Verräterische Unterschiede: Neuanalysen von Mondgestein werfen ein neues Licht auf die Kollision, die einst den Mond schuf. Demnach war der Protoplanet, der mit der Erde kollidierte, doch kein chemischer „Erdzwilling“ – und seine Trümmer sammelten sich vorwiegend im Mondinneren. Indizien dafür liefern unterschiedlich hohe Anteile des Sauerstoff-Isotops 17-O in lunarem Krusten- und Mantelgestein.
Unser Mond verdankt seine Existenz einer kosmischen Katastrophe: Vor rund 4,5 Milliarden Jahren kollidierte die Erde mit dem marsgroßen Protoplaneten Theia. Dieser wurde dabei komplett zerstört. Aus den Trümmern der Kollision bildete sich der Mond, der gängiger Theorie nach zum Großteil aus den Resten von Theia besteht. Weil jeder Himmelskörper im Sonnensystem seine eigene, typische Isotopensignatur besitzt, müssten Theias Spuren daher auf dem Mond nachweisbar sein.
Rätsel um Isotopenwerte
Doch das ist nicht der Fall: Mond und Erde haben nahezu identische Isotopenwerte – sowohl bei Titan, Silizium, Chrom oder Wolfram als auch bei Wasserstoff und Sauerstoff. Einige Planetenforscher vermuten deshalb, dass Theia entweder ein chemischer Zwilling der Erde war oder aber, dass der Mond doch größtenteils aus verdampftem Erdmaterial entstand. Das allerdings weckt die Frage, wo Theia geblieben ist.
Dieser Frage sind nun Erick Cano von der University of New Mexico und seine Kollegen auf den Grund gegangen. Dafür haben sie Apollo-Gesteinsproben einer Neuanalyse in Bezug auf den Anteil des Sauerstoff-Isotops 17-O unterzogen. Die Proben umfassten verschiedenartiges Gestein aus den Mare-Gebieten und dem lunaren Hochland sowie vulkanisches Glas. Zum Vergleich ermittelten die Forscher zusätzlich die 17-O-Werte verschiedener aus dem Erdmantel stammender Gesteine.
Vulkanglas aus dem Mondmantel ist anders
Das Ergebnis: Nimmt man den Durchschnitt aller untersuchten Mondgesteinsproben, entsprechen die Sauerstoff-Isotopenwerte tatsächlich fast genau denen der Erde. „Es ist aber weit auffallender, dass die lunaren Proben eine fast dreimal so hohe Variabilität bei den 17-O-Werten haben als die irdischen“, berichten Cano und sein Team. Demnach ist die bisherige Annahme, dass Mondgestein die gleichen Sauerstoff-Isotopenwerte aufweist, so nicht richtig – im Detail gibt es sehr wohl deutliche Abweichungen.
Konkret stellten die Forscher fest, dass die titanreichen Mars-Basalte und die Hochlandgesteine deutlich geringere 17-O-Anteile aufweisen als das vulkanische Glas. Wie sie erklären, stammt dieses Vulkanglas aus Quellen, die mehr als 400 Kilometer tief im Magmaozean des jungen Mondes lagen. „Wir gehen deshalb davon aus, dass die hohen 17-O-Anteile dieser Gläser repräsentativ für die Gesteinsschmelzen sind, die tief aus dem lunaren Mantel stammen“, so Cano und seine Kollegen.
Keine homogene Mischung der Kollisionstrümmer
Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen: Zum einen ist der Mond zumindest in Bezug auf die Sauerstoffisotope doch kein „Zwilling“ der Erde. Denn seine Kruste hat zwar erdähnliche Werte von 17-O, nicht aber sein Inneres, wie die Forscher erklären. Sie führen dies darauf zurück, dass sich dort ein Großteil der Theia-Trümmer sammelte. „Theias Isotopenzusammensetzung ist bei der Kollision nicht komplett homogenisiert worden“, so Cano und seine Kollegen.
Die zweite Schlussfolgerung: Weil es den neuen Daten zufolge sehr wohl Isotopen-Unterschiede zwischen Mond und Erde gibt, muss auch der Protoplanet Theia kein „Zwilling“ der frühen Erde gewesen sein. „Wenn terrestrische Himmelskörper im inneren Sonnensystem mit wachsendem Abstand von der Sonne zu höheren 17-O-Werten tendieren, dann könnte Theia weiter außen entstanden sein als die Erde“, so die Forscher. Das macht es leichter, das Kollisionsgeschehen im frühen Sonnensystem zu erklären. (Nature Geoscience, 2020; doi: 10.1038/s41561-020-0550-0)
Quelle: Nature