Die Vandalen und ihre bewegte Geschichte

Das vergessene Königreich

Ein Vandalenkrieger auf einem Mosaik aus Karthago - der Hauptstadt des spätantiken Vandalanreichs in Nordafrika. © Historisch/ British Museum

Der Name „Vandalen“ gilt bis heute als Synonym für blinde Zerstörungswut. Denn das namensgebende Germanenvolk war bei den Römern für seine Plünderungen berüchtigt. Doch inzwischen ist klar: Die Vandalen waren wahrscheinlich besser als ihr Ruf – und gründeten sogar ein Königreich in Nordafrika.

Sie überwanden die römischen Grenzfestungen am Rhein, zogen brandschatzend durch Gallien und plünderten im Jahr 455 sogar Rom. Das Volk der Vandalen hat keinen sonderlich guten Ruf. Sie galten lange als typische „Barbaren“, als ungehobelte, brutale Horde, die während der Völkerwanderung eine Spur der Verwüstung durch Europa zog.

Doch Ausgrabungen und Analysen überlieferter Berichte zeichnen heute ein deutlich differenzierteres Bild der Vandalen. Demnach war dieses noch immer in Teilen rätselhafte Volk nicht weniger zerstörerisch als andere damals umherziehende „Barbaren“ auch. Und unter ihrem König Geiserich gründeten die Vandalen in Nordafrika ein Königreich, das Maßstäbe setzte und sogar das mächtige römische Reich das Fürchten lehrte…

Nadja Podbregar
Stand: 20.07.2018

Ursprung und Vorgeschichte der Vandalen

Rätselhafte Wurzeln

Sie sind in vieler Hinsicht ein fast vergessenes und noch immer rätselhaftes Volk: Obwohl die Vandalen rund 150 Jahre lang ein wichtiger Akteur im spätantiken Europa waren, weiß man bis heute nur wenig von ihnen.

Tracht der Przeworsk-Kultur, zu der Vandalen ursprünglich gehörten © Silar/ CC-by-sa 3.0

Einer der Gründe dafür: Schriftliche Aufzeichnungen über das Leben und die Kultur der Vandalen gibt es fast nur von ihren Gegnern – und diese zeichnen meist ein wenig schmeichelhaftes Bild. Vor allem bei den römischen Geschichtsschreibern spielen die barbarischen Vandalen eine prominente und unrühmliche Rolle. Die Sichtweise der Vandalen jedoch bleibt mangels überlieferten Dokumenten oder Inschriften unbekannt. Zudem gibt es nur wenige archäologische Funde, die Aufschluss über Ursprung und Entwicklung dieses Volkes geben.

Bauern und Viehzüchter

Klar scheint: Ursprünglich waren die Vandalen ein Volk von Bauern und Viehzüchtern, wie es sie im Mitteleuropa der römischen Antike viele gab. Im ersten Jahrhundert nach Christus siedelten sie im Gebiet des heutigen Polen an den Ufern der Oder. Etwa aus dieser Zeit stammt auch das erste Zeugnis dieses Volks: Der römische Geschichtsschreiber Plinius der Ältere erwähnt die „Vandili“ als einen der germanischen Stämme.

Bis zum dritten Jahrhundert hatten sich die Vandalen nach Süden bis an die Ufer der Theiß und in die Karpaten ausgebreitet. Sie bildeten dort vermutlich einen Teil der ostgermanischen Przeworsk-Kultur. Funde von Graburnen, Gräbern und Siedlungsresten belegen, dass diese Kultur zwar weitgehend bäuerlich geprägt war, es gab aber auch schon Krieger und von den Kelten inspirierte Waffen.

Verbreitungsgebiete der Vandalen und anderer germanischer Volksgruppen um 50 n. Chr. © Karl Udo Gerth/ gemeinfrei

Vertrieben von der Völkerwanderung

Mit dem Beginn der Völkerwanderung hatte diese Idylle jedoch ein Ende: Von Nordosten her drängten die Westgoten in das Siedlungsgebiet der Vandalen und zwangen sie immer weiter nach Süden. An der Donau gelangten die Vandalen in römisches Herrschaftsgebiet und lösten gemeinsam mit weiteren südwärts ziehenden Germanenstämmen die Markomannenkriege und später weitere kriegerische Konflikte aus. Im dritten Jahrhundert schließlich sicherte Kaiser Konstantin den Vandalen offiziell ein Siedlungsgebiet in der römischen Provinz Pannonien zu, dem heutigen Westungarn.

