Sie pflanzen sich Magnete in ihre Fingerkuppen, tragen RFID-Chips unter der Haut oder erweitern ihren Sehsinn mit Sensoren für UV- und Infrarotlicht: Bodyhacker machen Technik zu einem Teil ihres Körpers. Als moderne „Cyborgs“ wollen sie damit die Grenzen unserer Wahrnehmung durchbrechen.
In der Science-Fiction ist die Verschmelzung von Mensch und Maschine längst Standard: Technische Implantate erweitern die Sinne und optimieren die Fähigkeiten, neurale Schnittstellen erlauben den direkten Zugang zum Cyberspace oder die „Aufrüstung“ der mentalen Fähigkeiten. Doch was lange als bloße Utopie schien, hat in der Realität bereits begonnen.
Noch sind die Anfänge des Bodyhackings eher bescheiden und seine Protagonisten eher Exoten als Mainstream. Doch die Pioniere der Szene und ihre technischen Erweiterungen könnten einen Vorgeschmack dessen liefern, wie die Zukunft des Menschen aussehen wird.
Nadja Podbregar
Stand: 16.03.2018
Chip im Arm und "Ultraschallsinn"
Der erste „Cyborg“
„Ich wurde als Mensch geboren. Aber das war nur ein Versehen des Schicksals. Ich glaube, dies zu ändern, steht in unserer Macht“, sagt Kevin Warwick von der Coventry University. Er muss es wissen, denn er ist einer der ersten, die eine solche Änderung an sich vorgenommen haben – er wurde zum Bodyhacker. Oder wie Warwick selbst es nennt, zum „Cyborg 1.0“.
Im Sommer 1998 ließ sich der KI-Forscher als erster Mensch einen Mikrochip unter die Haut implantieren. Mit diesem RFID-Chip öffnete Warwick dank Radiowellensignalen berührungslos die Türschlösser seines Labors und seiner Wohnung, schaltete das Licht ein oder startete den Computer. Gleichzeitig war der Forscher mithilfe seines Implantats jederzeit lokalisierbar. Man könnte sich fragen, warum man einen solchen Eingriff riskiert, wenn doch eine normale Chipkarte oder ein Smartphone den gleichen Zweck erfüllt.
Doch für Warwick war dies nur der erste Schritt dahin, die menschlichen Fähigkeiten durch Technik zu erweitern. Im Jahr 2002 ließ er sich einen weiteren Mikrochip einpflanzen, der über 100 feine Elektroden mit den Nervenfasern seines Unterarms verbunden war. Diese „Braingate“ getaufte Schnittstelle ermöglichte es dem Forscher, den Chip und seine Funktionen direkt durch Nervenimpulse zu steuern. Nach einigem Training konnte er damit beispielweise über WLAN und Internet einen Roboterarm kontrollieren.
Noch spannender jedoch: Durch seine Verbindung mit dem Nervensystem erweiterte der implantierte Chip auch die Sinneswahrnehmung des KI-Forschers. „Er verleiht mir eine Art zusätzlichen Ultraschallsinn“, berichtet Warwick. „Wenn mir ein Objekt nahekommt, erhöht sich die Frequenz der vom Implantat an mein Gehirn geschickten Impulse.“ Bis sein Gehirn allerdings lernte, diese fremden Signale zu registrieren, dauerte es sechs Wochen.
Damals von Forscherkollegen eher als Exot und Spinner belächelt, ist Warwick inzwischen zum Pionier einer ganzen Bewegung geworden. Denn abseits von Universitäten, Forschungsinstituten oder Unternehmen existiert heute eine ganze Szene von neuen „Cyborgs“ – Menschen, die ihren Körper durch technische Implantate nachrüsten. Die Bodyhacker, wie sie sich selbst nennen, experimentieren selbst und auf eigenes Risiko, welche Möglichkeiten die Verbindung von Mensch und Maschine eröffnet.
Nadja Podbregar
Stand: 16.03.2018
Bodyhacking zwischen Do-it-Yourself und High-Tech
Marke „Eigenbau“
Was der KI-Forscher Kevin Warwick als Experiment begann, haben viele Bodyhacker inzwischen zu einem Teil ihres Lebens – und Körpergefühls – gemacht. In einer Zeit, in der tragbare Technologie in Form von Fitness-Armbändern, Smartwatches und anderen Geräten alltäglich geworden ist, gehen sie einen Schritt weiter: Sie integrieren diese Technologien in ihren Körper.
