Astronomie

Rätsel um fernsten kosmischen Radioblitz

Fast Radioburst aus mehr als acht Milliarden Lichtjahren Entfernung wirft Fragen auf

Fast Radioburst
Astronomen haben erstmals einen kosmischen Radioblitz aus mehr als acht Milliarden Lichtjahren Entfernung eingefangen. © Carl Knox, OzGrav/ Swinburne University

Rätsel um Radiopuls: Astronomen haben erstmals einen Fast Radioburst aus mehr als acht Milliarden Lichtjahren Entfernung eingefangen – ein neuer Entfernungsrekord. Gleichzeitig ist dieser kosmische Radioblitz einer der energiereichsten je detektierten – er setzte in gut einer Millisekunde mehr Energie frei als die Sonne in 30 Jahren. Damit passt dieser Radiopuls nicht zu gängigen Entstehungsmodellen, wie das Team in „Science“ berichtet. Zudem werfen die Merkmale dieses Radiobursts auch ein neues Licht auf die Materiedichte im Kosmos.

Fast Radiobursts (FRB) sind eines der großen Rätsel der Astronomie. Denn diese kosmischen Radiopulse dauern nur wenige Millisekunden, setzen aber enorme Energien frei. Was die kosmischen Radioblitze verursacht, ist allerdings unklar. Zumindest einige von ihnen scheinen zwar von Magnetaren zu stammen, schnell rotierenden Neutronensternen mit starkem Magnetfeld. Das erklärt aber nicht, warum manche Radiobursts nur einmalig aufblitzen, andere dagegen ganze Serien von Radiopulsen erzeugen. Außerdem haben Astronomen mehrere Radioblitze entdeckt, deren Frequenzspektrum oder Ursprungsort nicht zu einem Magnetar passen.

ASKAP
Die 36 Zwölf-Meter-Parabolantennen des ASKAP-Observatoriums in Australien haben den Fast Radioburst eingefangen. © CSIRO/ CC-by-sa 3.0

Acht Milliarden Jahre lange Reise

Jetzt haben Astronomen einen weiteren Exoten unter den Fast Radiobursts entdeckt. Der kosmische Radiopuls wurde am 10. Juni 2022 von den 36 großen Radioantennen des Australian Square Kilometre Array Pathfinder (ASKAP) eingefangen. Diese detektierten einen starken, aber nur 1,18 Millisekunden kurzen Radiopuls im Frequenzbereich um 1.271 Megahertz, wie Stuart Ryder von der Macquarie University in Sydney und seine Kollegen berichten.

Nähere Analysen enthüllten: Der FRB 20220610A getaufte Radioblitz kam aus einer ungewöhnlich großen Entfernung, wie die Verschiebung der Strahlung in den langwelligeren Bereich verriet. Demnach musste der Radiopuls von seiner Quelle rund acht Milliarden Jahre zu uns gebraucht haben. Damit ist FRB 20220610A der fernste jemals detektierte kosmische Radioblitz: Er übertrifft den bisherigen Entfernungsrekord für FRBs noch einmal um rund 50 Prozent, wie die Astronomen berichten.

Enorme Energie passt nicht zu Modellen

Rekordträchtig ist jedoch auch die Energie von FRB 20220610A: „Wir haben ermittelt, dass die Energie dieses Bursts, über die Bandbreite des Instruments betrachtet, bei rund 2 x 1042 erg liegt“, berichten Ryder und sein Team. Damit ist dieser Radioblitz einer der energiereichsten, die je beobachtet wurden. In einem winzigen Sekundenbruchteil setzte er so viel Energie frei wie die Sonne in 30 Jahren. Trotz seiner weit entfernten Quelle erzeugte FRB 20220610A dadurch ein stärkeres Radiosignal als Radioblitze aus unserer eigenen oder eng benachbarten Galaxien.

Diese enorme Energie wirft jedoch Fragen zur Entstehung des Extrem-Radioblitzes auf. Denn gängigen Modellen nach entstehen die Fast Radiobursts entweder nahe der Oberfläche eines hochmagnetisierten Neutronensterns oder in den stark beschleunigten, durch Schockwellen angeregten Strahlungs- und Teilchenströmen, die ein solcher Magnetar bei Ausbrüchen ausstößt. „FRB 20220610A und andere helle FRBs sind jedoch mit beiden Modellen nur schwer zu erklären“, konstatieren Ryder und seine Kollegen.

