Von Quallenchips, Seegurkensuppe und grünem Kaviar
Zukunftsnahrung aus dem Meer
Ozeane nehmen nicht nur den größten Raum auf unserem Planeten ein – sie bergen auch reiche Nahrungsressourcen abseits des Fischs. Denn auch Meeresbewohner wie Quallen, Seegurken oder Algen sind gute Proteinlieferanten – und aus ihnen lassen sich durchaus genießbare Lebensmittel herstellen. Wie das auf nachhaltige Weise gehen könnte, wird zurzeit erforscht.
Bisher sind große Speisefische und einige Meeresfrüchte die wichtigsten Nahrungsmittel aus dem Meer. Doch sie werden oft unter wenig nachhaltigen Bedingungen gefangen, gezüchtet und gehalten. Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) gehen Wissenschaftler daher der Frage nach, inwieweit das Meer Nahrungsressourcen birgt, die bisher noch kaum genutzt wurden, und wie diese nachhaltig verwertet werden können.
Warum es so nicht weitergeht
Problemfall Aquakultur
Eine der wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit ist die nachhaltige Versorgung der Menschheit mit gesunder und ausreichender Nahrung – und im Speziellen mit Protein. Denn der menschliche Körper benötigt reichlich Nahrungseiweiß, unter anderem für den Aufbau von Muskeln, Organen, Knochen und Haut.
Keine Abhilfe gegen die Überfischung
Bisher decken wir unseren Proteinbedarf meist durch tierische Produkte wie Fleisch oder Fisch. Bei letzteren stehen die großen Raubfische, wie Lachs oder Thunfisch, weit vorn auf dem Speiseplan. Allein in Deutschland wurden 2016 rund 2,2 Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchte verzehrt. Ein Großteil dieses Fischs stammt aus Aquakulturen: Der Lachs kommt primär aus Norwegen, Pangasius und Garnelen werden in Asien gezüchtet und Forellen kommen vorwiegend aus Zuchten in Osteuropa.
„Leider ist das überhaupt nicht nachhaltig“, sagt Holger Kühnhold vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT). „Diese Fische benötigen zum Wachsen ein Vielfaches ihres Eigengewichts an kleinen Fischen. Auch in Aquakultur muss dieser Bedarf mit Fischmehl und -öl von Wildfischen gedeckt werden.“ Der Boom der Aquakultur fördert damit paradoxerweise die Überfischung der Meere, der sie eigentlich durch die Zucht von Speisefischen entgegen wirken soll. Aber weil für das Futter der Zuchtfische große Mengen an kleineren Fischen weggefangen werden, sind auch deren Bestände inzwischen ausgedünnt.
Überdüngung und Parasiten
Hinzu kommt, dass durch die Haltung so vieler Fische auf engstem Raum Unmengen an Kot und ungefressenem Futter in die Meeresumwelt gelangen Die Folge ist eine Überdüngung der küstennahen Ozeane rund um die Aquakulturen. Vor der Insel Hainan im südchinesischen Meer haben jahrzehntelange Aquakulturen von Garnelen und Zackenbarschen das Meer so stark eutrophiert, dass die ursprünglich dort wachsenden Seegraswiesen immer weiter zurückgegangen sind und Meeresalgen diesen Lebensraum überwuchern, wie Wissenschaftler des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) festgestellt haben.
Ein weiteres Problem: Die großen Lachszuchten vor allem an den skandinavischen Küsten gefährdet auch die Wildlachse. Denn in den eng gedrängten Aquakulturen können sich parasitische Lachsläuse stark ausbreiten. Wenn dann die jungen Wildlachse auf ihrem Weg von den Flüssen ins Meer an diesen Anlagen vorbeischwimmen, fangen sie sich die Parasiten ein. Die Folge: Zwischen 18 und 55 Prozent aller Wildlachse im Nordost-Atlantik werde durch den Lachslaufs-Befall so geschwächt, dass sie sterben.
