Eine schrecklich nette Virusfamilie

Herpes: Mehr als nur Ausschlag

Lippenherpes
Herpes tritt unter anderem in Form schmerzhafter Bläschen an den Lippen auf. © somethingway / iStock

Die schmerzhaften Bläschen an den Lippen kennen wohl die meisten von uns. Bei einigen kehren diese lästigen Ekzeme sogar immer wieder, oft in den scheinbar unpassendsten Momenten, und begleiten sie ein Leben lang. Auslöser dieser Erkrankung sind Herpes simplex-Viren, oft schlicht als Herpes bezeichnet.

Doch diese Viren haben eine ganze Reihe Geschwister, die weit weniger bekannt sind, obwohl sie für weit gefährlichere Erkrankungen sorgen können – vom harmlosen Ausschlag bis zum tödlichen Tumor. Welche Viren sind das? Wie nisten sie sich in unseren Körper ein und wann flammen die Herpes-Herde wieder auf? Und wie lässt sich eine Herpes-Infektion verhindern?

Herpesviren bei Mensch und Tier

Die Herpes-Familie

Wer von Herpes spricht, meint damit meist die kleinen Bläschen an der Lippe, die durch das umgangssprachlich gleichnamige Virus verursacht werden. Doch dieses Virus hat über 200 bekannte Verwandte und nahezu ebenso viele Wirte. „Herpesviren wurden in vielen Säugetierarten sowie in Vögeln, Reptilien, Amphibien, Fischen und sogar in Weichtieren nachgewiesen“, sagt Gudrun Wibbelt vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Betroffen sind beispielsweise verschiedene Affenarten, Pferde, Katzen, Hunde und Fledermäuse, aber auch Tauben, Störche, Koi-Karpfen und Schildkröten.

Illustration des Aufbaus eines Herpesvirus
Herpesviren bestehen aus einer Virushülle und einem ikosaedrischen Kapsid, das die virale DNA beinhaltet. © Laboratoires Servier /CC-by 3.0

Humane Herpesviren

Herpesviren sind dabei immer artspezifisch, Artsprünge sind selten und die allermeisten kommen nur bei Tieren vor. Neun dieser Viren sind jedoch an den Menschen angepasst und treten ausschließlich in unserem Körper auf. Dazu gehören neben besagtem Lippenherpes – Herpes simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) – auch sein Namensvetter HSV-2 sowie das Varizella-Zoster-Virus (VZV oder HHV-3), das Epstein-Barr-Virus (EBV oder HHV-4) und das Cytomegalie-Virus (CMV oder HHV-5). Darüber hinaus gehören die Humanen Herpesviren (HHV) 6A, 6B, 7 und 8 dazu. Letzteres wird auch Kaposi-Sarkom-assoziiertes Herpesvirus (KSHV) genannt.

Diese neun Herpesviren befielen schon unsere Vorfahren. Seither haben sie sich über Millionen von Jahren sehr gut an den menschlichen Körper angepasst und sind heute in der Weltbevölkerung weit verbreitet. Jeder Erwachsene trägt eines oder mehrere dieser humanen Herpesviren in sich – und das sein Leben lang. Denn die Viren bleiben nach der ersten Infektion für immer im Körper.

Wie kommt es zur Erstinfektion?

Dass Herpesviren so weit verbreitet sind, liegt an ihrer leichten Übertragung. Die Viren werden vor allem bei direktem Hautkontakt sowie über Speichel, Blut oder andere Körperflüssigkeiten weitergegeben, etwa beim Küssen oder Sex. Über die Schleimhäute des Mundes oder der Genitalien gelangen die Viren dann in unseren Körper.

Doch auch über die Tröpfchen beim Niesen und Husten ist eine Ansteckung möglich. Außerdem könne die Herpesviren über benutzte Textilien wie Handtücher und Servietten oder kontaminiertes Geschirr den Wirt wechseln und ausgehend von bereits Betroffenen weitere Menschen infizieren.

