Was, wenn es einen Kraftstoff gäbe, der klimaneutral ist, sauber verbrennt und trotzdem bezahlbar ist? Dann könnte man weiterhin umweltfreundlich und ohne schlechtes Gewissen mit dem Auto zur Arbeit fahren oder nach Gran Canaria fliegen. Um diesen Traum zu verwirklichen, forschen Wissenschaftler an klimaneutralen Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels. Aber in welchen Bereichen werden die nachhaltigen Kraftstoffe Verwendung finden? Wie werden sie hergestellt? Und sind E-Fuels wirklich nachhaltig?
Um die Klimaschutzziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, müssen fossile Energieträger langfristig durch regenerative ersetzt werden. Das hat auch Folgen für den Verkehrssektor: Autos müssen ohne Diesel oder Benzin auskommen, Flugzeuge ohne Kerosin fliegen und Schiffe ohne Schweröl über das Wasser fahren. Damit die Fortbewegungsmittel trotzdem weiter genutzt werden können, forschen Wissenschaftler seit Jahren an klimaneutralen Kraftstoffen. Doch bis diese im großen Stil im Luftverkehr oder auf der Straße angewandt werden, ist der Weg noch weit.
Wofür braucht man die nachhaltigen Kraftstoffe?
Hoffnungs(energie)träger E-Fuel
E-Fuels können vieles sein. Häufig werden die Begriffe synthetischer Kraftstoff, Power-to-Liquid oder E-Kraftstoff synonym verwendet. Auch wenn es bei den Worten noch definitorische Unklarheiten gibt, haben die E-Kraftstoffe doch eins gemeinsam: Sie sollen klimaneutral hergestellt und als nachhaltiger Treibstoffersatz genutzt werden. Das eröffnet eine breite Palette möglicher Anwendungen für E-Fuels.
Klimaneutral mit dem Auto zur Arbeit?
Beispielsweise wird der Einsatz von E-Fuels im Straßenverkehr heiß diskutiert, denn mit den nachhaltigen Kraftstoffen könnten auch Verbrenner-PKW und -LKW klimaneutral fahren. Dann müssten Autofahrer ihre Wagen auch in Zukunft nicht gegen ein Elektroauto eintauschen. Stattdessen könnten sie mit ihrem geliebten Gefährt weiterhin an der Tankstelle stoppen und dort synthetischen, anstelle von „echtem“ Diesel oder Benzin tanken. Denn rein chemisch sind E-Benzin und E-Diesel ihren fossilen Vorbildern sehr ähnlich – auch sie bestehen aus Kohlenwasserstoffen.
Das bedeutet: Auch die E-Fuels erzeugen beim Verbrennen CO2 und damit Treibhausgas. Doch anders als bei fossilen Kraftstoffen wurde der in ihnen enthaltene Kohlenstoff nicht schon vor Millionen von Jahren chemisch gebunden – er stammt aus dem aktuellen Kohlenstoffkreislauf. Denn das als Rohmaterial für die synthetischen Kraftstoffe genutzte Kohlendioxid kommt mittels CO2-Capture aus der Atmosphäre oder aus Abgasen von Industrieanlagen und Kraftwerken. E -Fuels nutzen die damit diese Treibhausgase sozusagen zwischen. Sie setzen aber nicht mehr CO2 frei, als zuvor in ihre Produktion gesteckt wurde – so die Theorie.
Doch zu technologieoffen?
Leider ist diese Vorstellung bisher eine Illusion. Denn die Herstellung von E-Fuels benötigt aufgrund der energieintensiven Prozessschritte viel Elektrizität – und solange diese nicht komplett aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird, sind auch die E-Fuels nicht klimaneutral. Außerdem verbrauchen mit E-Fuels betriebene Verbrenner-Autos derzeit auf derselben Strecke bis zu fünfmal mehr Energie als die elektrobetriebene Alternative.
