Pille als Lernhilfe: In Europa hat der Missbrauch von Medikamenten für das „Hirndoping“ stark zugenommen. Wie die bisher größte Studie dazu enthüllt, hat sich der Anteil der Menschen, die Mittel wie Ritalin, Modafinil und Co zur Steigerung ihrer geistigen Leistung genutzt haben, in nur zwei Jahren verdoppelt bis vervierfacht. Auch in Deutschland geht der Trend nach oben – wenngleich er insgesamt auf vergleichsweise niedrigem Niveau liegt.
Sie sollen wachhalten, beim Lernen helfen und die Konzentration stärken: Medikamente wie das Narkolepsie-Mittel Modafinil oder das eigentlich gegen ADHS verschriebene Ritalin (Methyphenidat) werden zunehmend zweckentfremdet und von gesunden Menschen zur Steigerung der geistigen Leistungen eingenommen – auch in Deutschland. Allerdings: Der Nutzen dieser Wirkstoffe beim Hirndoping ist umstritten, dafür kann ihre Einnahme bleibende Folgen haben.
Hirndoping fast verdreifacht
Das aber scheint dem Erfolg der sogenannten Neuro-Enhancer keinen Abbruch zu tun, wie die bisher umfassendste Studie zu diesem Thema nun enthüllt. Larissa Maier von der University of California in San Francisco und ihre Kollegen hatten dafür Daten des Global Drug Survey der Jahre 2015 und 2017 ausgewertet und verglichen. An dieser anonymen Befragung zum Drogen-Konsum nahmen insgesamt mehr als 100.000 Menschen in 15 Industrieländern teil.
Das Ergebnis: Von 2015 bis 2017 ist der Konsum von verschreibungspflichtigen Neuro-Enhancern in allen untersuchten Ländern gestiegen, wie die Forscher berichten. Im Schnitt hat sich die Zahl der Nutzer solcher Mittel innerhalb dieser zwei Jahre fast verdreifacht – von 4,9 Prozent auf 13,7 Prozent. Die Spannbreite ist dabei allerdings enorm: Sie reicht von nur einem bis zwei Prozent in der Schweiz oder Portugal über gut zwölf Prozent in Belgien, Kanada und den Niederlanden bis zu fast 30 Prozent in den USA.
Stärkte Zunahme in Europa
Auffallend dabei: Zwar haben die USA den höchsten Anteil von Hirndoping, die stärkste Zunahme solcher Mittel aber gibt es in Europa. So ist der Missbrauch von Methylphenidat und Co zur Leistungssteigerung beispielsweise in Belgien von 3,6 Prozent im Jahr 2015 auf 12,4 Prozent im Jahr 2017 angestiegen. In Frankreich stieg der Anteil von 0,6 auf 4,6 Prozent, in Großbritannien von 1,7 auf 5,1 Prozent.
In Deutschland ist das Hirndoping noch vergleichsweise selten, aber auch hier gab es eine deutliche Steigerung, wie die Forscher berichten. Die Zahl der Menschen, die in den letzten zwölf Monaten schon mindestens einmal solche Mittel zur Steigerung der geistigen Leistungen eingenommen hat, verdoppelte sich von 1,5 Prozent im Jahr 2015 auf 3 Prozent im Jahr 2017.
Pillendeal im Freundeskreis
Einen der Gründe für diesen Anstieg sehen Maier und ihre Kollegen in der stärkeren Verbreitung besonders des Methylphenidats : In den Ländern, in denen dieses Mittel häufig gegen ADHS verschrieben wird, ist auch der Missbrauch höher. Aber auch die Drogenpolitik in den verschiedenen Ländern spiele eine Rolle, sagen die Forscher.
Hauptquelle der verschreibungspflichtigen oder illegalen Mittel war für fast der Hälfte der Befragten der Freundeskreis: 47,8 Prozent berichteten, sie hätten Ritalin und Co von Bekannten bekommen. Rund zehn Prozent hatte die Neuro-Enhancer von einem Dealer oder über das Internet gekauft und sechs Prozent gaben ein Familienmitglied mit legalem Rezept für ein solches Mittel als Quelle an.
Wer nimmt Neuro-Enhancer – und warum?
Wie die Studie enthüllte, ist Hirndoping bei Männern und Frauen gleichermaßen verbreitet – aber mit teilweise unterschiedlichen Motiven. „Frauen nutzen die Mittel eher als Lernhilfe, um Müdigkeit zu verringern, Stress zu senken, ihre Ausdauer zu erhöhen und auch um Gewicht zu verlieren“, berichten Maier und ihre Kollegen. „Bei Männern kommt als zusätzliche Motivation das ‚High‘ und eine Erhöhung der sexuellen Potenz dazu.“
Im Gegensatz zu anderen Drogen werden Methylphenidat, Modafinil und Co aber meist nicht täglich oder regelmäßig eingenommen, wie die Befragung ergab. „Das häufigste Muster war die Einnahme dieser Mittel ein bis zwei Wochen vor einer Prüfung oder ein bis zweimal jährlich in einer besonders stressigen Arbeitsphase“, berichten die Forscher. Zwei Drittel der Befragten hatten Hirndoping-Mittel nur bis zu zehnmal im vergangenen Jahr eingenommen. (International Journal of Drug Policy, 2018; doi: 10.1016/j.drugpo.2018.05.009)
(International Journal of Drug Policy, 09.07.2018 – NPO)