Ein Spaziergang im herbstlichen Wald: die Füße rascheln durch gelbe, rote und braune Blätter, der Duft von Pilzen und feuchtem Laub kribbelt in der Nase. Wie oft fragt man sich da, wie alt wohl der eine oder andere, besonders dicke Baum ist. Dendrochronologen, zu Deutsch "Baumzeitkundler", machen daraus eine Wissenschaft. Sie erforschen, wie alt Bäume sind, und noch wichtiger, wann sie gewachsen sind. Denn: sie untersuchen nicht nur Holz von Bäumen, die heute wachsen, sondern auch Holz, das vor hunderten und tausenden von Jahren wuchs. Historische Häuser, archäologische Grabungen, Moore oder der Meeresboden liefern den Wissenschaftlern ihr Material. Interessant ist dies, weil Bäume in ihren Jahresringen Informationen u.a. über Klima und Ökologie speichern.
Jahr für Jahr, Ring für Ring
Baumarten, die zwischen dem 23. und 66. Breitengrad Nord bzw. Süd wachsen, zeigen auf dem Stammquerschnitt ringartige Muster, so genannte Jahresringe. Sie entstehen, da in diesen Breiten die Bäume im Winter eine Wachstumspause einlegen. Würde ein Baum jedes Jahr gleich viel an Umfang zunehmen, wären die Jahresringe alle gleich breit und für die Klimaforscher uninteressant. Doch das Klima beeinflusst das Pflanzenwachstum: In einem warmen, feuchten Jahr wächst ein Baum schneller und bildet einen breiteren Jahresring als in einem kalten trockenen Jahr. Das Muster von schmalen und breiten Ringen eines einzelnen Baumes spiegelt daher das Klima wider, das der Baum erlebt hat.
Bäume verraten das Wetter von vor 10.000 Jahren
Der Clou der Dendrochronologie ist das so genannte Cross-Dating. Das funktioniert so: Ein Baumzeitkundler misst die Breite der Jahresringe einer Eiche, die letztes Jahr gefällt wurde. Aufgrund der Anzahl der Jahresringe kann er feststellen, dass sie 1827 gepflanzt wurde. Er vergleicht das Muster der Jahresringe mit einer Eichenbohle, die aus einem 1909 erbauten Haus stammt. Sind beide Eichen in der gleichen Gegend gewachsen, sollten sie für die Zeitspanne von 1827 bis 1909 ein ähnliches Muster breiter und schmaler Ringe zeigen.
Um weiter in die Vergangenheit zu gehen, muss ein Baumzeitkundler jedoch überlappende Ringmuster vieler Bäume vergleichen. Denn: Klima ist nicht der einzige Faktor, der das Wachstum jedes einzelnen Baumes beeinflusst. Ein Baum, der z. B. geschützt an einer Quelle steht, dokumentiert einen trockenen Sommer weniger gut, als ein Baum auf einer trockenen Ebene. Natürlich vergleichen die Wissenschaftler nicht Apfelbäume mit Birnbäumen, sondern erstellen unterschiedliche Chronologien für die verschiedenen Arten aus einer Region. Die längste Zeitreihe ist in Europa für Eichen erstellt worden: sie reicht über 10.000 Jahre zurück. Mit ihr wollen die Forscher das Klima bis zum Ende der Eiszeit auf das Jahr genau beschreiben.
Die Ausgangsfrage noch unbeantwortet
Wenn auch die Idee der Dendrochronologie schon im 15. Jahrhundert von Leonardo da Vinci diskutiert wurde, so fand die erste wissenschaftliche Analyse von Baumringen erst 1919 statt. Andrew E. Douglass, ein amerikanischer Astronom, wollte herausfinden, ob Baumringe den Sonnenfleckenzyklus abbilden. Douglass begründete die neue Disziplin und gab ihr ihren Namen, doch seine Frage nach den Sonnenflecken ist noch heute unbeantwortet.
(Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (BFH) Institut für Holzbiologie und Holzschutz, 15.10.2003 – Kirsten Achenbach / DFG-Forschungszentrum Ozeanränder Bremen (RCOM))