Unsichtbare Barriere: Forscher haben einen zuvor unbekannten unsichtbaren Schutzschild rund um die Erde entdeckt. In rund 11.000 Kilometern Höhe schützt er den Planeten vor den ultraschnellen Elektronen des äußeren Van Allen-gürtels – sie prallen an ihm ab wie an einer Glaswand. Das sei ein äußerst ungewöhnliches Phänomen, konstatieren die Forscher im Fachmagazin „Nature“. Die Barriere besteht vermutlich aus kaltem Plasma, Näheres muss nun noch erforscht werden.
In mehr als 11.000 Kilometern Höhe über der Erdoberfläche ist es extrem ungemütlich. Denn hier, im äußeren Van Allen-Gürtel, rasen energiereiche Elektronen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit um den Planeten. Mit kinetischen Energien von bis zu fünf Megaelektronenvolt (MeV) durchbohren sie alles, was in ihrem Weg liegt. Würde ein Astronaut sich in dieser Zone länger ungeschützt aufhalten, wäre das für seine Gesundheit fatal und auch die sensible Elektronik von Satelliten leidet hier auf Dauer.
Seit 2012 untersuchen zwei Sonden der NASA die harsche Umgebung des Van Allen Gürtels. Ihre Daten enthüllten bereits im letzten Jahr, dass es neben den zwei bekannten Gürteln noch einen dritten, vorübergehenden Ring in dieser Zone gibt. Doch jetzt haben Daniel Baker von der University of Colorado in Boulder und seine Kollegen in den neuesten Daten der Sonden erneut etwas Unerwartetes entdeckt: einen unsichtbaren Schutzschild.
„Glaswand“ in 11.000 Kilometern Höhe
Denn wie sich zeigt, bricht die Zone der ultraschnellen Elektronen in 11.00 Kilometern Höhe plötzlich ab. „Es ist, als wenn diese Elektronen gegen eine Glaswand prallen – mitten im Weltraum“, sagt Baker. „Das erinnert an die Schutzschilde, die in der Serie Star Trek die feindlichen Waffen abprallen lassen – es scheint dort oben ein Schutzschild gen diese Elektronen zu geben.“ Selbst bei einem starken Sonnensturm im Oktober 2013 gab diese Barriere um die Erde nicht nach und hielt die Elektronen davon ab, weiter nach innen einzudringen.
„Das ist ein ungewöhnliches, außerordentliches, aber sehr ausgeprägtes Phänomen“, konstatiert Baker. „Denn normalerweise hasst die Natur steile Gradienten und findet eigentlich immer einen Weg, sie auszugleichen.“ Daher hatte man zuvor erwartet, dass die relativistischen Elektronen des äußeren Van Allen-Gürtels allmählich weiter nach innen driften und dann dort durch Wechselwirkungen mit den Teilchen der oberen Atmosphäre geschluckt werden. Genau das ist aber nicht der Fall – die Elektronen stoppen in 11.000 Kilometern Höhe wie abschnitten.
Weder Magnetfeld noch Funkwellen
Was aber hindert ihr Weitervordringen? Zunächst vermuteten die Forscher, dass das irdische Magnetfeld, das uns auch gegen viele andere kosmische Teilchen schützt, hier als Schutzschild dient. Doch dann müssten die Elektronen an den Schwachstellen des Magnetfelds weiter eindringen als in stärkeren Zonen des Felds. Das jedoch ist nicht der Fall, wie Messungen zeigten.
Eine zweite Möglichkeit wären die extrem langwelligen Radiowellen der sogenannten VLF-Übertragungen. Diese Wellen im Frequenzbereich von 3 bis 30 Kilohertz werden beispielsweise für die Kommunikation mit getauchten U-Booten eingesetzt und für Untersuchungen der Ionosphäre. Sie könnte theoretisch ebenfalls die eindringenden Elektronen abfangen – würden allerdings nur gegen energieärmere Elektronen wirken, nicht gegen die ultraschnellen Teilchen des äußeren Van Allen-Gürtels, wie die Forscher erklären.
Weißes Plasmarauschen als Barriere?
Stattdessen haben die Wissenschaftler einen anderen Akteur im Verdacht, einen den man sogar hören kann. Denn oberhalb der Ionosphäre ist unser Planet von einer Wolke aus kaltem, elektrisch geladenem Gas umgeben. Diese Plasmasphäre beginnt in etwa 900 Kilometern Höhe und reicht dann trausende von Kilometern weit in den Weltraum hinaus. An den Rändern dieser Zone erzeugt dieses Plasma niederfrequente elektromagnetische Wellen, das Plasmasphären-Rauschen. „Dieses Rauschen klingt wie weißes Rauschen, wenn es über einen Laufsprecher wiedergegeben wird“, erklärt Baker.
Aus den Daten der beiden Van Allen-Sonden schließen die Forscher, dass dieses Rauschen die Bahn der ultraschnellen Elektronen verändert und sie so ablenkt, dass sie mit neutralen Gasatomen der oberen Atmosphärenschichten kollidieren und absorbiert werden. Offenbar ist diese Barriere dabei so effektiv und scharf, dass sie wie ein undurchdringlicher Schutzschild wirkt, so die Wissenschaftler.
„Das bedeutet: Wenn man einen Satelliten oder eine Raumstation mit Menschen darin nur knapp innerhalb dieser undurchdringlichen Barriere positionieren würde, hätten sie vor den ultraschnelle Elektronen nichts zu befürchten – das ist gut zu wissen“, sagt John Foster vom Haystack Observatory des Massachusetts Institute of Technology. Die Forscher wollen nun die Ursache dieses Schutzschilds und seine Physik noch genauer untersuchen. (Nature, 2014; doi: 10.1038/nature13956)
(MIT / University of Colorado at Boulder, 27.11.2014 – NP)