Wofür unser Körper gemacht ist – und wofür nicht

Blaupause Mensch

Blaupause Mensch
Wozu ist unser Körper gemacht? © VladS/ iStock

Der Körper jedes Lebewesens hat sich im Laufe der Evolution nahezu perfekt an seine Umwelt und Lebensweise angepasst. So sind Fische zum Beispiel zum Schwimmen „gebaut“, Affen zum Klettern und Vögel zum Fliegen. Welchen Zweck aber sollte das Körperdesign von uns Menschen erfüllen, als es vor rund 300.000 Jahren entstanden ist? Und warum sorgt es in unserer modernen Welt für Probleme?

Bei Diskussionen um einen gesunden Lebensstil fallen häufig Sätze wie: „Der Körper ist nicht dafür gemacht, acht Stunden vor einem Bildschirm zu sitzen“. Aber wofür ist unser Körper gemacht? Das „Design“ unserer Anatomie ist schließlich nicht zufällig entstanden, sondern sollte unseren frühen Vorfahren bestmöglich zum Überleben verhelfen. Auf Spurensuche in unserer eigenen Anatomie.

Von einer Gabe, die uns zum Spitzenjäger machte

Geboren um zu laufen

Ein kleines Gedankenspiel: Falls eines fernen Tages eine intelligente Spezies die Überreste der menschlichen Zivilisation ausgräbt und dabei auf unsere fossilen Knochen stößt, welche Rückschlüsse würde sie aus deren Anatomie ziehen? Unser großer Schädelraum würde sie wahrscheinlich vermuten lassen, dass wir recht intelligent waren, unsere Zähne, dass wir Nahrung gründlich zerkauten, und unsere Hüfte, dass wir aufrecht gingen.

Besonderes Interesse würden aber auch unsere langen Beine mit den verhältnismäßig kurzen Achilles-Sehnen erregen. Aus ihnen würde die forschende Spezies schließen: Dieses Wesen war geboren, um zu laufen.

Joggen
Wir sind geborene Marathonläufer. © warrengoldswain/ iStock

Unsere Vergangenheit als Hetzjäger

Wir sind zwar nicht die schnellsten Läufer im Tierreich – gegen einen Sprint-Experten wie den Geparden hätten wir keine Chance – , dafür aber die ausdauerndsten. Archäologen gehen davon aus, dass unsere Vorfahren einst fast jedes Beutetier zu Tode hetzen konnten, darunter Zebras, Antilopen und Wildpferde. Aber wie?

„Viele Teile unserer Anatomie – von unseren Zehenspitzen bis zum Kopf – sind speziell darauf ausgerichtet, uns zu guten Läufern zu machen. Unser sogenanntes Nackenband hilft unserem Kopf dabei, nicht ständig nach vorn zu kippen. Unsere flachen Gesichter und unsere Zähne, die sich relativ weit hinten in unserem Kopf befinden, helfen auch dabei, beim Laufen einen guten Körperschwerpunkt zu behalten“, erklärt Vybarr Cregan-Reid von der University of Kent gegenüber „National Geographic“.

Schwitzen als Gabe

Greg Watry von der University of California, Davis, ergänzt einen weiteren entscheidenden Faktor: „Die Muskeln, die für unsere Fortbewegung zuständig sind, werden von langsam zuckenden, ermüdungsresistenten Fasern dominiert.“ Diese auch als Typ I bekannten Muskelfasern enthalten besonders viele Blutgefäße und Mitochondrien sowie das Muskelprotein Myoglobin. Dadurch können die Fasern Sauerstoff besonders effizient zur Energiegewinnung nutzen und uns Ausdauer verleihen.

Schwitzen
Unsere Fähigkeit zu schwitzen macht uns noch ausdauernder. © Viktor_Gladkov/ iStock

Doch all diese Anpassungen wären längst nicht so effektiv, besäßen wir nicht eine entscheidende Superkraft: Schweiß. Wir Menschen gehören zu den wenigen Tieren, die schwitzen und dadurch Wärme ableiten können. Diese eingebaute Kühlanlage arbeitet durch unseren aufrechten Gang sogar noch effizienter.

„Weil wir auf zwei Beinen und Füßen laufen, sind nur 40 Prozent unseres Körpers der Mittagssonne ausgesetzt. Bei den meisten anderen Säugetieren sind es 70 Prozent. Dadurch können wir unsere Körpertemperatur besser kühl halten“, erklärt Cregan-Reid. Während die Antilope nach stundenlanger Verfolgungsjagd irgendwann überhitzt und erschöpft in sich zusammenbricht, sind wir noch fit.