Transmissionselektronenmikroskopie(TEM)-Aufnahme von Herpes simplex Viren
Transmissionselektronenmikroskopie(TEM)-Aufnahme von Herpes simplex Viren. Herpesviren nisten sich in Nervenzellen ein und bleiben dort bis zu ihrer Reaktivierung inaktiv. © CDC/ Dr. Fred Murphy/gemeinfrei

Schlafende Viren

Wir merken allerdings meist nichts von den Herpesviren, weil sie sich nach der ersten Infektion in unseren Nervenzellen einnisten und dort in eine sogenannte latente Phase übergehen. In dieser „schlafenden Phase“ verhalten sich die Viren unauffällig und bilden keine neuen Viruspartikel aus.

In diesem Zustand werden sie nicht mühsam von unserem Immunsystem bekämpft, sondern von diesem mit relativ wenig Aufwand in Schach gehalten. Wir spüren daher auch keine Symptome durch latente Herpesviren. „So kann sich ein Herpesvirus lebenslang im Körper verstecken“, sagt Adam Grundhoff vom Leibniz-Institut für Virologie (LIV) in Hamburg.

Wecker für den Dornröschenschlaf

Es gibt jedoch Situationen, die die latenten Herpesviren wieder aufwecken können. In unserer Wahrnehmung sind das oft die denkbar unpassendsten Momente. Doch diese Situationen treten nicht willkürlich ein, sondern immer dann, wenn unser Immunsystem anderweitig beschäftigt ist. Das kann bei einer bakteriellen Infektion der Fall sein, aber auch bei Stress und starken emotionalen oder körperlichen Belastungen. Deshalb entwickeln wir meist gerade dann die lästigen Lippenbläschen.

„Die häufigsten Anlässe für ein solches Wiederaufflammen sind länger anhaltender Stress, Erkältungen, Schlafmangel, Fieber oder der Menstruationsbeginn“, sagt die Virologin Daniela Huzly vom Universitätsklinikums Freiburg. Zudem können Umweltbelastungen wie Feinstaub und Sonnenlicht, Medikamente und Erkrankungen wie Aids oder genetische Defekte das Immunsystem schwächen. All diese Faktoren können dazu führen, dass Herpesviren reaktiviert werden und durch sie verursachte Erkrankungen erneut aufflammen.

Von Lippenherpes bis Gürtelrose

Wann die lästigen Bläschen gefährlich werden

Die Familie der Herpesviren ist für mehr als 60 verschiedene Krankheitsbilder bei Mensch oder Tier verantwortlich. Einige dieser Infektionen verlaufen tödlich, andere völlig unbemerkt. Am häufigsten treten dabei bläschenförmige Hauterkrankungen auf.

Lippenherpes
Die bekannteste Herpesform ist Lippenherpes (Herpes labialis). © Metju12/gemeinfrei

Häufige, aber harmlose Hautausschläge

Die wohl bekannteste Form einer Herpeserkrankung bei Menschen ist Lippenherpes. Dabei verursachen HSV-1-Viren entzündliche Bläschen an und um die Lippen, gelegentlich auch im Intimbereich. Die Bläschen sind zwar schmerzhaft und jucken teils, sind aber in der Regel nicht gefährlich. Sie heilen unbehandelt nach sieben bis zehn Tagen wieder ab.

Ähnliche Hautausschläge verursachen die HSV-2-Viren, allerdings seltener am Mund, stattdessen häufiger an den Schleimhäuten im Genitalbereich. „Dieser Infektionsweg ist oft mit besonders unangenehmen und hartnäckigen Beschwerden verbunden“, erklärt der Virologe Hartmut Hengel vom Universitätsklinikum Freiburg.

Die typischen Ekzeme an Lippen oder Genitalien treten bei knapp 40 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben auf. Sie zählen damit in Deutschland zu den häufigsten Erkrankungen der Haut. In selteneren Fällen infizieren diese beiden Herpes-simplex-Viren auch die Hornhaut des Auges oder das Gehirn. Meist verläuft die Infektion aber komplett symptomlos. So kommt es, dass nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO rund zwei Drittel der Menschen weltweit das HSV-1-Virus in sich haben, teils jedoch ohne es zu wissen.

