Wie gefährdet ist die kritische Infrastruktur des globalen Datennetzes?
Angriffsziel Unterseekabel
Sie sind die Schlagadern der Weltkommunikation: Mehr als 98 Prozent der Internet-Verbindungen laufen über unterseeische Glasfaserkabel. Ohne sie bräche in vielen Regionen das Internet zusammen und weite Teile der Wirtschaft und des Alltags wären betroffen. Doch wie sicher ist diese kritische Infrastruktur? Und wie gefährdet ist Europas Anbindung an die digitale Welt?
Die Sprengung der Ostsee-Pipelines im September 2022 hat vielen ins Bewusstsein gerufen, dass ein Teil unserer kritischen Infrastruktur am Meeresgrund liegt – und bisher nur unzureichend geschützt ist. Die Achillesferse für Europa und andere Regionen sind dabei weniger die Pipelines, als vielmehr die unzähligen Glasfaserkabel, die das Rückgrat des globalen Datenverkehrs bilden.
Das Netz der Unterseekabel und seine Bedeutung
Adern der globalen Kommunikation
Ob wir die sozialen Medien nutzen, an einer Videokonferenz teilnehmen oder einen Film streamen: Die Daten für all diese Online-Aktivitäten haben bis zu ihrer Ankunft bei uns eine weite Reise hinter sich – und ein Großteil davon erfolgte unter Wasser. Denn 98 Prozent des Datenverkehrs im Internet läuft heute über Unterseekabel. Diese am Meeresgrund liegenden Glasfaserkabel verbinden die Kontinente und bilden das Rückgrat des weltweiten Internets.
Um dies zu bewältigen, erreichen die leistungsfähigsten Unterseekabel heute Übertragungsraten von bis zu 200 Terabit pro Sekunde und Latenzzeiten von weniger als 60 Millisekunden. An diese Werte kommen klassische Satellitenverbindungen über geostationäre Satelliten nicht einmal ansatzweise heran. Erst mit der Fertigstellung von Satelliten-Konstellationen in der niedrigen Erdumlaufbahn könnte die orbitale Datenübertragung an Bedeutung gewinnen. Denn Starlink und Co. sollen Latenzen von unter 30 Millisekunden bieten. Ihre Übertragungsrate ist mit 100 bis 500 Megabit pro Sekunde allerdings deutlich niedriger als bei den Unterseekabeln.
Verflochtenes Netz
1,3 Millionen Kilometer ist das weltweite Netz der Unterseekabel lang. Die mehr als 475 Backbone-Leitungen ziehen sich an den Küsten der Kontinente entlang, unterqueren die Ozeane und bilden zwischen den Inselstaaten Südostasiens ein verflochtenes Netzwerk. Allein zwischen Europa und der Ostküste der USA gibt es mehr als 20 solcher Unterseekabel, ähnlich viele verbinden die US-Westküste mit Asien.
Das zurzeit längste Unterseekabel des globalen Netzwerks, SeaMeWe-3, ist 39.000 Kilometer lang. Es zieht sich von der Westküste Europas über das Mittelmeer und Rote Meer bis nach Südostasien und Australien. Noch länger wird die 2023 in Betrieb gehende Leitung 2Africa sein, die einmal um Afrika herumzieht. Während die Transatlantikkabel meist nur an jedem Ende eine Anlandestelle haben, sind solche entlang der Küsten und durch mehrere Meeresgebiete ziehenden Kabel oft über zahlreiche Abzweige mit Landestationen in mehreren Ländern verbunden.
Die Daten suchen sich selbst ihren Weg
Durch welches Kabel des globalen Seekabel-Netzwerks ein Datenpaket rast, können weder die Kabelbetreiber noch die Aussender der Daten beeinflussen: Die digitale Information sucht sich ihren Weg durch das weltweite Netzwerk selbst. In der Regel wählen die Datenpakete dabei die kürzeste Route. Wenn diese aber wegen begrenzter Bandbreite zu langsam ist und der Umweg über ein leistungsfähigeres Kabel schneller geht, dann kann eine E-Mail von New York nach Berlin auch mal über den Pazifik und Asien statt durch eines der Transatlantikkabel laufen.