Wenn Faulenzen krank macht

Segen und Fluch zugleich

Warum aber sind ausgerechnet wir Menschen mit der evolutionären und anatomischen Gabe für Marathonläufe gesegnet? Welche Vorteile hatte dies für unsere Vorfahren – und welche Folgen hat es für uns heute?

Urmenschen
Mit der Entwicklung des aufrechten Gangs begann auch unsere Laufkarriere. © ratpack223/ iStock

Aufrechter Gang als Auslöser

Der Grundstein dafür wurde wahrscheinlich gelegt, als unsere Vorfahren ihr Leben auf zwei Beinen begannen. „Als die Homininen anatomische Veränderungen entwickelten, die den aufrechten Gang erleichterten, konnten sie mit weniger Kalorien größere Strecken zurücklegen und so neue Lebensräume erschließen“, erklärt Herman Pontzer von der Duke University im „Scientific American“.

„Mit dem Aufkommen der Jagd stieg das Aktivitätsniveau der Homininen weiter an, da sie auf der Suche nach Nahrung weite Strecken zurücklegen mussten“, so Pontzer weiter. „Jäger und Sammler sind bemerkenswert aktiv und legen in der Regel neun bis 14 Kilometer pro Tag zu Fuß zurück – etwa 12.000 bis 18.000 Schritte.“ Die tansanischen Hadza, die heute noch als Jäger und Sammler leben, bewegen sich dadurch an einem einzigen Tag mehr als der durchschnittliche US-Amerikaner in einer kompletten Woche.

Wer rastet, der rostet – tatsächlich

Doch unser Körper ist nicht einfach nur zu einer körperlich aktiven Lebensweise fähig: Er braucht sie sogar, um gesund zu bleiben. Bewegung setzt hunderte Signalmoleküle in unserem Körper frei und reduziert dadurch chronische Entzündungen, stärkt unser Immunsystem, verringert das Krebsrisiko und vieles mehr. Bewegen wir uns zu wenig, macht uns das anfälliger für allerlei gesundheitliche Probleme: von Rückenschmerzen bis hin zu lebensbedrohlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Bürojob
Bewegungsmangel – zum Beispiel in der Form von Bürojobs – schadet unserem Körper. © Cecilie_Arcurs/ iStock

Jährlich gehen in unserer zunehmend trägen Welt daher rund fünf Millionen Todesfälle auf das Konto von Bewegungsmangel. Zum Vergleich: Rauchen tötet jedes Jahr über 7,5 Millionen Menschen. Wie verheerend es sein kann, unseren Körper nicht zu seinem wahren Zweck zu benutzen, zeigt auch eine Studie an australischen Erwachsenen. Diese ergab, dass jede Stunde vor dem Fernseher die eigene Lebenserwartung um 22 Minuten verkürzt. Wer also alle 63,5 Stunden Game of Thrones geschaut hat, hat dadurch einen Tag seines Lebens eingebüßt.

Affen haben’s gut

Jener ausdauernde Körper, der unsere Vorfahren vor 100.000 Jahren zum Spitzenjäger machte, wird uns also allmählich zum Verhängnis. „Wir werden krank, weil unsere alte Biologie nicht der modernen Lebensweise entspricht. Ich nenne das gerne die ‚Evolutionsfalle‘“, sagt der deutsche Pharmakologe Detlev Ganten im Interview mit „Der Standard“.

Schimpanse
Für unsere nächsten Verwandten ist Faulenzen hingegen überhaupt kein Problem. © guenterguni/ Getty Images

Interessanterweise haben mit uns eng verwandte Menschenaffen wie Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans solche Probleme nicht. Ohne die Entwicklung des aufrechten Gangs blieb ihnen offenbar auch die Pflicht zur intensiven Bewegung erspart. Sie können daher bedenkenlos acht bis zehn Stunden am Tag mit Ausruhen, Körperpflege und Fressen verbringen, nur um dann neun bis zehn Stunden zu schlafen. „Der typische Tagesablauf eines Schimpansen in freier Wildbahn ähnelt dem eines lethargischen Rentners auf einer Karibikkreuzfahrt, allerdings mit weniger organisierten Aktivitäten“, beschreibt es Pontzer.