Allein aus diesem Grund bewerten viele Experten und selbst die meisten deutschen Autohersteller E-Benzin und E-Diesel als ungeeignet für die Verwendung bei PKWs. Stef Cornelis vom Think Tank T&E sagte dazu: „In einer Zeit, in der Europa seine erneuerbaren Kapazitäten schnell erhöhen muss, um die Gas- und Ölimporte zu verringern und sich in Richtung Energieunabhängigkeit zu bewegen, können wir es uns nicht leisten, große Mengen zusätzlicher erneuerbarer Energie für diese ineffiziente und teure Lösung zu verschwenden.“
Mit E-Fuels durch die Luft und über das Wasser
Da die Herstellung von E-Fuels enorm energieintensiv ist, sollte sich deren Anwendung nach Ansicht von Experten nur auf Technologien konzentrieren, für die es in naher Zukunft keine Alternativen gibt. „Synthetische Kraftstoffe müssen zur Dekarbonisierung derjenigen Sektoren eingesetzt werden, in denen eine direkte Elektrifizierung nicht rentabel ist, wie zum Beispiel im Luftverkehr oder der Schifffahrt”, kommentiert Cornelius. Dort seien sie dann aber fast unersetzbar.
Der Grund, weshalb sowohl Flugzeuge als auch viele Schiffe bisher nur schwer auf die nachhaltigen Kraftstoffe verzichten können: Sie brauchen eine hohe Antriebsleistung bei einem gleichzeitig möglichst platzsparenden Kraftstoff. Beide Fortbewegungsmittel müssen zudem lange Strecken überwinden können, ohne dabei Zwischenstopps zum Tanken oder Aufladen einzulegen.
Wegen ihrer geringen Speicherkapazität sind solar- oder batteriebetriebene Elektromotoren deshalb größtenteils ungeeignet für die metallenen Flieger und auf Langstrecken verkehrenden Schiffe. In Ausnahmefällen gibt es jedoch Alternativen. So hat 2016 das erste viersitzige Wasserstoff-Flugzeug seinen Jungfernflug absolviert und in Norwegen sind bereits mehrere Elektrofähren im Einsatz. Allerdings sind beide Ansätze nur die Kurzstrecken geeignet.
Woraus bestehen die synthetischen Kraftstoffe?
Die Zutaten der E-Fuels
E-Fuels – der Name der synthetischen Kraftstoffe ist fast selbsterklärend: E steht für Elektro, Fuel für Kraftstoff. Für die Herstellung der nachhaltigen Treibstoffe benötigt man Strom, Wasserstoff und CO2. Damit die Herstellung der Kraftstoffe klimaneutral ist, wird das CO2 beispielsweise aus Abgasen oder der Atmosphäre gewonnen, während der Strom für die Produktion meist aus Wind- oder Solarkraft stammt.
Ein Superheld namens Wasserstoff
Den benötigten Wasserstoff gewinnt man in den allermeisten Fällen durch Elektrolyse – dabei wird Wasser durch Einsatz von Strom elektrochemisch in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Für die Produktion von nachhaltigen Kraftstoffen muss auch der Wasserstoff nachhaltig produziert sein, der Strom für die Produktion also aus erneuerbaren Quellen wie Sonne oder Wind kommen.
Doch es gibt auch Methoden, die das Wasser nicht elektrochemisch spalten, sondern nach dem Vorbild der pflanzlichen Photosynthese. Dabei absorbieren spezielle Moleküle die Energie des Sonnenlichts. Molekulare Katalysatoren fördern die chemische Reaktion von Wassermolekülen und CO2, es entsteht Wasserstoff sowie kohlenstoffhaltige Verbindungen oder Kohlenmonoxid. Forschende der University of Cambridge haben nach diesem Prinzip sogar bereits schwimmende Photosynthese-Module entwickelt. Diese folienartigen Solarfabriken eröffnen Einsatzmöglichkeiten auf Seen, in Häfen oder sogar auf dem Meer.
CO2 macht sich nützlich
Das zur E-Fuel-Produktion benötigte CO2 lässt sich durch verschiedene Verfahren gewinnen: Es kann beispielsweise aus den Abgasen von Industrieprozessen abgeschieden werden. Dies hat den doppelten Vorteil, dass die CO2-Emissionen des Kraftwerks oder der Fabrik sinken, während man Kohlendioxid für die E-Fuel-Produktion gewinnt. Auch aus den Abgasen der Biomasseverbrennung oder von Biogasanlagen lässt sich CO2 abscheiden.