Der Verkehr durch diese unterseeischen Datenautobahnen nimmt immer mehr zu. Allein im Finanzsektor laufen jeden Tag Transaktionen im Wert von mehr als zehn Billionen US-Dollar durch das Netz der Unterseekabel. Durch Cloudspeicher und die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft geht für Unternehmen fast nichts mehr ohne das Internet. Und auch unser privater Zugriff auf soziale Medien, Streaming Dienste oder internetbasierte Programme erzeugt Datenverkehr, der weit über Europa hinausreicht.
„Gartenschläuche“ mit gläsernem Kern
Trotz ihrer enormen Bedeutung sind die meisten Unterseekabel kaum dicker als ein Gartenschlauch. Meist liegt ihr Durchmesser bei nur wenigen Zentimetern. Im Kern eines solchen Schlauchs liegen die in ein Gel eingebetteten Glasfasern. Sie sind von einer Schutzhülle umgeben und innerhalb eines Seekabels oft in mehreren, getrennt ummantelten Bündeln zusammengefasst. Das bietet eine gewisse Redundanz: Ist bei kleineren Schäden am Unterseekabel nur eines dieser Bündel betroffen, kann der Datenverkehr in den anderen trotzdem weiterlaufen.
Zusätzlich zu den Glasfaserbündeln enthält ein Unterseekabel auch Kupferleitungen, die unter anderem zur Stromversorgung der Signalverstärker und anderer Bauteile dienen. Entweder im Kern des Kabels oder als Hülle um diese Innenschicht herum liegt ein Stützgerüst aus Stahlfasern, die ein Abknicken des Kabels und der spröden Glasfasern verhindern sollen. Das Ganze wird von einer stoßdämpfenden Isolierschicht und einer gegen Meerwasser schützenden Außenschicht umhüllt.
Erst in flacherem Wasser und vor den Anlandestationen bekommen die „Schläuche“ eine dickere Ummantelung und sind dann etwa armdick. Dies soll die Leitungen besser gegen versehentliche Schäden beispielsweise durch Tiere, Schiffsanker oder Grundschleppnetze schützen. Während die Seekabel in Küstennähe zusätzlich eingegraben werden, liegen sie in der Tiefsee offen auf dem Meeresgrund – das betrifft rund 80 Prozent des globalen Seekabel-Netzes.
Dennoch sind Unterseekabel eigentlich sehr robust: Sie halten im Schnitt 25 Jahre und Ausfälle durch Materialermüdung oder Fehler in den Repeatern und Steuereinheiten sind extrem selten. Deutlich häufiger sind dagegen Schäden durch äußere Einflüsse…
Ursachen für Kabelbrüche und die Folgen
Gekappt und pulverisiert
Als im Januar 2022 vor der Küste von Tonga ein Unterseevulkan ausbrach, verursachte er nicht nur weitreichende Schockwellen und überzog den Inselstaat mit Asche. Das von der Eruption verursachte Erdbeben zerstörte auch das einzige Unterseekabel, das Tonga mit dem globalen Kommunikationsnetz verband. Als Folge waren die Bewohner des Inselstaats fünf Wochen lang weitgehend vom Internet abgeschnitten.
Schiffsanker, Schleppnetze und Naturkatastrophen
„Trotz aller ätherisch klingenden Umschreibungen wie Cloud oder Cyberspace beruht das Internet auf physischen Komponenten – und diese Hardware, darunter auch die Seekabel, kann zerstört werden“, betont Justin Sherman vom US-Thinktank Atlantic Council. Tatsächlich kommt es im globalen Untersee-Netzwerk jedes Jahr zu rund 100 Schäden an Glasfaserkabeln, die meisten davon sind allerdings nur gering. Meist wird die Außenhülle des Kabels beschädigt, so dass Meerwasser eindringen kann oder einzelne Glasfasern oder Glasfaserbündel brechen. In solchen Fällen ist die Bandbreite der Übertragungen zwar reduziert, die Verbindung aber nicht komplett unterbrochen.