Fischfutter als Antibiotika- und Resistenzschleuder
Durch die Aquakulturen gelangen auch Antibiotika ins Meerwasser – und das selbst dann, wenn die Zuchtfische selbst gar nicht mit solchen Medikamenten behandelt werden. Denn wie ein Forscherteam 2017 herausgefunden hat, enthält auch das als Futter eingesetzte Fischmehl häufig Antibiotika-Rückstände. Diese gelangen über die zur Futterherstellung verwendeten Kleinfische, und Schlachtabfälle ins Fischmehl -und von diesem dann ins Meer. Dort kann der Kontakt mit den Antibiotika die Resistenzbildung bei marinen Bakterien fördern.
Neben den Antibiotika enthält das Fischmehl auch Resistenzgene – Gene, die die Bauanleitung für Mechanismen enthalten, durch die Bakterien sich vor Antibiotika schützen können. Durch den horizontalen Gentransfer können solche Gene leicht von Bakterien aufgenommen und untereinander ausgetaucht werden. Über die Fische, aber auch durch Bakterien im Meerwasser können diese Gene dann bis in die Nahrungskette und zu humanpathogenen Erregern gelangen.
In Experimenten haben Wissenschaftler bereits festgestellt, dass die Resistenzgene aus dem Fischfutter sehr schnell von Meeresboden-Bakterien aufgenommen werden. Die anfänglich in den Sedimenten nachgewiesenen Resistenzgen-Mengen stiegen schon wenige Tage nach einer Berieselung mit Fischmehl um das Zwei- bis Fünffache an.
Was aber ist die Alternative zu all dem?
Marine Alternativen zum klassischen Zuchtfisch
Qualle statt Lachs
Wie kann man proteinreiche Nahrung aus dem Meer gewinnen, ohne dabei der Meeresumwelt zu Schaden? Diese Frage untersuchen Wissenschaftler zurzeit im Projekt „Food for the Future“, das die Möglichkeiten neuer mariner Nahrungsmittelressourcen auslotet.
Einen Ansatz dafür bietet die Überlegung, dass es deutlich nachhaltiger wäre, wenn wir als marine Proteinlieferanten Lebewesen nutzen würden, die weiter unten in der Nahrungskette stehen als Raubfische wie Lachs oder Thunfisch. Denn Meeresbewohner dieser tieferen trophischen Ebenen benötigen kein tierisches Futter, sondern fressen Algen oder Plankton und bauen daraus ihr tierisches Eiweiß auf. In ökologischer Hinsicht wäre daher ihre Zucht deutlich effizienter und nachhaltiger.
Krisengewinnler der Ozeane
Holger Kühnhold vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) und seine Kollegen haben dafür ein Tier ins Visier genommen, das bislang als vermehrungsfreudige Plage und nesselnder Urlauberschreck ein eher negatives Image hat – die Qualle. Sie kommt in allen Weltmeeren reichlich vor und gehört zu den ältesten Lebewesen der Erde.
Anders als viele Fische gehören die Quallen zudem zu den Krisengewinnlern der Ozeane: Sie profitieren meist davon, wenn der Mensch durch Fischerei ins Ökosystem Meer eingreift, weil ihnen so Fressfeinde und Nahrungskonkurrenten vom Hals geschafft werden. In einigen Meeresgebieten, darunter Teilen des Schwarzen Meeres und einigen norwegischen Fjorden, sind die Quallen sogar schon zur Plage geworden. Durch ihre Massenvermehrungen vertilgen sie Unmengen an Fischlaich und Fischlarven und dezimieren dadurch deren Bestände noch weiter.
Im Zuge des Klimawandels haben sich viele Quallen zudem neue Lebensräume erschlossen. Auch in Nord- und Ostsee haben sich durch Einschleppung und Erwärmung mehrere ursprünglich nicht bei uns heimische Quallenarten angesiedelt. Vielerorts profitieren die Quallen davon, dass sie als nicht essbar oder zumindest als unappetitlich gelten und daher auch nicht vom Menschen gefangen werden.
