Warum der Umgang mit riskanter biologischer Forschung so schwierig ist
Gefahr aus dem Labor?
Natürlicher Ausbruch oder Laborunfall? Diese Frage nach dem Ursprung des Coronavirus SARS-CoV-2 und damit dem Erreger der Covid19-Pandemie ist noch immer nicht geklärt – trotz WHO-Untersuchung vor Ort. Das unterstreicht einige grundlegenden Probleme der Biosicherheit bei der Erforschung potenziell tödlicher Erreger.
Woher kommt der Erreger der aktuellen Corona-Pandemie? Schon relativ früh nach der Identifizierung von SARS-CoV-2 war klar, dass es sich hier um ein neues, zuvor bei keinem Menschen oder Tier nachgewiesenes Coronavirus handelte. Doch wie und wo es entstanden ist und wie es den Artsprung zum Menschen schaffte, ist bis heute unklar. Ist es eine ganz normale Zoonose? Oder hatte doch der Mensch seine Hand im Spiel?
Das weltweite Unvermögen, diese Fragen zu beantworten, beleuchtet einige grundsätzliche Probleme, die mit der Forschung an gefährliche Erregern verbunden sind: Ihre Ergebnisse können der Medizin helfen, aber auch neue, tödliche Viren und Bakterien erschaffen. Wie geht man damit um? Und wie löst man die damit verknüpften Probleme der Biosicherheit?
Der Streit um den Ursprung von SARS-CoV-2
Wer hat Schuld?
Auch gut ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie gibt es zur Entstehung des Coronavirus Sars-CoV-2 mehr Fragen als Antworten. Eigentlich erhoffte man sich von der Anfang 2021 durchgeführten WHO-Untersuchung eine Klärung. Diesem Expertenbesuch in China ging ein langer Vorbereitungsprozess voraus.
Im Mai 2020 beschlossen die Mitglieder der Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly, WHA), die Weltgesundheitsorganisation WHO mit der Suche nach dem Ausgangspunkt der Pandemie zu beauftragen. Im Januar 2021 begab sich dann nach langwierigen Vorbereitungen und Verhandlungen über die Modalitäten und Zugangsmöglichkeiten ein Team von internationalen Expertinnen und Experten verschiedener einschlägiger Fachrichtungen nach Wuhan in China, wo bislang der Ursprung des Covid-19-Ausbruchs vermutet wurde.
Aus der Natur oder aus dem Virenlabor?
Das WHO-Team untersuchte gemeinsam mit chinesischen Fachleuten, ob die Pandemie auf einen natürlichen Ausbruch durch direkte Übertragung von Fledermäusen oder über einen bisher unbekannten tierischen Zwischenwirt wie die Schuppentiere oder aber auf menschengemachte Ursache wie eine Kontamination gefrorener Lebensmittel oder auf einen Laborunfall zurückzuführen sein könnte.
Politisch brisant ist vor allem letztere Hypothese, also die Frage, ob die Pandemie dadurch in Gang kam, dass der SARS-CoV-2-Erreger versehentlich aus einem chinesischen Forschungslabor freigesetzt wurde. China weist diesen Vorwurf vehement zurück und hat im Gegenzug die Vermutung in den Raum gestellt, das Virus könnte außerhalb Chinas entstanden sein. Während einige Wissenschaftler sich schon früh auf einen natürlichen Ausbruch als Ursache festgelegt hatten, hatten andere zumindest die Möglichkeit eines Unfalls diskutiert und entsprechende Ermittlungen gefordert.
Politisch aufgeladene Debatte
Der offizielle Untersuchungsbericht des WHO-Teams wurde Ende März 2021 veröffentlicht, brachte aber auch keine abschließenden Ergebnisse. Zwar wird ein Laborunfall im Bericht als sehr unwahrscheinlich bezeichnet, bei der Pressekonferenz zur Veröffentlichung des Berichts hieß es jedoch auch, hierzu seien weitere Untersuchungen nötig. So bleibt nach wie vor unklar, wo die Pandemie ihren Ausgang nahm.
