Geowissen

Erdbeben folgen einer „Teufelstreppe“

Zeitliche Abfolge vieler Starkbeben ist weniger periodisch als bislang angenommen

Cantorverteilung
Die tektonisch aktive Plattengrenze am Toten Meer gehört zu den Bebengebieten, die möglicherweise einer mathematischen Cantorfunktion folgen. © NASA/ scinexx

Geklumpte Verteilung: Viele Starkbeben folgen offenbar nicht der klassischen Wahrscheinlichkeitsverteilung, sondern dem zeitlichen Muster einer „Teufelstreppe“, wie eine Studie enthüllt. Entsprechend dieser mathematischen Abfolge sind Cluster von Beben durch lange, aber unregelmäßige Intervalle voneinander getrennt. Dieses durch komplexe Wechselwirkungen im Untergrund verursachte Muster erklärt, warum mancherorts Erdbeben scheinbar „überfällig“ sind, wie die Forscher berichten.

Die genaue Vorhersage von Erdbeben ist bis heute nahezu unmöglich. Denn eine Vielzahl von Faktoren – von der sich aufstauenden Spannung im Untergrund über Interaktionen von Bruchzonen bis hin zu seismischen Fernwirkungen – beeinflussen die Wahrscheinlichkeit, mit der es zu einem Beben kommt. Dennoch gehen Seismologen an vielen Verwerfungen von einer quasiperiodischen Abfolge der Ereignisse aus, weshalb sie historische Bebenintervalle als Anhaltspunkt für das Risiko nehmen.

Bebencluster statt periodischer Abfolge

Doch diese Annahme könnte gerade für viele Starkbeben falsch sein, wie nun Yuan Chen von der University of Missouri in Columbia und seine Kollegen herausgefunden haben. Denn betrachte man die Abfolge von Starkbeben in komplexen Verwerfungszonen oder miteinander verbundenen Netzwerken von Bruchzonen, zeige sich ein Muster, das der klassischen Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Poissonkurve wiederspreche.

„Stattdessen sind viele Erdbebensequenzen komplex und variabel und zeigen Cluster von Ereignissen, die durch lange, aber unregelmäßige Intervalle der Ruhe unterbrochen sind“, sagen die Forscher. Dadurch treten an solchen Verwerfungszonen Starkbeben eher gehäuft auf – auf ein schweres Beben folgt häufig schon nach kurzer Zeit das nächste. Anhand seismologischer Daten und Aufzeichnungen haben Chen und sein Team deshalb untersucht, ob hinter diesen Clustern ein Muster steckt.

Zeitliches Muster entspricht der „Teufelstreppe“

Die Auswertung enthüllte: Gerade Starkbeben in tektonisch komplexen Gebieten folgen oft einer mathematischen Verteilung, die als Cantorfunktion oder „Teufelstreppe“ bekannt ist. Überträgt man diese Häufigkeitsverteilung in ein Diagramm, ähnelt sie einer ansteigenden Treppe mit unterschiedlich breiten Stufen. „Mathematisch beschrieben sind solche zeitlichen Muster ein fraktales Merkmal von komplexen nonlinearen Systemen, bei denen jede Veränderung eines Teils das Verhalten des Gesamtsystems beeinflusst“, sagen die Forscher.

Genau dies findet auch in komplexen tektonischen Bruchzonen statt, wie Chen und sein Team erklären. Denn auch dort kann der Bruch in einem Teilstück einer Verwerfung die Spannung im Gesamtsystem so verändern, dass ein Folgebruch an einer anderen Stelle wahrscheinlicher wird. Diese Art der Wechselwirkung ist zwar nicht neu, wohl aber die Tatsache, dass sich die daraus ergebenden zeitlichen Muster als Cantorfunktion beschreiben lassen.

Cantorfunktion gilt unter anderem in Algerien, am Toten Meer und in den USA

Konkret haben Chen und sein Team eine zeitliche Abfolge nach Vorbild der Teufelstreppe in folgenden Erdbebenzonen identifiziert: bei Starkbeben an der Plattengrenze zwischen Afrika und Eurasien im Westen Algeriens, entlang der Transformstörung am Toten Meer, im New-Madrid-Erdbebengebiet im Zentrum der USA und in Australien. Dabei variiert die Form der Teufelstreppe je nach Region, wie die Forscher erklären.

Ihren Berechnungen zufolge ist die Länge der Ruheintervalle und damit die Breite der „Treppenstufen“ eng mit der im Untergrund aufgestauten Spannung verknüpft – je mehr Spannung, desto schmaler die Stufe. „Die dazwischen liegenden Cluster der Erdbeben werden dagegen von einer Vielzahl miteinander interagierender Faktoren beeinflusst, darunter der Wechselwirkung von Verwerfungen und dem viskoelastischen Spannungsabfall nach einem lokalen Beben“, so Chen und sein Team.

„Überfällig“ stimmt nicht immer

Nach Ansicht der Wissenschaftler ist diese Erkenntnis auch für die seismologische Risikoeinschätzung wichtig. Denn bisher spielen historische Erdbebenaufzeichnungen eine große Rolle dafür, die mögliche Wiederkehrperiode eines Bebens abzuschätzen. Doch viele dieser Kataloge sind unvollständig und reichen nicht sonderlich weit zurück. „Das macht es schwer zu wissen, ob diese wenigen Ereignisse im Katalog zufällig innerhalb eines Erdbebenclusters lagen oder sowohl aktive Phasen als auch Ruheintervalle umfassen“, erklären Chen und seine Kollegen.

Das wiederum bedeutet, dass für viele Verwerfungen noch nicht bekannt ist, ob sie periodisch wiederkehren oder eher einer Teufelstreppe folgen. „Aus diesem Grund müssen wir vorsichtig sein, wenn wir ein Ereignis als ‚überfällig‘ einstufen, nur weil die Zeit seit dem letzten Beben die vermeintliche mittlere Wiederkehrperiode überschritten hat“, sagt Chen. (Bulletin of the Seismological Society of America, 2020; doi: 10.1785/0120190148)

Quelle: Seismological Society of America

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