Trotzdem steigt bei Schimpansen der Blutdruck nicht mit dem Alter an, Diabetes ist selten und trotz hoher Cholesterinwerte verhärten und verstopfen ihre Arterien nicht. Das Geheimnis dieser „Faulheitstoleranz“ ist bislang erst in Teilen verstanden, liegt aber wahrscheinlich in den Genen unserer nächsten Verwandten verborgen.

Sollten wir so essen wie unsere Vorfahren?

Die richtige Ernährung

Unser angeborenes Lauftalent wird zwar von den wenigsten Menschen voll ausgeschöpft, ein anderes Erbe aus der Steinzeit dagegen schon: die Gelüste nach Zucker und Fett. Zwar waren unsere Vorfahren geübte Jäger, doch auch sie konnten nicht immer wissen, wann sie das nächste Mal etwas essen würden. Die beste Vorsorge lag somit darin, pro Mahlzeit möglichst viele Kalorien zu sich zu nehmen – und die liefern Fett und Kohlenhydrate.

Supermarkt
Kalorien im Überfluss machen immer mehr Menschen stark übergewichtig. © Moyo Studio/ iStock

Es ist daher kein Zufall, dass der Geschmack von Süßem und Fettigem in unserem Kopf bis heute eine starke Belohnungsreaktion auslöst: Das intensive Wohlgefühl durch Süßigkeiten oder Junkfood sorgte bei unseren Vorfahren dafür, dass sie jede sich bietende Gelegenheit zum Snacken auch nutzten – ob durch süße Beeren und Obst oder gehaltvolle Jagdbeute. „Süß signalisiert uns: Dieses Lebensmittel enthält wertvolle Kalorien“, erklärt Maik Behrens vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung.

In einer Welt der prall gefüllten Supermärkte und Lieferdienste wird dieser steinzeitliche Mechanismus jedoch zunehmend zum Problem. Denn wo es Kalorien im Überfluss gibt, landen diese häufig auch in ebenso großen Mengen im Magen. Die Folge: Mittlerweile sind mehr als eine Milliarde Menschen weltweit stark übergewichtig. Damit einher gehen zahlreiche gesundheitliche Probleme wie Diabetes, Herz-Kreiskauf-Erkrankungen und Arthrose. „Übergewicht ist damit eine der größten Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit unserer Zeit“, sagt Ashkan Afshin von der University of Washington.

Für welche Ernährung ist unser Körper gemacht?

Könnte es an dieser Stelle helfen, uns wieder auf unsere Wurzeln zu besinnen und nur noch das zu essen, wofür unser Körper ursprünglich ausgelegt war? Anatomisch betrachtet haben wir tatsächlich überraschend viel mit Pflanzenfressern gemeinsam. Dazu gehören zum Beispiel ein Gebiss mit Mahlzähnen und ein langer, gewundener Darm, wie ihn auch Kühe und Pferde aufweisen. Auch können wir anders als reine Fleischfresser wie Katzen oder Wölfe kein eigenes Vitamin C herstellen, sondern sind darauf angewiesen, es aus pflanzlicher Nahrung zu beziehen.

Obst und Gemüse
Eigentlich ist unser Körper hauptsächlich für pflanzliche Nahrung ausgelegt. © AlexRaths/ Getty Images

Diese Anpassungen stehen auch in Einklang mit dem, was unsere früheren Vorfahren gegessen haben: „In unseren wirklich prägenden Jahren, man könnte sagen, in den ersten 90 Prozent unserer Existenz, spiegelten unsere Ernährungsbedürfnisse eine Zeit wider, in der wir hauptsächlich Blätter, Blüten und Früchte aßen und dank wurmstichiger Äpfel auch ein paar Insekten, um unser Vitamin B12 zu bekommen“, erklärt der US-amerikanische Arzt Michael Greger.

Auch abseits von versehentlich gegessenen Insekten ist unser Körper dazu in der Lage, Fleisch zu verwerten, aber rein anatomisch betrachtet ist er eben nicht für so große Mengen ausgelegt wie etwa der eines Hundes. Für Evolutionsbiologen ist der Mensch rein von seiner Anatomie her eher ein unspezialisierter Fruchtfresser (Frugivore), der sich flexibel von Samen und Fleisch ernähren kann.

