Ein Peptid aus der Sonnenblume könnte zu einem neuartigen Schmerzmittel führen, das ähnlich wirkt wie ein Opioid – aber nicht süchtig macht oder berauschend wirkt. Der synthetisch optimierte Pflanzeninhaltsstoff Helianorphin dockt nicht am μ-Opioid-Rezeptor im Gehirn an, sondern am verwandten Kappa-Rezeptor. In Tests mit Mäusen wirkte das Helianorphin besonders gut gegen Bauchschmerzen oder Schmerzen in den Gliedmaßen, wie die Forscher berichten.
Für starke Schmerzen sind Opioide noch immer die Mittel der Wahl. Diese Derivate des aus dem Schlafmohn stammenden Opiums binden an den μ-Opioid-Rezeptor in Nerven und Gehirn und blockieren so die Schmerzleitung. Gleichzeitig kann dies jedoch zu Abhängigkeit führen und in höheren Dosen zur Atemlähmung. Unter anderem deshalb suchen Wissenschaftler weltweit nach Alternativen.
Als ein Kandidat dafür gelten Wirkstoffe, die nicht am μ-Opioid-Rezeptor andocken, sondern am eng verwandten Kappa-Opioid-Rezeptor (KOR). Auch diese Bindung kann die Schmerzempfindung blockieren, verursacht aber keine Atemlähmung oder euphorisierende Gefühle. Das Problem jedoch: Wenn Mittel an den Kappa-Rezeptor im Gehirn binden, können sie Schläfrigkeit, negative Emotionen und sogar Halluzinationen auslösen.
Sonnenblumen-Peptid bindet an Kappa-Rezeptor
Ziel aktueller Forschungsansätze ist es daher, Wirkstoffe zu finden, die die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können und daher nur an die Kappa-Opioid-Rezeptoren im Körper andocken. Einen dieser Wirkstoffe könnten nun Edin Muratspahic von der Medizinischen Universität Wien und ihre Kollegen gefunden haben – in der Sonnenblume. Ausgangspunkt dafür waren Berichte aus der traditionellen Medizin, in der Sonnenblumenextrakte gegen Entzündungen und Schmerzen eingesetzt werden.
Für ihre Stude isolierte das Forschungsteam einen der Hauptbestandteile aus diesen Extrakten, das Peptid SFT-1 und testete, ob diese Substanz an die Kappa-Opioid-Rezeptoren bindet. Es zeigte sich: Das aus einer ringförmigen Proteinkette bestehende Sonnenblumenpeptid bindet tatsächlich an den Rezeptor und löst die schmerzhemmende Signalkaskade aus. Um die Stabilität dieser Bindung und die Wirksamkeit der Substanz weiter zu verbessern, setzten Muratspahic und ihre Kollegen ein Stück eines körpereigenen KOR-Wirkstoffs in die ringförmige Struktur des Peptids ein.
Schmerzhemmend in Darm und Peripherie
Das Ergebnis war Helianorphin-19, eine Substanz, die effektiv an den Kappa-Rezeptor andockt, aber nicht bis ins Gehirn vordringt. „Dieses Peptid ist äußerst stabil, hochpotent und wirkt restriktiv in der Körperperipherie“, erklären Muratspahic und ihr Kollege Christian Gruber. „Daher sind bei Anwendung auch weniger der typischen Nebenwirkungen von Opioiden zu erwarten.“ Gleichzeitig ist dieses Molekül weitgehend unempfindlich gegenüber Magensäure, wie Tests mit Säuren ergaben. Es könnte daher oral verabreicht werden.
Wie gut und selektiv das modifizierte Sonnenblumen-Peptid gegen Schmerzen wirkt, testeten die Forschenden in Versuchen mit Mäusen, die an einem überempfindlichen Darm litten. Bekamen die Tiere das Helianorphin in den Darm, hemmte das Mittel die bei einer Dehnung des Darms ausgelösten Schmerzen, wie die Wissenschaftler berichten. Bei Kontrolltieren ohne die Behandlung zeigten sich dagegen wie erwartet Anzeichen einer Schmerzreaktion.
Ergänzende Tests ergaben, dass das Peptid selektiv nur den molekularen Signalweg aktiviert, der die Schmerzweiterleitung beeinflusst. Die Reaktionskaskaden, die die typischen Opioid-Nebenwirkungen hervorrufen, blieben dagegen inaktiv. Das bestätigen auch Verhaltenstests, die keinerlei Hinweise auf eine benommen machende Wirkung der Substanz ergaben.
Einsatz gegen entzündliche Darmerkrankungen denkbar
Nach Ansicht des Forschungsteam belegen diese Ergebnisse, dass das modifizierte Sonnenblumen-Peptid ein vielversprechendes Arzneimittel werden könnte. „Dieser Wirkstoff erwies sich als unser Top-Kandidat als mögliches neuartiges Schmerzmittel, besonders für Schmerzen im Magen-Darm-Trakt oder in den peripheren Organen“, sagt Gruber. Ein solches Schmerzmittel könnte unter anderem bei entzündlichen Darmerkrankungen und anderen Leiden eingesetzt werden.
Noch sind weitere Tests nötig, um die Eignung des Helianorphins und seine Wirkung weiter zu untersuchen und zu optimieren. Gruber und seine Kollegen sehen aber auch über diesen spezifischen Wirkstoff hinaus in solchen pflanzenbasierten Peptiden großes Potenzial, um gute Alternativen für die gängigen Opioide zu finden. (Journal of Medicinal Chemistry, 2021; doi: 10.1021/acs.jmedchem.1c00158)
Quelle: Medizinische Universität Wien