Hormonell bedingt: Männer mit einem niedrigeren Testosteronspiegel haben offenbar ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe von Covid-19, wie eine US-Studie enthüllt. Demnach mussten Männer mit einem Wert deutlich unter 100 Nanogramm pro Deziliter häufiger auf der Intensivstation behandelt und beatmet werden als Männer mit normalen oder nur leicht erniedrigten Testosteronwerten. Bei Frauen gab es dagegen keinen Zusammenhang mit den Geschlechtshormonen.
Die Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 trifft nicht jeden gleich schwer. Schon seit Beginn der Pandemie ist bekannt, dass neben genetischen Faktoren, dem Alter, Vorerkrankungen und Übergewicht auch das Geschlecht eine Rolle spielt: Männer erleiden häufiger schwere Verläufe von Covid-19, müssen häufiger auf der Intensivstation behandelt werden und sterben auch häufiger an der Infektion und ihren Komplikationen.
Schützt oder schadet Testosteron bei Covid-19?
Aber warum? Die Vermutung liegt nahe, dass die Geschlechtshormone eine Rolle für die höhere Anfälligkeit von Männern gegenüber Covid-19 spielen könnten. Vom weiblichen Geschlechtshormon Östrogen ist bekannt, dass es schützende Immunreaktionen gegen einige Erreger stärkt, Testosteron soll hingegen die Ausschüttung von Botenstoffen fördern, die zu einer inadäquaten oder sogar überschießenden Immunreaktion führen.
Welchen Zusammenhang es zwischen Testosteron und der Schwere der Covid-19-Verlaufs tatsächlich gibt, haben nun Sandeep Dhindsa von der Washington University in St. Louis und sein Team näher untersucht. Dafür analysierten sie die Blutwerte von Testosteron, Östradiol und dem Wachstumshormon IGF-1 bei 90 Männern und 62 Frauen, die von März bis Mai 2020 mit Covid-19 ins Krankenhaus kamen. Die Hormonwerte wurden am Tag der Aufnahme und dann regelmäßig bis Tag 28 ermittelt.
Je niedriger der Hormonspiegel, desto schwerer der Verlauf
Es zeigte sich: Die Männer, die schon bei der Klinikaufnahme sehr niedrige Testosteronwerte von im Schnitt 53 Nanogramm pro Dezilitern aufwiesen, erlitten häufiger schwere Verläufe und mussten intensivmedizinisch behandelt und teilweise auch beatmet werden. Als normaler Wert gelten Testosteronspiegel ab 250 Nanogramm pro Deziliter. Je niedriger der Spiegel des männlichen Geschlechtshormons war, desto höher war auch das Risiko, an Covid-19 zu sterben.
Unabhängig von Kofaktoren wie Alter, Körpergewicht oder Vorerkrankungen hatten Männer mit schwerem Verlauf 65 bis 85 Prozent niedrigere Testosteronwerte als solche mit milderer Erkrankung. „Selbst die Männer mit Covid-19, die anfangs noch nicht schwer erkrankt waren, aber niedrige Testosteronwerte hatten, brauchten zwei bis drei Tage später häufiger eine intensivmedizinische Behandlung oder Intubation“, berichtet Dhindsa. Auch wenn die Werte im Laufe des Klinikaufenthalts weiter absanken, war dies ein ungünstiges Vorzeichen.
Bei Frauen oder den Hormonen Östradiol und IGF-1 gab es dagegen keinen Zusammenhang mit dem Krankheitsverlauf.
Mehr entzündungsfördernde Cytokine
Nähere Analysen ergaben, dass die Testosteronwerte der männlichen Patienten auch in engem Zusammenhang mit den Spiegeln bestimmter Immun-Botenstoffe standen: War der Hormonspiegel niedrig, wiesen die Patienten erhöhte Werte für entzündungsfördernde Cytokine wie Interleukin-6 sowie das Gewebeschäden anzeigende C-reaktive Protein auf. Das legt nahe, dass die Hormonwerte eng mit der Ausschüttung dieser Immunbotenstoffe verknüpft sind, wie das Forscherteam berichtet.
Zudem zeigte sich, dass bei den schwerer erkrankten Männer häufig das Verhältnis von Östradiol zu Testosteron höher war. Die Forscher führen dies darauf zurück, dass bei schweren Erkrankungen ein Enzym im Fettgewebe hochreguliert wird, das Testosteron zu Östradiol umwandelt. Das könnte auch erklären, warum Übergewichtige ebenfalls ein höheres Risiko für schwere Verläufe von Covid-19 haben: Auch sie haben häufig mehr Östrogen, aber weniger Testosteron.
Ursache oder Symptom?
„Bisher gab es die vorherrschende Ansicht, dass Testosteron in der Pandemie eher negativ wirkt, aber wir haben jetzt bei Männern das Gegenteil festgestellt“, sagt Dhindsas Kollege Abhinav Diwan. Allerdings: Bislang ist nicht klar, ob die niedrigen Testosteronspiegel die Ursache oder nur ein Symptom eines schweren Covid-19-Verlaufs sind. Denn bei den untersuchten Patienten war nicht bekannt, ob diese schon vor ihrer Infektion zu niedrige Testosteronwerte hatten oder ob diese erst durch die Infektion abgesunken waren.
Wäre ersteres der Fall, könnte das männliche Geschlechtshormon ursächlich mit einer erhöhten Anfälligkeit für Covid-19 verknüpft sein – beispielsweise indem sein Mangel die Immunreaktion negativ beeinflusst. Sinkt der Spiegel aber erst mit der Infektion ab, wäre der niedrige Testosteronspiegel eher ein Biomarker, der das Risiko für einen schweren Verlauf anzeigt.
Dhindsa und seine Kollegen wollen nun weiter daran forschen, wie Testosteron und Covid-19 zusammenhängen und ob beispielsweise das Geschlechtshormon auch eine Rolle dafür spielt, bei wem sich Spätfolgen in Form eines Long-Covid entwickeln. „Wir wollen auch in Erfahrung bringen, ob Männer, die Covid-19 hinter sich haben oder an Long-Covid leiden, von einer Testosterontherapie profitieren würden“, sagt Diwan. „Möglicherweise könnte dies bei der Rehabilitation helfen.“ (JAMA Network Open, 2021; doi: 10.1001/jamanetworkopen.2021.11398)
Quelle: Washington University School of Medicine