Im Fußball gilt bei KO-Spielen Heimrecht im Rückspiel als großer Vorteil für eine Mannschaft. Zu Unrecht, wie jetzt Statistiker in einer Analyse aller KO-Spiele der Champions League seit der Saison 1994/1995 herausgefunden haben.
In der Champions League des Europäischen Fußballverbands UEFA tritt der Gruppensieger der Vorrunde im Achtelfinale zunächst auswärts an. Er kann also das Rückspiel gegen den ihm zugelosten Gruppenzweiten zuhause austragen. Aber auch bei der Auslosung zum Viertel- und Halbfinale ist das
Heimrecht im Rückspiel für Mannschaften meist ein Grund zur Freude. Schließlich gilt das zweite Spiel vor heimischem Publikum als klarer Vorteil.
„Aber auch ohne Heimrecht in der Rückrunde ging der FC Bayern in der diesjährigen Champions League als Sieger aus den Spielen im Achtel- und Viertelfinale hervor“, berichtet Jan Gertheiss. „Das brachte uns auf die Idee, die Auswirkungen des Heimrechts anhand der Daten vergangener Partien rechnerisch zu überprüfen.“ Manuel Eugster, Jan Gertheiss und Sebastian Kaiser werteten dafür die Ergebnisse aller KO-Spiele der Champions League seit der Saison 1994/1995 aus.
Heimspiel bietet statistisch keinen Vorteil
Das Ergebnis war klar: Der Austragungsort hatte keinerlei Einfluss auf den Ausgang der Spiele. Entscheidend für die Erfolgswahrscheinlichkeit war vielmehr die Stärke der jeweiligen Mannschaften. „Mit Hilfe einer sogenannten logistischen Regression konnten wir zeigen, dass durch Heimrecht im Rückspiel zumindest statistisch gesehen keinerlei Vorteil entsteht“, berichtet Sebastian Kaiser vom Institut für Statistik der LMU. „Eine einfache Auszählung der Sieger mit Heimrecht im Rückspiel ergibt zwar ein Ergebnis von 57 Prozent. Dieser scheinbare Vorteil verschwindet aber, wenn man berücksichtigt, dass im Achtelfinale der Champions League immer ein Gruppensieger gegen einen Gruppenzweiten spielt – und das stärkere Team im Rückspiel das Heimrecht hat.“
Stärke der Mannschaft entscheidender
Wurde dann zusätzlich die Spielstärke einer Mannschaft, die die Forscher dem Team-Ranking der UEFA entnahmen, ins Modell aufgenommen, erwies sich dieser Faktor als einzig ausschlaggebend. Insgesamt zeigte sich, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit in erster Linie von der Stärke der Mannschaft abhängt, das Heimrecht im Rückspiel aber keinen Einfluss hat. „Der FC Bayern geht damit uneingeschränkt als Favorit in das Rückspiel in Lyon“, so Kaiser.
„Unser Ergebnis zeigt, dass die bisherige Praxis der UEFA, im Achtelfinale immer dem Gruppensieger das Heimrecht im Rückspiel zu geben, diesem gar keinen Vorteil bietet“, sagt Kaiser. „Es wäre wahrscheinlich sinnvoller, die Gruppensieger wählen zu lassen, ob sie lieber im Hin- oder im Rückspiel
zuhause spielen möchten. Ein derartiges Verfahren eröffnete zudem die für uns – und für die Fußballer! – interessante Option, mit Hilfe anderer statistischer Modelle zu analysieren, ob ein bestimmtes Team im Rückspiel besser mit einem Heim- oder einem Auswärtsspiel beraten ist.“
In den USA spielt die Sportstatistik bereits eine große Rolle und gewinnt zunehmend auch in Europa an Bedeutung. Die Statistiker können nun auch andere Wettbewerbe im Fußball wie die Euroliga oder den Englischen Pokalwettbewerb auswerten – sowie weitere Sportarten: „Wir werden uns jetzt etwa die Champions League im Handball ansehen“, sagt Gertheiss. „Allgemein gilt im Handball der Heimvorteil nämlich als wesentlich stärker ausgeprägt als im Fußball.“
(Universität München, 27.04.2010 – NPO)