Bodyhacker sind – fast gezwungenermaßen – eine Do-it-Yourself-Bewegung, die sich in einer rechtlichen Grauzone bewegt. Denn bisher weigern sich die meisten Ärzte, medizinisch nicht notwendige Implantate einzusetzen und offiziell zugelassene Produkte gibt es kaum. „Viele Leute, die daran interessiert waren, ihren Körper zu ergänzen, begannen daher, nach anderen Ressourcen zu suchen oder zu improvisieren“, sagt Amal Graafstra, einer der Vorreiter der Bodyhack-Szene.
Viele Implantate sind deshalb Marke Eigenbau. Häufig werden dafür Smartphone-Komponenten oder Bauteile aus Elektronik-Bausätzen zweckentfremdet. Der durch eine Maserninfektion ertaubte Enno Park beispielsweise trägt zwar als ersten technischen Einbau ein Cochlea-Implantat und damit ein medizinisch zugelassenes Gerät. Doch den Vibrationsalarm, den er sich als Wecker in den Oberarm einpflanzen will, muss sich das Gründungsmitglied von Cyborgs e.V. selbst basteln. Park plant, dafür das Vibrationsmodul eins Handys umzubauen.
Gerade solche Do-it-Yourself-Bodyhacks sind allerdings hochriskant: Häufig sind die Eigenbau-Geräte nicht körperverträglich und lösen schwere Entzündungen und Infektionen aus. Um solche gesundheitlichen Folgen zu verhindern, hat Graafstra vor einigen Jahren die Biohacker-Firma „Dangerous Things“ gegründet. „Mein Hauptziel war es dabei, sichere Materialien und sichere Anleitungen für Bodyhacks zur Verfügung zu stellen“, erklärt Graafstra.
Allein Graafstras Firma hat seit 2013 mehr als 10.000 implantierbare RFID-Chips und Biomagneten über das Internet verkauft. Die Software der Chips ist Open-Source und erlaubt es den Nutzern, sie an ihre individuellen Bedürfnisse anzupassen. Auch andere Bodyhacker-Firmen wie Grindhouse Wetware oder Cyborgnest machen es inzwischen leichter, sich die entsprechende Hardware zu besorgen.
Noch allerdings sind diese Angebote und Verkäufe allenfalls halblegal, denn eine offizielle Zulassung haben viele dieser Implantate nicht. Auch Dangerous Things warnt bei einigen seiner Implantate: „Dieses Gerät ist definitiv ein gefährliches Ding. Das Gerät ist von keiner Kontrollbehörde getestet oder für die Implantation in den menschlichen Körper zugelassen. Wer es nutzt, tut dies auf eigenes Risiko“
Wer zum Bodyhacker werden will, muss auch beim Implantieren hart im Nehmen sein. Während Kevin Warwick den Luxus eines ärztlichen Eingriffs unter Betäubung genoss, müssen die meisten Bodyhacker ohne Narkosen oder Arzt auskommen. Die Pioniere der Szene griffen meist noch selbst zum Skalpell oder nutzten ein Chipgerät aus der Veterinärmedizin, um sich die pillenförmigen RFID-Chips unter die Haut zu pflanzen.
Inzwischen lassen sich die meisten Bodyhacker in Tattoo- oder Piercing-Studios implantieren, aber auch bei Cyborg- und Bodyhacker-Conventions stehen Implantationswillige Schlange. Sogar „Implant-Parties“ gibt es inzwischen. Einer der festen Treffpunkte für die Szene ist dabei die alljährliche Bodyhacking-Convention im texanischen Austin. Hier stellen Bodyhacker ihre neuesten Kreationen vor, holen sich Tipps und Anregungen, lassen sich implantieren und diskutieren über neue Gadgets und Technologien.
Nadja Podbregar
Stand: 16.03.2018
Das Spektrum der "praktischen" Bodyhacks
RFID-Chips und Biosensoren
Die Spannbreite der Bodyhacks ist groß – sie reicht von Implantaten, die so unauffällig wie harmlos sind, bis hin zu technischen Anbauten, die das gesamte Aussehen und Erleben verändern.
Am stärksten verbreitet sind bisher rein praktische Implantate in Form von RFID-Chips. Wie schon bei Kevin Warwick ersetzen sie Schlüssel oder Chipkarten und machen lästiges Eingeben von Passwörtern überflüssig. So hat sich beispielsweise ein australischer Bodyhacker mit dem sperrigen Namen Meow-Ludo Disco Gamma Meow-Meow den Chip seiner Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr von Sydney implantiert. Im Bus hielt er statt des Fahrausweises einfach nur noch seine Hand an den Scanner.