Steinzeit ist nicht gleich Steinzeit

Wer so leben will, wie es am besten zum Design seines Körpers passt, sollte sich daher am ehesten vorrangig pflanzlich ernähren. Doch der Ansatz vieler Menschen, die zu ihren Wurzeln zurückkehren wollen, ist ein ganz anderer. Sie wollen stattdessen so essen, wie es die Menschen in der Steinzeit getan haben, als sie noch als Jäger und Sammler lebten.

Zu den Must-Haves einer sogenannten „Paleo-Diät“ gehören häufig Fleisch und Fisch sowie Obst und Gemüse, während stark raffinierte und verarbeitete Lebensmittel tabu sind – ebenso wie Getreide, Hülsenfrüchte, Kartoffeln und Milchprodukte. Doch selbst jemand, der sich strikt nach diesen Vorgaben ernährt, isst damit immer noch nicht zwingend wie „die“ Menschen der Steinzeit.

Schließlich lebte unsere Spezies schon damals in verschiedensten Regionen und sogar Klimazonen, weshalb auch ihre Ernährung komplett unterschiedlich ausfiel. „In den nördlichen Regionen haben sie fast ausschließlich Fisch gegessen, in der Savanne wahrscheinlich zum großen Teil vegetarische Kost, in Regionen mit vielen Tieren wurde gejagt. Das heißt, steinzeitliche Diät ist eine vielfältige Diät“, sagt Ganten.

Fleisch
Bei sogenannten „Paleo-Diäten“ steht neben Obst und Gemüse auch Fleisch im Vordergrund. © namenko/ iStock

Gesund oder gefährlich?

Doch Paleo-Diäten stehen nicht nur hinsichtlich ihrer historischen Rechtfertigung auf wackeligen Beinen. Auch ihr tatsächlicher Nutzen ist umstritten: „Langfristige Studien bieten nicht viele Informationen darüber, wie sich die Paleo-Diät auf die Gesundheit auswirkt. Die Diät hat jedoch das Potenzial, eine gesunde Ernährungsweise zu sein“, informiert die University of California, Davis.

Aber: „Bei dieser Ernährungsweise besteht das Risiko eines Mangels an Kalzium und Vitamin D, die für die Gesundheit der Knochen wichtig sind. Gleichzeitig kann der Verzehr von gesättigten Fettsäuren und Proteinen die empfohlenen Werte weit übersteigen, weil man so viel Fleisch isst. Dies kann ein erhöhtes Risiko für Nieren- und Herzerkrankungen sowie für bestimmte Krebsarten mit sich bringen.“

Wenn die Welt nicht zum Körper passt

Wie ein Hamster im Aquarium

Wenn man einmal darüber nachdenkt, ist es ziemlich erstaunlich, auf wie viele Weisen unsere moderne Lebensweise dem widerspricht, wofür unser Körper eigentlich ausgelegt ist: von Bürojobs, die für schädlichen Bewegungsmangel sorgen, bis hin zu Essen, das uns nicht gut tut. Auch die städtischen Lebensräume, die wir uns selbst gebaut haben, sorgen nicht gerade für ein „artgerechtes“ Leben.

Autos
Verkehrslärm kann krank machen. © Kichigin/ iStock

Lärm sorgt für Dauerstress

Da wäre zunächst einmal der enorme Lärmpegel, dem wir beim Aufenthalt in Städten dauerhaft ausgesetzt sind. Wenn unsere Vorfahren nicht gerade neben einem tosenden Wasserfall standen, war es in ihrer Welt weitgehend ruhig. Laute Geräusche wie das Brüllen eines Raubtieres oder Donnergrollen waren daher ein Hinweis darauf, dass Gefahr drohte.

Bis heute löst Lärm in unserem Körper Stressreaktionen aus, die uns auf eben jene bevorstehende Gefahr vorbereiten sollen. Stresshormone strömen durch unser Blut, Herzschlag und Atmung beschleunigen sich. Hält der Lärm an, verfallen wir in einen Dauerstress, der langfristig gesundheitliche und psychische Schäden anrichten kann. Zum Beispiel erhöht sich bei Menschen, die in lauten Wohnungen leben, nachweislich das Risiko für einen Herzinfarkt.

Unsere innere Uhr gerät aus dem Takt

Auch die künstliche Beleuchtung, mit der wir nachts die Straßen unserer Städte fluten, zwingt unseren Körper in Situationen, für die er nicht gemacht ist. Denn unser Gehirn ist darauf programmiert, unsere Wachheit und Müdigkeit basierend auf dem Tag-und-Nacht-Rhythmus zu regulieren, den die Natur uns vorgibt. Wenn es hell ist, sind wir wach und aktiv, im Dunkel der Nacht hingegen schläfrig. Der Taktgeber für diesen Rhythmus unserer inneren Uhr war seit jeher die Sonne.