Die mit Abstand häufigste Ursache für solche Störungen und Ausfälle sind versehentliche Schäden in Küstennähe durch Schiffsanker, Ausbaggerungen oder über den Meeresgrund gezogene Schleppnetze. Sie sind für rund 70 Prozent aller Kabelausfälle und die meisten Brüche verantwortlich. Einer der schwerwiegendsten Vorfälle dieser Art ereignete sich im Jahr 2008, als ein Schiff vor der Küste von Ägypten ankern wollte und dabei zwei durch das Rote Meer laufende Hauptverbindungen von Europa nach Asien, FLAG Europe-Asia und SeaMeWe-4, kappte. Mehr als 75 Millionen Menschen im Nahen Osten und Asien hatten dadurch nur noch eingeschränkten Internetzugang.
Mit einem Anteil von rund 20 Prozent deutlich seltener, aber dafür oft schwerwiegender sind die Kabelschäden durch Naturkatastrophen wie Erdbeben, unterseeische Rutschungen oder Eruptionen. Sie zerstören häufig gleich mehrere unterseeische Leitungen. So unterbrach ein Erdbeben im Dezember 2006 vor der Südspitze von Taiwan gleich mehrere Hauptverbindungen in Asien und führte zu tagelangen Internetausfällen in Hongkong, China und weiteren asiatischen Ländern.
Wie gefährdet ist Europa?
Welche Folgen der Schaden an einem Unterseekabel nach sich zieht, hängt daher eng damit zusammen, wie redundant die Verbindung ausgelegt ist: „Je mehr alternative Land- und Unterseekabel vorhanden sind, um den Verlust der Bandbreite durch eine unterbrochene Verbindung auszugleichen, desto besser ist Chance für einen weiterhin ungehinderten Datenfluss“, erklären Jonas Franken von der TU Darmstadt und seine Kollegen in einem aktuellen Bericht für das EU-Parlament.
Europa gehört zu einem der Hauptknotenpunkte im weltweiten Kommunikationsnetz: Der Kontinent ist über 250 Leitungen mit dem Rest der Welt verbunden, zwei Drittel davon sind Unterseekabel. Für den Datenverkehr mit dem Mittelmeerraum und Asien liegen die wichtigsten Landestationen in Frankreich und Italien. Die meisten transatlantischen Kabelverbindungen der EU enden in Landestationen in Großbritannien und werden über ein gutes Dutzend Kabel über den Ärmelkanal aufs Festland weitergeleitet.
Seit dem Brexit ändert sich dies allerdings: „Die Anlandung neuer Hochleistungskabel an der französischen und dänischen Küste und im spanischen Bilbao zeigen diesen Wandel“, erklären Franken und sein Team. Die EU will die Abhängigkeit von Großbritannien verringern, außerdem verringert die Verteilung der Landestationen auf verschiedene geografische Orte das Risiko für einen simultanen Ausfall.
Flaschenhals am Roten Meer
Gleiches gilt eigentlich auch für die Positionierung der Unterseekabel selbst. Während die lange Westküste Europas eine breitere Verteilung der Transatlantikkabel ermöglicht, ist dies jedoch für die Verbindungen nach Asien und Afrika nur bedingt der Fall: „Der größte Flaschenhals der EU ist die Passage zwischen dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean über das Rote Meer“, erklären Franken und sein Team. „Die Kern-Konnektivität nach Asien läuft über diese Route.“
Die versehentliche Kabelkappung im Jahr 2008 traf genau diesen Flaschenhals, durchtrennte aber glücklicherweise nur zwei der durch diese Region laufenden Interkontinentalkabel. Um künftig solche schiffsbedingte Schäden zu vermeiden, wurden inzwischen 16 der für die EU wichtigen Hauptleitungen im Suezkanalgebiet auf das Ufer verlegt. Das allerdings birgt ein anderes Risiko: Die Interkontinentalkabel liegen auf ägyptischem Territorium. „Für die EU ist es daher entscheidend, gute Beziehungen zu Ägypten aufrechtzuerhalten, um die digitale Konnektivität sicherzustellen“, so Franken.