In den bisher gängigen Varianten der CO2-Abscheidung wird das Kohlendioxid selektiv durch spezielle Sorptionsmittel gebunden. Ist das Sorptionsmaterial gesättigt, kann das gebundene CO2 durch verschiedene Verfahren von ihm abgetrennt und weitergenutzt werden. Allerdings ist das CO2-Capture bisher nur wenig effizient und die Abtrennung aus dem Sorptionsmittel meist energieaufwendig.
Forschende versuchen deswegen, die Methoden der Wasserstoffgewinnung und CO2-Capture effizienter zu machen und in einen einheitlichen Prozess zu integrieren. Ein Team der ETH Zürich hat kürzlich die beiden Schritte zusammen mit einem weiteren zu einer Solarraffinerie kombiniert, die aus Luft, Licht und Wasser E-Fuels erzeugen kann. Im dritten Schritt produziert die „Sun-to-Liquid“-Anlage auf dem Dach der ETH Zürich die fertigen E-Fuels in einem bereits seit etwa 100 Jahren bekannten Verfahren – der Fischer-Tropsch-Synthese.
Wie funktionieren die Fischer-Tropsch und Methanol-Synthese?
Alte Prozesse neu gedacht
Bei der Fischer-Tropsch-Synthese wird aus den Vorprodukten CO2 und Wasserstoff in einem mehrschrittigen Verfahren E-Fuels wie Rohbenzin, E-Kerosin oder E-Diesel produziert. Diese bestehen aus einem Gemisch verschiedener ketten- und ringförmiger Kohlenwasserstoffe. Um diese Verbindungen aus CO2 herzustellen, müssen die Gasmoleküle über Kohlenstoff-Kohlenstoffbindungen miteinander verknüpft werden.
Fischer-Tropsch-Synthese
Für die Fischer-Tropsch-Synthese von E-Fuels benötigt man zuerst das Vorprodukt Kohlenstoffmonoxid. Um das Gas herzustellen, lässt man Wasserstoff und CO2 bei hohen Temperaturen und hohem Druck reagieren. Es entsteht ein Gasgemisch aus Wasser(dampf) und Kohlenstoffmonoxid – sogenanntes Syngas. Dann führt man das Kohlenmonoxid in einem Reaktor abermals mit Wasserstoff zusammen.
Dort spalten Cobalt- oder Eisen-Katalysatoren die Gase auf – so können neue Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen entstehen. Eine komplexe Abfolge von Reaktionen führt dabei zur schrittweisen Verlängerung der Kohlenwasserstoffketten. Die zugrundeliegenden Reaktionen sind zwar schon seit knapp 100 Jahren bekannt, dennoch haben Chemiker erst kürzlich neue Details aufgedeckt, mit deren Hilfe die Ausbeute noch weiter erhöht werden könnte.
Vom synthetischen Rohöl zum E-Fuel
Je nach Wahl der Katalysatoren, der Reaktionsbedingungen und des Verhältnisses der Anfangsgase entsteht bei der Fischer-Tropsch-Synthese ein Gemisch aus einfachen Kohlenwasserstoffketten verschiedener Länge (Alkane), Ketten mit Doppelbindungen (Alkene), Alkohole, Aldehyden und weiteren Kohlenwasserstoffverbindungen. Sie ähneln darin dem fossilen Erdöl.
Dieses synthetische Rohöl muss anschließend weiter aufbereitet werden, um die spezifische Kohlenwasserstoffmischung von E-Diesel, E-Benzin oder E-Kerosin zu erhalten. Wie beim Raffinieren des fossilen Rohöls sind dafür verschiedene Auftrennschritte mittels Destillation und Kondensation nötig.
Vom Alkohol zum Kraftstoff
Ein anderes, seit langem in der Chemie bekanntes Verfahren zur E-Fuel Produktion ist die Synthese von Methanol (CH3OH).
Der giftige Alkohol ist ein gängiger Grundstoff der chemischen Industrie. Es werden bis zu 110 Millionen Tonnen Methanol jährlich produziert – die Methanol-Produktion ist also ein bekanntes und durch moderne Technik optimiertes Verfahren. Doch während konventionelle Produktionsanlagen für Methanol üblicherweise Erdgas oder Kohle als Ausgangsstoff verwenden, gibt es auch alternative, nachhaltige Wege, den einfachsten aller Alkohole zu produzieren.
