Blut ist ein besonderer Saft – und bislang unersetzlich. Verliert ein Mensch zu viel Blut, kann ihm nur die Transfusion von Spenderblut helfen, einen echten Blutersatz gibt es nicht. Aber warum? Was macht es so schwer, unser Blut im Labor nachzubauen? Und wie weit ist die Forschung beim Kunstblut?
Schon seit gut 400 Jahren versuchen Mediziner, einen Ersatz für unser Blut zu finden. Doch bis heute erweist sich das Elixier des Lebens als schwer ersetzbar. Selbst für die wichtigste Funktion des Blutes, den Sauerstofftransport, ist es bislang nur bedingt gelungen, Ersatz zu finden. Inzwischen allerdings wecken neue Möglichkeiten der Bio- und Nanotechnologie neue Hoffnung, doch noch Ersatz für das weltweit so knappe Spenderblut zu finden.
Knappes Blut und tödliche Transfusionen
Elixier des Lebens
Blut ist ein unverzichtbares Lebenselixier. Zwischen viereinhalb und sechs Liter dieser roten Flüssigkeit kreisen in unseren Adern. Das Blut verteilt Sauerstoff und Botenstoffe im Körper, bringt Immunzellen an ihren Wirkungsort und transportiert Abfallstoffe und Kohlendioxid ab. Angetrieben von der Pumpleistung des Herzens bewegt sich das Blut dabei mit durchschnittlich sechs Metern pro Sekunde durch die Gefäße.
Zu wenig Blut
Doch nicht immer geht alles glatt: Durch schwere Unfälle, Krankheiten oder bei Operationen kommt es immer wieder dazu, dass Menschen Blut verlieren. Während wir auf bis zu einen Liter dieses Lebenssafts noch gut verzichten können, kann ein Blutverlust von mehr als zwei Litern lebensbedrohlich werden. Um diesen auszugleichen, bekommen Patienten dann eine Bluttransfusion – ihnen wird das Blut eines passenden Blutspenders verabreicht.
Das Problem jedoch: Spenderblut ist knapp. Obwohl laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO weltweit jedes Jahr rund 112 Millionen Blutspenden gesammelt werden, reicht der Nachschub nicht immer aus. Gerade in ärmeren Ländern liegt die Zahl der Spenden oft bei weniger als zehn pro 1.000 Einwohnern. Vor allem bei größeren Unfällen, inmitten einer Pandemie oder bei Naturkatastrophen kann es aber auch bei uns zu einem Mangel an Blutkonserven kommen.
Lämmerblut, Urin und Bier
Wie aber kann dann der potenziell tödliche Blutmangel behoben werden? Diese Frage stellten sich Heilkundige und Mediziner schon vor 400 Jahren. Nachdem der englische Arzt William Harvey im Jahr 1616 erstmals den menschlichen Blutkreislauf beschrieben hatte, begannen einige seiner Zeitgenossen, mit Ersatzflüssigkeiten zu experimentieren. Sie injizierten Tieren und teilweise auch ihren menschlichen Patienten das Blut von neugeborenen Lämmern, Urin, Salzlösungen und sogar Pflanzenharz oder Bier – mit wenig Erfolg.
Ende des 19. Jahrhunderts testeten einige US-amerikanische Ärzte die Milch von Ziegen, Schafen oder Kühen als Blutersatz. Nachdem sowohl die als Versuchstiere genutzten Hunde als auch ein menschlicher Patient diese Prozedur nicht überlebten, verfiel der New Yorker Arzt Joseph Howe auf menschliche Muttermilch als Ersatz-Lebenselixier – aber auch das erwies sich als beinahe tödlicher Fehlschlag.
Spenderblut – sensibel und nicht lange haltbar
Seither ist die Transfusion eines passenden Spenderbluts die Methode der Wahl, um einen größeren Blutverlust auszugleichen. Allerdings ist dies – abgesehen vom mangelnden Nachschub – mit einigem Aufwand verbunden: Das gespendete Blut muss auf Erreger für Infektionskrankheiten wie Aids, Hepatitis und andere untersucht werden. Ist dies erfolgt, wird die Blutgruppe bestimmt – neben dem Rhesusfaktor und dem AB0-System können sich Blutkörperchen verschiedener Menschen noch in 34 weiteren Oberflächenmerkmalen unterscheiden.