Doch wie groß ist das Risiko, dass jemand die Unterseekabel absichtlich unterbricht oder zerstört?
Wie zerstört man eine unterseeische Datenleitung?
Infrastruktur im Visier
Wie gefährdet sind die Schlagadern unserer digitalen Kommunikation durch politisch oder terroristisch motivierte Akte? Bisher war den meisten Menschen und auch vielen Behörden kaum bewusst, dass ein Teil unserer kritischen Infrastruktur am Grund der Meere liegt. Erst die Sabotage der Nordstream-Gaspipelines in der Ostsee im September 2022 rückte diese Tatsache in das öffentliche und politische Bewusstsein.
Aus den Augen, aus dem Sinn?
„Teilweise liegt dies daran, dass diese Infrastruktur unsichtbar ist“, erklären Jonas Franken von der TU Darmstadt und seine Kollegen in ihrem Hintergrundbericht für das EU-Parlament. „Es gibt eine generelle Neigung dazu, dem Geschehen auf See wenig Beachtung zu schenken – ein Phänomen, das auch als kollektive Seeblindheit beschrieben wurde.“ Hinzu kommt: Bei den Unterseekabeln hat man sich lange darauf verlassen, dass der größte Teil dieser Leitungen in der Tiefsee verläuft und dass ihre Lage nur grob auf Seekarten vermerkt ist. „Sie gezielt anzugreifen ist daher schwieriger“, so die Forscher.
Im Küstenbereich ist dies jedoch anders: Hier ist der Verlauf der Kabel in Navigationskarten genau dokumentiert, um Unfälle durch Ankerungen und Schleppnetze zu vermeiden. Ein mutwilliger Angriff wäre daher gut planbar und wegen der geringen Wassertiefe vergleichsweise leicht. Andererseits lassen sich Schäden an küstennahen Kabeln relativ schnell und leicht reparieren, während Schäden an Tiefseekabeln deutlich langwieriger, weil komplizierter zu beheben sind. Erst muss der genaue Ort des Schadens gefunden werden und dann bringt ein Tauchroboter die beschädigten Enden des Kabels an die Oberfläche. Dort müssen die einzelnen beschädigten Glasfasern von Hand wieder miteinander verbunden werden – dies kann im Extremfall Wochen dauern.
Durchreißen, Sprengen oder Durchtrennen
Durch welche Mittel sich ein Unterseekabel zerstören lässt, haben Franken und sein Team in ihrem Bericht genauer analysiert. Der einfachste Weg erfordert demnach weder besondere Fähigkeiten noch Technologien: „Man kann einfach ein ziviles Schiff, wie Fischerboote, Frachter, Freizeitjachten oder Forschungsschiffe als Waffe nutzen und das Kabel mit improvisierten Mitteln wie dem Anker oder Schleppeinrichtungen durchtrennen“, so die Wissenschaftler.
Eine zweite Methode wäre die Sprengung durch Minen oder improvisierte, ferngezündete Sprengsätze. „Letztere sind einfach und billig herzustellen“, erklären Franken und seine Kollegen. Zudem benötigen die spröden Glasfasern nur geringe Sprengkraft, um zu brechen. Eine dritte Sabotage-Möglichkeit ist der Einsatz von ferngesteuerten oder bemannten Tauchbooten oder Drohnen. „Diese Technologie ist in der Tauchbranche zunehmend verbreitet und auch kriminelle Organisationen haben solche tauchfähigen Systeme schon für Schmuggeloperationen konstruiert und eingesetzt“, berichten die Forscher. Diese Systeme könnten Sprengsätze platzieren oder das Kabel einfach durchknipsen.