Doch das Transportunternehmen hatte wenig Verständnis für diesen innovativen Fahrgast: Es sperrte seinen Chip und verdonnerte ihn zu einer Strafe wegen Schwarzfahrens. Begründung: Er habe den Fahrausweis unerlaubt manipuliert. „Das ist völlig albern“, kommentierte Meow-Meow gegenüber australischen Medien. „Sie wollen die innovativste Entwicklung im Nahverkehr von Sydney prompt abschießen.“ Der Bodyhacker kündigte an, sein Recht auf einen implantierten Fahrausweis einklagen zu wollen.
Implantate als Biosensoren
Einen Schritt weiter gehen Bodyhacker, die sich Implantate wie „Circadia“ von Grindhouse Wetware einsetzen lassen. Diese Geräte besitzen Sensoren, die medizinische Parameter wie die Körpertemperatur, den Puls, den Blutdruck oder die Sauerstoffsättigung messen. Über Bluetooth können die Daten ans Smartphone übertragen und ausgelesen werden. „Statt bei einem Arztbesuch nur einen Schnappschuss unseres Gesundheitszustands zu erfassen, können so Wochen oder Monate medizinischer Daten gesammelt werden“, heißt es in der Beschreibung.
Allerdings: Das erste, 2013 produzierte Modell dieses Implantats war fast so groß wie ein Handy und konnte wenig mehr als Temperatur und Puls messen. Dennoch fanden sich einige hartgesottene Pioniere wie der US-Software-Entwickler und Grindhouse-Mitgründer Tim Cannon, die sich dieses Gerät in den Unterarm einpflanzen ließen. Grindhouse Wetware ist aber bereits dabei, „Circadia 2.0“ zu entwickeln. Dieses Implantat soll dann deutlich kleiner und leistungsfähiger sein.
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LEDs unter der Haut
Nicht unbedingt nützlich, dafür aber umso auffallender ist dagegen „Northstar“: Dieses etwa Zwei-Eurostück große Implantat trägt sechs LEDs, die bei Annäherung eines Magneten aktiviert werden. „Northstar V1 ist noch rein zu ästhetischen Zwecken – nicht viel anders als Piercings oder Schönheits-OPs“, erklärt Grindhouse Wetware dazu. „Das einfache Gerät soll die Machbarkeit solcher Implantate beweisen und den Weg ebnen für weiter fortgeschrittene und funktionellere Erweiterungen.“
Eine zweite erweiterte Version von „Northstar“ ist aber bereits im Test. Dieses soll neben einer Bluetooth-Fähigkeit auch Sensoren für die Gestensteuerung und möglicherweise medizinische Sensoren für den Blutdruck oder Blutzucker beinhalten. „Heute mögen unsere Kreationen noch wie Nischenprodukte erscheinen, aber wenn wir es einmal geschafft haben, beispielsweise ein billiges Implantat zu entwickeln, das automatisch vor einem Herzinfarkt warnt, wird jeder unsere Gadgets wollen“, sagt Tim Cannon.
Doch Cannon und viele andere Bodyhacker wollen mehr: Sie wollen die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung überwinden.
Nadja Podbregar Stand: 16.03.2018
Biomagnete, Kompass-Sinn und Erdbebenfühler
Erweiterte Sinne
Wie fühlt es sich an, UV-Licht zu sehen? Oder die feine Anziehungskraft des irdischen Magnetfelds zu spüren? Was wäre, wenn man die unsichtbaren elektromagnetischen Felder von WLAN oder Stromleitungen wahrnehmen könnte? All das ist für Bodyhacker keine Utopie mehr. Denn es gibt bereits Implantate, die genau dies ermöglichen.
Ein klassischer Einstieg in die Sinneserweiterung per Bodyhack sind kleine Magneten, die in die Fingerspitzen implantiert werden. Die wenige Millimeter kleinen Plättchen oder Stäbchen sitzen in unmittelbarer Nachbarschaft der Tastsinneszellen im Finger. Kommt der Finger nun in die Nähe eines magnetischen Objekts oder stärkeren Magnetfelds, reagiert der Biomagnet darauf: Er wird angezogen oder abgestoßen und übt dadurch Druck auf die Tastsinneszellen aus. Anfangs spürt der Träger der Magnetimplantate dies nur als Kitzeln in den Fingerspitzen.