Kind mit Windpocken am ganzen Körper
Kind mit Windpocken am ganzen Körper. Der Ausschlag tritt nach einer Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus auf. © ArtMarie / iStock

Ein Virus, zwei Formen: Windpocken und Gürtelrose

Für zwei andere weltweit gängige Hauterkrankungen beim Menschen ist das Varizella-Zoster-Virus (VZV) verantwortlich: Windpocken und Gürtelrose. Beide Infektionen sind ebenfalls von bläschenartigen Pusteln geprägt. Diese auch Varizellen beziehungsweise Herpes Zoster genannten Ausschläge stellen zwei Formen derselben Erkrankung dar. Bei der Erstinfektion mit dem Virus, in der Regel im Kindesalter, kommt es zu Windpocken am ganzen Körper, die vor allem jucken, aber ansonsten meist harmlos sind.

Gefährlich werden die Varizella-Viren jedoch, wenn die erste Infektion in der Schwangerschaft oder bei Neugeborenen erfolgt. Dann kann dies für das ungeborene oder neugeborene Kind tödlich enden.

Mann mit Gürtelrose am Rumpf
Mann mit Gürtelrose am Rumpf. Der Ausschlag tritt nach einer Reaktivierung von Varizella-Zoster-Viren auf. © PonyWang / iStock

Wenn die nach der Erstinfektion latent in Körper schlummernden Herpesviren in höherem Alter reaktiviert werden, verändert sich das Erscheinungsbild dieser Herpesinfektion. Es kommt dann zu Gürtelrose. Diese meist jenseits der 50 auftretende Krankheit äußert sich vor allem durch Nervenschmerzen, gefolgt von einem bläschenartigen Ausschlag am Rumpf, seltener auch am Kopf und an den Beinen. Während der Ausschlag relativ schnell wieder abheilt, können die Schmerzen noch monate- oder gar jahrelang bestehen.

Impfung schützt

Das Varizella-Zoster-Virus ist bislang das einzige Herpesvirus, gegen das es eine Impfung gibt. In Deutschland wird die Varizellen-Impfung für alle Kinder und Jugendlichen empfohlen. Sie schützt nicht nur vor Windpocken, sondern auch vor Gürtelrose. Zudem gibt es eine Herpes-zoster-Impfung, die für Menschen ab 60 Jahren empfohlen wird, selbst wenn sie bereits Windpocken hatten. Sie verhindert dann das Wiederaufflammen der Herpesviren als Gürtelrose.

Tumore durch Epstein-Barr-Virus und Co

Herpes und Krebs

Elektronenmikroskopieaufnahme, die drei rot eingefärbte Partikel des Epstein-Barr-Virus (EBV) zeigt
Eine Elektronenmikroskopie-Aufnahme, die drei rot eingefärbte Partikel des Epstein-Barr-Virus (EBV) zeigt. Dieses Herpesvirus kann Pfeiffersches Drüsenfieber und Tumore auslösen. © NIAID/CC-by 2.0

Herpes ist zwar landläufig ein Synonym für Lippenbläschen und Ausschläge. Doch Herpesviren können noch ganz andere Erkrankungen verursachen. Das Epstein-Barr-Virus (EBV) kann bei Erstkontakt beispielsweise Pfeiffersches Drüsenfieber auslösen. Bei Kindern verläuft diese Herpes-Erkrankung meist mild, bei Jugendlichen und Erwachsenen hingegen mit ausgeprägtem Fieber sowie Kopf-, Glieder- und Halsschmerzen.

Darüber hinaus kann EBV bei Reaktivierung verschiedene Krebsarten verursachen, darunter Tumore im Nasen-Rachen-Raum und Magen sowie verschiedene Lymphome. Ein Großteil aller Menschen trägt das Epstein-Barr-Virus in sich, meist jedoch ohne Symptome zu entwickeln oder etwas davon zu merken.