Denn Methanol kann ebenfalls aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid erzeugt werden: In einem Synthesereaktor wird das Gasgemisch dafür mit einem Katalysator aus verschiedenen Kupfer-, Eisen- oder Zinkoxiden unter hohem Druck und bei Temperaturen von etwa 250 Grad in Kontakt gebracht. Durch die dabei ablaufenden chemischen Reaktionen entsteht eine Mischung aus etwa drei Vierteln Methanol und einem Viertel Wasser. Um die Flüssigkeiten zu trennen und den kurzkettigen Alkohol zu reinigen, wird das Wasser-Methanol-Gemisch destilliert. Das Methanol kann dann in Reinform weiterverwendet oder in E-Diesel oder E-Kerosin weiterverarbeitet werden.
Wie nachhaltig sind E-Fuels wirklich?
Der ewige CO2-Kreislauf
Auch wenn E-Fuels oft als nachhaltigere Alternative zu fossilen Kraftstoffen beworben werden: Die synthetischen Kraftstoffe können ebenfalls Umweltprobleme mit sich bringen. Ihr hoher Bedarf an Strom und Wasser bringt sie zudem in Konkurrenz zu anderen Technologien und Nutzungen.
Wasserfresser Elektrolyse
Ein Faktor ist das Wasser: Die Umwandlung von Wasser zu Wasserstoff durch Elektrolyse benötigt beachtliche Wassermengen. Das schlägt sich auf den Wasserverbrauch der E-Fuels nieder: Die Produktion von einem Liter E-Kerosin beispielsweise erfordert 3,6 Liter reines Wasser in Trinkwasserqualität. Warum das ein Problem darstellt, erklären Jining Guo von der University of Melbourne und seine Kollegen: „Auf der Mehrheit der Kontinente ist das Potenzial von Solar- und Windenergie in den Gebieten am höchsten, wo Wassermangel herrscht.“ Und gerade in diesen Gebieten benötigt die einheimische Bevölkerung das wenige vorhandene Wasser selbst als Überlebensgrundlage.
Viele Wissenschaftler arbeiten aus diesem Grund bereits an Lösungsansätzen in der Wasserstoffproduktion. Guo und seine Kollegen entwickelten beispielsweise ein solar- oder windbetriebenes System, das Wasserdampf aus der Luft absorbiert und diesen anschließend elektrolytisch in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet. Da die Luftfeuchtigkeit selbst in Wüstengebieten wie der Sahelzone oder am Uluru bei rund 20 Prozent liegt, stellt diese eine überraschend reichhaltige Wasserressource dar: Das System produziert etwa eineinhalb Liter Wasserstoff täglich.
Meerwasser statt Trinkwasser
Auch zahlreiche küstennahe Regionen bergen hohe Solar- oder Wind-Potenziale für die Produktion von Wasserstoff und Synthese-Kraftstoffen – so zum Beispiel Russland, Chile oder Australien. In diesen Gebieten könnte Wasserstoff theoretisch auch durch Meerwasser-Elektrolyse hergestellt werden.
Allerdings vertragen gängige Elektrolyseure kein Salzwasser, da die im Wasser gelösten Salze mit der Zeit die Elektroden zerfressen und blockierende Ablagerungen bilden.
Aus diesem Grund entwickelten Forschende der University of Adelaide einen speziell beschichteten Katalysator, dessen Umhüllung die Elektroden vor den salzinduzierten Schäden bewahrt. Dieses und ähnliche Systeme befinden sich allerdings noch im Forschungsstadium, die Anwendung im größeren Maßstab muss noch getestet werden. Wie lange dies dauern wird, ist unklar.
Die Entsalzung von Meerwasser und anschließende Reinwasserelektrolyse ist ebenfalls nur eine bedingt umweltfreundliche Alternative: Bei der Entsalzung von Meerwasser entstehen Unmengen an giftiger Sole, die mit Chemikalien aus dem Aufbereitungsprozess verunreinigt sind. Da das chemikalienverseuchte salzige Abwasser in den meisten Fällen nach der Entsalzung zurück ins Meer geleitet wird, schadet der Prozess der Umwelt. Nicht nur mache der hohe Salzgehalt und die Hitze des Abwassers das Überleben für umgebende Meerestiere schwer, das Abwasser könne auch für die gesamte Nahrungskette lebenswichtige Mikroorganismen abtöten.