Ein weiteres Problem ist die Haltbarkeit. Das isolierte Blutplasma kann zwar eingefroren werden, für Vollblut und Konzentrate roter Blutkörperchen gilt dies jedoch nicht. Um sie haltbar zu machen und eine Gerinnung zu verhindern, werden den Blutkonserven Stabilisatorlösungen aus Traubenzucker, Phosphat und Citrat zugesetzt. Aber auch damit ist ein Blutbeutel gekühlt nur maximal 42 Tage haltbar. Wird die Blutspende in diesem Zeitraum nicht verbraucht oder kommt sie nicht rechtzeitig an ihren Bestimmungsort, muss sie weggeworfen werden.
Ein Wundermolekül mit Schattenseiten
Hämoglobin
Angesichts des Mangels an Spenderblut und der geringen Haltbarkeit von Blutkonserven stellt sich die Frage, warum die moderne Medizin nicht schon längst künstliches Blut entwickelt hat. Immerhin können Wissenschaftler dank Gentechnik und Nanotechnologie inzwischen selbst Vorformen von Gefäßen und Organen im Labor züchten und auch bestimmte Blutzellen aus Stammzellen erzeugen. Warum also nicht auch das komplette Blut?
Komplexes Gemisch
Ein Grund dafür ist die schiere Komplexität des Lebenssafts: Unser Blut ist ein komplexes Gemisch aus Zellen, Flüssigkeit und Molekülen mit jeweils bestimmten Aufgaben. Erst durch ihr Zusammenwirken kann das Blut seine vielfältigen Funktionen erfüllen – vom Transport verschiedenster Stoffe über die Abwehr von Eindringlingen bis hin zum Verschluss von Wunden. Für unser unmittelbares Überleben am wichtigsten ist allerdings die Sauerstoffversorgung der Organe und Gewebe.
Zuständig dafür sind die roten Blutkörperchen. Rund 25 Billionen dieser napfförmigen, knapp acht Mikrometer großen Zellen hat jeder Mensch in seinen Adern. Rund vier Monate kreist jeder Erythrozyt in unserem Körper, bevor er ausgemustert und durch ein neues Blutkörperchen ersetzt wird. In dieser Zeit hat das Blutkörperchen Milliarden Sauerstoffmoleküle an sich gebunden, transportiert und wieder abgegeben.
Schlüsselmolekül Hämoglobin
Möglich wird der Sauerstofftransport dadurch, dass das rote Blutkörperchen statt des Zellkerns, der DNA und der Mitochondrien fast nur Hämoglobin enthält. Dabei handelt es sich um einen vierteiligen Proteinkomplex, der in seinem Zentrum ein Eisen-Ion enthält. Dieses gibt dem Blut seine rote Farbe und ermöglicht die Bindung von Sauerstoff. Jedes Hämoglobin-Molekül kann dabei vier Sauerstoffatome an sich binden.
Wie das Hämoglobin aussieht und funktioniert, ist seit dem Jahr 1959 bekannt, als der Chemiker Max Perutz die Struktur des Molekülkomplexes mittels Röntgenkristallografie entschlüsselte. Es rein chemisch im Labor herzustellen ist bisher jedoch nicht möglich. Hämoglobin kann zwar mittels gentechnisch verändert Escherichia-coli-Bakterien produziert werden. Einfacher und gängiger ist allerdings die Verwendung von Hämoglobin aus Rinderblut, abgelaufenen menschlichen Blutspenden oder der Plazenta.
Giftige Schattenseite
Auf den ersten Blick scheint es naheliegend, das Hämoglobin-Molekül als Hauptkomponente eines künstlichen Bluts zu nehmen. Denn dieses könnte dann die lebenswichtige Hauptaufgabe des Bluts leisten – den Sauerstofftransport. Schon seit den 1980er Jahren wird daher mit hämoglobinbasiertem Kunstblut experimentiert – mit nur begrenztem Erfolg.
