Invasive Arten könnten langfristig mehr Schaden anrichten als bisher angenommen: Wissenschaftler haben herausgefunden, dass ihre Präsenz beim Massenaussterben im Oberdevon wahrscheinlich die Bildung neuer Arten verhindert hat. Die eindringenden Arten besetzten Nischen, die sonst für die Artbildung durch die so genannte Vikarianz zur Verfügung gestanden hätten, so die Forscher in dem Fachmagazin „PLoS ONE“.
Im Oberdevon, vor rund 380 Millionen Jahren ereignete sich eines der großen Massenaussterben der Erdgeschichte. In einem markanten, in zwei Phasen ablaufenden Ereignis starben damals rund 50 Prozent aller meeresbewohnenden Arten, Landlebewesen waren dagegen kaum betroffen. Eine große Rolle spielten vermutlich Änderungen von Umwelt und Klima, die die tieferen Wasserschichten des Meeres so gut wie sauerstofffrei werden ließen.
Rätsel der ausbleibenden Artenexplosion
Doch darüber hinaus hat dieses Massenaussterben noch eine Besonderheit, wie jetzt Alycia Stigall von der Universität von Ohio entdeckte. Denn im Gegensatz zu sonstigen Aussterbeereignissen war das im Oberdevon von einer ungewöhnlich schwachen Bildung neuer Arten begleitet. Während das plötzliche Aussterben vieler Arten normalerweise eine Chance für andere darstellt und daher meist geradezu eine Explosion der Artbildung nach sich zieht, war dies im Oberdevon nicht der Fall. Warum, hat Stigall gemeinsam mit Kollegen nun herausgefunden.
Die Forscherin analysierte dazu exemplarisch die Stammesentwicklung von einer Muschel, Leptodesma, zwei Brachiopoden, sowie einem räuberischen Krebstier, Archaeostraca. Diese kleinen Meeresbewohner gehörten zu den häufigsten Vertretern der marinen Fauna in den warmen, von Korallenriffen überzogenen Ozeanen des Devon.
Wichtiger Artbildungsmechanismus gehemmt
Die Untersuchung ergab, dass in der Phase der Aussterbeereignisse seltsamerweise einer der normalen Mechanismen der Artbildung kaum stattfand: die Vikarianz oder Artbildung durch räumliche Trennung. Sie tritt auf, wenn zwei Populationen einer Art beispielsweise durch die Bildung einer Gebirgskette oder eines neuen Flussarms auf Dauer getrennt werden und sich so allmählich auseinander entwickeln. Nach einiger Zeit sind die Unterschiede so groß, dass Vertreter der isolierten Population sich nicht mehr mit denen der Ursprungsgruppe kreuzen können – eine neue Art ist entstanden. Doch wie die neue Studie zeigt, kam genau dieser Mechanismus während des Oberdevon nahezu vollständig zum Erliegen.
Invasive Arten als Hemmschuh
Aber warum? Aufschluss gaben weiteren Untersuchungen, die auch die damaligen Umweltveränderungen mit einbezogen. Im Oberdevon stieg der Meeresspiegel stark an, die Form der Kontinente änderte sich. Dadurch bildeten sich nicht nur neue Lebensräume, es eröffneten sich auch neue Wege und Zugänge für Arten, die ursprünglich in bestimmten Meeresregionen nicht heimisch waren. Wie Stigall herausfand, breiteten sich einige dieser invasiven Arten so stark aus, dass sie die gesamte marine Lebenswelt dominierten und lokale Arten verdrängten und sogar zum Aussterben brachten.
Gleichzeitig besetzten sie viele durch die Klimaänderungen freiwerdenden Nischen und verhinderten damit eine neue Artbildung durch Abspaltungen lokaler Arten. „Der Hauptmodus der Artbildung, der normalerweise in den Fossiliendaten auftritt, fand während des Devon nicht statt. Er stoppte einfach“, erklärt Stigall. „Wir bezeichnen das Oberdevon immer als Massenaussterben, aber eigentlich war es eine Biodiversitätskrise”, so die Forscherin weiter.
Übertragbar auf heutige Situation?
Für Stigall zeigen die Ereignisse im Oberdevon durchaus Parallelen zur heutigen Situation: Denn auch heute gefährden – meist durch Einwirken des Menschen – immer häufiger invasive Arten das Überleben von seltenen einheimischen Spezies. Die aktuelle Studie belegt nun, dass die Situation noch verschärft wird dadurch, dass die invasiven Arten nicht nur lokale Arten verdrängen, sondern auch gleichzeitig das Entstehen neuer Arten hemmen. „Selbst wenn man den Lebensraumverlust stoppen kann, wird es lange dauern, bis sich die Lebensgemeinschaften erholen, weil die hohen Raten der Invasionen die Artbildung bereits substanziell verringern“, so die Forscherin.
(National Science Foundation NSF, 04.01.2011 – NPO)