„Die ökologischen Effekte könnten über die ganze Nahrungskette sichtbar werden“, befürchten Edward Jones von der United Nations University und seine Kollegen.
Stromhungrige Produktion
Der enorme Wasserverbrauch bei der E-Fuel und dessen Folgen sind nicht die einzige Hürde auf dem Weg zum nachhaltigen Kraftstoff. Der Herstellungsprozess der E-Fuels ist sehr energieintensiv: Besonders die Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse, aber auch das CO2-Capture und die Synthetisierung des fertigen Kraftstoffes fressen enorme Mengen an Strom. So benötigt die Produktion einer Tonne CO2 durch Direct-Air-Capture etwa tausend Kilowattstunden, die Elektrolyse einer Tonne Wasserstoff rund 40.000 bis 80.000 Kilowattstunden Strom.
Rechnet man diesen Verbrauch auf den Liter E-Fuel auf, ergibt sich ein beachtlicher Stromverbrauch. Um beispielsweise den etwa 300 Kilometer weiten Weg von Berlin nach Hamburg mit dem Auto zurückzulegen, verbrennt man um die 18 Liter E-Diesel. Für die Produktion dieser Menge E-Kraftstoff würden rund 500 Kilowattstunden Strom benötigt – das ist etwa die Strommenge, die drei Quadratmeter an Solarzellen in einem ganzen Jahr erzeugen.
Sonne und Wind braucht man anderswo
Dass der Strombedarf der klimaneutralen Kraftstoffe durch Erneuerbare Energien gedeckt werden muss, stellt ein großes Problem dar: Diese Menge an Strom kann in der Theorie zwar von Solarmodulen oder Windrädern bereitgestellt werden, doch in der Praxis sieht die Sache anders aus – grüner Strom ist knapp.
Selbst ohne die stromfressende Produktion von E-Fuels kann Deutschland seinen Gesamtstrombedarf nicht durch erneuerbare Energien decken – im Jahr 2023 deckten Solarkraft, Windräder und Co. erst knapp 50 Prozent des nationalen Gesamtstromverbrauchs.
Dazu kommt, dass die direkte Nutzung von „grünem“ Strom oft effizienter und für mehr Bereiche geeignet ist als die Verwendung des Stroms für die Wasserstoffgewinnung und E-Fuels, wie Forschende kürzlich herausgefunden haben. Die für die Herstellung von E-Fuels benötigten Energiemengen würden dem Klima über Umwegen also eher Schaden als Nutzen. Außerdem müssten sie in der Realität doch zumindest in Teilen noch aus nicht-erneuerbaren Quellen stammen und würden somit auf indirektem Weg zusätzliches CO2 in die Atmosphäre ausstoßen.
In welchen Ländern lohnt sich die klimafreundliche Kraftstoff-Produktion?
Kraftstoffe aus dem Süden
Wegen des enormen Energieaufwands in der Herstellung lohnt es sich nach Angaben von Experten kaum, die synthetischen Kraftstoffe in Deutschland oder in Gebieten ähnlicher Wetterbedingungen zu produzieren. Hierzulande ist der Platz für Wind- und Solaranlagen zu knapp und die Sonneneinstrahlung auch noch vergleichsweise gering.
Erster globaler Power-to-X-Atlas
2021 erstellten Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE den ersten globalen Power-to-X-Atlas.
Er zeigt auf, wo auf der Welt besonders günstige Bedingungen für die Produktion von grünem Wasserstoff und E-Fuels existieren. Demnach ließen sich außerhalb Europas langfristig mindestens etwa 69.100 Terawattstunden grüner Wasserstoff beziehungsweise 57.000 Terawattstunden synthetische Kraft- und Brennstoffe (Power-to-Liquid) herstellen.