Doch auch dieser Friede hielt nicht lange: Um das Jahr 400 stießen die Hunnen von Osten her immer weiter nach Europa vor und vertrieben erst die Westgoten, dann auch die Vandalen. Auch ein Klimawechsel, der die Nahrungsmittel in den östlichen Provinzen knapp werden ließ, trug vermutlich zu diesen Wanderungen bei. Ihrer Heimat beraubt, wurden die Vandalen nun zu einer der vielen Volksgruppen, die während der Völkerwanderung durch Europa zogen – Konflikte waren vorprogrammiert.

Nadja Podbregar
Stand: 20.07.2018

Vom Rhein bis nach Gibraltar

Zug durch Europa

Wir schreiben das Jahr 406. Schon seit Monaten werden die römischen Grenzfestungen entlang des Rheins immer wieder von germanischen „Barbaren“ aus dem Osten angegriffen. Für die Soldaten keine leichte Aufgabe, denn ein Großteil der römischen Truppen ist aus Gallien und vom Rhein abgezogen worden, um in Italien gegen einfallende Goten und in Britannien gegen aufständische Truppen zu kämpfen. Dennoch schaffen es die römischen Soldaten, diese Raubzüge zu beenden und die Eindringlinge immer wieder zu vertreiben – bis zur Silvesternacht.

In römischer Zeit führte bei Mainz eine Brücke über den Rhein - möglicherweise nutzten sie auch die Vandalen. © historisch

Über den Rhein nach Gallien

An diesem Abend drängt plötzlich eine ganze Armee von „Barbaren“ zwischen Mainz und Worms über die Grenze nach Gallien. Diese Armee besteht zu einem großen Teil aus Vandalen unter ihrem König Godigisel, aber auch Germanen aus der Volksgruppe der Sueben sowie Alanen aus dem Gebiet des heutigen Iran sind darunter, wie römische Quellen berichten. Diesem Ansturm sind die römischen Grenztruppen nicht gewachsen: Den Vandalen und ihren Verbündeten gelingt es, den Rhein zu überqueren.

Die Städte und Ortschaften der wohlhabenden römischen Provinz Gallien stehen ihnen damit offen – mit fatalen Folgen für deren Bewohner: „Die Vandalen brachten, überall wo sie vorüberzogen, Verwüstungen mit sich. Plünderungen, Blutbäder, Feuersbrünste und eine Fülle grauenhafter Leiden. Sie achteten nicht Alter noch Geschlecht, sie schonten die Diener des Herren ebenso wenig wie die Weihgefäße und die heiligen Bauten selber“, berichtet der Kirchenlehrer Augustinus, damals Bischof im nordafrikanischen Hippo.

Vandalische Waffen: Schildbuckel und Speerspitzen aus dem 3. und 4. Jahrhundert © Wolfgang Sauber/ CC-by-sa 3.0

Verrufene Ketzer

Allerdings: Augustinus war als katholischer Geistlicher alles andere als objektiv. Denn aus seiner Sicht waren die Vandalen allesamt Ketzer, weil sie dem arianischen Glauben anhingen. Diese frühchristliche Lehre lehnte die Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist ab und sah daher im Gegensatz zur offiziellen römischen Kirche Jesus Christus nicht als gottgleich an. Für die Kirchenväter und viele römische Geschichtsschreiber waren die Vandalen damit ketzerische Barbaren – und entsprechend voreingenommen waren ihre Beschreibungen, wie man heute weiß.

