Physik

Kälte macht flüssig

Physiker bestätigen mehr als 100 Jahre alte Theorie

Schematische Darstellung der Adsorption von NTCDA-Molekülen auf einer Silber-Einkristalloberfläche. Je nach Temperatur können die Moleküle einen zweidimensional geordneten oder ungeordneten ("flüssigen") Zustand einnehmen. Der Übergang in die ungeordnete Phase findet dabei - entgegen der gewöhnlichen Beobachtung - beim Abkühlen statt. © Achim Schöll

In der Theorie wird der Effekt schon seit mehr als 100 Jahren vorhergesagt. Jetzt ist es Würzburger Physikern gelungen, ihn im Experiment nachzuweisen. Das Material, das sie dafür verwenden, zeigt ein scheinbar äußerst ungewöhnliches Verhalten: Die Schicht aus organischen Molekülen wird bei Abkühlung auf minus 120 Grad Celsius flüssig. Die Forscher berichten über ihre neue Studie im Wissenschaftsmagazin „Science“.

Jeden Winter ist es gut zu beobachten: Kühlt eine Flüssigkeit ab, verändert sie normalerweise ab einer bestimmten Temperatur ihren Aggregatzustand und wird fest. Flüssiges Wasser verwandelt sich beispielsweise in Eis. Die Physik dahinter: Während sich die Moleküle in der Flüssigkeit ungeordnet bewegen, ordnen sie sich im Festkörper zu einem regelmäßigen Gitter an.

In seltenen Fällen kann dieser Prozess allerdings auch umgekehrt ablaufen: Dann wird aus dem geordneten Festkörper bei sinkenden Temperaturen eine Flüssigkeit. Physiker sprechen in diesem Fall von „inversem Schmelzen“. Dafür sind in der Regel extreme Bedingungen erforderlich: Der Druck muss meist sehr hoch sein oder die Temperatur knapp über dem absoluten Nullpunkt liegen.

Doppelte Premiere

Physikern der Universität Würzburg um Achim Schöll ist jetzt eine doppelte Premiere gelungen: Sie haben zum einen organische Moleküle auch ohne extreme Umgebungsbedingungen bei sinkenden Temperaturen zum Verflüssigen gebracht. Zum anderen ist ihnen dies in einem zweidimensionalen System gelungen.

„Gustav Tammann, ein Chemiker, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Göttingen lebte und forschte, hatte dieses Phänomen bereits 1903 theoretisch vorgesagt“, erklärt Schöll. Der experimentelle Nachweis in einem zweidimensionalen System sei bisher jedoch noch nicht geglückt.

Das Experiment

Was „zweidimensional“ bedeutet? „Die Moleküle ordnen sich flach in Form der dünnstmöglichen Schicht auf einer kristallinen Unterlage an“, sagt Schöll – wie Billardkugeln auf dem Billardtisch. Die Physiker haben für ihre Experimente organische Moleküle verwendet, die aus einem Naphthalingerüst mit weiteren funktionellen Gruppen bestehen. Als Unterlage kam ein extrem gleichmäßig angeordneter Silbereinkristall zum Einsatz.

Solange die Temperatur einen bestimmten Wert nicht unterschreitet, halten die Moleküle in diesem System ihre regelmäßige Anordnung bei – die Schicht repräsentiert den festen Zustand. „Als wir diese Schicht jedoch auf etwa minus 120 Grad Celsius abgekühlt hatten, konnten wir ein Verschwinden dieser zweidimensionalen Ordnung beobachten“, so Schöll. Was bedeutet: Die Schicht wurde flüssig. Der Effekt lässt sich auch wieder rückgängig machen: Beim Erwärmen kehrt die regelmäßige Ordnung zurück.

Große Bedeutung für die Grundlagenforschung

Die Ergebnisse sind nach Angaben der Forscher in erster Linie von großer Wichtigkeit für die Grundlagenforschung, in der es um das Verständnis der mikroskopischen Zusammenhänge geht.

„Unsere Erkenntnisse sind zum Beispiel wichtig für die Entwicklung neuer organischer Halbleiterelemente“, so der Physiker. Dort kommen ähnliche Moleküle zum Einsatz wie Schöll und seine Mitarbeiter sie verwendet haben. Und auch dort spielen physikalische Ordnungsphänomene an den Kontaktstellen zwischen organischen Molekülen und metallischen Stromleitern eine bedeutende Rolle.

(idw – Universität Würzburg, 16.07.2010 – DLO)

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