Rechnet man die zur Verfügung stehenden Mengen auf den Anteil Deutschlands an der Weltbevölkerung herunter, stünden für unser Land 770 Terawattstunden Wasserstoff beziehungsweise 640 Terawattstunden E-Fuels zur Verfügung. „Das genügt, um den verbleibenden Brenn- und Kraftstoffbedarf zu decken – vorausgesetzt, Energieeffizienz und direkte Stromnutzung haben jederzeit absoluten Vorrang“, sagt Norman Gerhardt vom IEE.
Allerdings müssen die anderswo produzierten E-Fuels oder der Wasserstoff erst noch zu uns gelangen und das bedeutet einen erheblichen Aufwand für den Transport. Weil E-Fuels jedoch kompakter und energiedichter sind als Wasserstoff, könnte sich für sie der Transport auch über weite Strecken lohnen, sofern die Produktion der synthetischen Kraftstoffe im Ausland entsprechend günstig ist. Einer Studie von 2023 zufolge bieten beispielsweise Brasilien, Kolumbien und Australien besonders gute Bedingungen für den Import von E-Fuels nach Deutschland.
Klimaschutz oder kolonialistische Ausbeutung?
Auch sonnenreiche Gebiete in der Nähe des europäischen Kontinents wären aus den oben genannten Gründen ideale Standorte für die E-Fuel-Produktion. Diese Kriterien erfüllen beispielsweise Nordafrika und der Nahen Osten, die sogenannten MENA-Länder: „Nahezu alle MENA-Länder weisen bedeutende Potenziale auf, um synthetische Kraftstoffe zu geringen Gestehungskosten herzustellen“, erklären Forschende des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.
Doch auch wenn es naheliegend erscheint, zahlreiche Power-to-Liquid-Anlagen in Entwicklungsländern wie den MENA-Staaten zu errichten und die E-Fuels nach Deutschland zu importieren, hat diese Vorgehensweise doch einen Haken: „Große Investitionsprojekte im globalen Süden, um grünen Wasserstoff und andere chemische Grundstoffe für den globalen Norden zu liefern, erinnern an ausbeuterische Wirtschaftsbeziehungen und -praktiken aus der Kolonialzeit und dem Ölzeitalter“, heißt es in einer Studie des Forschungsunternehmens Arepo.
Denn viele Entwicklungsländer benötigen die Anlagen zur Strom- und Kraftstoffgewinnung aus Sonne und Wind eigentlich dringender, um zunächst ihre eigene Wirtschaft zu dekarbonisieren. Schafft man Anreize zum Export von Wasserstoff, E-Fuels und Co., kommt dies zwar uns zugute, aber wahrscheinlich nicht der Bevölkerung vor Ort, wie viele Erfahrungen aus der globalisierten Wirtschaft lehren. Dem könne man nur durch sorgfältige Planung und Reflexion der Zusammenarbeit beikommen, sagen die Arepo-Autoren. Ob dies passiert und die E-Fuel-Produktion so den Kriterien der sozialen Nachhaltigkeit standhält, bleibt abzuwarten.
Was birgt die Zukunft der E-Fuels?
Wohin die Reise geht
Sind E-Fuels also die Kraftstoffe der Zukunft und ein wichtiger Baustein der Energiewende, wie es manche Politiker proklamieren? Oder handelt es sich wegen der zahlreichen Hürden auf dem Weg zum nachhaltigen Kraftstoff doch um ein Nischenprodukt und eine vermutlich nur für kurze Zeit nötige Brückentechnologie?
In einigen Bereichen unverzichtbar
Laut Stef Cornelis, Direktor von T&E Deutschland lohnt sich der Einsatz von E-Fuels nicht, um den Straßenverkehr zu dekarbonisieren. Doch für Flugzeuge und die Schifffahrt seien die Kraftstoffe zukünftig fast unverzichtbar.
Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bewertet die Situation ähnlich: „Flüssige E-Fuels (Power-to-Liquid, PtL) sind unverzichtbar für den Klimaschutz, da in einigen Sektoren und Anwendungen andere Optionen an technische Grenzen stoßen. Große Teile des Flug- und Schiffsverkehrs lassen sich aufgrund der hohen notwendigen Energiedichten nicht direkt elektrifizieren.“
Auch aus diesem Grund führten die EU und Deutschland in den letzten Jahren Richtlinien ein, die eine gesteigerte Nutzung kohlenstoffarmer Kraftstoffe für Flugzeuge und Schiffe vorschreiben. Die Richtlinie FuelEU Maritime beispielsweise verpflichtet größere Schiffe, die an europäischen Häfen anlegen, ihre Treibhausintensität bis 2050 um 80 Prozent zu senken. Deutschland wiederum hat einen minimalen Anteil von zwei Prozent an E-Kerosinen im Gesamtkerosinabsatz beschlossen.