Die politische Debatte um einen möglichen Laborunfall mit SARS-CoV-2 spiegelt jedoch auch die weltpolitische Lage und die Rivalität zwischen der aufstrebenden Macht China und den USA als um ihre Vormachtstellung ringende Großmacht. So hatte der ehemalige US-Präsident Trump bereits in der Frühphase der Pandemie wiederholt China für deren Ausbruch verantwortlich gemacht.
Die aktuelle US-amerikanische Regierung kritisierte nun gemeinsam mit 13 weiteren Staaten, dass das WHO-Team seine Untersuchungen nicht wirklich uneingeschränkt und unter Berücksichtigung aller verfügbaren Informationen durchführen konnte, da, so der implizite Vorwurf, China nicht ausreichend kooperiert habe.
Was macht die Forschung an Erregern so gefährlich?
Das Problem der Biosicherheit
Die Debatte um den Ursprung der Corona-Pandemie hat neben der politischen Dimension auch grundlegende Wurzeln. Denn sie steht im Kontext der Diskurse um Biosicherheit, die seit mehreren Jahren in der Forschung zu internationaler Sicherheit, globaler Gesundheit sowie in den Lebenswissenschaften geführt werden. Mit dem Begriff „Biosicherheit“ bezeichnet man Maßnahmen, die das versehentliche Freisetzen von Krankheitserregern aus Laboratorien verhüten (Biosafety) und den unbefugten Zugriff auf solche Erreger verhindern sollen (Biosecurity).
Das Risiko der Dual-Use-Forschung
Dabei geht es neben vielen anderen Aspekten auch um die Frage, wie mit Forschungen umgegangen werden sollte, die zwar an sich nützlichen und legitimen Zielen folgen, aber ein hohes Missbrauchs- oder Schadenspotenzial bergen, wenn die beforschten Krankheitserreger absichtlich oder versehentlich freigesetzt werden. Solche Forschung wird als „Dual-Use Research of Concern“ (DURC) oder „sicherheitsrelevante Forschung“ bezeichnet.
Im biologischen Bereich bewegen sich entsprechende Experimente häufig im Bereich der Genetik und Gentechnik, insbesondere in der sogenannten „Gain of Function“-Forschung. Hierbei werden Erreger so verändert, dass entweder einige ihrer Eigenschaften künstlich verändert werden – beispielweise indem man Erregern eine höhere Pathogenität oder Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch verleiht. Oder aber es kommen neue Eigenschaften hinzu, wie etwa Resistenzen gegen Medikamente.
Auch verschiedene Experimente der synthetischen Biologie wurden als (zu) gefährlich kritisiert, etwa die Rekonstruktion des Erregers der „Spanischen Grippe“, der ab 1918 eine verheerende Pandemie auslöste, oder die Synthese eines dem menschlichen Pockenerreger verwandten Virus.
Gut gemeint, aber neue Gefahren geschaffen?
Das Problem: Sicherheitsrelevante Experimente werden häufig durchgeführt, um gefährliche Krankheitserreger besser zu verstehen und die Risiken für pandemische Ausbrüche besser abschätzen und reduzieren zu können. Im Zuge dessen können allerdings gefährlichere Erreger erzeugt werden, die bei einer versehentlichen oder absichtlichen Freisetzung aus dem Labor genau jene Gefahren hervorrufen könnten, die sie eigentlich verringern sollten.
Ein solcher Fall sorgte vor einigen Jahren für Aufsehen, wie scinexx berichtete: Forscher hatten das Vogelgrippe-Virus H5N1 genetisch so umgebaut, dass es nun möglicherweise auch den Artsprung auf den Menschen vollziehen konnte. Die Forscher hofften, durch ihre Experimente herauszufinden, wie genau die Influenza diesen Schritt schafft und welche Mutationen dafür nötig sind. Doch das US-Beratungsgremium für Biosicherheit (NSABB) hielt die Forschung für so brisant, dass es empfahl, nur eine gekürzte, im Methodenteil bewusst lückenhafte Version zu publizieren.
Diese Entscheidung löste eine weltweite Debatte über die Risiken solcher Forschungen mit hochgefährlichen Viren aus. In der Folge beschlossen einige führende Influenzaforscher ein zunächst 60-tägiges Moratorium für Arbeiten in besonders sensiblen und riskanten Bereichen. Die Wissenschaftler forderten wenig später die Einführungen eines Systems, mit dem die Biosicherheit potenziell riskanter Forschungen besser überwacht werden kann.