Das Problem: Pures, nicht von einer Zellmembran geschütztes Hämoglobin ist sehr instabil und zerfällt leicht. Außerdem hat es eine toxische Wirkung: Das Hämoglobin führt zu einer starken Verengung der Adern, lässt Blutkapillare kollabieren und kann Herzinfarkte und Schlaganfälle auslösen. Auch für die Nieren und einige andere Organe ist der Blutfarbstoff hochgiftig, wie Mediziner schon in den 1930er Jahren feststellten. Nachdem sie Katzen eine zellfreie Hämoglobin-Lösung injiziert hatten, gingen die Tiere fast alle an Nierenversagen zugrunde.
Wie weit ist Blutersatz auf Hämoglobin-Basis?
Blutfarbstoff als Kunstblut
Eine ganze Reihe von Versuchen zu künstlichem Blut basieren auf dem Blutfarbstoff Hämoglobin – trotz seiner toxischen Effekte. Um das Sauerstofftransport-Molekül sicher außerhalb der roten Blutkörperchen einsetzen zu können, verfolgen Wissenschaftler zwei Strategien: das Hämoglobin zu polymerisieren oder es in einer künstlichen Hülle zu verpacken.
Variante 1: Weniger giftig durch Vernetzung
Die erste Sorte von hämoglobinbasierten Blutersatz-Präparaten beruht auf einer chemischen Vernetzung der Hämoglobin-Moleküle. Durch diese Polymerisation entstehen Makromoleküle, die zwar noch immer weit kleiner und instabiler sind als ein rotes Blutkörperchen. Die Vernetzung senkt aber die toxische Wirkung des puren Hämoglobins, weil die Moleküle nicht mehr so unkontrolliert in Gewebe und Organe eindringen können. Das verringert die Nebenwirkungen – so die Hoffnung.
Allerdings haben sich Kunstblut-Kandidaten nach diesem Ansatz bislang als nur bedingt erfolgreich erwiesen. Das vom Northfield Forschungslabor im Chicago entwickelte Präparat „PolyHeme“ wurde Anfang der 2000er Jahre in einer klinischen Studie der Phase 3 getestet. Weil aber zu viele Patienten erhöhten Blutdruck, Entzündungen und Organschäden bekamen, lehnte die US-Arzneimittelbehörde FDA eine Zulassung im Jahr 2009 ab.
Zwei Kandidaten mit bedingtem Erfolg
Das einzige bislang zur Behandlung von Menschen zugelassene Hämoglobin-Kunstblut besteht aus polymerisiertem Rinder-Blutfarbstoff. Seit 2001 darf Hemopure in Südafrika bei Operationen eingesetzt werden, wenn kein Spenderblut zur Verfügung steht oder eine Bluttransfusion aus anderen Gründen nicht möglich ist. Hauptgrund für die Zulassung war allerdings die pure Not: Im südlichen Afrika sind Blutkonserven und Blutspenden wegen der vielen HIV-Fälle oft mit Aids-Viren verseucht und daher unbrauchbar. In anderen Ländern ist dieses Kunstblut aber nicht zugelassen.
In der Tiermedizin ist ein ebenfalls aus Rinder-Hämoglobin erzeugter Blutersatz in Gebrauch. Das Oxyglobin darf in den USA und der EU unter anderem zur Behandlung von Hunden mit starker Anämie eingesetzt werden. Allerdings darf dieses Kunstblut jedem Hund nur einmal verabreicht werden – sonst sind auch dabei zu starke Nebenwirkungen zu befürchten. Insgesamt aber werden Kunstblut-Kandidaten auf Basis chemisch vernetzten Hämoglobins inzwischen eher kritisch bewertet, die Rate der Nebenwirkungen und Todesfälle ist zu hoch.
