Klima

Klimawandel: Ostseeküste in Gefahr?

Deicherhöhungen und Rückverlegungen reichen gegen künftige Überflutungen nicht aus

Sturm an der Ostsee
Wenn die Meeresspiegel ansteigen, werden auch Sturmfluten bedrohlicher. Wie gut schützen Deicherhöhungen und andere Küstenschutz-Maßnahmen? © Zigmunds Dizgalvis / Getty images

Land unter: Gegen die künftige Sturmflutgefahr an der deutschen Ostseeküste werden selbst Deicherhöhungen nicht reichen, wie hochaufgelöste Simulationen enthüllen. Demnach könnte eine Jahrhundert-Sturmflut bei einem Meeresspiegelanstieg von einem bis eineinhalb Metern viermal mehr Fläche überschwemmen als heute und gut 60.000 Menschen treffen – trotz Deicherhöhung um 1,50 Meter. Auch zusätzliche Deichrückverlegungen würden nur wenig mehr Schutz bieten. Zusätzliche Schutzmaßnahmen seien nötig, so die Forscher.

Der steigende Meeresspiegel und stärker werdende Stürme bringen viele Küstenregionen in Gefahr – auch die deutsche Ostseeküste. Sie gilt als das in Europa am stärksten von Sturmfluten bedrohte Gebiet, weil dort besonders stark ansteigende Pegel und tiefliegende Landflächen aufeinandertreffen. Hinzu kommt: Nur rund 43 Prozent der Deiche an deutschen Ostseeküste stehen unter Bundesverwaltung und entsprechen den höchsten Küstenschutz-Richtlinien, wie Joshua Kiesel von der Universität Kiel und sein Team berichten. Die restlichen 57 Prozent sind regionale Deiche mit meist deutlich geringeren Anforderungen, zudem ist die Deichlinie vielfach unterbrochen.

Welche Folgen hat eine Jahrhundertflut bei erhöhtem Meeresspiegel?

Doch was bedeutet dies für die Zukunft der deutschen Ostseeregion? Wie weit der Küstenschutz vor künftigen Sturmfluten schützt und welche Maßnahmen am wirksamsten sind, haben Kiesel und sein Team nun untersucht. In ihrer hochauflösenden Simulation bildeten sie die deutsche Küstentopografie samt bestehender Deiche nach und setzten sie virtuell einer 200-Jahres-Sturmflut bei einer Meeresspiegelerhöhung von einem oder eineinhalb Metern aus – dies entspricht den Vorhersagen des jüngsten Weltklimaberichts für einen weitgehend ungebremsten Klimawandel bis 2100.

Zusätzlich simulierten die Forscher zwei verschiedene Szenarien des verbesserten Küstenschutzes: Zum einen eine Erhöhung der Deiche um 1,50 Meter, zum anderen eine Rückverlegung der Deiche. Dabei werden die alten Deiche durchbrochen und das Land dahinter als Pufferfläche bei Überflutungen ausgewiesen. Ein neuer, weiter im Inland liegender Landdeich schützt dann die besiedelten Gebiete. „Die Deichrückverlegung ist ein hybrider Ansatz: Er nutzt die Funktion der bewachsenen Pufferflächen als Wellenbrecher und Flutabschwächer, schützt aber die angrenzenden Flächen dennoch durch einen Deich“, erklärt das Team.

Überflutung
Überflutete Fläche bei 1,50 Meter Pegelanstieg und einer Jahrhundertflut. Links mit 1,50 Meter höheren Deichen und rechts mit einer Deichrückverlegung.© Kiesel et al./ Communications Earth & Environment, CC-by 4.0

Das Problem jedoch: Die Deichrückverlegung benötigt große, nicht besiedelte und nicht intensiv genutzte Flächen. Theoretisch könnten rund 87 Prozent der deutschen Ostsee-Deichlinie rückverlegt werden, ohne dass Siedlungen verlegt werden müssen, wie Kiesel und seine Kollegen ermittelten. Dadurch würden aber gut 60.000 Hektar Land in die potenziell überflutete und nur noch bedingt nutzbare Gefahrenzone geraten. Bisher gibt es vor allem in Mecklenburg-Vorpommern 24 solcher Rückverlegungsprojekte, wie die Forscher berichten.