Glibbriges Superfood
Das aber muss nicht so bleiben. Quallen könnten durchaus zu einer nützliche Ressource und einer Nahrungsquelle der Zukunft werden, denn sie liefern einiges von dem, was der menschliche Körper benötigt: „Zwar bestehen Quallen zu rund 97 Prozent aus Wasser, ihre Trockenmasse hat aber ein interessantes Nährwertprofil, das dem anderer Meeresfrüchte gleicht“, erklärt Kühnhold. „Quallen sind fettarm und bestehen hauptsächlich aus Eiweiß, das teilweise einen hohen Anteil an essentiellen Aminosäuren aufweist. Sie enthalten außerdem viele Mineralstoffe und mehrfach ungesättigte Fettsäuren.“
Während sich die schleimigen Wesen trotz dieser Vorzüge bei uns eher geringer Beliebtheit erfreuen, gelten sie in Asien schon länger als gesunde und willkommene Ergänzung des Speiseplans. „Nur in der asiatischen Küche findet man öfter mal Quallen in Suppen und Salaten“, berichtet Kühnhold. „Dabei ist hinsichtlich ihrer großen Artenvielfalt davon auszugehen, dass ihr Potenzial für unsere Ernährung bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Für Europäer könnten sie als kalorienarmes Superfood in Form von Chips oder Proteinpulver attraktiv werden.“
Kandidat Mangrovenqualle
Um dieses „Superfood“ voranzubringen, untersuchen Kühnhold und sein Team den Nährwert verschiedener Quallenarten und erforschen, wie sich die glibbrigen Nesseltiere am besten in Aquakultur halten lassen und welche Arten dafür gut geeignet sind. Große Hoffnungen setzen die Wissenschaftler dabei auf die Mangrovenqualle, Cassiopeia andromeda.
Diese vor allem in tropischen Gewässern vorkommende Qualle trägt kleine symbiotische Algen in ihrem Körper, die Photosynthese betreiben und ihr dadurch Energie liefern. Daher liegt sie meist mit ihrem Schirm am Meeresboden und streckt ihre Tentakel zur Meeresoberfläche, dem Sonnenlicht entgegen. Zusätzliche Nahrung benötigt die Qualle dank ihrer Symbionten nur wenig – was sie zu einem sparsamen Zuchtobjekt machen würde. Mit moderner LED-Technik könnte sie sogar in einem urbanen Umfeld kultiviert werden.
Aber Quallen sind nicht die einzigen Kandidaten…
Neues Superfood aus dem Meer
Seegurken und grüner Kaviar
Die Wissenschaftler am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung untersuchen neben Quallen auch andere potenzielle Eiweißspender aus dem Meer – auf ihren Nutzen für die Ernährung hin und auch auf die Möglichkeit, sie in Aquakultur zu züchten.
„Ginseng der Meere“
Dabei rücken auch Seegurken, von denen es rund 1.700 Arten gibt, in den Blick der Forscher. Die walzenförmigen Stachelhäuter können über drei Meter lang werden und kommen in allen Meeren von der Arktis bis in die Tropen vor. Und auch sie sind essbar: In Südostasien sind sie zum Beispiel als Einlage in Suppen und Eintöpfen so beliebt, dass manche Arten bereits überfischt sind.
Dort werden sie als „Ginseng der Meere“ bezeichnet: reich an Proteinen, Spurenelementen und Stoffen, denen heilende Wirkung zugesprochen wird. So enthalten Seegurken unter anderem Chondroitinsulfat, das gegen Arthrose wirken soll. Auch der europäischen Küche sind sie nicht ganz fremd. In Katalonien werden sie Espardenyes genannt und als kostspielige Delikatesse von Sterneköchen auf vielfältige Weise zubereitet.
Seegurken durchwühlen den sandigen Meeresboden nach Nahrung wie Detritus oder Mikroalgen, verschlingen das Sediment, verdauen die organischen Bestandteile und scheiden den Sand dann wieder aus. Das hat ihnen den Spitznamen „Staubsauger der Meere“ eingehandelt. Diese Gewohnheit macht sie jedoch besonders wertvoll für eine Form der Aquakultur, die ökologische Probleme wie Verschmutzung der Umwelt durch nährstoffreiche Abwässer zu umgehen versucht.
Algen als Nahrung für Mensch und Fisch
Ein weiterer Kandidat für Zukunftsnahrung aus dem Meer sind Algen, denn auch sie weisen ein sehr breites Spektrum an nützlichen Inhaltsstoffen auf. In Asien sind sie längst fester Bestandteil der Ernährung und auch bei uns werden Algenprodukte allmählich bekannter. Der große Vorteil: Weil sie Photosynthese betreiben, benötigen sie zum Wachsen kaum mehr als Sonnenlicht und ein paar Nährstoffe. Gleichzeitig binden sie CO2 und tragen damit sogar zum Klimaschutz bei.
