Medizin

Strom bringt Gelähmten Bewegung zurück

Elektrische Stimulation ermöglicht Gelähmten wieder die kontrollierte Bewegung der Beine

Kent Stephenson hebt sein Bein mit Hilfe der Elektrostimulation - obwohl er querschnittsgelähmt ist © University of Louisville

Neue Hoffnung für Querschnittsgelähmte: Elektrische Stimulation kombiniert mit Bewegungstherapie hat vier Gelähmten wieder zu selbstständiger Bewegung verholfen. Schon nach einer Woche konnten sie ihre Beine bewegen, nach einigen Monaten des Trainings ihre Füße und Zehen strecken und beugen. Dieses Ergebnis habe sämtliche Erwartungen übertroffen, konstatieren die Forscher.

Bisher gab es für Patienten mit komplett durchtrenntem Rückenmark kaum Hoffnung. Sind sowohl die Nervenleitungen unterbrochen, die die Bewegungen der Gliedmaßen steuern, als auch diejenigen, die Empfindungen von diesen zurück ans Gehirn senden, ist eine unheilbare Querschnittslähmung die Folge. Denn das Rückenmark wächst nicht von allein wieder zusammen – und lässt sich auch nicht flicken. „Die klinische Perspektive für Menschen mit kompletter Bewegungslähmung ist bisher, dass wir im Prinzip nichts für sie tun können“, erklärt Reginald Edgerton von der University of California in Los Angeles, einer der Studienleiter.

Elektroden am Rückenmark

2009 aber sorgte eine erste Pilotstudie der Forscher für Aufsehen. Für diese hatten sie Rob Summers, einem jungen Mann, der vom Brustkorb abwärts gelähmt war, ein Plättchen mit 16 Elektroden direkt ans Rückenmark implantiert. Per Druck auf ein Steuergerät sendete dieses Plättchen einen Stromimpuls an die Nervenleitungen direkt unterhalb der durchtrennten Stelle.

Ziel war es, dadurch die Schaltkreise anzuregen, die für Reflexbewegungen zuständig sind und die ohne Zutun des Gehirns funktionieren. Die Idee dahinter: Möglicherweise könnten dies den Gelähmten zumindest einige Bewegungen wieder ermöglichen. Um das zu erreichen, kombinierten die Forscher diese Stimulation mit gezieltem Bewegungstraining für die Beine – mit Erfolg: Schon nach kurzer Zeit konnte Summer mit Hilfe dieser Stimulation einige Minuten ohne Hilfe stehen und nach ein paar Monaten einige Beinbewegungen bewusst steuern.

Die vier Probanden: Andrew Meas, Dustin Shillcox, Kent Stephenson und Rob Summers © University of Louisville

Gelähmte Beine bewegen sich wieder

Aber ein einzelner Patient ist natürlich nicht sonderlich aussagekräftig. Zumal Summers zu den Gelähmten gehört, die trotz Lähmung noch einen Rest von Empfindung in ihren Gliedmaßen haben. Edgerton und seine Kollegen nahmen daher im letzten Jahr drei weitere Patienten in ihre Studie auf. Alle drei waren seit mehr als zwei Jahren querschnittsgelähmt, zwei davon motorisch und sensorisch – sie konnten ihre Beine weder bewegen noch spüren.

Auch ihnen wurde das Elektrodenplättchen ans Rückenmark eingepflanzt und sie begannen mit der Kombination aus Bewegungstraining und Stimulation. Und auch bei ihnen zeigte die Behandlung Wirkung: Die Patienten konnten erstmals seit ihrer Lähmung wieder gesteuerte Bewegungen mit ihren Beinen ausführen, wie die Forscher berichten. Die Patienten konnten ihre Knie beugen und strecken und lernten sogar, die Intensität dieser Bewegungen zu regulieren.

Nervensignale über Nebenwege

„Das Erstaunliche daran waren nicht nur die gezielten Bewegungen, sondern auch, dass wir diese schon in der ersten Woche der Stimulation sahen“, sagt Susan Harkema, Leiterin der Rehabilitationsforschung an der University of Louisville. Im Laufe des Trainings verbesserte sich dann die Genauigkeit der Bewegungen, aber auch die Kraft, mit der sie ausgeführt wurden, wie die Forscher berichten. Sie vermuten, dass die Stimulation schlafende Nebenleitungen mobilisiert, die nicht durchtrennt wurden, aber normalerweise nicht aktiv sind.

„Die Tatsache, dass das Gehirn diese wenigen verbliebenen Verbindungen nutzen kann und dann darüber die komplizierte Sinnesinformation verarbeiten kann, ist ziemlich erstaunlich“, sagt Edgerton. Ebenfalls unerwartet war auch der Erfolg bei den beiden motorisch und sensorisch Gelähmten. Denn die Forscher hatten zuvor angenommen, dass mindestens eine sensorische Leitung noch intakt sein müsse, damit die Therapie funktioniert.

Neue Sicht auf Querschnittslähmungen

„Dies ist ein Weckruf für unsere gesamte Sicht der Rückenmarksverletzungen“, konstatiert Edgerton. Denn der Erfolg der Stimulations-Therapie zeige, dass Gelähmte auch ohne neu nachwachsende Nerven die Funktion ihrer Gliedmaßen wieder erlangen können. Die Forscher arbeiten bereits daran, die Elektroden-Plättchen zu verbessern, erste Prototypen mit 27 Elektroden werden bereits mit Ratten getestet.

Gleichzeitig arbeiten die Wissenschaftler an Verfahren, bei denen auf die implantierten Elektroden ganz verzichtet wird und stattdessen die Nervenleitungen durch die Haut gereizt werden. Für Querschnittsgelähmte bedeuten diese Ansätze neue Hoffnung. „Wir müssen umdenken, denn das hier gezeigte Potenzial übertrifft alle Erwartungen“, konstatiert Harkema. ( Brain, 2014)

(Brain, 08.04.2014 – NPO)

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