Doch im Laufe einiger Monate lernt das Gehirn, diesen Reiz nicht mit einer Berührung des Fingers, sondern mit der Präsenz eines Magnetfelds zu assoziieren – der künstliche Magnetsinn wird in die Wahrnehmung integriert. Wie gut dies funktioniert, erlebte Amal Graafstra, als er in einer Bibliothek den Sicherheitsscanner passieren wollte. Ohne sich dessen bewusst zu sein, stoppte er instinktiv, als seine Magneten das starke elektromagnetische Feld des Scanners registrierten. Für den Bodyhacker ist dies ein Zeichen dafür, dass sein Gehirn sich an diesen neuen Sinn angepasst hat.
Auch Tim Cannon sieht seinen Biomagneten als Sinneserweiterung und als Möglichkeit, ganz neue Informationen über seine Umwelt zu bekommen. „Durch den Magneten in meinem Finger weiß ich jetzt, dass sich das Stromnetz in Europa anders anfühlt als in Amerika“, sagt der Bodyhacker. „Wenn ich die Implantate nicht hätte, würde ich dies nie erfahren“. Für ihn und seine Mitstreiter ist deshalb selbst ein vergleichsweise einfacher Bodyhack wie die Biomagneten eine Erweiterung der Wahrnehmung und des Wissens.
Eine Steigerung ist „North Sense“ – ein Bodyhack, der es Menschen erlaubt, die Nordrichtung zu erspüren. Was viele Fische, Zugvögel, Kühe und sogar Hunde von Natur aus erspüren, soll damit auch für Menschen fühlbar werden. Das streichholzschachtelgroße, in der Haut über dem Brustbein verankerte Gerät beginnt immer dann zu vibrieren, wenn sein Träger sich nach Norden wendet.
„Das ist etwas völlig anderes als ein bloßes Werkzeug wie einen Kompass, den man nur nutzt, wenn man ihn braucht“, erklärt Liviu Babitz von Cyborgnest, der seit gut einem Jahr den „North Sense“ trägt. „Denn dieses Gerät ist ein neuer Sinn, der einen kontinuierlichen Strom von Informationen liefert.“ Das Gehirn lernt, diesen Sinn in die Wahrnehmung zu integrieren. „Nach einigen Monaten spürte ich die Vibrationen oft gar nicht mehr bewusst“, erzählt Babitz. „Aber ich weiß immer genau, in welche Richtung ich laufe. Ich bin auf ganz neue Weise mit der Welt verbunden.“
Einen neuen Sinn trägt auch die spanische Bodyhackerin Moon Ribas: Sie spürt den „Puls“ unseres Planeten. Immer, wenn es irgendwo auf der Erde ein Erdbeben gibt, beginnt ein kleiner Sensor in ihrer Ellenbogenbeuge zu vibrieren. Je stärker die Erdstöße sind, desto heftiger spürt Ribas die Erschütterungen. Möglich wird dies durch eine drahtlose Kopplung der beiden Armsensoren mit ihrem Smartphone. Eine App empfängt in Echtzeit Daten von seismologischen Messstationen weltweit und überträgt sie an die Implantate.
Für die Künstlerin und Cyborg-Aktivistin sind ihre Implantate eine ganz neue Möglichkeit, am „Pulsschlag“ unseres Planeten teilzuhaben. „Ich modifiziere meine Körper, um meinen Geist zu verändern“, sagt Ribas. Immerhin bis zu 50 Mal am Tag schlagen die Sensoren an. Ihre Vibrationen integriert die Künstlerin unter anderem in Tanzperformances. Für sie sind die Erdbebensignale inzwischen integraler Teil ihrer Wahrnehmung – ihr seismischer Sinn.
Nadja Podbregar
Stand: 16.03.2018
Neil Harbisson – Cyborg, Farbenhörer und Transhumanist
Rot klingt wie ein „A“
Der große Vorreiter der sinneserweiternden Bodyhacks ist Neil Harbisson. Der in Spanien aufgewachsene Künstler wurde mit Achromatopsie geboren – er ist völlig farbenblind. „Ich habe noch nie Farben gesehen und ich weiß nicht, wie Farben aussehen, denn ich komme aus einer Welt der Graustufen“, erklärt Harbisson bei einem TED-Talk. „Für mich ist der Himmel immer grau, Blumen sind immer grau, und das Fernsehen ist immer noch schwarzweiß.“
2004 aber änderte sich dies – durch einen Bodyhack. Harbisson ließ sich eine Art Farbantenne einpflanzen. Ein vorne am Kopf sitzender Sensor erkennt die Wellenlänge des Lichts, das von Objekten ausgeht – ihre Farbe. Ein am Schädelknochen implantierter Chip wandelt diese Informationen in Vibrationen bestimmter Frequenz um. Diese Schwingungen werden über den Knochen ans Ohr übertragen, so dass Harbisson nun die Farben seiner Umgebung hören kann. Beim Rot einer Ampel hört Harbisson die Note „A“, blau ist ein „C“ und grün ein „F“.