„Ihr Ruf war nicht der Beste und das war sicher nicht ganz unbegründet“, erklärt Astrid Wenzel vom Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. „Doch grausamer als die anderen Völker ihrer Zeit waren die Vandalen auch nicht.“ In Gallien allerdings stoßen die Vandalen schon nach kurzer Zeit auf erbitterten Widerstand: Die dort lebenden Franken, Verbündete der Römer, greifen sie an und töten den vandalischen König Godigisel. Nur durch die Hilfe der Alanen gelingt es den Vandalen, der Vernichtung zu entgehen.

Herrschaftsbereiche der Vandalen und ihrer Zeitgenossen auf der iberischen Halbinsel (409-426 AD). © PANONIAN/ gemeinfrei

Iberisches Zwischenspiel

Unter Führung von Godigisels Sohn Gunderich ziehen die Vandalen, Alanen und Sueben nun raubend und plündernd weiter nach Südwesten und erreichen im Jahr 409 die Iberische Halbinsel. Hier endlich gelingt es ihnen, sich niederzulassen und große Teile des heutigen Spanien und Portugal zu besetzen.

Doch diese „Atempause“ ist nicht von langer Dauer: Unterstützt von westgotischen Truppen greifen römische Truppen die Neuankömmlinge immer wieder an und schlagen schließlich die Alanen vernichtend. Für den seit 428 über die Vandalen herrschenden König Geiserich ist klar: Lange kann er dem gemeinsamen Druck der Westgoten und Römer nicht mehr standhalten. Daraufhin entschließt er sich zu einem wagemutigen und fast schon größenwahnsinnigen Schritt…

Nadja Podbregar
Stand: 20.07.2018

Die Vandalen erobern Nordafrika

Die große Überfahrt

Es ist ein Projekt der Superlative: Im Jahr 429 überqueren die Vandalen die Straße von Gibraltar – mit vermutlich 80.000 Menschen, Material und Proviant. Sie alle von der iberischen Südküste über die Meerenge nach Marokko zu bringen, erfordert einen enormen logistischen Aufwand, genügend Schiffe und nicht zuletzt das nötige seefahrerische Knowhow.

Topografie der 14 bis 44 Kilometer breiten STraße von Gibraltar © NASA

Im Pendelverkehr über die Meerenge

Doch der Vandalenkönig Geiserich hat sich und seine Untertanen gut vorbereitet. Schon in den Jahren zuvor haben die Vandalen immer wieder römische Schiffe gekapert und mit ihnen Raubzüge auf die Balearen und entlang der iberischen Küste durchgeführt. Das verschafft diesem ursprünglich eher küstenfernen Volk erste Erfahrungen in der Seefahrt und auch die nötige Flotte. Geiserich ist zudem ein gewiefter Logistiker: Für die Überfahrt richtet er eine Art Pendelverkehr seiner Schiffe zwischen Gibraltar und der Küste Nordafrikas ein.

Seine Vorbereitung zahlt sich aus: Die Vandalen erreichen Nordafrika – und damit fast schon eine Art „gelobtes Land“. Denn diese Region ist damals die Kornkammer des römischen Reiches und deckt 75 bis 90 Prozent des gesamten Getreidebedarfs. „Es war ein wohlhabendes Land mit einer blühenden Wirtschaft: Oliven, Getreide, Wein, Früchte aller Art wuchsen dort“, erklärt Astrid Wenzel vom Badischen Landesmuseum im Deutschlandfunk.

Ruinen von Hippo Regius nahe der heutigen algerischen Stadt Annaba © Dan Sloan/ CC-by-sa 2.0

Siegeszug durch Nordafrika

Der Einfall der Vandalen in einen so wichtigen Teil des römischen Reiches hätte eigentlich auf erbitterte Gegenwehr stoßen müssen – zumal die ortsansässigen Römer und ihre Vasallen in der Mehrzahl sind. Doch den Vandalen kommt zugute, dass längst nicht alle Bewohner Nordafrikas gegenüber Rom loyal sind – im Gegenteil. Einheimische Berber, aber auch arianische Christen, die von den herrschenden römisch-katholischen Eliten unterdrückt werden, verbünden sich mit den Vandalen.