Lichtverschmutzung
Die Lichtverschmutzung in unseren Städten bringt unsere innere Uhr durcheinander. © YiuCheung/ iStock

Doch mittlerweile haben wir unsere eigenen Lichtquellen, die selbst nachts dafür sorgen, dass unser Umgebung auch nach Sonnenuntergang noch hell erleuchtet bleibt. Das irritiert unser Gehirn und bringt uns wortwörtlich aus dem Takt. Licht zu Tageszeiten, an denen es normalerweise gar keines geben sollte, kann unseren Schlafrhythmus durcheinanderbringen und auch die generelle Qualität unseres Schlafes beeinträchtigen. Langfristig können sogar mentale Probleme wie depressive Verstimmungen in der Folge von Lichtverschmutzung auftreten.

Social Media überfordert unser Gehirn

Zu den Lichtquellen, die unser Gehirn durcheinanderbringen, gehört auch unser Smartphone. Doch auch das, was wir auf dem Bildschirm sehen, kann dem widersprechen, wofür unser Denkorgan gemacht ist. Vor allem die Kontaktpflege via Social Media ist für unser Gehirn nur schwer zu greifen, wie Anthropologin Anna Machin im Interview mit „TechRadar“ erklärt: „Wir sind mit all diesen Innovationen auf dem Vormarsch, machen diese erstaunlichen Dinge, aber die biologische Evolution hat sich nicht weiterentwickelt und ist nicht an soziale Online-Beziehungen angepasst.“

Social Media
Unser Gehirn ist nicht wirklich für digitale Interaktion ausgelegt. © Wachiwit/ Getty Images

Mit Menschen zu interagieren, die man nicht unmittelbar vor sich hat, verändere demnach auch, was währenddessen chemisch in unserem Körper vorgeht: „Wenn man viele Instagram-Likes erhält, bekommt man einen netten Dopaminschub, aber bei Dingen wie Beta-Endorphin und Oxytocin bekommt man überhaupt nichts“, so Machin. Dabei seien genau diese Hormone entscheidend für den Beziehungsaufbau. Zumindest ein wenig besser sind da schon Videocalls per Skype, Zoom und Co: Weil wir unser Gegenüber sehen, den Tonfall der Stimme hören und auch nonverbal interagieren können, erscheint dies unserem Gehirn lebensnäher als bloßer Text auf einem Bildschirm.

Haben wir zu viele Freunde?

Wahrscheinlich überfordert unser Gehirn aber auch die schiere Menge an Menschen, die wir über soziale Medien kennen. Zwar gilt die sogenannte Dunbar-Zahl, nach der unser Gehirn dafür ausgelegt ist, maximal 150 stabile Beziehungen zu führen, mittlerweile als widerlegt. Aber mehrere tausend Menschen, wie wir sie auf Social Media antreffen, dürften wahrscheinlich dennoch eine Nummer zu hoch für die sozialen Kapazitäten unseres Gehirns sein.

Auch sorgt die große Menge an Online-Kontakten dafür, dass wir mehr Möglichkeiten haben, uns mit dem Lebensstil anderer zu vergleichen – meist zu unseren Ungunsten, denn Social Media ist schließlich nicht gerade dafür bekannt, dass man dort auch die negativen Seiten des eigenen Lebens präsentiert. Sich im Vergleich mit anderen minderwertig zu fühlen, kann jedoch langfristig zu Unzufriedenheit, Angst und im schlimmsten Fall zu mentalen Problemen führen.

Fehl am Platz in der eigenen Welt

Es wird deutlich, dass unsere biologische Evolution deutlich langsamer verlaufen ist als die kulturelle. Unser Körper und Gehirn sind praktisch dasselbe Modell, das auch unsere steinzeitlichen Vorfahren besaßen, doch darauf nimmt unsere moderne Lebensweise wenig Rücksicht. „Da kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass sich die Menschen wie ein domestizierter Hamster verhalten, der sich entscheidet, lieber in einem Aquarium zu wohnen“, bringt es Ärztin Luzie Verbeek im Interview mit „n-tv“ auf den Punkt.