Umgekehrt übersetzt Harbisson die Töne von Musik, Sprache oder anderen Geräuschen unwillkürlich in Farben. Er besitzt damit eine technisch induzierte Variante der Synästhesie. „Ich hörte ein Telefonklingeln und es fühlte sich grün an, denn es klang genau wie die Farbe Grün. Der Piepton von BBC, er klingt Türkis, und Mozart zu lauschen war eine gelbe Erfahrung“, berichtet der Bodyhacker. Über eine WLAN-Schnittstelle kann er sich zudem auch Farben oder Töne von engen Freunden schicken lassen und so auf völlig neue Art kommunizieren.
Offiziell ein Cyborg
„Das Leben hat sich dramatisch verändert, seit ich Farben höre“, berichtet der Künstler. Was er anfangs noch bewusst als technisches Hilfsgerät empfand, ist inzwischen integraler Teil seiner Wahrnehmung. „Ich spürte, dass der kybernetische Apparat kein Apparat mehr war. Er war ein Teil meines Körpers geworden, eine Erweiterung meiner Sinne“, so Harbisson. Er sieht sich seither als kybernetisches Wesen – als posthumanen Organismus, wie er erklärt.
Die enge Verbindung von Mensch und Technik überzeugte sogar die Behörden: Sie erkannten das Implantat samt Antenne als Teil von Harbissons Körpers an und erlaubten deren Abbildung auf seinem Passbild. „In britischen Reisepässen darf man nicht mit elektronischen Apparaten abgebildet sein, aber ich machte den Behörden klar, dass das tatsächlich ein neuer Teil meines Körpers war, eine Erweiterung meines Gehirns.“ Der Bodyhacker wurde damit zum ersten offiziell anerkannten Cyborg.
Inzwischen hat Harbisson hat sein Spektrum – im wahrsten Sinne des Worts – erweitert. Mit seinem Implantat kann er nun auch UV-Licht und Infrarot wahrnehmen – Wellenlängen, die für uns Menschen normalerweise unsichtbar sind. „Ich kann hören, wenn jemand mit einer Fernbedienung auf mich zeigt. Und das Gute an der Wahrnehmung von Ultraviolett ist, dass man hören kann, ob es ein guter oder schlechter Tag zum Sonnenbaden ist“, so Harbisson.
Noch spannender aber ist für den Künstler, dass er damit die Wahrnehmung vieler Tiere nachvollziehen kann. Harbisson kann so als erster Mensch fühlen, wie beispielweise die unsichtbaren Lockmuster von Blüten auf Bienen wirken. Er sieht in dieser Fähigkeit zur artübergreifenden Wahrnehmung einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer „Transspezies“ – einer Art, die sich nicht mehr von den naturgegebenen Grenzen einengen lässt.
„Apps für unseren eigenen Körper“
„Wenn wir unsere Sinne erweitern, dann erweitern wir dementsprechend auch unser Wissen“, betont Harbisson. „Ich denke, dass das Leben sehr viel aufregender wird, wenn wir aufhören, Apps für unsere Handys und stattdessen Apps für unseren eigenen Körper zu entwerfen. Ich denke, dies ist eine große Veränderung, die wir noch in diesem Jahrhundert erleben werden.“
Um diese Entwicklung voranzutreiben, hat der Bodyhacker und Künstler die Cyborg Foundation gegründet. Die Stiftung will Menschen dazu ermutigen, mithilfe von Technologie ihre Sinne zu erweitern. „Ich möchte Sie darin bestärken, ein Cyborg zu werden – Sie sind nicht allein“, so Harbissons Schlusswort in seinem TED-Talk.
Nadja Podbregar
Stand: 16.03.2018
Bodyhacks in Medizin und Forschung
Vom Ersatzteil zur Optimierung
Nicht nur in der Bodyhacker-Szene, auch in der Medizin und Wissenschaft machen Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine gerade eine rasante Entwicklung durch. Das Spektrum reicht von Herzschrittmachern und implantierten Insulinpumpen über Cochlea-Implantate bis hin zu Roboterarmen und Fluggeräten, die durch die Kraft der Gedanken gesteuert werden. Und sogar eine Art Telepathie gelingt durch die Verschmelzung von Mensch und Maschine.
