Seit 2.300 Jahren ungeklärt: Der Tod Alexanders des Großen gibt Forschern bis heute Rätsel auf. Auf Basis der überlieferten Symptome hat nun eine Medizinerin eine neue Theorie zur Todesursache aufgestellt. Ihrer Ansicht nach könnte der antike Eroberer sich mit einem Bakterium infiziert und daraufhin ein Guillain-Barré-Syndrom entwickelt haben – eine fortschreitende Lähmung, die in Alexanders Fall sogar zum Scheintod führte.
Alexander der Große ist einer der berühmtesten Herrscher der Antike. Der Sohn des makedonischen Königs Philipp II. eroberte auf seinen Feldzügen Ägypten, Persien und drang bis nach Indien vor. Doch mit nur 32 Jahren erkrankte der König nach einem heftigen Saufgelage am Vorabend plötzlich schwer. Den Überlieferungen zufolge bekam Alexander immer stärkeres Fieber, begleitet von Bauchschmerzen und einer fortschreitenden Erschöpfung, verbunden mit Lähmungen. Am 10. Juni 323 vor Christus starb er schließlich.
Doch woran? Diese Frage ist bis heute ungeklärt – Hypothesen gibt es allerdings reichlich. In der Antike kursierte das Gerücht eines Mords durch Vergiften. Heute vermuten einige Forscher, dass sich der König auf seinen Feldzügen mit dem West-Nil-Virus oder Malaria ansteckte. Andere halten eine Alkoholvergiftung für möglich. Auch eine unfreiwillige Vergiftung mit dem Weißen Germer, einer von den Griechen oft als Brechmittel eingesetzten Pflanze, wird postuliert.
Rätselhafte Symptome
Eine weitere Hypothese hat nun Katherine Hall von der University of Otago in Neuseeland aufgestellt. Ihrer Ansicht nach kann keine der bisher postulierten Todesursachen alle überlieferten Symptome des antiken Herrschers erklären. „Das auffälligste Merkmal von Alexanders Krankheit und Tod ist, dass er trotz seines extrem schlechten Zustands offenbar bis kurz vor seinem Tod geistig klar blieb“, sagt die Forscherin.
Hinzu kommen Belege dafür, dass Alexander der Große unter einer symmetrischen, aufsteigend fortschreitenden Lähmung litt. Den Überlieferungen zufolge konnte er zuerst nicht mehr gehen, dann auch andere Glieder nicht mehr bewegen. „Zudem kann keine Hypothese plausibel beantworten, warum Alexanders Körper noch sechs Tage nach seinem Tod keinerlei Verwesungszeichen gezeigt haben soll“, sagt Hall.
Erst Infekt, dann Guillain-Barré-Syndrom?
Ausgehend von den Schilderungen der Symptome hat die Medizinerin eine Krankheit im Verdacht, die von Infektionen ausgelöst werden kann und dann das Nervensystem angreift: das Guillain-Barré-Syndrom. Typisch für diese Krankheit sind Entzündungen der Nervenscheiden und Nervenfasern, die zu Schwäche, Kreislaufproblemen und einer fortschreitenden Lähmung der Muskulatur von unten nach oben führen. Im Extremfall ist auch das gesamte vegetative Nervensystem betroffen und es kommt zum Koma und schließlich Tod durch Atemlähmung.
Nach Ansicht von Hall könnte sich Alexander der Große zunächst mit einem bakteriellen Krankheitserreger wie Campylobacter pylori angesteckt haben und daraufhin ein Guillain-Barré-Syndrom entwickelt haben. Die geschilderte Schwäche und Lähmung, aber auch Darmprobleme, Schwitzen und weitere Symptome würden zu dieser Erkrankung passen, so die Forscherin.
Sechs Tage lang scheintot?
Interessant auch: Das Guillain-Barré-Syndrom könnte erstmals eine Erklärung dafür liefern, warum Alexanders Leichnam in den ersten sechs Tagen nicht verweste: Er war noch gar nicht tot, sondern war nur vollständig gelähmt und in seinem Körper gefangen. Weil selbst die Atmung in diesem Stadium der Krankheit nur schwach ist, die Temperaturregulation des Körpers versagt und sogar die Pupillenreflexe ausfallen, konnten die antiken Ärzte mit ihren begrenzten Möglichkeiten diesen Zustand nicht vom Tod unterscheiden.
„Die alten Griechen hielten die fehlende Verwesung für einen Beweis dafür, dass Alexander ein Gott war!“, so Hall. „Aber diese Diagnose ist die erste, die die wahre Antwort liefern könnte.“ Demnach war der makedonische Herrscher in Wirklichkeit noch sechs Tage vollständig gelähmt, bis er dann schließlich starb. „Alexanders Tod könnte damit der berühmteste Fall eines Pseudothanatos – eines Scheintods – sein, der je dokumentiert wurde“, sagt Hall.
Grab und Leichnam bis heute verschollen
Beweisen lässt sich dieses Szenario zum Tod Alexanders des Großen allerdings ebenso wenig wie alle vorherigen. Denn das Grab von Alexander dem Großen und damit auch seine sterblichen Überreste sind verschollen. Der Überlieferung nach wurde sein Leichnam in einer großen Prozession von Babylon nach Ägypten gebracht und in Alexandria in einem Mausoleum bestattet. Bis heute aber wurde das Grab des legendären Königs nicht gefunden.
Hall hält ihre Hypothese trotz mangelnder Beweisbarkeit aber für zumindest wahrscheinlich. „Die Eleganz der Guillain-Barré-Diagnose liegt darin, dass sie so viele verschiedene Elemente der Erkrankung und des Todes von Alexander dem Großen erklären und zu einem kohärenten Ganzen verbinden kann“, so die Forscherin. (The Ancient History Bulletin, 2019)
Quelle: University of Otago