Wenn entwendete Erreger zu Biowaffen werden
Risiko Virendiebstahl
Im Falle von SARS-CoV-2 wird vor allem die versehentliche Freisetzung als mögliche menschengemachte Ursache diskutiert – beispielsweise durch einen Laborunfall, das Entwischen eines infizierten Labortiers oder die unwissentliche Weitergabe durch einen infizierten Mitarbeiter. Doch allgemein betrachtet gibt es bei Forschungen an potenziell gefährlichen Erregern noch ein weiteres Risiko: die absichtliche Nutzung eines manipulierten Erregers als Biowaffe.
Biowaffen-Verbot hält – noch
Biologische Kriegführung, also die Verwendung von Krankheiten oder natürlichen Giften als Waffe, ist bereits seit Jahrhunderten bekannt. So sollen zum Beispiel während der Belagerung der Stadt Kaffa auf der Halbinsel Krim im 14. Jahrhundert die belagernden Truppen Leichen von Pestopfern in die Stadt katapultiert haben, und im Zuge der Besiedelung Nordamerikas übergaben britische Militärangehörige amerikanischen Ureinwohnern im 18. Jahrhundert gezielt mit Pocken kontaminierte Decken und Kleidungsstücke.
Ebenso lange lassen sich die Ablehnung und Verbote solcher Kriegführung zurückverfolgen. Der Einsatz biologischer Waffen ist universell und weltweit geächtet. Seit fast 50 Jahren sind mit dem Biowaffen-Übereinkommen (BWÜ) zudem der Besitz, die Herstellung und die Weitergabe biologischer Waffen für die aktuell 183 Mitgliedsstaaten verboten. Ein Forschungsprojekt am Leibniz-Institut Hessische Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) geht der Frage nach, ob auch dieses Verbot inzwischen als völkergewohnheitsrechtliche Norm betrachtet werden kann.
Verstöße gegen das Biowaffen-Verbot waren bisher sehr selten. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich dies aufgrund veränderter politischer und technologischer Rahmenbedingungen ändert: Biowaffen könnten dann möglicherweise in Zukunft für Staaten, die vor einem Normbruch nicht zurückschrecken, interessanter werden.
Terroristen: Klauen statt selbst erzeugen
Auch für versuchte oder ausgeführte Terroranschläge mit Krankheitserregern und natürlichen Giften gibt es bisher nur einzelne Beispiele. Dazu zählen etwa die „Milzbrand-Briefe“ in den USA im Oktober 2001 oder der 2018 in Köln vereitelte Versuch, das Pflanzengift Rizin per Explosion zu verteilen. Einigen transnationalen Terrororganisationen wird zudem ein Interesse an biologischen
Waffen nachgesagt.
Die technologischen Hürden dafür, Krankheitserreger für einen terroristischen Einsatz künstlich herzustellen oder zu verändern, sind jedoch sehr hoch. Der Zugriff auf im Zuge von DURC-Forschungen bereits erzeugte Erreger könnte daher für terroristische oder kriminelle Akteure womöglich eine erstrebenswerte Option darstellen. Zwar werden sicherheitsrelevante Forschungen in der Regel unter hohen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt, so dass ein absichtliches Entwenden schwierig und ein versehentliches Entweichen unwahrscheinlich ist. Unfälle mit ansteckenden Krankheitserregern kommen trotzdem immer wieder vor.
Gerade weil – auch unter dem Eindruck der Covid-19-Pandemie – sicherheitsrelevante Experimente künftig noch häufiger durchgeführt werden könnten, sollten daher parallel auch wirksame, angemessene Biosicherheitsmaßnahmen diskutiert und eingeführt werden.
Es geht nur interdisziplinär
All dies demonstriert, dass das Schlagwort „Biosicherheit“ Problematiken vereint, die ursprünglich in getrennten Forschungsbereichen behandelt wurden. Die Eindämmung und Prävention von Infektionskrankheiten fällt in den Bereich der globalen Gesundheitsförderung und -forschung. Der Schutz vor einer versehentlichen Freisetzung gefährlicher Krankheitserreger berührt dazu Fragen der Arbeitssicherheit. Die Verhütung von unbefugtem Zugriff und absichtlicher Ausbringung erfordert auch eine polizeiliche, rechtliche und sicherheitspolitische Bearbeitung.