Krebstreiber Cytomegalie-Virus

Ebenfalls eines der am weitesten verbreiteten Herpesviren ist das Cytomegalie-Virus (CMV), mit dem 40 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland infiziert sind. Die CMV-Erstinfektion verläuft in der Regel harmlos und ohne Symptome. Bei Ungeborenen kann dieses Herpesvirus aber auch Fehlbildungen wie Hörschäden oder eine Schädelfehlbildung verursachen, wie sie auch nach einer Zika-Infektion im Mutterleib auftreten kann. Im Alter kann das Cytomegalie-Virus zudem zu einer Immunschwäche führen.

Lange wurde außerdem angenommen, dass CMV Hirntumore auslöst. Das ist neueren Untersuchungen zufolge jedoch wahrscheinlich nicht der Fall. Allerdings kann das Virus eine bestehende Krebserkrankung verschlimmern. Denn das Cytomegalie-Virus regt nachweislich das Wachstum von Krebszellen an. „Zum einen bilden Tumorzellen, die mit dem Virus infiziert sind, mehr und schneller Metastasen aus als nicht infizierte Zellen“, erklärt Jindrich Cinatl vom Interdisziplinären Laboratorium für Tumor- und Virusforschung in Frankfurt. Zweitens seien infizierte Tumorzellen wesentlich unempfindlicher und sprechen schlechter auf Chemotherapeutika an.

Kaposi-Sarkom auf der Haut eines Aids-Patienten
Kaposi-Sarkom auf der Haut eines Aids-Patienten. © National Cancer Institute, AV-8500-3620/gemeinfrei

Kaposi-Sarkom durch Herpesviren

Tumore können bei Menschen mit schwachem Immunsystem auch infolge einer Infektion mit dem Kaposi-Sarkom-assoziierten Herpesvirus (KSHV oder HHV-8) auftreten, darunter das namensgebende und oft tödliche Kaposi-Sarkom. Diese Krebsart wurde vor allem im Rahmen der Aids-Pandemie bekannt, weil viele immungeschwächte HIV-Patienten daran erkranken. Typisch dafür sind dunkle Flecken – sogenannte Läsionen – auf der Haut und den inneren Organen.

Zudem lässt dieses Herpesvirus ähnlich wie das Cytomegalie-Virus die Tumore schneller wachsen. In Europa kommt das Virus bei etwa zehn Prozent der Bevölkerung vor, in Afrika wegen der höheren HIV-Infektionszahlen bei bis zu 40 Prozent.

Herpesviren als Anti-Krebs-Mittel?

Doch Herpesviren können uns nicht nur krank machen, sondern künftig möglicherweise auch wieder gesund: Forschende haben die DNA des Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) gentechnisch so verändert, dass sich das Virus als Waffe gegen Krebs nutzen lassen könnte. „Die genetische Veränderung sorgt dafür, dass unsere Viren, die wir direkt in den Tumor injizieren, nur in Krebszellen eindringen und nicht in gesunde“, erklärt Susanne Bailer vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart.

„Dort vermehren sie sich und bringen die Zellen zum Platzen.“ Infolgedessen wird auch das körpereigene Immunsystem gegen den Tumor aktiv. Diese experimentelle Technologie ist jedoch noch nicht für die Therapie zugelassen und muss zunächst weiter erforscht werden.

Alzheimer, Long Covid und andere mögliche Herpes-Spätfolgen

Herpesviren unter Generalverdacht?

Neben den lästigen Bläschen, den Fieber- und den Tumor-Erkrankungen, die nachweislich durch Herpes hervorgerufen werden, stehen Herpesviren auch im Verdacht, viele weitere Krankheiten mitzuverursachen. Hinweise darauf liefert das gleichzeitige Auftreten von Herpesviren und Krankheitsmarkern im Blut bei diesen Erkrankungen.

