, Windkraft und Erdwärme womöglich bald eine weitere Form erneuerbarer Energie zur Verfügung stehen? Prinzipiell wäre das denkbar. Wie groß das Potenzial der Verdunstung als Energiequelle der Zukunft allerdings wirklich ist, darüber herrschte bislang Ungewissheit.
Forscher um Ozgur Sahin von der Columbia University in New York sind dieser Frage nun nachgegangen. Sie wollten wissen: Wie viel Energie könnte die in der Natur allgegenwärtige Verdunstung im Optimalfall mithilfe solcher Verdunstungsmaschinen produzieren? Das berechneten sie anhand von Wetterdaten und Modellsimulationen am Beispiel der USA.
325 Gigawatt Energie
Die Ergebnisse klingen vielversprechend: Allein durch die Verdunstung über Seen und großen Wasserreservoiren könnten auf der Fläche der USA demnach theoretisch insgesamt bis zu 325 Gigawatt Energie erzeugt werden – das sind dem Team zufolge mehr als 69 Prozent der elektrischen Leistung, die die USA im Jahr 2015 produziert haben.
Noch nicht mit eingerechnet ist in dem vereinfachten Modell die Verdunstung über der Great Lakes-Region. Die Bedingungen dort hätten die Modellberechnungen zu kompliziert und fehleranfällig gemacht – doch auch die fünf großen zusammenhängenden Süßwasserseen Nordamerikas sind natürlich eine bedeutende Quelle der Verdunstung.
Konstanter verfügbar als Wind und Co
Insgesamt kommen Sahin und seine Kollegen zu dem Schluss, dass die Ressource Verdunstung ähnlich viel Energie erzeugen könnte wie Wind und Sonne – mit einem entscheidenden Unterschied: Sonne und Wind machen sich in vielen Regionen oftmals rar. Weil die Verfügbarkeit dieser Energien stark schwankt, müssen sie aufwändig gespeichert werden. Verdunstung dagegen ist konstanter verfügbar. „Man könnte sie daher als Hauptenergiequelle nutzen und mit Sonnen- und Windenergie ergänzen“, sagt Mitautor Ahmet-Hamdi Cavusoglu.
Und noch einen Vorteil hat die Nutzung des Wasserdampfs: Rund 50 Prozent des Wassers, das normalerweise in die Atmosphäre verdunstet und damit verloren geht, könnte bei dem Energiegewinnungsprozess aufgefangen und für weitere Nutzungen verfügbar gemacht werden. Davon könnten vor allem besonders trockene Staaten wie Kalifornien, Arizona oder Nevada profitieren, prognostizieren die Wissenschaftler.
Das Team hofft, dass ihre Studie nun zur Erforschung neuer Maschinen anregt, die die Kraft der Verdunstung zur Energieerzeugung nutzen. Denn damit wir eines Tages wirklich so viel Strom aus dem Verdampfungsprozess erzeugen können, wie die Berechnungen der Forscher ergeben haben, muss sich die Technologie erst weiterentwickeln. Noch steckt sie in den Kinderschuhen. (Nature Communications, 2017; doi: 10.1038/s41467-017-00581-w)
(Columbia University, 27.09.2017 – DAL)