Erdtrabant der besonderen Art: Der Asteroid 2016 HO3, auch Kamo’oalewa genannt, ist nicht nur ein Quasi-Satellit der Erde – er könnte auch einen ungewöhnlichen Ursprung haben. Denn Spektraldaten legen nahe, dass der 40 bis 100 Meter große Brocken aus lunarem Material besteht. Er könnte demnach einst bei einem Einschlag von der Mondoberfläche ins All geschleudert worden sein. Der Quasi-Satellit wäre damit eine Art Miniatur-Mond unseres Planeten.
Der Mond ist nicht der einzige Trabant der Erde. Es gibt gleich mehrere Asteroiden, die unseren Planeten als Quasi-Satelliten umkreisen oder in hufeisenförmigen Bahnen um uns herumpendeln. Meist stammen diese Brocken aus dem Asteroidengürtel und wurden durch Schwerkraftturbulenzen oder Kollisionen aus ihrer ursprünglichen Bahn gelenkt. Allerdings bleiben diese Mini-Monde nicht dauerhaft in Erdnähe gefangen, sondern verlassen Orbit und Erdbahn nach einigen Monaten oder Jahren wieder.
Quasi-Satellit in eirigem Orbit
Doch einer unserer aktuellen Mini-Monde könnte etwas ganz Besonderes sein, wie nun Benjamin Sharkey von der University of Arizona und seine Kollegen herausgefunden haben. Es handelt sich um den vor fünf Jahren entdeckten Asteroiden 2016 HO3, auch als (469219) Kamo’oalewa bekannt. Dieser 40 bis 100 Meter große Brocken umkreist die Erde in einem weiten, etwas eirigen Orbit gegen ihre Rotationsrichtung und begleitet sie so um die Sonne.
Um mehr über Zusammensetzung und Herkunft dieses Quasi-Satelliten zu erfahren, haben Sharkey und sein Team den kleinen Erdbegleiter mit dem Large Binocular Telescope in Arizona und dessen Spektroskop näher in Augenschein genommen. Dafür stand ihnen allerdings nur ein kleines Zeitfenster zur Verfügung: Der kleine Asteroid wird nur einmal im Jahr – im April – hell genug, um ihn von der Erde aus mit leistungsstarken Teleskopen beobachten zu können.
Rätselhafte Röte
Schon die erste Beobachtung im April 2017 ergab Überraschendes: Das Spektrum des von der Asteroidenoberfläche reflektierten Lichts unterschied sich von dem normaler erdnaher Asteroiden. „Ich habe jedes Spektrum solcher Asteroiden durchgeschaut, zu dem wir Zugang hatten, aber nichts passte“, sagt Sharkey. Vor allem der hohe Rotanteil des Lichtspektrums und damit die starke Reflexion im langwelligen Bereich war ungewöhnlich.
„Das Spektrum deutet auf eine silikatbasierte Zusammensetzung hin, aber der Rotanteil ist weit jenseits dessen, was für Asteroiden im inneren Sonnensystem typisch ist“, erklären die Astronomen. „Wir wussten nicht, was wir davon halten sollten“, sagt Sharkeys Kollege Vishnu Reddy. Nachdem die eigentlich geplante Nachbeobachtung im April 2020 wegen der Corona-Pandemie ausfallen musste, bekam das Team erst im April 2021 die Chance, mithilfe des Lowell Discovery Telescope (LDT) ergänzende Daten zu Kamo’oalewa zu sammeln.
Ähnlichkeit mit Mondgestein
Die neuen Beobachtungdaten bestätigten die auffällige „Rötung“ des Lichtspektrums: „Wir dachten: Wow, es ist wirklich wahr“, erzählt Sharkey. Die genaueren Spektraldaten lieferten zudem Hinweise darauf, dass die Rötung des Spektrums auf eine Weltraumverwitterung des silikatreichen Asteroidengesteins zurückgehen könnte – eine chemische Veränderung, wie sie unter anderem für die Mondoberfläche typisch ist.
Stammt der Asteroid 2016 HO3 womöglich vom Mond? Um das zu prüfen, verglichen Sharkey und sein Team das Lichtspektrum des Quasi-Satelliten mit den spektralen Daten von 19 Mondproben der Apollo-Missionen – und wurden fündig: „Die Körnchen aus der Mondprobe #14163 von Apollo 14 zeigen eine hohe Überstimmung mit unseren Daten von Kamo’oalewa“, berichten die Astronomen.
Weitere Indizien für einen lunaren Ursprung
Nach Ansicht von Sharkey und seinem Team könnte der kleine Erdbegleiter demnach aus lunarem Material bestehen, das einst durch einen Einschlag ins All hinaus geschleudert wurde. Für einen solchen lunaren Ursprung würde auch der Orbit des Asteroiden sprechen. Er ist retrograd und leicht gegen die Ekliptik geneigt. Modellsimulationen legen zudem nahe, dass Kamo’oalewa bis vor rund 100 Jahren einer hufeisenförmigen Bahn folgte, bevor er dann zum Quasi-Satelliten wurde.
„Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein normaler erdnaher Asteroid spontan in einen Trabantenorbit wie dem von Kamo’oalewa wechseln würde“, sagt Sharkeys Kollegin Renu Malhotra. Ebenfalls für einen Ursprung im Erde-Mond-System spricht ihren Angaben zufolge die Geschwindigkeit des Asteroiden: Relativ zur Erde bewegt er sich nur mit zwei bis fünf Kilometern pro Sekunde, klassische erdnahe Asteroiden fliegen hingegen meist mit rund 20 Kilometern pro Sekunde.
Noch ist nicht eindeutig klar, ob der rätselhafte Erdbegleiter Kamo’oalewa tatsächlich vom Mond stammt. „Unsere Antworten sind bisher noch spekulativ“, räumen auch die Astronomen ein. Sie arbeiten aber bereits daran, mehr über die Herkunft des kleinen Quasi-Satelliten herauszufinden. (Communications Earth & Environment, 2021; doi: 10.1038/s43247-021-00303-7)
Quelle: University of Arizona