Insgesamt kommen die Experten zu dem Schluss, dass ein Angriff auf Unterseekabel keineswegs nur für das Militär oder andere Organisationen mit spezialisiertem Wissen und Hightech-Ausrüstung möglich ist. „Angriffe auf die Kabel-Infrastruktur können Low-Cost-Operationen sein, die nicht unbedingt High-End-Fähigkeiten erfordern“, erklären sie.
Landestationen als neuralgischer Punkt
Dies gilt umso mehr, wenn man nicht die Unterseekabel selbst angreift, sondern ihre Anlandungsstationen. Diese an den Enden der Unterseekabel liegenden Anlagen sind wichtige Umschaltstellen, in denen der durch die unterseeische Leitung ankommende Datenverkehr in ein oder mehrere landbasierte Backbone-Leitungen übertragen wird. Diese Landestationen sind zwar durch Zäune und Sicherheitsanlagen geschützt, aber dennoch deutlich anfälliger als die unterseeischen Leitungen.
Dieses Risiko zeigte im Jahr 2017 auch ein Report des britischen Thinktanks Policy Exchange auf: „Die Kabel-Landestationen haben oft nur minimalen Schutz, das macht sie anfällig für Terrorismus“, warnte der Abgeordnete und Autor des Berichts Rishi Sunak. Ähnlich sehen es auch Franken und seine Kollegen: „Angriffsszenarien reichen vom einfachen Kappen der Stromversorgung über die Zündung improvisierter Bomben bis zu einem Raketenangriff.“ Hinzu kommt, dass einige Landestationen inzwischen keine menschliche Besatzung mehr haben, sondern nur noch ferngesteuert laufen.
Trotz dieser Szenarien und Risiken: Bisher ist kein gezielter Angriff oder Sabotageakt durch politische kriminelle Akteure auf ein Unterseekabel bekannt. Das aber bedeutet nicht, dass dies auch so bleibt…
…und von wem droht die größte Gefahr?
Was wären die Folgen?
Welche Auswirkungen hätte es, wenn jemand eine oder mehrere Interkontinental-Verbindungen Europas zerstören würde? Und wer sind die möglichen Täter für solche Angriffe auf unsere kritische Infrastruktur? Schneiden sie sich nicht automatisch auch ins eigene Fleisch?
Kabelkappung mit nur begrenzten Auswirkungen
Anders als viele andere Regionen hätte der Ausfall nur eines Unterseekabels für Europa kaum Folgen: „Angesichts der hohen Zahl an Kabeln und der großen Redundanz wäre ein EU-weiter Internet-Blackout höchst unwahrscheinlich“, erklären Jonas Franken von der TU Darmstadt und seine Kollegen. Solange es für die Daten noch ausreichend schnelle alternative Routen gibt, wäre dies vermutlich für Nutzer kaum zu bemerken.
„Allerdings könnte ein koordinierter Angriff auf mehrere Kabel signifikante Störungen verursachen“, so Franken weiter. Denn dann werden die Ausweichrouten knapp und die verfügbare Bandbreite für die interkontinentalen Datenübertragungen sinkt. Denkbar wäre ein solches Szenario beispielsweise, wenn eine Landestation zerstört wird, an der gleich mehrere Unterseekabel enden. Dies ist vor allem bei den Stationen in Großbritannien der Fall, an denen gleich mehrere Transatlantikkabel einlaufen. Aber auch ein Angriff auf die Flaschenhälse im Roten Meer oder in der Straße von Gibraltar haben das Potenzial, gleich mehrere Kabelverbindungen zu kappen.
Ohne die Transatlantikkabel läuft bei uns nichts
Besonders schwerwiegende Auswirkungen hätte es für Europa, wenn die Transatlantikverbindungen unterbrochen werden würden. Das ist zwar aufgrund der großen Zahl der Unterseekabel ein fast unmögliches Szenario, wäre aber verheerend: „Wenn wir in Europa morgen unsere Kabelleitungen in die USA verlieren, dann würde hier das Internet ganz einfach zusammenbrechen“, beschrieb Jean-Luc Vuilemin vom französischen Telekommunikationsunternehmen Orange die Folgen jüngst im SWR. „Ungefähr 80 Prozent des Inhalts, den unsere Nutzer konsumieren, kommen aus den USA.“ Fast alle Programme, Plattformen und Websites der großen US-Tech-Konzerne benötigen trotz regionaler Rechenzentren in Europa auch die Verbindung in die USA.