Zur Verhütung des Einsatzes von Krankheiten als Waffe braucht es schließlich diplomatische, geheimdienstliche und verteidigungspolitische Bemühungen. Zusammen umspannen diese Themen das gesamte Spektrum biologischer Risiken, das von natürlichen Krankheitsausbrüchen über Laborunfälle, kriminelle Aktionen und Bioterrorismus bis zu staatlichen Biowaffenprogrammen
reicht.
Verschiebungen auch in der Politik
In der politischen Praxis spiegelt sich dies zum Beispiel in einer Diskursverschiebung innerhalb der Institutionen für biologische Abrüstung. Wie die Autorin in einem Projekt des Frankfurter Exzellenzclusters „Normative Ordnungen“ untersucht hat, haben sich die Schwerpunkte und Diskurse der diplomatischen Bemühungen zur Biowaffenkontrolle von der klassischen biologischen Abrüstung in den vergangenen 20 Jahren zunehmend entfernt: Zwischenstaatliche verbindliche Transparenz- und Kontrollmaßnahmen traten weitgehend in den Hintergrund, während sich die Staaten zunehmend auf die nationale Vorbereitung auf und Abwehr von biologischen Gefahren des gesamten Spektrums konzentrierten.
Auch die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der sich rasant entwickelnden Biologie und Biotechnologie, unter anderem auch zur Förderung der globalen Gesundheit, nimmt
zunehmend Raum ein. Hier schließt sich der Kreis zur Frage nach dem Umgang mit sicherheitsrelevanten Forschungen als einem wichtigen und derzeit kontrovers diskutierten Bereich des Themenfeldes „Biosicherheit“.
Wie kann die Biosicherheit verbessert werden?
Über den Tellerrand hinaus
Ob der Ausbruch der Covid-19-Pandemie nun auf einen natürlichen Ausbruch oder einen Laborunfall zurückzuführen ist, lässt sich auf dem jetzigen Informationsstand noch nicht abschätzen. Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, bräuchte es weitere unabhängige Untersuchungen, die frei von den mandatsgemäßen Einschränkungen der WHO und mit weitreichenden Zugangsbefugnissen durchgeführt werden müssten.
Die Ergebnisse solcher Untersuchungen könnten über den konkreten Fall hinaus wichtige Erkenntnisse dazu liefern, wie künftig Pandemie-Risiken minimiert und bei sicherheitsrelevanter Forschung die Risiken besser abgeschätzt und reduziert werden könnten. Diese Thematik zu erforschen und politische Handlungsoptionen zu erarbeiten, erfordert allerdings einen interdisziplinären Zugang zum Thema Biosicherheit aus natur-, sozial- und rechtswissenschaftlichen Perspektiven.
Was könnte man besser machen?
Um nur einige wichtige Themen zu nennen: Zu untersuchen wäre zum Beispiel, welche weltweit vergleichbaren Standards und Regelungen die biologische Sicherheit, also den Schutz vor allen oben genannten biologischen Risiken, global und nachhaltig verbessern und wie sie vereinbart werden könnten. Dies schließt die Sicherung von Labors ebenso ein wie die Stärkung der internationalen Biowaffenkontrolle.
Auch Kriterien für eine Risiko-Nutzen-Abwägung bei sicherheitsrelevanten Experimenten müssten interdisziplinär erarbeitet werden. Dabei gilt es, potenzielle Risiken biologischer Forschungen zu minimieren und gleichzeitig die Freiheit der Wissenschaft nicht über Gebühr einzuschränken. Entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse könnten auch politische Entscheidungen vorbereiten und begleiten.
Die aktuelle Pandemie zeigt auf, in welchen Bereichen weitere Forschungen nötig wären, um bei ähnlichen Ereignissen nicht nur gesundheits-, sondern auch (bio)sicherheitspolitisch besser vorbereitet zu sein. Hoffentlich bringen die gegenwärtigen Erfahrungen auch die nötige Motivation hervor, um diese Arbeiten in Angriff zu nehmen.
Una Jakob, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) / Forschung Frankfurt
28. Juli 2021 - Una Jakob, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) / Forschung Frankfurt