FRB 20220610A
Diese Illustration deutet den weiten Weg des kosmischen Radioblitzes von einer fernen Galaxiengrupe bis zu uns an. © ESO/M. Kornmesser

Ferne Galaxiengruppe als Quelle

Um mehr über den möglichen Urheber dieses Fast Radiobursts herauszufinden, nutzten die Astronomen die hochauflösenden Optiken des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile und des W. M. Keck Observatoriums auf Hawaii, um die Ursprungsregion von FRB 20220610A näher zu untersuchen. Es zeigte sich, dass dort eine Gruppe aus zwei oder drei eng beieinander liegenden hellen Flecken liegt. „Die Merkmale passen zu zwei interagierenden oder verschmelzenden Galaxien oder einer kompakten Galaxiengruppe“, berichten Ryder und sein Team.

Doch welche Prozesse in diesen Galaxien ablaufen und was genau den Fast Radioburst verursacht hat, lässt sich nicht erkennen. „Während wir immer noch nicht wissen, was diese massiven Ausbrüche von Energie verursacht, bestätigt die Studie, dass schnelle Radioblitze häufige Ereignisse im Kosmos sind“, sagt Koautor Ryan Shannon von der Swinburne University of Technology in Australien. Das hohe Alter des Fast Radiobursts belegt zudem, dass solche Ereignisse schon in der frühen Vergangenheit unseres Kosmos vorkamen.

Fahndungshelfer für „fehlende “ Materie

Interessant sind dieser und andere weit entfernte Fast Radiobursts aber noch aus einem anderen Grund: „Wir können sie verwenden, um Materie zwischen Galaxien zu erkennen und die Struktur des Universums besser zu verstehen“, sagt Shannon. Denn während der Radiopuls durch das All rast, interagiert er mit elektrisch geladenen Teilchen im intergalaktischen Medium. Dabei wird die Strahlung auf charakteristische Weise verändert: „Freie Elektronen entlang des Weges zwischen der Quelle des Radioblitzes und der Erde erzeugen eine frequenzabhängige Verzögerung im Radiosignal“, erklären die Astronomen.

Der Clou daran: Diese Verzerrung, Dispersion genannt, kann genutzt werden, um die Materiedichte im Kosmos zu messen – und das könnte dabei helfen, ein weiteres großes Rätsel der Astronomie zu lösen. „Wenn wir die Menge an normaler Materie im Universum zählen, stellen wir fest, dass mehr als die Hälfte von dem, was heute vorhanden sein sollte, fehlt“, sagt Shannon. „Wir vermuten, dass sich die fehlende Materie im Raum zwischen den Galaxien verbirgt, aber sie ist vielleicht so heiß und diffus, dass sie mit üblichen Techniken nicht sichtbar ist.“

Mehr Materie als erwartet

Doch auch in dieser Hinsicht wirft der Radioblitz FRB 20220610A mehr Fragen auf als er beantwortet. Denn aus ersten Analysen seiner Radiostrahlung ermittelten Ryder und sein Team einen Dispersionswert, der höher ist als erwartet. Dies könnte darauf hindeuten, dass das das intergalaktische Medium dichter ist als gedacht. Denkbar wäre aber auch, dass es zwischen der Quelle dieses Radioblitzes und der Erde irgendwo dichte Wolken aus turbulentem, magnetisiertem Plasma gibt – entweder in einer Vordergrundgalaxie oder vielleicht sogar in der Quellgalaxie des Radiobursts.

Weitere ähnlich ferne Fast Radiobursts werden nötig sein, um die offenen Fragen zu klären. Mehr Chancen, solche Radioblitze aus weit entfernten Quellen einzufangen, könnte der Ausbau des Square Kilometre Array (SKA) bieten. Dabei sollen Radioantennen in Australien und Südafrika miteinander gekoppelt werden. Mehr Auskunft über die Quellen der kosmischen Radioblitze könnte zudem das im Bau befindliche Extremely Large Telescope (ELT) der ESO sein, das künftig größte Teleskop der Erde. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adf2678)

Quelle: Macquarie University, European Southern Observatory (ESO)

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