Geiserich und seine Truppen ziehen relativ zügig an der Küste entlang nach Osten. Im Jahr 430 erreichen sie Hippo Regius, den nach Karthago wichtigsten Handelshafen des römischen Nordafrika. 14 Monate lang belagern die Vandalen die befestigte Küstenstadt und schlagen auch die eilends herangezogenen römischen Truppenverbände zurück. Schließlich fällt Hippo Regius und Geiserich macht sie zur Hauptstadt seines neuen nordafrikanischen Reiches.

Der Fall Karthagos

Für die Römer ist dieser Erfolg der Vandalen ein Schock. Nachdem diese „Barbaren“ offenbar im Kampf nicht zu besiegen sind, versucht der römische Kaiser Valentinian III., sie im Jahr 435 mit einem Vertrag zu befrieden. In ihm erklärt er die Vandalen offiziell zu Foederati – eine Art nichtrömischer Vasallen – und übergibt ihnen offiziell die Herrschaft über die nordafrikanische Provinz Numidia und Teile Mauretanias.

Noch heute ist das halbrunde Hafenbecken des antiken Karthago erhalten. © gemeinfrei

Doch Geiserich ist dies nicht genug: Er bricht 439 erneut zu einem Eroberungsfeldzug auf – diesmal nach Karthago, der wichtigsten Stadt Nordafrikas und der drittgrößten Metropole des römischen Reiches. Karthago ist, wie es seiner Bedeutung entspricht, stark befestigt und durch starke römische Verbände geschützt. Seltsamerweise aber gelingt es den Vandalen dennoch, die Stadt fast ohne Gegenwehr zu erobern.

Warum, ist bis heute rätselhaft. Einige Geschichtsschreiber berichten, dass zu diesem Zeitpunkt die meisten Einwohner Karthagos im Hippodrom bei Pferderennen waren. Andere vermuten, dass die Vandalen von heimlichen Unterstützern in die Stadt gelassen wurden.

Nadja Podbregar
Stand: 20.07.2018

Von Eroberern zur latinisierten Elite

Ein eigenes Königreich

Mit dem Fall Karthagos beginnt eine neue Ära – für die Römer ebenso wie für die Vandalen. Denn jetzt herrschen die „Barbaren“ über weite Teile des römischen Nordafrika. Am 19. Oktober 439 erklärt sich der Vandalenherrscher Geiserich offiziell zum „König der Vandalen und Alanen“ und macht Karthago zur Hauptstadt seines neuen Königreichs. Die einstigen Plünderer und „Barbaren“ werden damit nun zu Herrschern über eine der reichsten Provinzen Roms – und bleiben es für mehr als 100 Jahre.

Bodenmosaiken einer römischen Villa in Karthago – ihren Komfort wussten auch die Vandalen zu schätzen. © Kritzolina/ CC-by-sa 4.0

Römische Lebensart statt „Vandalismus“

Die Vandalen wissen ihren Standortvorteil zu nutzen: Sie enteignen die römischen Großgrundbesitzer, übernehmen Schlüsselpositionen in der Verwaltung und Politik und lassen nun die Bauern und Sklaven dieser Provinzen für sich arbeiten. Schnell assimilieren sich die einstigen Germanen und übernehmen die römische Lebensart mit all ihren Annehmlichkeiten. Sie leben in römischen Villen, baden in Thermen und speisen feinste Kost. Auch neue Gebäude im römischen Stil sowie Werkstätten und „Fabriken“ errichten sie in Karthago und anderen Städten ihres Reichs.

Der römische Geschichtsschreiber Prokopios berichtet: „Ihre Tage verbringen sie in den Theatern wie im Zirkus, sie hören Musik, genießen Aufführungen und lieben Trinkgelage. Außerdem tragen sie reichen Goldschmuck und medische Gewänder.“ Von ihrer vandalischen Herkunft zeugen bald nur noch die germanischen Namen der neuen Elite, denn auch die Sprache und Schrift der Römer übernehmen die Vandalen sehr schnell. Auf Grabsteinen in Karthago aus dieser Zeit werden die vandalischen Toten mit kunstvollen lateinischen Gedichten gepriesen.