Weite Flächen überflutet, zehntausende Menschen betroffen

Die Simulationen ergaben: Eine Jahrhundertflut würde unter heutigen Bedingungen rund 217 Quadratkilometer Landfläche überschwemmen. Bei einem Meter Meeresspiegelanstieg wären ohne Küstenschutzanpassungen rund 753 Quadratkilometer überflutet, bei eineinhalb Meter Pegelanstieg wären sogar 1.016 Quadratkilometer Land überschwemmt, wie das Team ermittelte. Eine Erhöhung aller Deiche um 1,50 Meter würde diese Überflutungsfläche nur auf 593 beziehungsweise 840 Quadratkilometer verringern – das entspricht 25 beziehungsweise 17 Prozent.

„Der Großteil unserer simulierten Überflutungsflächen befindet sich in Mecklenburg-Vorpommern, mit den Hotspots in den Bodden von Fischland-Darß-Zingst, Rügen, Usedom und im Peene Mündungsgebiet“, berichtet Kiesel. “ In Schleswig-Holstein sind insbesondere die Flensburger Förde, die Eckernförder Bucht, Fehmarn, Travemünde sowie Lübeck betroffen.“ Ohne Deichanpassungen wären dadurch bis zu 63.000 Menschen von den Überflutungen betroffen. Mit Deicherhöhungen wären es aber noch immer bis zu 50.000 Menschen.

Einen nur etwas besseren Schutz würde die Rückverlegung der Deiche kombiniert mit einer Erhöhung der Landesschutzdeiche bieten: Eine Jahrhundertflut bei erhöhtem Meeresspiegel würde dann 26 Prozent weniger Menschen treffen als ohne Anpassung, die überflutete Fläche aber nur wenig verringern.

Vergleich der Küstenschutzmaßnahmen
Betroffene Fläche und Bevölkerung bei verschiedenen Küstenschutzmaßnahmen und Pegelanstiegen am Beispiel Rügens.© Kiesel et al./ Communications Earth & Environment, CC-by 4.0

Neue Lösungen für den Küstenschutz nötig

Das aber bedeutet: Weder eine Erhöhung der bestehenden Deiche noch eine Rückverlegung wären ausreichend, um Menschen, Infrastruktur oder Gebäuden an der deutschen Ostseeküste vor den Sturmfluten der Zukunft zu schützen. Das Überflutungsrisiko durch Stürme und Meeresspiegelanstieg wird ohne darüber hinaus gehende Anpassungen deutlich weiter ansteigen, wie die Forscher berichten.

Als Grund für die relativ geringe Wirkung der Küstenschutzmaßnahmen sehen Kiesel und sein Team vor allem die unvollständige, vielfach unterbrochene Deichlinie entlang der Ostseeküste: „Die Überflutungskarten zeigen, dass das Wasser die Deiche nicht überspült, sondern sie umgeht oder tiefliegende Bereiche flutet, die zurzeit nicht durch Deiche geschützt sind.“ Nach Ansicht der Wissenschaftler ist es daher wichtig, neue Lösungen für den Küstenschutz zu entwickeln – vor allem für die bisher nicht durch Deiche geschützten Gebiete.

„Wir brauchen mehr Forschung über die Effektivität alternativer Anpassungskonzepte an den Meeresspiegel“, sagt Kiesel. „Auch aufeinanderfolgende Sturmfluten in einem kurzen Zeitraum können sich zukünftig häufen. Die bereits durch die erste Sturmflut geschwächte Infrastruktur wäre bei nachfolgenden Ereignissen deutlich anfälliger, mit noch schlimmeren Konsequenzen für die Menschen an der Küste.“ (Communications Earth & Environment, 2023; doi: 10.1038/s43247-023-01100-0)

Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

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