Weil einige Algenarten auch viel Protein enthalten, lassen sie sich sogar als Basis für ein vegetarisches Fischfutter nutzen. In ersten Versuchen ist es schon gelungen, Lachse, Forellen und andere Raubfische an Futter aus vorwiegend pflanzlichen Proteinen zu gewöhnen. Sie kommen dadurch fast ohne Fischmehl aus – was den Fangdruck auf die Futterfische verringert.
Grüner Kaviar – ein besonderes Gaumenerlebnis
Am ZMT wird an der Algenart Caulerpa lentillifera geforscht, die umgangssprachlich „Meerestraube“ oder auch „Grüner Kaviar“ genannt wird. Die kleinen, runden Kugeln, die an einer Rispe hängen, schmecken leicht salzig und zerplatzen im Mund wie Kaviar. Sie stecken voller Proteine, Mineralstoffe, Antioxidantien und mehrfach ungesättigter Fettsäuren. Die im Indopazifik heimische Alge ist in Südostasien als Beilage sehr gefragt. Mittlerweile findet man ihn vereinzelt auch schon in Deutschland, dann aber zumeist in der länger haltbaren, entwässerten Form.
Gegessen wird grüner Kaviar aber am besten frisch, zum Beispiel in Salaten oder als Beilage zum Sushi. In Kooperation mit Algenfarmern testen die Forscher des ZMT zurzeit in Vietnam den Einsatz dieser Alge in der integrierten Aquakultur.
Was integrierte Aquakultur bringen kann
Wohngemeinschaft unter Wasser
Selbst wenn sich einige Meeresorganismen als echtes Superfood erweisen – es bleibt die Frage, wie man diese potenzielle Nahrung aus dem Meer nachhaltig züchten und gewinnen kann. Auch damit befassen sich bereits Forscher des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT). Ihr Ansatz: die integrierte Aquakultur (IMTA).
Kreislauf statt Monokultur
Die klassische Aquakultur zieht große Mengen derselben Fischart auf engem Raum auf – im Prinzip handelt es sich damit um eine Monokultur unter Wasser. Anders die integrierte Aquakultur. Sie kombiniert ganz unterschiedliche Zuchttiere und -pflanzen miteinander, deren Bedürfnisse und Lebensweisen sich gut ergänzen. Ähnlich wie in natürlichen Ökosystemen ist es das Ziel, diese Organismen, ihr Futter und ihre Ausscheidungen zu einem Kreislauf zu verbinden. Das soll verhindern, dass die Meeresumwelt belastet wird.
Erste Ideen für eine solche „Wohngemeinschaft“ gibt es bereits. So könnten beispielsweise die Futterreste und Ausscheidungen von Fischen oder Garnelen durch Muscheln aus dem Wasser gefiltert werden. In Testanlagen für die integrierte Aquakultur werden Muscheln und auch Algen dafür an Leinen gezüchtet, die in unmittelbarer Nähe zu Fischkäfigen im Wasser hängen. Was dann trotzdem auf den Meeresgrund absinkt, wird dann von den ebenfalls in dieser Aquakultur gezüchteten Seegurken gefressen. Algen wie der „Grüne Kaviar“ könnten von den gelösten Nährstoffen profitieren, die die Tiere übriglassen oder freisetzen.
Abgeleitet aus traditionellen Methoden
Die Idee für solche Kombinationszuchten ist dabei keineswegs neu: In Südostasen gibt es schon seit hunderten von Jahren ähnliche Kultivierungsformen. So werden beispielsweise überflutete Reisfelder zur Fischzucht genutzt. Dabei dient der Fischkot als Dünger für die Reispflanzen. In anderen Gegenden werden Fischteiche quasi als Kellergeschoss unter Geflügelkäfigen oder Schweineställen angelegt.
Die integrierte Aquakultur ist quasi eine moderne, noch umweltverträglichere und tiergerechtere Variante solcher traditionellen Methoden. Die Forscher um Holger Kühnhold untersuchen, dabei vor allem, welche Tiere und Pflanzen besonders günstige Kandidaten für eine solche Wohngemeinschaft wären und wo die besten Synergieeffekte zu erzielen.