Für deutlich wahrscheinlicher halten Experten jedoch einen gezielten Angriff auf die Unterseekabel, die wichtige militärische Außenposten der EU mit dem europäischen Festland verbinden. Demnach könnten Angriffe auf Unterseekabel beispielsweise durchgeführt werden, um die Marinebasen in Dschibouti oder Bahrain zu beeinträchtigen, die für aktuelle Marineoperationen im mittleren Osten wie beispielsweise in der Straße von Hormuz entscheidend sind. Aber auch andere Seekabel, die primär vom Militär genutzt werden, könnten Angriffsziele sein.
Ähnlich problematisch wäre es, wenn neben den Kabeln auch die Reparatur-Infrastruktur angegriffen wird. Denn in Europa sind nur vier für die Reparatur von Unterseekabeln ausgelegte Schiffe stationiert – zwei für das Mittelmeer und zwei für den Atlantik. Wenn sie ausfallen, könnte es Tage bis Wochen dauern, bis ein Kabelschaden behoben werden kann.
Gefahr durch Russland?
Doch wer könnte von einem solchen Angriff auf die kritische Kommunikations-Infrastruktur profitieren? Als größte Gefahr gelten Akteure feindlicher oder rivalisierender Länder. Nicht erst seit Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 steht dabei Russland als potenzieller Angreifer ganz oben. Schon 2015 und 2017 sorgte die Präsenz des russischen Schiffs Jantar vor der US-Küste für Spannungen, denn dieses Schiff verfügt über zwei Mini-U-Boote – und damit die Möglichkeit, Unterseekabel aufzuspüren und anzugreifen.
„Wir sehen russische Aktivitäten in der Nähe unserer Unterseekabel, wie wir sie nie zuvor beobachtet haben“, sagte NATO-Admiral Andrew Lennon im Jahr 2017. „Russland hat eindeutig gesteigertes Interesse an der unterseeischen Infrastruktur der NATO und seiner Mitgliedsstaaten.“ Auch in europäischen Gewässern sind in den letzten Jahren vermehrt russische Schiffe in Meeresgebieten mit Unterseekabeln gesichtet worden. 2021 führte ein Mini-U-Boot der Jantar vor der irischen Küste einen Tieftauchversuch durch – zufällig genau dort, wo die Transatlantikkabel AEConnect-1 und Norse entlanglaufen. 2022 führte Russland in diesem Gebiet erneut Marinemanöver durch.
„Russland hat sowohl die nötige Erfahrung als auch ein Interesse daran, unkonventionelle und hybride Methoden der Kriegsführung einzusetzen, darunter auch die Unterbrechung von Kommunikations-Netzwerken“, erklären Franken und seine Kollegen. Während der Annexion der Krim im Jahr 2014 kappte Russland die Hauptkabelverbindung der Krim zur Außenwelt, um so den Fluss von Informationen zu kontrollieren.
… und China?
Allerdings ist Russland nicht der einzige Verdächtige für solche Angriffe auf Unterseekabel. Auch wirtschaftliche Konkurrenten des Westens, allen voran China, könnten von einer Sabotage der digitalen Konnektivität profitieren. Dies gilt vor allem deshalb, weil China in weit geringerem Maße vom globalen Internet abhängig ist als Europa oder die USA. Das Land hat in den letzten Jahren nicht nur massiv in eigene Infrastruktur investiert, sondern auch viele digitale Funktionen und Plattformen aus politischen Gründen vom weltweiten Internet abkoppelt.
„Wenn China morgen früh alle Tiefseekabelleitungen, die das Land mit der Welt verbinden, verlieren würde, dann würde in China rein gar nichts passieren. Vielleicht kriegt ein Börsenhändler in Schanghai eine Herzattacke, weil er sich nicht mehr an der Londoner Börse einloggen kann. Aber für 99,9 Prozent der Chinesen würde sich rein gar nichts verändern“, erklärte Jean-Luc Vuilemin vom französischen Telekommunikationsanbieter Orange kürzlich in SWR2 Wissen.