Kampf um Glaube, Geld und Macht

In einem Punkt aber bleiben die Vandalen ihren Ursprüngen treu: Sie bleiben Arianer und lehnen die katholisch-römische Staatskirche weiterhin strikt ab. Damit bricht für die einst so mächtigen Katholiken in Nordafrika eine harte Zeit an. Die Vandalen funktionieren ihre Kirchen zu arianischen Gotteshäusern um, viele Geistliche werden vertrieben oder getötet.

Diese reich verzierte Silberschale ist Teil eines Vandalenschatzes, der bei Ausgrabungen in Tunis entdeckt wurde. © Jononmac46/ CC-by-sa 3.0

Doch diese Unterdrückung der Katholiken ist mehr als nur ein Konfessionskrieg – es geht auch um Macht und Politik: „Das Interesse des vandalischen Königs war es, die arianische Kirche zu stärken und die katholische mit ihren überseeischen Verbindungen als ständige Bedrohung des Systems zu schwächen“, erklärt der Vandalenforscher Roland Steinacher von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der britische Historiker Andy Merrills sieht hinter den Angriffen der Vandalen auf den Klerus auch finanzielle Motive: Sie wollten deren reiche Schätze.

Ein historischer Vertrag

Für die Herrscher Roms ist die Übernahme Nordafrikas durch die Vandalen eine echte Katastrophe. Ihre Kornkammer und eines ihrer wichtigsten Handelszentren sind nun in den Händen der „Barbaren“. Und nicht nur das: Mit der Stadt Karthago hat Geiserich auch fast die gesamte Nordafrika-Flotte der Römer in seiner Gewalt. Schon kurz nach Gründung seines Königreichs nutzt er diese, um Sardinien, Korsika, Malta, die Balearen und Teile Siziliens zu erobern – wieder fast ohne Gegenwehr.

Der weströmische Kaiser Valentinian III. auf einer Münze © Classical Numismatic Group (www.cngcoins.com)/ CC-by-sa 2.5

Dem römischen Kaiser Valentinian III. bleibt keine Wahl: Weil er die Vandalen nicht besiegen kann, muss er notgedrungen mit ihnen Frieden schließen – nur so kann er die Versorgung Roms mit Getreide und anderen Waren weiterhin sicherstellen. Im Jahr 442 kommt es dabei zu einer historischen Premiere: Erstmals macht ein römischer Kaiser ein Barbarenvolk nicht nur zu Foederati, sondern überlässt ihnen römisches Territorium als ein eigenes, nahezu unabhängiges Königreich.

„Der Vertrag von 442 ändert vieles und man kann ihn als den Beginn einer neuen, souveränen Regierung in den afrikanischen Provinzen sehen – eine politische Lösung, die es bisher in dieser Form noch nie gegeben hatte“, erklärt Steinacher. Und noch etwas sichert Valentinian III. dem Vandalenkönig Geiserich zu: Er verspricht Geiserichs Sohn Hunerich seine damals erst siebenjährige Tochter zur Frau. Damit stehen Vandalenkönig und römischer Kaiser nahezu auf Augenhöhe.

Nadja Podbregar
Stand: 20.07.2018

Gold, Tempelschätze und eine Kaisertochter

Die Plünderung Roms

Der Friede des Vandalen-Reichs mit Rom währt nicht lange: Im März 455 wird der römische Kaiser Valentinian III. ermordet. Nachfolger ist Petronius Maximus, der um seinen Machtanspruch zu sichern, Valentinians Witwe heiratet und dessen Tochter Eudocia mit seinem Sohn vermählt. Damit jedoch bricht er den Friedenvertrag mit den Vandalen, denn Eudocia war darin dem Vandalenprinzen Hunerich versprochen worden.

Papst Leo verhandelt mit Geiserich vor den Toren Roms © Historisch, circa 1475

Marsch auf Rom

Für den Vandalenkönig Geiserich ist dies ein – möglicherweise durchaus willkommener – Anlass, erneut einen Krieg mit dem römischen Imperium zu beginnen. Unter dem Vorwand, die rechtmäßige Nachfolge Valentinians sichern zu wollen, rüstet er seine Flotte aus und nimmt mit seinen Truppen Kurs auf Rom. Anfang Juni erreicht das Vandalenheer die römische Kaiserstadt.

