Medizin

Häufige Ohnmachten: Ein Gen kann schuld sein

Forscher kreisen die Ursache ererbter Ohnmachtsneigung weiter ein

Wer häufig in Ohnmacht fällt, hat dies wahrscheinlich seiner genetischen Veranlagung zu verdanken – vielleicht sogar nur einem einzigen veränderten Gen. Darauf jedenfalls deutet eine neue Studie eines deutsch-australischen Forscherteams hin. Demnach ist in manchen Fällen nur eine dominante Genvariante für die ererbte Veranlagung zur Ohnmacht verantwortlich. Die Forscher identifizierten auch bereits einen der Chromosomenabschnitte, auf denen dieses Gen liegen kann, wie sie im Fachmagazin „Neurology“ berichten.

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Kreislaufzusammenbrüche sind alles andere als selten: Jeder Vierte erleidet mindestens einmal im Leben einen solchen Anfall, bei dem sich die Blutgefäße reflexhaft weiten. Die Folge: Der Blutdruck sackt ab, der Kreislauf kollabiert, das Gehirn wird schlecht durchblutet und es kommt zu einer vorübergehenden Bewusstlosigkeit. Wer sehr oft in Ohnmacht fällt, hat die Veranlagung dafür allerdings nicht selten von Vater oder Mutter geerbt. „Meist spielen dabei mehrere Gene zusammen mit Umweltfaktoren eine Rolle“, erläutert Erstautor Karl Martin Klein von der Philipps-Universität Marburg. Wie er und seine Kollegen jetzt herausfanden, reicht in manchen Fällen aber schon ein einziges verändertes Gen aus, um häufige Kreislaufkollapse hervorzurufen.

Familienmerkmal: Ohnmacht

Für ihre Studie untersuchten die Forscher Familien, in denen bei gleich mehreren Familienmitgliedern so genannte vasovagale Synkopen auftraten. Das sind Ohnmachtsanfälle, die zum Beispiel ausgelöst werden, wenn die Betroffenen Blut sehen oder lange stehen; weitere typische Auslöser sind Verletzungen und medizinische Maßnahmen, aber auch Furcht und Schmerzen. „Familienstudien sind sehr aussagekräftig, um Genmutationen zu identifizieren, die starke Effekte hervorrufen“, erklärt Klein. „Die Identifizierung solcher Genmutationen kann dazu beitragen, die physiologischen Mechanismen aufzuklären, die Krankheiten zugrunde liegen, und neue Behandlungsmethoden zu entwickeln.“

Das Team erhob die Kranken- und Familiengeschichte von 44 Familien mittels ausführlicher Telefoninterviews, die die Wissenschaftler auf Basis eines Fragebogens führten. Bei sechs der untersuchten Familien ergab sich der Verdacht auf einen autosomal-dominanten Erbgang – bei ihnen genügt die Erbanlage eines Elternteils, damit sich auch bei der nächsten Generation dieselbe Krankheit ausprägt; die unauffällige Veranlagung des anderen Elternteils reicht nicht aus, um diese Disposition auszugleichen. Die Folge: Bis zur Hälfte der Kinder neigen zu Kreislaufzusammenbrüchen.

Ein Gen reicht, es können aber jeweils andere sein

Um die hierfür verantwortlichen Gene zu identifizieren, untersuchten die Forscher in fünf der betroffenen Familien das Erbgut mit molekulargenetischen Methoden. In der größten dieser Familien ließ sich der Hang zu Ohnmachtsanfällen tatsächlich auf einen bestimmten Chromosomenabschnitt zurückführen. Welches Gen aber genau dafür verantwortlich ist, konnten die Wissenschaftler noch nicht eindeutig feststellen. „Bei zwei anderen Familien spielt derselbe Chromosomenabschnitt jedoch keine Rolle“, führt Klein aus. Er schließt daraus, dass es verschiedene Gene gibt, die jeweils autosomal dominante Ohnmachtsanfälle auslösen können. „Da bei sechs von 44 betroffenen Familien ein autosomal-dominanter Erbgang vorliegt, kann man davon ausgehen, dass dies keine Ausnahmefälle sind“, konstatiert Klein.

Dass eine Neigung zur Ohnmacht erblich ist, hatte sich bereits vor kurzem in einer anderen Studie der Forscher gezeigt. In dieser hatten sie untersucht, ob bei eineiigen Zwillingen häufiger beide Geschwister von Ohnmacht betroffen sind als bei zweieiigen. Da eineiige Zwillinge aus der gleichen befruchteten Eizelle hervorgehen, besitzen sie identische Gene, zweieiige Zwillinge sind dagegen genetisch unterschiedlich – ähnlich wie normale Geschwister. Das Ergebnis der Studie: Bei zwei Drittel der eineiigen Zwillingpaare waten beide Geschwister betroffen – doppelt so häufig wie bei zweieiigen Zwillingen. Auch dieser Befund legt nahe, dass die Anfälligkeit genetisch verursacht ist. (Neurology, 2013; doi: 10.1212/WNL.0b013e3182635789)

(Philipps-Universität Marburg, 17.04.2013 – NPO)

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