Die von China ausgehende Gefahr für Unterseekabel und digitale Infrastruktur ist jedoch nach Ansicht der Experten weniger physisch, als vielmehr digital…
Gefahren drohen auch ohne Sprengsätze und Taucher
Manipulation und Spionage
Es geht auch ganz ohne Sprengsätze oder Sabotage: Um den Datenverkehr einer Region oder eines Landes zu stören, zu kontrollieren oder zu belauschen, gibt es deutlich subtilere, digitale Methoden. Sie umfassen die Umleitung des Datenverkehrs, ein Ausspionieren der übertragenen Inhalte durch Hintertüren in der Software oder auch die digitale Blockade eines Unterseekabels.
Strategische Routenplanung
Eine erste Möglichkeit ist die Manipulation des Datenstroms im weltweiten Netz. Weil sich die digitalen Daten selbst ihren Weg suchen, lässt sich ihre Route nicht direkt beeinflussen, wohl aber indirekt. Denn wer dafür sorgt, dass die schnellste Verbindung über sein eigenes Territorium läuft, dem gehen die gewünschten Daten auch ins Netz. Für die Routenplanung zuständig sind meist die Unternehmen, in deren Auftrag die Kabel gelegt werden. Denn die meisten Seekabel gehören nicht einzelnen Staaten, sondern Konsortien mehrerer Telekommunikationsfirmen, die unterschiedlich hohe Anteile an der Leitung und ihren physischen und digitalen Komponenten besitzen.
„Die Kabel-Investoren können den Fluss des globalen Internetverkehrs formen, indem sie die Bandbreite und Verbindungsknoten neuer Unterseekabel entsprechend auswählen“, erklärt Justin Sherman vom US-Thinktank Atlantic Council. „Wenn sich die physische Struktur des Internets ändert, folgen auch die Daten anderen Routen und überqueren die Grenzen anderer Länder.“ Das wiederum gibt diesen Staaten die Möglichkeit, diesen Datenverkehr abzugreifen.
Ein Beispiel dafür ist ein geplantes Unterseekabel zwischen der US-Westküste und Hongkong, an dem US-Unternehmen wie Google und Facebook, aber auch eine in Hongkong basierte Firma beteiligt waren. Im Juni 2020 lehnte die US-Kommunikationsbehörde die Genehmigung für dieses Projekt ab. Der Grund: „Die US-Regierung hatte verstanden, dass dieses Kabel der neuesten Technologie bei Fertigstellung die mit Abstand schnellste Glasfaserverbindung der USA mit dem ganzen asiatischen Großraum darstellt“, erklärt Sherman. Damit würden auch solche Daten durch dieses Kabel nach China fließen, die potenziell sensible Informationen enthalten.
Zugriff über Betreiber und Verlegerfirmen
Wie man an diese Daten herankommt, illustriert das zweite Szenario. Denn sowohl Betreiber als auch Verleger eines Unterseekabels haben die Möglichkeit, den Datenverkehr digital zu manipulieren und abzugreifen. Für Besorgnis unter Experten vor allem in den USA sorgt daher die Beobachtung, dass sich China in den letzten Jahren zunehmend im Geschäft mit den Unterseekabeln engagiert. Nach Angaben von Sherman waren staatlich kontrollierte Unternehmen aus China im Jahr 2021 bereits an 44 Unterseekabeln als Betreiber beteiligt.
Viele dieser Kabel verlaufen außerhalb chinesischer Gewässer und haben nicht einmal eine Landestation in China. Doch über die Steuerungssoftware und andere Komponenten haben Betreiber die Möglichkeit, Daten abzugreifen und sogar den Datenfluss komplett zu unterbinden. Ähnliches gilt für die Firmen, die die Unterseekabel im Auftrag der Betreiber verlegen und warten: Weil sie die Hard- und Software für den Betrieb der Kabel und Verstärkerstationen bereitstellen, können sie theoretisch auch Hintertüren in die Komponenten einbauen, die dann von staatlichen Akteuren genutzt werden.