Variante 2: Schutz durch künstliche Hülle
Vielversprechender könnte dagegen eine neuere Form hämoglobinbasierten Kunstbluts sein. Bei diesen versuchen Wissenschaftler, das Hämoglobin in einer künstlichen Hülle zu verpacken. Im Prinzip konstruieren sie damit ein künstliches Rotes Blutkörperchen. Wie dieses soll die Hülle die toxische Wirkung des Hämoglobins hemmen und das Molekül stabilisieren, ohne die Sauerstoffbindung des Blutfarbstoffs zu behindern.
Einer dieser Kandidaten ist „Erythromer“, ein von Forschern um Dipanjan Pan und Allan Doctor von der University of Maryland entwickelter Blutersatz. Für diesen wird Hämoglobin aus abgelaufenem Spenderblut isoliert und in einer Nanopartikel-Hülle aus einem synthetischen Polymer verstaut. Das Ergebnis ist ein bagelförmiges Gebilde von etwa einem Fünftel der Größe eines roten Blutkörperchens. Dieses kann gefriergetrocknet und dann monatelang bei Raumtemperatur aufbewahrt werden – gegenüber Spenderblut ein erheblicher Vorteil. Zudem ist es bei allen Blutgruppen einsetzbar.
Im Gegensatz zu bloß vernetzten Hämoglobin-Präparaten reagiert die Polymerhülle des Erythromers auf den pH-Wert der Umgebung und reguliert so, wie leicht dieses Kunstblut Sauerstoff aufnimmt: In der Lunge ist die Sauerstoffaffinität hoch, in den Körpergeweben dagegen gibt es den Sauerstoff leicht wieder ab. Noch allerdings ist dieser Blutersatz nur bei Mäusen, Ratten und Kaninchen getestet. Bis zu einer ersten klinischen Studie am Menschen wird es daher noch einig Zeit dauern – wenn es überhaupt dazu kommt.
Ein künstliches rotes Blutkörperchen
Ebenfalls noch im Frühstadium sind Nachbauten roter Blutkörperchen, die Forscher um Jimin Guo von der University of New Mexico entwickelt haben. Für diese nutzten sie einen Silikatabdruck echter Blutkörperchen als Schablone, an den sie innen eine mehrlagige Schicht verschiedener Polymere anlagerten. Dann wurde das Silikatgerüst entfernt und die Oberfläche dieser Polymerzellen mit der echten Zellmembran eines Blutkörperchens überzogen.
Das Ergebnis sind künstliche Blutkörperchen, die ihren Vorbildern in puncto Größe, konkaver Form, Verformbarkeit und Zirkulationszeit im Körper sehr nahe kommen, wie erste Tests mit Hühnerküken und Mäusen ergaben. Wie die roten Blutkörperchen können diese Kunstblutzellen zudem mit Hämoglobin beladen werden und so zum Sauerstofftransport dienen. „Neben dem Sauerstofftransport können sie aber auch als Arzneimittelfähren dienen, Giftstoffe im Körper anzeigen oder magnetisch kontrolliert werden“, erklären Guo und seine Kollegen. Allerdings sind klinische Tests mit Menschen auch hier noch weit entfernt.
Sauerstofftransport mit Perfluorcarbonen
Blutersatz ganz ohne Hämoglobin
Neben Kunstblut auf Basis von Hämoglobin gibt es noch einen zweiten Ansatz für die Versorgung von Organen und Geweben mit Sauerstoff. Dieser ist weder von der Natur abgeschaut noch versucht er, Blut oder Blutkörperchen nachzuahmen. Stattdessen bildet eine Stoffklasse die Grundlage, die auf den ersten Blick völlig abwegig erscheint: Perfluorcarbone (PFC) – Kettenmoleküle aus Kohlenstoff und Fluor.
Ein kohlenstoffbasierter Sauerstofftransporter
Den Anstoß dafür gab ein Versuch, den der US-Biochemiker Leland Clark bereits in den 1960er Jahren durchführte: Er tauchte Nagetiere in einen Behälter mit flüssigem Perfluorcarbon – und sie überlebten. Dieser Versuch bewies, dass Säugetiere diese transparente Flüssigkeit statt Luft einatmen können und trotzdem überleben. Clarks Experiment war der Impulsgeber für eine jahrzehntelange Forschung zur Flüssigkeitsbeatmung, aber auch für Versuche zu künstlichem Blut.
