Nach bisherigen Vorstellungen ist eine Grundvoraussetzung für die Realisierung eines universellen Quantencomputers, dass das System aus Quantenteilchen extrem gut von der Umgebung isoliert ist. Jetzt aber haben Quantenphysiker genau diese Annahme auf den Kopf gestellt. Denn statt störungsfreiem Quantenrechnen entwickelten sie ein Konzept, in denen Störungen des Systems durch die Umgebung geradezu die Voraussetzung für effektives ‚Quantum Computing‘ sind. Noch handelt es sich dabei um einen Machbarkeitsnachweis. Das jetzt in „Nature Physics“ veröffentlichte Konzept lässt sich jedoch mit Experimenten an atomaren Quantengasen oder Ionenfallen überprüfen.
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Störungen unerwünscht – normalerweise
Der typische ‚Standard-Quantencomputer‘ basiert auf einem System aus Quantenteilchen, die der Speicherung und Kodierung von Informationen dienen. Dabei wird ausgenützt, dass sich die Quantenbits im Unterschied zu klassischen Bits nicht nur in den Zuständen ‚1‘ oder ‚0‘ befinden können, sondern auch in allen möglichen Superpositionen dieser Zustände. Alle Veränderungen dieser Zustände sind umkehrbar – im Fachjargon: unitär. Konventionelle Schaltkreise in solchen Quantencomputern sind Quantengatter, die immer zwei Qubits miteinander verschränken.
Problematisch wird es, wenn das System an die Umgebung Informationen verliert. Diese sogenannte ‚Dissipation‘ zerstört Quanteneffekte wie Superposition und Verschränkung, die für die Speicherung, Verschlüsselung, Verarbeitung und Übertragung von Quanteninformation benötigt werden. Störungen sind hier also unerwünscht, weshalb das Quantensystem von der Umgebung möglichst gut entkoppelt sein muss.
Maßgeschneiderte Störungen macht Quantenrechnen widersdtandfähiger
In einem nun von Professor Ignacio Cirac, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik und seinen ehemaligen Mitarbeitern Michael Wolf, jetzt Wissenschaftler am Nils-Bohr- Institut in Kopenhagen, sowie Professor Frank Verstraete, jetzt Universität Wien, propagierten Modell ist aber gerade die Dissipation das Entscheidende. Sie ist die Voraussetzung für effizientes ‚Quantum Computing‘ sowie die Erzeugung von beliebigen Quantenzuständen, und zwar ohne die Beteiligung anderer kohärenter dynamischer Prozesse. Ausgangspunkt ist auch hier ein System aus Qubits, das jetzt aber auf Grund von Wechselwirkung mit der Umgebung über dissipative Prozesse Information verliert. Infolgedessen entwickelt es sich im Laufe der Zeit auf einen Fixpunkt, einen dauerhaften stationären Zustand, hin. Dies lässt sich für Quantenrechnungen nutzen.
Dabei wird die Dissipationsdynamik je nach Wunsch „maßgeschneidert“. Der Fixpunkt könnte den Grundzustand des Systems darstellen, er könnte ein bestimmter Zustand sein, den man präparieren möchte, oder er kann beispielsweise das Rechenergebnis enthalten. Ein wesentlicher Vorteil dieses Ansatzes liegt darin, dass bei rein dissipativen Prozessen der Endzustand unabhängig von den Anfangsbedingungen und somit auch unabhängig von eventuellen Störungen auf dem Weg dahin erreicht wird. Dies macht das ‚Dissipative Quantum Computing‘ besonders widerstandsfähig und verleiht ihm eine inhärente Störungsunempfindlichkeit.
Obwohl weder reine Quantenzustände noch unitäre Prozesse erforderlich sind, erweisen sich dissipative Quantensysteme den konventionellen Quantenschaltkreisen als gleichwertig in Bezug auf die erzielbare Rechenleistung. Die Methode ist sogar besonders gut geeignet für die Präparation interessanter Grundzustände: sogenannte ‚topologische Systeme‘ bilden beispielsweise eine Klasse von exotischen Zuständen, die bei neuartigen Quanteneffekten wie dem fraktionalen Quantenhalleffekt eine wesentliche Rolle spielen.
Machbarkeitsstudie eröffnet neue Perpektive
Noch handelt es sich bei den vorliegenden Untersuchungen um eine grundlegende Machbarkeitsstudie, die zeigt, dass die Dissipation eine neue Möglichkeit bietet, Quantenrechnungen durchzuführen oder gezielt Zustände zu erzeugen. Dahinter steckt jedoch die Idee, das Konzept auf Systeme anzuwenden, in denen Atome oder Ionen als Qubits dienen, zum Beispiel atomare kalte Gase in optischen Gittern oder Ionen in elektromagnetischen Fallen.
„Dieses Modell von ‚Quantum Computation’widerspricht fast allen Anforderungen, die wir bislang für die Umsetzung solcher Geräte für notwendig hielten“, betont Cirac.“Es könnte zu einer Entwicklung von Quantencomputern führen, die entweder besonders stabil oder besonders einfach zu implementieren sind. Das wichtigste ist aber, dass das neue Konzept eine völlig neue Perspektive bietet, wie Quantencomputer in Zukunft in der Praxis funktionieren könnten.“
(Max-Planck-Institut für Quantenoptik, 21.07.2009 – NPO)