Im Fokus westlicher Aufmerksamkeit steht dabei besonders das chinesische Unternehmen Huawai Marine, das an der Verlegung und Reparatur zahlreicher Unterseekabel weltweit beteiligt ist. Nach Angaben der US-Kommunikationsbehörde FCC hat die Firma rund ein Viertel aller weltweiten Kabel verlegt oder repariert. Australien hat kürzlich erst ein Kabelprojekt im Südpazifik wegen Sicherheitsbedenken unterbunden, weil Technik und Verlegung durch Huawai Marine erfolgen sollten.
Google, Amazon und Co als neue Akteure
Doch nicht nur staatliche Akteure können über die Unterseekabel Einfluss auf den internationalen Datenverkehr nehmen – gleiches gilt auch für kommerzielle Unternehmen. Schon heute sind rund 60 Prozent aller unterseeischen Glasfaserkabel im Besitz von privaten Konsortien, zunehmend mischen dabei die großen Tech-Konzerne mit komplett eigenen Kabeln mit. So ist Google bereits Betreiber oder Mitbetreiber von zehn Unterseekabeln, Amazon besitzt zwei Kabel und die beiden wichtigsten neuen Transatlantikkabel gehören Microsoft und Facebook.
Alle vier Tech-Unternehmen investieren zunehmend in das Kabelgeschäft – auch um den interkontinentalen Datenverkehr mit ihren Clouddiensten zu erleichtern. Das allerdings bringt neue Abhängigkeiten mit sich, wie auch Daniel Voelsen von der Stiftung Wissenschaft und Politik warnt. „Sie werden sich natürlich nicht damit begnügen, dass sie nur diese Infrastruktur anbieten, sondern sie wollen dann damit auch ihre Services mitverkaufen und können zu einem gewissen Grad auch kontrollieren, wie weit und wie gut andere Unternehmen Zugang zu diesem Netz bekommen können“, erklärte der Experte in SWR2 Wissen.
Was kann man tun?
Das Problem auch: Internationale gesetzliche Regelungen für das Betreiben und Verlegen von Unterseekabeln gibt es kaum. Die wenigen Vorgaben beziehen sich auf technische Standards. Wer wo ein Kabel legt, wird daher größtenteils vom Markt und den Interessen der Investoren und Betreiber bestimmt. Staaten haben zwar Einfluss auf die Kabel in ihren territorialen Gewässern und die Landestationen auf ihrem Territorium und können diese genehmigen oder auch nicht. Darüber hinaus ist der Einfluss aber begrenzt, sofern sie nicht selbst Auftraggeber und Betreiber der Kabel sind.
„Unterseekabel sind ein bedeutender Faktor für den Einfluss von Unternehmen auf die Form, das Verhalten und die Sicherheit des globalen Internets“, konstatiert Justin Sherman. Das sei angesichts eines explosiven Wachstums des Cloudcomputings auch in kritischen Sektoren wie dem Militär, dem Finanzbereich, der Logistik oder dem Gesundheitswesen nicht unbedenklich. „Unterseekabel bilden die Basis der globalen digitalen Interkonnektivität“, so Sherman. Die Sicherheit und Resilienz dieser kritischen Infrastruktur zu stärken, sei daher wichtiger denn je.
Umso wichtiger ist es nach Ansicht von Franken und seinem Team, dass europäische Betreiber und Staaten den Unterseekabeln, ihren Betreibern und den möglichen Bedrohungen dieser Infrastruktur mehr Aufmerksamkeit schenken als bisher. Als mögliche Maßnahmen gegen physische Sabotage schlagen sie vor, die Überwachung verdächtiger Aktivitäten auf See zu verstärken, Landestationen besser zu schützen und stärker darauf zu achten, wem die Unterseekabel gehören, die Europas Zugang zur digitalen Welt prägen.