Zu den eher harmlosen zählt dabei die schuppig-fleckige Hauterkrankung Röschenflechte, die vor allem den Rumpf sowie Oberarme und Schenkel betrifft. Vermutungen zufolge tritt der rosafarbene Hautausschlag auf, wenn Herpesviren der Sorte HHV-6 oder HHV-7 reaktiviert werden. Er heilt jedoch meist nach acht Wochen ab.

Illustration von Demenz
Einige Herpesviren stehen im Verdacht, an der Entstehung von Alzheimer-Demenz beteiligt zu sein. © peterschreiber.media / iStock

Alzheimer durch Herpesviren

Schwerer wiegt der Verdacht, dass Herpes auch zu Alzheimer-Demenz führen könnte. Genauer gesagt: eine Kombination aus einem Herpes-simplex-Virus und dem Varizella-Zoster-Virus. Kommen diese beiden Erreger von Lippenherpes und Windpocken im Gehirn zusammen und werden dort reaktiviert, kann dies die Alzheimer-typischen Proteinablagerungen anstoßen, legen Studien nahe.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Varizella-Infektion Entzündungssignale im Gehirn verursacht, die dann wiederum Herpes simplex aufwecken“, erklärt Dana Carins von der Tufts University in Massachusetts. „Es ist ein Doppelschlag durch zwei Viren, die sehr häufig, aber allein betrachtet meist harmlos sind. Aber wenn sie zusammentreffen, kann dies Probleme verursachen.“

Doch auch das Herpes-simplex-Virus allein verdoppelt schon das Demenz-Risiko, wie Forscher kürzlich herausfanden. „Es tauchen immer mehr Studien auf, die darauf hinweisen, dass das Herpes-simplex-Virus ein Risikofaktor für Demenz ist“, sagt Erika Vestin von der Universität Uppsala. (doi: 10.3233/JAD-230718)

Symbolbild Long Covid: junge Frau mit Atemnot und Erschöpfung
Vermutungen zufolge gehen einige Long-Covid-Symptome auf eine Reaktivierung von Herpesviren zurück. © Yurii Yarema / iStock

Führt Herpes zu Long Covid?

Die Herpesviren HHV-6 und Epstein-Barr stehen darüber hinaus im Verdacht, bei einer Corona-Infektion mit dem Sars-CoV-2-Virus reaktiviert zu werden. Sie gelten daher als mögliche Verursacher von schweren Covid-19- und Long-Covid-Symptomen. „Wir haben beobachtet, dass viele der mit Long Covid verknüpften Symptome denen sehr ähneln, die bei einer Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus auftreten können“, erklären die Forscher um Jeffrey Gold von der World Organization in den USA.

Zu diesen gehören Fatigue, Schlafstörungen, Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen, Fieber, Hautauschläge, aber auch neurologische Störungen. „Am häufigsten klagten die Patienten mit Long Covid und aktivem EBV unter Erschöpfung, Kopfschmerzen, Muskelschwäche und Verwirrung“, berichten Gold und sein Team.

Ein „Superschurke“ namens HHV-6?

Jüngeren Studien zufolge steht HHV-6 zudem im Verdacht, nach seiner Reaktivierung zahlreiche weitere Krankheiten auszulösen oder mitzuverursachen. Auf der Liste der potenziellen Spätfolgen durch dieses Herpesvirus stehen neben der Röschenflechte und Long Covid auch das Chronische Fatigue-Syndrom, Schizophrenie, Bipolare Störungen sowie Störungen des Herz-Kreislauf- und des Nervensystems.

Multiple Sklerose (MS) könnte ebenfalls auf das Konto des „Superschurken“ HHV-6 gehen, aber auch das Epstein-Barr-Virus und Retroviren gelten als mögliche MS-Auslöser. Diese Verdachtsfälle zeigen, dass trotz ihres nahezu allgegenwärtigen Auftretens noch viele Fragen zu Herpesviren offen sind. Für Forscher stellt sich dabei jedoch nicht nur die Frage, ob diese Viren bestimmte Krankheiten auslösen, sondern auch, wie sich dies verhindern lässt.

Woran arbeiten Herpes-Forscher?