Noch keine E-Fuels an Tankstellen oder Flughäfen
Trotz derartiger Bemühungen sind E-Fuels noch nicht kommerziell verfügbar – weder im Schiffs- und Flugverkehr noch an Tankstellen. Einige Firmen planen allerdings, erste industrielle Anlagen zu errichten.
Die Testanlage „Haru Oni“ in Patagonien in Chile wird derzeit auf die industrielle Produktion ausgeweitet. Sie erzeugt jährlich eine Menge von 130.000 Litern nachhaltiger Kraftstoffe. Bis 2025 soll die Anlage mit 60 Windrädern auf jährlich 55 Millionen Liter E-Benzin und bis 2027 sogar auf über 550 Millionen Liter pro Jahr ausgebaut werden.
Doch derartige Großprojekte sind derzeit noch eine Seltenheit. Noch wird in kleinen Testanlagen vor allem Forschung zur Power-to-Liquid Technologie betrieben. So ist es auch im Energy Lab 2.0 vom Karlsruher Institut für Technologie. Dort stehen neben einer riesigen Photovoltaik-Anlage zur Stromproduktion zahlreiche kleine Container. In diesen synthetisieren die Forschenden Methan oder arbeiten an der Fischer-Tropsch-Synthese. Im Reallabor optimieren sie so den Herstellungsprozess der synthetischen Kraftstoffe.
„Noch lange knapp“
Bis 2035 sind weltweit etwa 60 derartiger Forschungs- und Industrieprojekte geplant. Doch selbst, wenn alle davon tatsächlich realisiert würden – und das ist unwahrscheinlich, da erst ein Prozent dieser Projekte eine gesicherte Finanzierung hat – könnten diese nur zehn Prozent der deutschlandweiten Nachfrage nach E-Fuels decken.
„E-Fuels sind wahrscheinlich noch lange knapp. Selbst wenn der Markthochlauf so schnell passiert wie beim Wachstumschampion Solar-Photovoltaik, würde das globale Angebot in 2035 nicht einmal ausreichen um die unverzichtbaren deutschen Bedarfe für Luftverkehr, Schifffahrt und Chemie zu decken” fasst Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zusammen. Ein zentrales Hindernis für die großflächige Produktion sei die Gewinnunsicherheit der erneuerbaren Kraftstoffe.
Ein teurer Spaß
Weil die synthetischen Kraftstoffe zurzeit noch nicht kommerziell gehandelt werden, lassen sich auch deren zukünftige Marktpreise nur grob schätzen. Und selbst diese Schätzungen gestalten sich schwierig, da der genaue Preis der E-Fuels von verschiedenen Faktoren abhängt: Die Kosten für erneuerbaren Strom beispielsweise variieren je nach Standort. Auch die aktuellen Strommarktpreise, sowie die genutzten CO2-Quellen beeinflussen den Endpreis: CO2 aus Direct-Air-Capture kostet beispielsweise wesentlich mehr als Kohlenstoff aus Industrieabgasen oder Biogas.
Laut einem Paper des Think-Tanks Agora Verkehrswende muss man beim käuflichen Erwerb von E-Kerosin auch langfristig tiefer in die Tasche greifen als beim Kauf seiner fossilen Alternative: Bis 2030 soll sich der E-Treibstoff für etwa 1.900 Euro pro Tonne produzieren lassen. „Somit würden zur Bereitstellung der etwa 200.000 Tonnen E-Kerosin zur Erfüllung der nationalen Power-to-Liquid-Quote im Luftverkehr in Höhe von zwei Prozent in 2030 zusätzliche Kosten in Höhe von über 200 Millionen Euro entstehen“, sagt dazu Ulf Neuling von Agora Verkehrswende. Eine Tonne der klimaschädlichen Treibstoff-Variante kostet hingegen nur etwa 850 Euro – also weniger als die Hälfte.