Perfluorcarbone sind deswegen dafür so geeignet, weil sie große Mengen an Sauerstoff aufnehmen können – mehr als Hämoglobin. Gleichzeitig besitzen sie eine geringe Oberflächenspannung und können daher beispielsweise Lungenbläschen gut benetzen, wodurch ein Sauerstoffaustausch möglich wird. Weil diese Moleküle zudem chemisch inert sind und nicht mit unseren Zellen oder Geweben reagieren, sind sie ungiftig.
Von der Flüssigbeatmung zum Kunstblut
Tatsächlich hat es bereits in den 1990er Jahren Versuche gegeben, frühgeborene Kinder mit einer Perfluorcarbon-Lösung zu beatmen. Weil bei ihnen die Lungen oft nicht fertig ausgebildet ist, sollte diese Flüssigkeitsbeatmung die zarten Lungenbläschen schonen und die Kinder so vor Lungenschäden bewahren. Allerdings ist die praktische Anwendung dieser Verfahren so kompliziert und gefahrenträchtig, dass dies inzwischen weitgehend aufgegeben wurde.
Doch es gibt noch eine andere Art der Anwendung von Perfluorcarbonen: als künstliches Blut. Weil sie nicht wasserlöslich sind, müssen die Kohlenstoffverbindungen dafür mit Emulgatoren und weitere Substanzen gemischt werden. Es entsteht eine Emulsion, in der die PFC winzige, rund 100 bis 200 Nanometer kleine Tröpfchen bilden – ähnlich den Lipidtröpfchen in der Milch. Diese Lösung kann dann über eine Infusion in die Vene verabreicht werden und so den Sauerstofftransport des Bluts unterstützen. Im Verlauf von 48 Stunden wird
Blutersatz aus Perfluorcarbon
Das weltweit erste und bislang einzige zur Behandlung von Menschen zugelassene Kunstblut aus Perfluorcarbonen war Fluosol. Dieses basiert auf der Fluorkohlenstoffverbindung Perfluordecalin (C10F18), die rund 50 Milliliter Sauerstoff pro 100 Milliliter PFC lösen kann. In den 1970er Jahren in Japan entwickelt, wurde Fluosol 1989 in den USA und acht weiteren Ländern zur Behandlung von Patienten mit Herzinfarkt zur Sauerstoffversorgung des Herzmuskels zugelassen.
Weil die Perfluorcarbon-Tröpfchen rund 50-mal kleiner sind als ein rotes Blutkörperchen, können sie in Blutgefäße vordringen, die für diese blockiert sind. Mit Sauerstoff beladen wird der Blutersatz ganz normal über die Atmung und Lunge, allerdings müssen die Patienten dafür zusätzlich reinen Sauerstoff zugeführt bekommen. Obwohl dieses Kunstblut seine Aufgabe erfüllte, löste es bei den Patienten häufig Immunreaktionen aus, die Fieber und Entzündungen verursachten – möglicherweise aufgrund der für die Emulsion nötigen Zusätze. Deswegen wurde Fluosol 1994 wieder vom Markt genommen.
Ein ganz ähnlicher, ebenfalls auf Perfluordecalin basierender Blutersatz, Perftoran, ist jedoch seit 1995 in Russland in Gebrauch. Anders als Fluosol nutzt er nicht das körpereigene Eiweiß Albumin als Emulgator, sondern ein synthetisches Molekül. Dies soll Immunreaktionen verhindern. In Russland soll Perftoran bereits bei rund 35.000 Patienten mit Blutverlust und verstopften Gefäßen eingesetzt worden sein. In den USA plant ein Unternehmen zurzeit, eine neue Variante des Perftorans unter dem Namen Vidaphor auf den Markt zu bringen.
Dank der Fortschritte in der Nanotechnologie sind inzwischen auch weitere Perfluorcarbon-Kunstblut-Präparate in der Entwicklung. Noch allerdings sind diese im Frühstadium oder haben gerade erst mit klinischen Studien begonnen. Von einem breit einsatzbaren und sicheren Blutersatz ist daher auch der Perfluorcarbon-Ansatz noch weit entfernt.
Durch Umwandlung zum universellen Spenderblut
Aus A positiv mach‘ Null negativ
Die bisherigen Erfahrungen und Misserfolge bei der Kunstblut-Entwicklung unterstreichen, wie schwer unser Blut nachzuahmen oder zu ersetzen ist. Trotz aller Fortschritte in der Medizin und Biotechnologie ist dieses geniale Patent der Natur bisher unverzichtbar. Unter anderem deshalb suchen einige Forscherteams inzwischen nach einem anderen Weg, den Mangel an geeignetem Spenderblut zumindest zu verringern.
Ihr Ansatzpunkt ist die Tatsache, dass längst nicht jede Blutspende für jeden Empfänger geeignet ist. Eine Transfusion ist nur dann ohne Komplikationen möglich, wenn die Blutgruppe stimmt und die roten Blutkörperchen auf ihrer Oberfläche die passenden Moleküle tragen. Noch besser ist es allerdings, wenn diese Erkennungsmarker ganz fehlen, weil dann das Immunsystem des Empfängers das transfundierte Blut gar nicht erst als fremd erkennt.
Zuckerscheren gegen Blutgruppen-Antigene
An dieser Stelle setzen Wissenschaftler an, um ein universelles Spenderblut zu erzeugen: Sie suchen nach Methoden, mit denen sich die störenden Zucker und Proteinaufsätze der roten Blutkörperchen nach der Spende entfernen lassen. Bereits 2018 entdeckten Forscher um Stephen Withers von der University of British Columbia in einem Darmbakterium einige Enzyme, die gezielt die Blutgruppen-Antigene A und B abschneiden.
„Wenn man diese Antigene entfernt, die nur aus einfachen Zuckern bestehen, dann kann man Blut der Gruppe A oder B in die Blutgruppe Null umwandeln“, erklärt Withers. Damit hätte man ein zumindest im AB0-System als universell geltendes Spenderblut. 2019 identifizierten Forscher derselben Universität zwei weitere Enzyme, die noch effizienter arbeiten. Allerdings: Ob diese „Umwandlung“ von Spenderblut auch praktisch funktioniert und ob der Aufwand finanziell lohnend wäre, ist noch offen.
Eine Tarnkappe für den Rhesusfaktor
Schon einen Schritt weiter ist ein Forscherteam, das nicht das AB0-System, sondern den Rhesusfaktor im Fokus hat. Auch dieser schränkt die Verwendung v Spenderblut ein. So dürfen Menschen mit negativen Rhesusfaktor nur RH-negatives Blut bekommen. Dieses ist aber in Deutschland relativ knapp, weil nur rund 15 Prozent der Bevölkerung Rhesus-negativ sind.
Yueqi Zhao von der Zhejiang-Universität in Hangzhou und sein Team haben deshalb eine Methode entwickelt, durch die der Rhesusfaktor auf der Oberfläche der Blutkörperchen maskiert wird. Dafür nutzen sie ein spezielles Hydrogel, das sich wie eine „Tarnkappe“ über die Rhesusfaktor-Antigene legt und sie so vor dem Immunsystem abschirmt.
„Die neue Technik macht zum ersten Mal eine Übertragung veränderter RhD-positiver Blutzellen auf RhD-negative Empfänger möglich, ohne dass es zu einer Immunreaktion kommt“, erklären die Forscher. In Tests mit Mäusen und Kaninchen hat sich eine Transfusion mit diesem „maskierten“ Blut bereits als verträglich erwiesen. Die Nager zeigten nach der Transfusion keine Immunreaktion und blieben körperlich gesund.
Allerdings: Auch dieses Verfahren ist aufwändig und muss für den praktischen Einsatz noch weiter optimiert werden. Bis tatsächlich Spenderblut routinemäßig in ein universell einsetzbares Blut umgewandelt werden kann, dürfte es daher noch einige Zeit dauern.