Der Überlieferung nach kommt es dabei zu einem entscheidenden Treffen zwischen Geiserich und dem damaligen Papst Leo dem Großen. Dieser bietet Geiserich an, ihm die Tore Roms zu öffnen, wenn dieser auf Blutvergießen verzichtet und die Stadt nur plündert. Der Vandalenkönig willigt ein und nimmt Rom nahezu kampflos ein. 14 Tage lang ziehen seine Truppen anschließend plündernd durch die römische Hauptstadt.

Kein „Vandalismus“

Die Vandalen sammeln systematisch alle Wertgegenstände ein, derer sie habhaft werden können: „Sie luden eine immer größer werdende Menge Goldes und andere kaiserliche Schätze auf ihre Schiffe und ließen weder Bronzen noch anderes im Palast. Außerdem plünderten sie den Tempel des Jupiter Capitolinus und trugen dessen halbes Dach ab“, berichtet der römische Geschichtsschreiber Prokopios. Das Dach dieses Jupitertempels bestand aus dick vergoldeter Bronze und war entsprechend kostbar. Auch Teile des jüdischen Tempelschatzes, den die Römer zuvor aus Jerusalem geraubt hatten, sackten die Vandalen ein.

Darstellung der Vandalenplünderung Roms aus dem 19. Jahrhundert © Karl Bryullov/ historisch

Obwohl gerade dieser Raubzug später gerne als Beispiel für den Vandalismus dieser „Barbaren“ zitiert wird, verhalten sich die Vandalen besser als ihr Ruf. Bis auf das abmontierte Tempeldach hinterlassen sie kaum Zerstörungen oder Schäden. „Es mag verblüffend klingen, aber die Vandalen waren keine Vandalen“, sagt der Historiker Roland Steinacher. „Basierend auf wissenschaftlichen Fakten waren die Vandalen kultivierte Eroberer und nicht zerstörungswütiger als viele andere Völkergruppen auch.“

Imperiale Symbole und kaiserliche Verwandtschaft

Doch den Vandalen unter ihren politisch geschickten König Geiserich geht es um mehr als nur die römischen Reichtümer. Indem sie viele prestigeträchtige Symbole imperialer Macht aus Rom nach Karthago bringen, unterstreichen sie auch ihren Herrschaftsanspruch, wie Steinacher erklärt. Geiserich bringt zudem die Kaisertochter Eudocia mit nach Karthago und vermählt sie dort mit seinem Sohn Hunerich – wie ursprünglich im Friedensvertrag mit Rom vereinbart. Dadurch sind die Nachkommen Hunerichs und Eudocias offizielle Erben des römischen Kaiserreichs und haben theoretisch sogar Anspruch auf die Herrschaft.

Nach ihrem Sieg über Rom sind die Vandalen auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Ihre Flotte kontrolliert weite Teile des Mittelmeers und den Handel mit Waren aus Nordafrika. Die Königsfamilie lebt in Karthago in dem mit römischen Schätzen ausgeschmückten Palast des ehemaligen Prokonsuls. „Der Vandalenkönig dürfte imperialen Purpur getragen haben und sein Königreich von einem Thronsessel aus regiert haben“, berichtet Steinacher.

Nadja Podbregar
Stand: 20.07.2018

Was ist das Erfolgsgeheimnis der Vandalen?

Höhepunkt und Ende

Als der Vandalenkönig Geiserich im Jahr 477 mit 88 Jahren stirbt, hinterlässt er ein Volk, das sowohl geografisch wie kulturell einen weiten Weg hinter sich hat: Aus den einst in Holzhütten lebenden ostgermanischen Bauern und Viehzüchtern ist unter seiner Herrschaft ein zivilisiertes und mächtiges Reich geworden – ein Königreich, das sogar die Römer fürchten.