Eine der ersten Querschnittsgelähmten mit einem gedankengesteuerten Ersatzarm war 2012 eine 58-jährige US-Amerikanerin. Nach einem Hirnschlag war sie 15 Jahre lang vom Kopf abwärts gelähmt und konnte nicht einmal mehr ihre Arme bewegen. Doch dank eines „Cyborg“-Implantats kann sie nun wieder selbst eine Kaffeetasse halten und zum Mund führen und Gegenstände ergreifen.
Möglich wird dies durch ein nur vier Millimeter kleines Elektrodenplättchen in ihrem Gehirn. Forscher des BrainGate-Projekts haben diese Elektroden an die Stelle ihrer Großhirnrinde implantiert, die früher die Bewegung ihres Arms kontrollierte. Statt in den gelähmten Arm werden die Bewegungsbefehle ihres Gehirns nun jedoch über die Elektroden an einem Computer geleitet. Dieser übersetzt die Hirnsignale in Befehle, die ein Roboterarm ausführen kann. „Es fühlt sich ganz natürlich an, mir vorzustellen, dass sich meine rechte Hand in die Richtung bewegt, in die ich den Roboterarm steuern möchte“, schildert die Patientin das Gefühl dabei.
Inzwischen ist sie nicht mehr die einzige, die mit der Kraft ihrer Gedanken künstliche Gliedmaßen steuert: Weit verbreitet sind Schnittstellen zwischen Nervensystem und Technik auch bei den modernen Prothesen von Amputierten. Sie sind über Elektroden an die Nerven der verblieben Arm- oder Beinstümpfe gekoppelt und erlauben so eine direkte Kontrolle ihrer Bewegungen.
Doch auch der umgekehrte Weg existiert bereits: Technik, die nicht Gliedmaßen, sondern fehlende oder geschädigte Sinnesorgane ersetzt. So haben Forscher bereits Sensoren entwickelt, die Menschen ihren Tastsinn zurückgeben – beispielsweise an einer Armprothese. Über die Elektrodenverbindung zwischen Technik und Nervensystem übertragen diese Systeme die Informationen von Drucksensoren an das Gehirn der Patienten.
Nach ähnlichem Prinzip funktionieren Retina-Implantate für Blinde: Winzige, ins Auge eingepflanzte Fotosensoren reagieren auf die Lichtreize der Umwelt und senden entsprechende elektrische Signale über den Sehnerv ans Gehirn. Noch können diese Implantate zwar nicht die volle Sehkraft wiederherstellen. Die Patienten sehen aber immerhin wieder Hell-Dunkel-Kontraste und Formen – für viele komplett Erblindete ist schon dies eine große Erleichterung im Alltag.
Aber auch jenseits der Medizin forschen Wissenschaftler inzwischen intensiv an Mensch-Maschine-Schnittstellen. So lassen sich Autos, Modell-Hubschrauber und sogar Flugzeuge mit Gedankenkraft steuern. Dies geschieht allerdings nicht per Implantat, sondern über Elektrodenkappen, die außen am Schädel anliegen. Diese „Cyborg“-Erfahrungen sind daher reversibel.
Noch einen Schritt weiter gehen Forscher, die mittels Technik eine direkte Hirn-zu-Hirn-Kommunikation ermöglichen wollen – quasi eine technische Variante der Telepathie. Dabei werden Hirnströme des Senders aufgezeichnet, digitalisiert und über Computer und Internet übertragen. Beim Empfänger werden diese Signale dann mittels implantierter Elektroden oder durch externe Magnetfelder wieder ins Gehirn eingespeist.
Was utopisch klingt, haben Wissenschaftler bereits verwirklicht – sowohl bei Ratten als auch mit menschlichen Probanden. Bei Letzteren übertrug diese „technische Telepathie“ immerhin schon einfache Worte: „Hola“ und „Ciao“.
Noch sind solche Experimente eher umstrittene Vorstöße von einzelnen. Doch nicht wenige KI-Forscher, Bodyhacker und selbsternannte Transhumanisten sehen in der zunehmenden Verschmelzung von Mensch und Maschine unsere Zukunft. „Die Fähigkeit, uns selbst upzugraden, mit machtvollen neuen Fähigkeiten – das ist die Zukunft der menschlichen Evolution“, heißt es dazu auf der Website von Dangerous Things.