Saisoneffekt mit Verzögerung: Die erhoffte Sommer-Abschwächung der Corona-Pandemie könnte ausfallen – oder zumindest nur geringe Effekte haben. Denn selbst wenn SARS-CoV-2 sensibel auf Wärme und Feuchtigkeit reagiert, würde dieser Klimaeffekt in der akuten Phase der Pandemie überdeckt, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten. Saisonal wird das Coronavirus demnach erst dann, wenn die Bevölkerung schon stärker immunisiert ist.
Die Influenza, aber auch das Schnupfenvirus RSV oder die Erkältungs-Coronaviren grassieren vor allem im Winter. Denn diese Viren verbreiten sich dann am besten, wenn es eher kalt ist. Bei diesem Klima trocknen die Tröpfchen weniger schnell ein, in denen die Erreger übertragen werden, gleichzeitig könnten aber auch die menschlichen Atemwege empfindlicher sein.
Wie saisonal ist SARS-CoV-2?
Das weckt die Frage, ob möglicherweise auch SARS-CoV-2 eine solche saisonale Reaktion zeigt. Antworten darauf sind bislang allerdings spärlich und widersprüchlich. So legen Studien zwar nahe, dass auch dieses Coronavirus temperatursensibel sein könnte. Andererseits sprechen die Fallzahlen im tropischen Asien und in Brasilien eher für eine relativ ungebremste Ausbreitung trotz Tropenklima.
Wie ist diese Diskrepanz zu erklären? Und was heißt dies für den Verlauf der Corona-Pandemie im Sommer 2020? Das haben nun Rachel Baker von der Princeton University und ihr Team näher untersucht. „Die Schlüsselfrage ist, in welchem Ausmaß geografische und saisonale Klimavariationen auch für die pandemische Phase einer neuauftretenden Infektion relevant sind“, erklären sie. Denn im Gegensatz zu länger etablierten Infektionen trifft SARS-CoV-2 auf eine komplett ungeschützte, noch nicht immunisierte Bevölkerung.
Ist die akute Phase anders?
Das Problem dabei: Alle bisher zum Vergleich herangezogenen Viren zirkulieren schon lange in der menschlichen Bevölkerung. Deshalb wird ihre Ausbreitung immer auch von der Herdenimmunität eingeschränkt – dem Anteil der Menschen, die schon Kontakt mit diesen Erregern hatten und daher nicht oder kaum mehr anfällig sind. Es könnte daher sein, dass solche Viren erst durch die Kombination von Sommerhitze und diesen Hemmnissen bei der Ausbreitung saisonal werden.
Was das für SARS-CoV-2 bedeutet, haben Baker und ihr Team nun mithilfe einer epidemiologischen Modellsimulation untersucht. Dafür legten sie für SARS-CoV-2 zunächst eine weitgehend ungehinderte Übertragung entsprechend der bislang geschätzten Basis-Reproduktionsrate von R0=3 zugrunde. In drei Szenarien verliehen sie diesem Virus dann entweder die Klimaempfindlichkeit der Influenza oder der der zwei Erkältungs-Coronaviren OC43 und HKU1. Alle drei Viren sind saisonal, unterscheiden sich aber im Grad ihrer Klimasensibilität.
Klimaeffekt kaum nachweisbar
Das Ergebnis: In allen drei Szenarien breitete sich das Coronavirus ungeachtet der Klimabedingungen und Jahreszeiten rapide aus. „Für die Nordhalbkugel sehen wir keine substanziellen Unterschiede in den drei Szenarien, trotz des sehr unterschiedlichen Klimas in Städten wie New York, London und Delhi“, berichten die Forscher. Nur in den Tropen gab es bei den beiden klimasensibleren Szenarien eine leichte Verlangsamung und Verzögerung der Pandemie.
Ähnliches ergab auch der Vergleich des Pandemieverlaufs auf Nord- und Südhalbkugel: „Wir sehen nur geringe Verzögerungen in den Infektions-Peaks der südlichen Standorte verglichen mit denen auf der Nordhalbkugel – trotz des sechsmonatigen Versatzes der Jahreszeiten zwischen den Hemisphären“, berichten Baker und ihre Kollegen. Das bestätigen auch die aktuellen Beobachtungen beispielsweise in Brasilien, wo es bislang keine Hinweise auf ein langsameres Fortschreiten der Corona-Pandemie gibt.
Wenig Hoffnung auf Sommer-Senke in der Corona-Pandemie
Nach Ansicht der Forscher sprechen diese Ergebnisse dafür, dass das Klima zumindest in dieser akuten ersten Phase der Corona-Pandemie wahrscheinlich nur eine geringe Rolle spielt. „Unsere Resultate legen nahe, dass sich sowohl gemäßigte als auch tropische Regionen auf schwere Ausbrüche der Krankheit einstellen sollten“, konstatieren Baker und ihr Team. „Auch die sommerlichen Temperaturen werden die Ausbreitung der Infektion nicht effektiv eingrenzen können.“
Solange die menschliche Bevölkerung kaum Immunität gegen SARS-CoV-2 besitzt, wird sich die Ausbreitung der Pandemie demnach auch im Sommer nur mit Eindämmungs-Maßnahmen eingrenzen lassen. „Wir sehen zwar einen geringen Einfluss des Klimas auf Stärke und Timing der Pandemie, aber weil die Bevölkerung noch so anfällig ist, wird sich das Virus weiterhin schnell ausbreiten, unabhängig von den klimatischen Bedingungen.“
Saisonal erst bei stärkerer Immunität der Bevölkerung
Das allerdings muss nicht so bleiben, wie ein weiteres Szenario nahelegt. In diesem senkten die Forscher die Reproduktionszahl von SARS-CoV-2 auf Werte um 1 – solche Werte werden beispielsweise durch Eindämmungs-Maßnahmen wie das Social Distancing und die Quarantäne von Infizierten erreicht. Ähnliche Werte ergeben sich aber auch, wenn eine Pandemie schon länger anhält und der Erreger bei der Übertragung immer häufiger auf bereits immunisierte Wirte stößt.
Das Ergebnis: „Wenn die Anfälligkeit der Bevölkerung sinkt, spielt das Klima eine deutlich größere Rolle für die Stärke der Pandemie“, berichten die Wissenschaftler. Mit anderen Worten: Wenn erst die akute Phase der Pandemie abebbt und ein Teil der Bevölkerung immun geworden ist – oder geimpft – könnte SARS-CoV-2 ähnlich saisonal werden wie die Erkältungs-Coronaviren.
„Wenn dieses Virus in der Population endemisch geworden ist, wird es wahrscheinlich zu einem Wintervirus werden“, sagt Bakers Kollege Bryan Grenfell. „Wann und wie sehr hängt allerdings von einer Menge komplexer Faktoren ab.“ (Science, 2020; doi: 10.1126/science.abc2535)
Quelle: Princeton University