Ausdehnung des Vandalenreichs im Jahr 526 © gemeinfrei

Eine unabhängige Macht

Zwar schaffen es Geiserichs Nachfolger nicht, an die großen Erfolge ihres Vorgängers anzuknüpfen. Dennoch bleibt das Königreich der Vandalen in Nordafrika mehr als 100 Jahre bestehen – trotz mehrerer Versuche der Römer, ihre verlorenen Provinzen wiederzugewinnen. „Das vandalische Regnum gehörte neben dem ostgotischen Italien zu den erfolgreichsten Staatsgebilden, die unter der Führung einer neuen Militärelite aus römischen Provinzen hervorgegangen waren“, schreibt der österreichische Historiker Roland Steinacher.

Durch geschicktes Taktieren, kriegerische Erfolge und die Abhängigkeit Roms von ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen verschaffen sich die Vandalen eine solide Machtbasis im Europa der Spätantike. Ihre Unabhängigkeit von Rom demonstrieren die Vandalenkönige unter anderem durch eine eigene Zeitrechnung, die mit dem Fall Karthagos im Jahr 429 beginnt. Zudem behalten sie zwar das römische Währungssystem und dessen Goldmünzen bei, prägen aber eigene Silber- und Kupfermünzen.

Vandalische Münzen, oben mit dem Portrait des Königs Hilderich, unten mit Gelimer, dem letzen König der Vandalen. © historisch

Anpassung als Schlüssel zum Erfolg

Eines der Geheimnisse ihres Erfolges ist nach Ansicht vieler Historiker die Anpassungsfähigkeit und Toleranz der Vandalen: Sie übernahmen zwar die Herrschaft über die römischen Provinzen, behielten aber das Gemeinwesen, die Verwaltung und die etablierten kulturellen Errungenschaften der Römer größtenteils bei und führten sie weiter. Die einstigen Germanen sprachen nun Latein, aßen römische Speisen und waren auch sonst vermutlich kaum mehr von den Römern zu unterscheiden.

Gleichzeitig ließen die Vandalen auch den anderen in Nordafrika lebenden Volksgruppen ihre Traditionen und Gewohnheiten – sofern diese ihre Oberherrschaft anerkannten. „Der ‚König der Vandalen und Alanen‘ war ebenso ein König der Römer, Griechen, Juden und Berber“, erklärt Steinacher. Den Berbern sind die Vandalen sogar noch Jahrhunderte später in guter Erinnerung: Als sie im Jahr 711 von Nordafrika aus die Iberische Halbinsel erobern, taufen sie den Süden Spaniens Al-Andalus – wahrscheinlich nach der arabischen Bezeichnung für die Vandalen.

Erst der oströmische Kaiser Justinian I. schafft es, das Vandalenreich zu Fall zu bringen. © historisch

Das Ende des Vandalenreichs

Das Ende des Vandalenreiches kommt im Jahr 534. Um den ungeliebten Nachbarn endlich zu Fall zu bringen, hat das oströmische Reich unter Kaiser Justinian I. eine rund 5.000 Mann starke Armee samt Flotte aufgeboten. Feldherr Belisarius gelingt es, mit seinen Truppen nur rund zehn Kilometer von Karthago entfernt zu landen. „Die Vandalen haben merkwürdigerweise die Gefahr nicht erkannt – das ist für mich unerklärlich“, sagt der Historiker Helmut Castritius im Deutschlandfunk.

Statt sich dem römischen Feldherrn mit seinem eigentlich zahlenmäßig überlegenen Heer entgegenzustellen, schickt der Vandalenkönig Gelimer einen Großteil seiner Truppen kurz vorher nach Sizilien. Dadurch geschwächt, schaffen es die Vandalen nicht, die Römer zu schlagen. Wenig später erobert Belisarius Karthago – die Hauptstadt des Vandalenreichs. Anfang 534 haben die Römer die Vandalen bis nach Hippo zurückgedrängt und Gelimer gibt auf: Er kapituliert.

Gut hundert Jahre nach der Ankunft der Vandalen in Nordafrika ist ihr Königreich gefallen. „Hätte es fortbestanden und wäre die Geschichte des 7. Jahrhunderts anders verlaufen, dann wäre Tunesien heute wohl ein europäisches Land, dem Süden Italiens nicht unähnlich“, sagt Steinacher.

Nadja Podbregar
Stand: 20.07.2018