Bei der Weiterentwicklung von Materialien aus Kunststoffen stehen die Hersteller vor einem Problem: Die synthetischen Polymermoleküle sind zu klein, um sie bei mechanischen Experimenten mikroskopisch beobachten zu können. Ein Münchener Physiker-Team hat jetzt aber ein Verfahren entwickelt, mit dem solche Untersuchungen möglich werden. In „Nature Communications“ stellen sie ihre Ergebnisse vor.
Streckt man eine Folie aus Polyethylen stark, so wird sie reißfester. Einkaufstüten können so erheblich mehr Belastung aushalten. Den Effekt schreiben Wissenschaftler einer Neuordnung der Polymerketten zu. Manche elastischen Polymere werden durch eine häufig wiederkehrende Belastung jedoch weicher. Dieses Verhalten wurde nach seinem Entdecker Mullins-Effekt genannt.
Was tun Polymerketten bei mechanischer Belastung?
Doch was die Polymerketten bei mechanischer Belastung genau tun, ist bisher nicht ausreichend verstanden. Ein Grund dafür ist, dass synthetische Polymere zu klein sind, um sie mit mikroskopischen Methoden während der mechanischen Belastungsexperimente zu beobachten. Ein besseres Verständnis der Vorgänge auf der molekularen Ebene würde bei der Entwicklung neuer Kunststoffe sehr viel Zeit und Geld sparen.
Ein Netzwerk aus Aktin
Auch die Natur macht sich die mechanischen Eigenschaften von Polymeren zu Nutze: Biologische Polymere geben Zellen ihre Stabilität und spielen eine entscheidende Rolle bei der Ausführung ihrer komplexen Funktionen.
Das Physiker-Team um Professor Andreas Bausch von der Technischen Universität München (TUM) nutzte nun das Muskelfaser-Protein Aktin, um ein Polymernetzwerk zu bilden. Die Aktin-Fasern sind unter einem Fluoreszenzmikroskop sichtbar. Damit gelang es den Wissenschaftlern, die Bewegungen der einzelnen Fasern bei mechanischer Belastung des Materials direkt zu beobachten.
Durch die gleichzeitige Verwendung eines so genannten Rheometers, mit dessen Hilfe mechanische Eigenschaften von Materialien untersucht werden können, und eines konfokalen Mikroskops konnten die Forscher das Verhalten des Aktin-Netzwerks während der mechanischen Verformungen beobachten und dreidimensional filmen.
Modellsystem bestätigt Mullins-Effekt
Mit ihren neuen Untersuchungen konnten sie zeigen, dass ihr Modellsystem nicht nur die dem Mullins-Effekt zugrunde liegenden Vorgänge auf molekularer Ebene zeigen kann sondern auch den gegenteiligen Effekt, bei dem das Material bei wiederholter Belastung härter wird.
Verantwortlich für die Änderungen der mechanischen Eigenschaften sind den Wissenschaftlern zufolge umfangreiche Umorganisationen der Netzwerkstruktur, die auf diese Weise erstmals direkt beobachtet werden konnten. In Zukunft wird das Modell der Physiker dabei helfen, auch die Eigenschaftsänderungen anderer Materialien besser zu verstehen.
(Technische Universität München, 21.12.2010 – DLO)