Hilfe gegen Herpes

Herpesviren sind sehr ansteckend und eine Infektion nur schwer zu verhindern, weil sie nicht immer erkennbar ist. Dennoch gibt es einige Hilfsmittel gegen Herpes. Bei sichtbaren Bläschen ist vor allem Hygiene wichtig, um Schmierinfektionen zu vermeiden. Betroffene sollten die Stellen nicht aufkratzen, regelmäßig Hände waschen und keine anderen Menschen berühren. Küssen und Sex sollten vermieden werden.

Frau trägt mit einem Wattestäbchen Salbe auf ein Herpes-Bläschen an der Nase auf
Gegen einige, aber nicht alle Herpesviren gibt es Salben und Tabletten mit antiviralen Wirkstoffen. © Andrii Medvediuk / iStock

Herpes-Medikamente 2.0

Gegen einzelne Herpesviren – vor allem Herpes-simplex- und Varizella-Zoster-Viren – gibt es auch Tabletten und Cremes. Diese Virostatika können zwar die Vermehrung der Viren hemmen und dadurch die Symptome lindern und die Dauer des Ausbruchs begrenzen. Sie können die Viren jedoch nicht vollständig aus dem Körper eliminieren. Für andere Herpesviren fehlen wirksame Medikamente bisher.

Forscher arbeiten daher an neuen Wirkstoffen. Diese sollen die Vermehrung aller Herpesviren effektiv verhindern, indem sie grundsätzliche und universelle Mechanismen der humanen Herpesviren angreifen. Einige Ansätze setzen dabei darauf, das Ablesen der Virus-DNA und damit die Reaktivierung der Viren zu verhindern. Ein anderer Ansatz ist, den Zusammenbau der Virusbestandteile zu funktionsfähigen Viruspartikel zu verhindern. Eine neuere Technik setzt wiederum darauf, mit molekularen Attrappen die Viren am Eintritt in Nachbarzellen zu hindern (doi: 10.1002/anie.202309838).

Gentherapie gegen Herpes?

Wieder andere Forschungsgruppen arbeiten daran, die Virus-DNA zu sabotieren, indem sie mit der Genschere CRISPR/Cas9 gezielt schädliche Mutationen ins Virenerbgut einschleusen. Dadurch können sich die Viren ebenfalls nicht mehr vermehren und nicht reaktiviert werden.

Ähnlich funktioniert eine experimentelle Gentherapie, die derzeit an Tieren erforscht wird. „Wir verwenden ein Meganuklease-Enzym, das an zwei verschiedenen Stellen in die DNA des Herpesvirus schneidet“, erklärt Martine Aubert vom Fred Hutch Cancer Center in Seattle. „Diese Schnitte schädigen das Virus so sehr, dass es sich nicht selbst reparieren kann. Dann erkennen die körpereigenen Reparatursysteme die beschädigte DNA als fremd und beseitigen sie.“ Sollte dieser Ansatz sich in klinischen Studien bewähren, würden dadurch erstmals Herpesviren wieder aus unserem Körper entfernt (doi: 10.1038/s41467-024-47940-y).

Impfstoffe gegen EBV im Test

Eine Forschungsgruppe des Start-Ups EBViously arbeitet derweil an einem Impfstoff gegen das Epstein-Barr-Virus (EBV). Er basiert auf leeren Virushüllen ohne viraler DNA und hat in Tierversuchen bereits für eine Immunantwort gesorgt. Das neuartige Vakzin soll noch 2024 in klinischen Studien erprobt werden.

Einen weiteren Impfstoff-Kandidaten gegen EBV testen die National Institutes of Health bereits seit rund zwei Jahren in einer laufenden klinischen Studie. Das Vakzin besteht aus Nanopartikeln, die ein Oberflächenprotein des Virus enthalten. Sollte einer dieser experimentellen Impfstoffe sich als sicher und wirksam erweisen, wäre es nach dem Varizella-Zoster-Virus erst die zweite Impfung gegen ein humanes Herpesvirus. Das könnte viel Leid ersparen.