Lautsprecherlinse statt Hörgerät: Forscher haben eine neuartige „Hör-Kontaktlinse“ entwickelt – ein Miniatur-Hörgerät, das direkt auf dem Trommelfell aufliegt. Weil dieser spezielle Piezo-Lautsprecher den Schall direkt an die Gehörknöchelchen überträgt, erzeugt er kaum Verzerrungen und kann selbst sehr hohe und sehr tiefe Töne in guter Qualität verstärken, wie die Wissenschaftler berichten. Die Klangqualität übertrifft dadurch die bisheriger Hörsysteme.
Ein Hörsturz, Gefäßverengungen, das Alter oder auch ein angeborener Defekt: Rund 15 Millionen Menschen in Deutschland sind schwerhörig. Um im Alltag zurecht zu kommen, benötigen sie ein Hörgerät. Diese verstärken den Schall allerdings meist nicht verzerrungsfrei: Weil der Lautsprecher im Gehörgang des Trägers sitzt, kommt es zu akustische Verzerrungen, die die Klangqualität beeinträchtigen. Das außen hinter dem Ohr sitzende Mikrophon ist zudem anfällig für Störeinflüsse wie den Wind.
Lautsprecher direkt auf dem Trommelfell
Abhilfe schaffen könnte nun eine Erfindung von Wissenschaftlern des Mannheimer Start-up Vibrosonic, einer Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). Sie haben eine neuartige Hörhilfe entwickelt, deren Lautsprecher direkt am Trommelfell sitzt und daher den Schall verzerrungsfreier verstärken kann. Die „Hörkontaktlinse“ besteht aus einem flachen piezoelektrischen Mikrolautsprecher, der in eine passgenau an den Träger angepasste Silikonform eingegossen wird.
„Da unsere Hörkontaktlinse direkt auf dem Trommelfell getragen wird – wie eine Kontaktlinse auf dem Auge – können sehr tiefe und besonders hohe Töne sehr gut verstärkt werden“, erklärt Dominik Kaltenbacher von Vibrosonic. „Die tiefen Töne sind beispielsweise beim Genuss von Musik entscheidend, weil der Klang dadurch satter wird. Hohe Töne gut hören zu können, ist für das Sprachverstehen wichtig, denn die codierten Obertöne machen den Charakter einer Stimme aus.“
Mikrophon im Gehörgang, Prozessor außen
Die gesamte Hörhilfe besteht aus drei Komponenten: Die Hörkontaktlinse liegt direkt auf dem Trommelfell auf und überträgt so die akustischen Reize ohne verzerrungsanfälligen Luftschall direkt auf die Gehörknöchelchen im Mittelohr. „In der Hörkontaktlinse verwenden wir den weltweit ersten Hörgerätelautsprecher, der konsequent mit den Methoden der Mikrosystemtechnik entwickelt und realisiert wurde, den sogenannten Vibrosonic-Aktor. Einzelne Strukturen sind tausendmal kleiner als die Dicke eines menschlichen Haars“, sagt Kaltenbacher.
Direkt vor dem flachen Trommelfell-Lautsprecher sitzt das Gehörgangsmodul mit dem Mikrophon. Das dritte Modul mit Batterien und Signalverarbeitungsprozessor bildet in der ersten Version noch ein separates Modul hinter dem Ohr, soll in künftigen Versionen aber weiter miniaturisiert und ebenfalls ins Ohr eingebracht werden. Das System wird vom Hals-Nasen-Ohrenarzt ins Ohr eingesetzt und angepasst.
Klangqualität ähnlich dem natürlichen Hören
Nach Angaben des Forscherteams hat sich ihre Hörkontaktlinse in ersten Tests mit zunächst wenigen Probanden bereits bewährt: Es konnte Hören und Klangqualität bei leichter bis mittelgradiger Hörschädigung signifikant verbessern. Das System kann Klänge im gesamten hörbaren Frequenzbereich von unter 80 Hertz bis deutlich über 12 Kilohertz verstärken und kommt so dem natürlichen Hörbereich nahe.
„Im Moment bereiten wir klinische Studien vor, um die Sicherheit und Funktionalität des Systems zu überprüfen“, heißt es auf der Vibrosonic-Website. Die Zulassung des ersten Produktes, Vibrosonic alpha, sei für den Herbst 2021 geplant.
Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft