Atommüll, ein Versuchsendlager und der Rückholplan
Asse II: Verstrahltes Erbe
Tausende Jahre lang sollte der atomare Abfall in Bergwerk Asse II sicher sein. Doch die Realität sieht anders aus: Seitdem das letzte Fass mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll abgekippt wurde, dringt immer mehr Wasser in den Salzstock ein. Jetzt muss der strahlende Abfall geborgen werden, sonst droht eine Verseuchung.
Von 1967 bis 1978 werden gut 120.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll im ehemaligen Salzbergwerk Asse II eingelagert – teils säuberlich aufgestellt, größtenteils aber einfach abgekippt. Obwohl schon damals an einigen Stellen Wasser einsickert, wird das Versuchsendlager teilweise zugeschüttet, zudem ist eine Flutung mit Salzlauge geplant.
Sollte der Atommüll in der Asse bleiben, droht eine Verseuchung des Grundwassers, möglicherweise sogar ein Entweichen von Radioaktivität in die Umgebung. Um dies zu verhindern, muss der Atommüll aus den stark verformten, größtenteils nicht mehr zugänglichen Kammern wieder geborgen werden. Im April 2020 hat nun die zuständige Bundesgesellschaft für Endlagerung die Pläne für diese Rückholung veröffentlicht. Schon jetzt ist klar: Dies wird eine Mammutaufgabe.
Vom Urzeitmeer zum Salzbergwerk
Die Vorgeschichte
Der Salzstock Asse liegt heute rund 13 Kilometer südöstlich der niedersächsischen Stadt Wolfenbüttel in einer sanft-hügeligen Landschaft. Doch seine Geschichte reicht in eine Zeit zurück, als diese Gegend noch unter Wasser lag – am Grund eines flachen, warmen Meeres.
Wie der Salzstock entstand
Seinen Ursprung hat der Salzstock in den Meeresvorstößen der Zechsteinzeit. Damals, vor 230 bis 250 Millionen Jahren, wurde Mitteleuropa immer wieder von Ausläufern eines warmen, flachen Meeres bedeckt. Immer, wenn diese Lagunen austrockneten, hinterließen sie allmählich dicker werdende Salzschichten. Dann, vor 110 Millionen Jahren, wurden diese zuvor flachen Schichten durch tektonische Prozesse anhoben und aufgefaltet, der von Nordwesten nach Südosten verlaufene Asse-Höhenzug entstand.
In diesem Höhenzug liegt heute der sattelförmige Salzstock – teilweise nur unter einer wenige Meter dicken Deckschicht. Dass sich unter der Asse reiche Salzvorkommen verbergen, entdeckt man Ende des 19. Jahrhunderts durch erste Testbohrungen. Schon 1899 werden daraufhin erste Schächte in den Salzstock getrieben und Kalisalz aus dem Bergwerk Asse I gefördert. Das allerdings geht nicht lange gut: Ab 1905 strömt so viel Salzlauge in das Bergwerk ein, dass man Asse I bereits im Jahr 1906 wieder aufgeben muss.
Asse II: Salzabbau mit Komplikationen
Doch die Salzvorkommen sind zu verlockend, um es nicht noch einmal zu versuchen: 1,4 Kilometer südöstlich der abgesoffenen Asse I beginnt im Jahr 1906 der Salzabbau im Bergwerk Asse II. Zunächst fördert man dort vor allem Kalisalz, dann folgt Steinsalz aus immer größeren Tiefen. Für einen maximalen Ertrag lassen die Bergwerksbetreiber die Abbaukammern dicht an dicht anlegen. Insgesamt werden bis zum Ende des Salzabbaus im Jahr 1964 mehr als die Hälfte des 490 bis 775 Meter tief liegenden Salzgesteins abgebaut – der Salzstock ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse.
Schon in der Zeit des Salzabbaus kommt es immer wieder zu Komplikationen: Das plastische Salz verformt sich, Decken sinken ab und Wände bekommen Risse. Um das Bergwerk zu stabilisieren und ein Einbrechen des Salzstocks zu verhindern, werden einige nicht mehr benutzten Schächte und Gänge schon in den 1920er Jahren mit teils feuchtem Abraum aufgefüllt. Probleme bekommt auch das 1911 direkt östlich von Asse II angelegte Bergwerk Asse III: Schon während seines Baus dringt immer wieder Salzlauge in die Schächte ein. Es wird 1924 aufgegeben.
„Asse II ist trocken“
Trotz dieser wenig optimalen Ausgangssituation gelten Salzstöcke und insbesondere das Bergwerk Asse II als stabil genug, um künftig eines der heikelsten Entsorgungsprobleme des Landes zu lösen: das Atommüllproblem. Obwohl zu dieser Zeit, in den 1960er Jahren, das Atomzeitalter erst begonnen hat und die deutschen Atomkraftwerke bislang nur auf dem Papier existieren, ist der Regierung klar, dass radioaktive Abfallprodukte anfallen werden – und diese müssen irgendwo hin.
Das gerade stillgelegte Bergwerk Asse II soll daher zum Versuchsendlager werden. 1965 kauft die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) das Bergwerk im Auftrag des Bundes dem Betreiber Wintershall ab – obwohl schon damals Zweifel an der Eignung bestehen. So berichten Fachgutachter nach einer Besichtigung im Jahr 1964, dass auf der tiefsten Ebene, der 750-Meter-Sohle, täglich rund 700 Liter Salzlauge aus dem Bereich der alten Kali-Abbaugebiete einströmen. Allerdings hält man dies durch Zementdämme für beherrschbar.
Trotz dieser Informationen wird Asse II von den Verantwortliche für ausreichend trocken und geeignet erklärt. Noch 1972 erklärt Klaus von Dohnanyi, damals Staatsekretär im Wissenschaftsministerium: „Das Eindringen von Wasser kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.“
1967 wird das Bergwerk Asse II offiziell zum Versuchsendlager für schwach- und mittelradioaktive Atomabfälle erklärt. Aus dem Salzstock wird damit eine Deponie für den strahlenden Müll aus Forschungsreaktoren, aus medizinischen Anwendungen und aus Atomkraftwerken.
Atomare Abfälle auf drei Ebenen
Was liegt in der Asse?
Wie viel radioaktiver Abfall im Bergwerk Asse II liegt, lässt sich heute nur schätzen. Denn die frühere Betreibergesellschaft des Versuchsendlagers hat Menge und Art des eingelagerten Atommülls nur unzureichend dokumentiert: „Es bestehen Unsicherheiten, ob das Radionuklid- und Stoffinventar der eingelagerten radioaktiven Abfälle in den Dokumenten korrekt angegeben ist“, heißt es bei der heute zuständigen Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Man gehe davon aus, dass auch fehlerhaft deklarierte Abfälle in der Schachtanlage Asse II eingelagert sind.
Abgekippt und zugedeckt
Nach Schätzungen der BGE liegen im Bergwerk Asse II insgesamt rund 47.000 Kubikmeter Atommüll. Dieser ist auf 13 Kammern in drei Tiefenebenen verteilt. Der mit Abstand größte Teil der schwachradioaktiven Abfälle liegt in elf Kammern auf 750 Meter Tiefe. Zwischen 1967 und 1978 wurden dort gut 100.000 Fässer und Betongefäße eingelagert. Weitere gut 8.500 Behälter mit schwachradioaktivem Material wurden ab 1975 in einer Kammer in 725 Meter Tiefe verstaut.
Wurden diese Fässer anfangs noch aufrecht nebeneinander aufgestellt, begann man später, die Fässer in mehreren Schichten übereinander zu schichten. Ab Anfang der 1970er Jahre sparte man sich selbst diese minimale Ordnung: Über eine Rampe wurden die atomaren Abfallbehälter in die Kammern gekippt. Nach jeder Schicht füllte man die Zwischenräume der kreuz und quer liegenden Behälter mit losem Salz auf, das auch die Fässer bedeckte. Erst dann folgte die nächste Schicht.
Mit diesem ungeordneten Abkippen nimmt man nicht nur in Kauf, dass die Atommüll-Behälter beschädigt werden und radioaktives Material in umgebende Salz eindringt. Das Zuschütten mit Salz und die chaotische Lage der Fässer macht die Einlagerung nahezu irreversibel. „Eine Rückholung ist nicht vorgesehen. Mögliche Schäden an den Abfallbehältern werden vernachlässigt. Langfristigen Schutz soll das umliegende Salzgestein bieten“, heißt es fast schon lakonisch bei der BGE.
Plutonium, Uran und Co
Neben den schwachradioaktiven Abfällen liegt auch mittelradioaktiver Atommüll in der Schachtanlage. Diese Abfälle stammen zum größten Teil aus der Wiederaufbereitungsanlage in Karlsruhe und umfassen auch Reste spaltbaren Materials, darunter Uran, Thorium und Plutonium. In Beton eingegossen und in 200-Liter-Fässern verpackt, lagern sie größtenteils in Kammer 8a in 511 Meter Tiefe.
Doch auch bei diesem Atommüll ist die Dokumentation lückenhaft. Nachdem Behörden lange von rund neun Kilogramm Plutonium im Bergwerk Asse II ausgingen, ergab eine Prüfung im Jahr 2009, dass dort wahrscheinlich 28 Kilogramm Plutonium und rund 30 Kilogramm Uran-235 lagern. Zudem entpuppten sich knapp 14.800 als schwachradioaktiv deklarierte Abfallbehälter mit Betonummantelung – sogenannte VBA-Behälter – als mittelradioaktiv.
Neben dem offiziell eingelagerten Atommüll enthält die Schachtanlage Ase II aber noch weit mehr verseuchtes Material. Denn auch das lose Salz, das zum Verfüllen der Kammern genutzt wurde, ist inzwischen kontaminiert, ebenso ein großer Teil der eingesickerten Lauge. „Das Volumen dieser kontaminierten Materialien kann derzeit nur angenommen werden, da hierzu keine Untersuchungen oder sonstigen Informationen vorliegen“, heißt es in einem aktuellen Bericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung. Sie geht aber von mindestens 50.000 zusätzlich Kubikmetern radioaktivem Material aus.
Warum die Asse nicht mehr sicher ist
Deformiert und abgesoffen
1978 endet die Einlagerung von Atommüll im Bergwerk Asse II. Wegen seines Status als Versuchsendlager wird der Zustand des Salzstocks jedoch weiter überwacht. Das Augenmerk liegt dabei vor allem auf zwei wohlbekannten Eigenheiten von unterirdischen Salzvorkommen: Die Fähigkeit zur plastischen Verformung und die Entstehung von Salzlauge.
Um bis zu sechs Meter verformt
Salzgestein ist sehr tragfähig und in sich stabil, deswegen kommen Salzbergwerke weitgehend ohne zusätzliche Stützen aus – die Schachtwände und Kammerdecken tragen sich selbst. Dennoch bleibt der auflastende Druck nicht folgenlos: Anders als spröderes, aber formstabiles Gestein wie Granit gibt Salzgestein unter Druck nach. Je höher die Last, desto stärker verformt es sich.
Genau das passiert auch in der Asse: Weil die Hälfte des Salzgesteins im Salzstock fehlt, ist der Rest einem enormen Druck ausgesetzt. An einigen Stellen hat sich das Salz dadurch schon um mehr als sechs Meter verschoben. Decken von Gängen und Kammern sind eingesunken, tragende Wände seitlich verformt. Diese Veränderungen setzen sich bis ins darüberliegende Deckgebirge fort. Dieses verschiebt sich pro Jahr um rund 15 Zentimeter, wie Messungen ergeben haben.
13.500 Liter Salzlauge – jeden Tag
Das Problem dabei: Auch Salz ist nicht endlos verformbar. Irgendwann wird die Belastung zu hoch und es bilden sich Risse, im Extremfall können dadurch ganze Teile des Salzstocks einstürzen. Schon vorher jedoch eröffnen die Risse und Spalten im Salzgestein einer weiteren Gefahr den Weg – dem Wasser. Bereits während der Einlagerung des Atommülls in der Asse drang in den tieferen Sohlen immer wieder Salzlauge ins Bergwerk ein. Weil dieser Einstrom aber nur punktuell passierte und 500 bis 700 Liter nicht überschritt, galt dies als „beherrschbar“: Man dichtete die Risse mit Zementbarrieren ab und pumpte den Rest der Lauge ab.
Doch seither hat sich die Lage drastisch verschlimmert: Seit 1988 haben sich 32 neue Zutritte von Salzlauge aufgetan, die größtenteils in den tieferen Sohlen des Bergwerks unterhalb von 650 Metern aus dem Salzgestein quillt. Allein in den letzten Jahren hat sich dieser Laugenzustrom von knapp 12.000 auf jetzt 13.500 Liter pro Tag erhöht. Ein Teil dieses Wassers stammt aus dem Bergwerksteil, in dem früher Kalisalz abgebaut wurde. Der Rest dringt über Risse von außen in den Salzstock ein – höchstwahrscheinlich über das Deckgebirge und Nachbargestein an der Südflanke des Asse-Sattels.
Ein Teil der Lauge ist radioaktiv kontaminiert
Der größte Teil der eindringenden Salzlauge ist nach Angaben der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) nicht radioaktiv kontaminiert, weil sie oberhalb der Einlagerungskammern aus dem Salz strömt. Dieses Wasser wird in einem Sammelbecken auf der 490-Meter-Sohle aufgefangen und an die Oberfläche gepumpt. „Derzeit werden sie entsorgt oder industriell weiterverarbeitet“, heißt es dazu bei der BGE.
Messungen belegen jedoch, dass zumindest ein Teil der eindringenden Salzlauge auch durch die Kammern mit dem radioaktiven Abfall sickert und dadurch verseucht wird. Diese Lauge enthält unter anderem radioaktives Cäsium-137 und Tritium. Dies betrifft laut BGE rund 20 Liter Lauge pro Tag, die in der tiefsten Sohle auf 750 Meter Tiefe austreten und gesammelt werden. Zudem quellen vor der in 511 Meter Tiefe liegenden Kammer mit mittelradioaktiven Abfällen täglich rund 13 bis 16 Liter verseuchte Lauge aus dem Salz.
Bereits 1988 gibt es Versuche, einen Teil des radioaktiv kontaminierten „Sumpfs“ vor einer der tiefen Einlagerungskammern abzupumpen. Diese verseuchten Laugen werden in Stahlfässer gefüllt, auf die 700-Meter Sohle gebracht und dort einfach ausgeleert, wie sich 2009 herausstellt: „Dort wurden die Salzlösungen auf geschichtete Gesteinsbrocken (Salzhaufwerk) der teilverfüllten Kammer abgelassen“, schreibt die BGE. Mit anderen Worten: Die verseuchte Lauge wird wie der Atommüll einfach „deponiert“ und vergessen.
Das erste Schließungskonzept für die Asse
„Einfach zuschütten“
Spätestens seit Anfang der 1990er Jahre ist klar: Das Bergwerk Asse II ist nicht als Endlager geeignet und der Atommüll dort nicht sicher eingeschlossen. Was aber tun? Die damals zuständige Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) entwickelt ein Schließungskonzept, das vor allem auf eine Verfüllung der Kammern, Schächte und Gänge setzt. Dafür sollen die Hohlräume durch das Einblasen von losem Salz stabilisiert werden.
Zuschütten und in Salzlauge ertränken
Ein Teil dieses Plans wird von 1995 bis 2004 in die Tat umgesetzt: Mehr als zwei Millionen Tonnen loses Salzgestein werden in die tieferen Sohlen des Bergwerks transportiert und Gänge und Kammern bis zur Decke damit aufgefüllt. Außerdem wird Spezialbeton eingefüllt, um Barrieren zu schaffen. Unterhalb der 700-Meter-Ebene ist das Bergwerk dadurch laut BGE heute nahezu unzugänglich, die Zugangsschächte enden dort an einer Salzschicht. Einige Einlagerungskammern sind zusätzlich mit Barrieren aus Spezialbeton abgedichtet.
Zusätzlich sieht der Schließungsplan vor, das Bergwerk mit einer gesättigten Magnesiumchlorid-Lösung als sogenanntes Schutzfluid zu fluten. Dieses soll verhindern, dass sich das besonders stark angegriffenen Kalisalz weiter zersetzt und die von außen eindringenden ungesättigten Salzlaugen verdrängen. Damit nimmt man jedoch in Kauf, dass die radioaktiven Abfälle in Kontakt mit der Lösung kommen und die Behälter weiter korrodieren. Als Folge droht eine noch stärkere Kontamination der in den Untergrund sickernden Salzlaugen, zudem können durch chemische Reaktionen mit dem Zement der Behälterumhüllungen explosive Gase entstehen.
Unter anderem deshalb wird dieses Konzept letztlich nicht genehmigt: Nach einer Prüfung kommt eine Kommission im Auftrag des Bundesamts für Strahlenschutz im Jahr 2010 zu dem Schluss, dass eine bloße Stilllegung und Schließung eine zu große Gefahr für Mensch und Umwelt bedeutet. Ein langfristiger Schutz sei nur möglich, wenn der Atommüll wieder aus dem maroden Bergwerk entfernt wird.
„Lex Asse“ und der Rückholbeschluss
2013 werden diese Ergebnisse in ein Gesetz gegossen: Die „Lex Asse“ sieht vor, dass die radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse II so schnell wie möglich zurückgeholt werden sollen – allerdings nur dann, wenn dies keine zusätzliche Gefahr bedeutet: „Die Rückholung ist abzubrechen, wenn deren Durchführung für die Bevölkerung und die Beschäftigten aus radiologischen oder sonstigen sicherheitsrelevanten Gründen nicht vertretbar ist“, heißt es im Gesetzestext.
Erst nachdem der Atommüll und die dadurch entstandenen Kontaminationen des Untergrunds aus dem Bergwerk entfernt und entsorgt sind, soll die Schachtanlage dann endgültig stillgelegt werden. Zudem wird die Zuständigkeit für das ehemalige Versuchsendlager der neuen Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) übertragen. Sie übernimmt ab 2017 die konkrete Ausarbeitung der Rückhol- und Stilllegungspläne und die Verantwortung für deren Durchführung – und eine wahre Mammutaufgabe.
Wie der Atommüll aus der Asse geborgen werden soll
Die Rückholung
Im April 2020 hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) die Rückholpläne für den Atommüll in der Asse öffentlich vorgestellt. Nach diesen soll die Bergung der maroden Abfallbehälter und des radioaktiv verseuchten Inhalts der Kammern und Gänge im Jahr 2033 beginnen. Davor aber sind aufwändige Vorbereitungsarbeiten nötig.
Das Rückholbergwerk
Das Problem: „Die Schachtanlage Asse II ist baulich nicht geeignet, die radioaktiven Abfälle aus den 13 Einlagerungskammern zu bergen und nach über Tage zu bringen“, heißt es im Rückholungsplan der BGE. Denn die bestehenden Schächte sind teils versperrt, teils marode oder nicht groß genug, um die Atommüllbehälter inklusive ihrer strahlendichten „Umverpackungen“ sicher an die Oberfläche zu transportieren.
Deshalb muss ein eigenes Rückholbergwerk direkt neben der alten Asse II gebaut werden. Dieses besteht aus einem rund acht Meter breiten Hauptschacht, der rund 250 Meter östlich der nächstgelegenen Einlagerungskammer in die Tiefe getrieben wird. Über diesen rund 800 Meter tiefen Schacht soll schweres Gerät für weitere Grabungsarbeiten und für die Bergung des Atommülls nach unten gebracht werden. Geplant ist, diesen Schacht bis 2027 fertigzustellen.
Von diesem Hauptschacht aus werden Verbindungsgänge zur Schachtanlage Asse II vorgetrieben, außerdem unterirdische Räume für Kräne, Grabfahrzeuge und Bergeroboter, sowie für die Umverpackung der aus den Kammern geborgenen Atommüllbehälter. Insgesamt wird das Rückholbergwerk laut BGE rund 400.000 Kubikmeter Strecken und Infrastrukturräume umfassen. 2028 soll es fertig sein. Allein für diese Vorbereitungen schätzt die BGE die Kosten auf 3,35 Milliarden Euro – mindestens.
Kammern 7 und 8a machen den Anfang
Die eigentliche Rückholung beginnt ab dem Jahr 2033 mit zwei noch halbwegs zugänglichen und intakten Einlagerungskammern. Eine ist die Kammer 8a in 511 Meter Tiefe, in der gut 1.300 Behälter mit mittelradioaktiven Abfällen liegen. Um sie zu erreichen, wird von der Seite her ein neuer, mit Schleusen versehener Zugang angelegt. Über diesen werden dann ferngesteuerte Radlader oder Raupenfahrzeuge die Atommüllbehälter greifen und einzeln in spezielle Rückholbehälter legen. Anschließend werden diese in einer Schleuse mit einer zusätzlichen Umverpackung versehen und so zum Rückholschacht und über Tage gebracht.
Etwas aufwändiger ist die Bergung des Atommülls aus Kammer 7 in 725 Meter Tiefe. Denn in ihr liegen gut 8.500 Fässer mit schwach radioaktiven Abfällen kreuz und quer. Deshalb muss vor Beginn der Arbeiten die Kammer zunächst kartiert werden. Dann kommt eine an der Decke der Kammer befestigte ferngesteuerte Hängebahn zum Einsatz – ein Schienensystem, an dem Kräne, Bagger und anderes Gerät aufgehängt sind und über dem Atommüll schwebend bewegt werden können.
Mühsamer „Teilflächenabbau“ auf der 750-Meter-Ebene
Am schwierigsten und langwierigsten jedoch ist die Bergung der radioaktiven Abfälle aus den elf tiefsten Kammern des Bergwerks. Denn die 750-Meter-Sohle ist heute unzugänglich und größtenteils mit Salz verfüllt. Zudem haben sich die Kammern in diesem Bereich durch den Druck bereits stark verformt und viele Decken sind vermutlich geschädigt, so dass akute Einsturzgefahr herrscht. Deswegen sieht der Plan für diese Bereiche der Asse einen sogenannten Teilflächenabbau vor.
Dabei werden ein Zugangsschacht und eine Kaverne in das Salz über der Einlagerungskammer vorgetrieben. Ihr Boden wird durch Betonelemente stabilisiert, in die bereits Schienen für Hängebahnen integriert sind. Dann wird das Ganze wieder zugeschüttet und direkt darunter entsteht nun der eigentliche Zugangsweg zur Kammer. Die zuvor installierten Hängebahnen bilden die Decke dieses Gangs, über den nun eine erste Schicht des Atommülls mittels ferngesteuerte Greifer und Bagger geborgen wird.
Ist dieser Schritt abgeschlossen, geht das ganze Prozedere wieder von vorne los: Am Boden der aktuellen Ebene werden wieder Betonbefestigungen mitsamt Schienen ausgebracht, der Gang wird verfüllt und direkt darunter wird der nächste Zugang gegraben. „Durch den Teilflächenabbau werden für die Rückholung vergleichsweise kleine Hohlräume aufgefahren. Das kommt der Standfestigkeit und Stabilität des Grubengebäudes zu Gute“, erklärt die BGE. Nachteil ist allerdings, dass für jede Kammer mehrere dieser Zugangsschichten angelegt werden müssen – das kostet enorm viel Zeit.
Was mit dem Atommüll aus der Asse passiert
Wohin damit?
Mit der Bergung aus dem ehemaligen Versuchsendlager ist das Problem der Asse II und ihres strahlendes Erbes noch nicht gelöst. Nach Schätzungen der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) werden insgesamt rund 200.000 Kubikmeter kontaminierten Materials anfallen. Darunter sind die Atommüllbehälter mitsamt des kontaminierten Salzes , aber auch Schutzumhüllungen und Umverpackungen aller Art.
Nachbehandlung im „Puffer“
Nachdem die radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse II an die Oberfläche transportiert werden, kommen sie zunächst mitsamt ihrer Umverpackungen ein sogenanntes Pufferlager. Dort werden sie mithilfe verschiedener Methoden zunächst chemisch und radiologisch analysiert. Dann findet dort in einer speziellen Anlage die Konditionierung statt: Je nach Beschaffenheit und Radioaktivität wird das Material getrocknet, verbrannt, einzementiert oder verglast.
Dies geschieht, um den Atommüll in eine Form zu bringen, in der er in entsprechende Transportbehälter verpackt und in ein Zwischenlager gebracht werden kann. Die BGE schätzt, dass für die Lagerung des gesamten aus der Asse II geförderten Materials selbst beim Aufstapeln bis auf 20 Meter Höhe eine Fläche von rund 30.000 Quadratmeter nötig sein werden.
Und dann?
Doch bisher existiert in Deutschland noch kein geeignetes Lager für diese Abfälle – weder für die Zwischen- noch für die Endlagerung. Zwar liegt der Schacht Konrad nur rund 20 Kilometer von der Asse entfernt. Dieses geplante Endlager für schwach- bis mittelradioaktive Atommüll wird aber frühestens 2027 fertig sein und soll in erster Linie Abfälle aus Atomkraftwerken und deren Rückbau aufnehmen.
Wohin der Atommüll aus der Asse kommen soll, ist ungeklärt. Unter anderem deshalb wird das aus der Schachtanlage geborgenen Material zunächst behelfsmäßig oberirdisch aufbewahrt werden müssen. Wo dieses Zwischenlager jedoch entstehen soll, wurde noch nicht endgültig festgelegt – und ist hoch umstritten. So befürwortet die BGE aus logistischen Gründen einen Lagerstandort in unmittelbarer Nähe der Asse, denn je näher das Zwischenlager liegt, desto weniger Gefahr geht von Transporten des Atommülls auf öffentlichen Straßen oder dem Schienennetz aus.
Streit ums Zwischenlager
Die Anwohner jedoch wehren sich. Denn der Ort Remlingen liegt nur gut einen Kilometer vom alten Bergwerk entfernt. Zwar soll die durchschnittliche radioaktive Belastung durch ein Zwischenlager in dieser Entfernung laut BGE mit 0,0014 Mikrosievert pro Jahr deutlich unter der sogenannten Unerheblichkeitsdosis von zehn Mikrosievert pro Jahr liegen. Im Falle eines Unglücks wie beispielsweise einer Gasexplosion unter Tage fürchtet der Verein „AufpASSEn“ eine deutlich höhere Kontamination.
Ob die Rückholung des Atommülls aus der Schachtanlage Asse II tatsächlich wie geplant funktioniert, was sich dort unten noch an Überraschungen findet und wo der Atommüll dann landen wird, bleibt vorerst ungewiss.