Forscher entschlüsseln die geheimen Rezepte der Alchemisten

Alchemie

Blick in ein Alchemistenlabor des 15. Jahrhunderts © Janericloebe / gemeinfrei

Sie wollten Blei zu Gold machen und suchten nach dem Stein der Weisen: Die Alchemisten des Mittelalters und der Renaissance galten lange als Pseudogelehrte oder sogar Quacksalber. Doch ihre Methoden und geheimen Rezepte haben es durchaus in sich – wenn man sie denn entschlüsseln kann.

Die Alchemie war weit mehr als nur mystisch verbrämtes Unwissen oder gar Quacksalberei. Im Gegenteil: Heute gilt die Herangehensweise dieser frühen Gelehrten sogar als wegweisend für die Chemie und die Wissenschaft insgesamt. Denn die Alchemisten gehörten zu den ersten, die moderne Deduktionsmethoden nutzen: Sie führten systematische Experimente zum Test von Hypothesen durch und zogen daraus ihre Schlüsse.

Aus ihren Niederschriften lässt sich daher auch heute noch einiges lernen – vorausgesetzt man versteht diese oft sehr verklausulierten Hinweise. Den Versuch, die Rezepte und Methoden der alten Alchemisten zu enträtseln und nachzuvollziehen, machen zurzeit gleich mehrere Forschungsprojekte – mit durchaus spannenden Ergebnissen.

Nadja Podbregar
Stand: 20.05.2016

Der schlechte Ruf der Alchemie

Nur Hokuspokus und Quacksalberei?

Bärtige Gestalten in seltsamen Gewändern, die in einem kargen Kellerraum mit rauchenden Tiegeln und brodelnden Tinkturen hantieren und dabei geheimnisvolle Sprüche murmeln – so ähnlich stellen wir uns heute meist Alchemisten vor. Irgendwo zwischen Quacksalberei und Magie angesiedelt verschrieben diese Pseudogelehrten ihr Leben der Suche nach dem Stein der Weisen und dem Rezept, mit dem sich Blei zu Gold machen lässt, so die gängige Annahme.

Porträt des berühmten Gelehrten Isaac Newton – auch er beschäftigte sich mit Alchemie. © historisch

Zwischen hoffähig und verboten

Doch dieses Bild trifft nur zum Teil. Denn in Mittelalter und Renaissance war die Alchemie ein ebenso verbreitetes und zeitweilig durchaus angesehenes Fachgebiet wie andere Wissenschaften auch. Im 13. Jahrhundert war die Alchemie sogar bei einigen mittelalterlichen Universitäten hoffähig – bis dann in einigen Regionen sogar Gesetze erlassen wurden, die die Produktion von Alchemistengold unter Strafe stellten.

Das allerdings hinderte so berühmte Gelehrte wie Francis Bacon, Robert Boyle, Paracelsus oder John Dee, den Hofastrologen und Berater der englischen Königin Elisabeth I., nicht daran, sich alchemistischen Studien zu widmen. Selbst ein unbestritten seriöser Wissenschaftler wie Isaac Newton beschäftigte sich noch im 17. Jahrhundert mit der Alchemie und beschrieb in einem erst vor kurzem entdeckten geheimen Manuskript ein Rezept für den begehrten Stein der Weisen.

Viele Alchemisten hielten ihre Versuche und Rezepturen streng geheim © historisch

Schwarze Magie

Für Misstrauen sorgte allerdings immer wieder die Geheimnistuerei der Alchemisten, die ihre Rezepturen und Methoden nur selten offenlegten. Viele von ihnen studierten zudem die Schriften arabischer und jüdischer Gelehrter, die damals dem Wissen der Europäer in vielem weit voraus waren. Auch das rückte sie verdächtig in die Nähe der Häresie.

Schnell gerieten Alchemisten in den Verdacht, dunkle Magie und heidnische Rituale zu praktizieren. So wurde der Mathematiker und Alchemist Michael Scott im 12. Jahrhundert beschuldigt, schwarze Magie zu betrieben und Dämonen zu beschwören und wurde sogar exkommuniziert – obwohl er sogar zeitweise den prestigeträchtigen Posten als Hofastrologe des spanischen Königs bekleidete.

Generell waren damals die Grenzen zwischen Religion, Philosophie, Magie und Wissenschaft noch fließend – oder eher nicht existent. Nicht wenige Alchemisten waren sogar im „Hauptberuf“ Mönche, Priester oder aber Astrologen, wie beispielsweise Albertus Magnus, der sogar seine Position als Bischof aufgab, um sich ungestörter seinen alchemistischen Studien widmen zu können.

Die Alchemie war auch ein lukratives Geschäft - solange man nicht als Betrüger aufflog. © Pietro Longhi, 1702

Tricks und Quacksalberei

Und natürlich gab es auch echte Quacksalber. Gerade im Mittelalter war die Alchemie eine beliebte Masche, um reichen Zeitgenossen Geld aus der Tasche zu ziehen. Wer behauptete, er könne unedles Metall in Gold umwandeln und das Ganze dann mit ein wenig Brimborium und Taschenspielertricks „vorführte“, der konnte sich oft einen lukrativen Posten als Hofalchemist sichern – zumindest bis der Schwindel aufflog.

Selbst der berühmte Paracelsus, oft als Urvater der Chemie gefeiert, war sich für ein paar Schummeleien und Tricks nicht zu schade. So entwickelte er Heiltränke für den Adel, die auf magische Weise verschiedenste Krankheiten kurieren sollten. Als seine Quacksalberei herauskam, war es damit jedoch vorbei. Sei Ruf war ruiniert und der Gelehrte starb mit 48 Jahren arm und als Alkoholiker.

Doch das ist noch nicht die ganze Geschichte…

Nadja Podbregar
Stand: 20.05.2016

Alchemie als Basis moderner Wissenschaft

Innovative Pioniere

Paracelsus ist ein Paradebeispiel dafür, dass die Alchemie mehr war als nur esoterischer oder betrügerischer Dilettantismus. Denn der Alchemist und Mediziner entwickelte neben aller Quacksalberei auch wirksame Arzneien, darunter das opiumhaltige Betäubungsmittel Laudanum, das bis in 19. Jahrhundert hinein unzähligen Patienten Schmerzen ersparte. Außerdem erkannte er durch seine Experimente: „Die Dosis macht das Gift!“.

Zeitgenössisches Portrait des Gelehrten und Alchemisten Paracelsus © Wellcome Trust Images /CC-by-sa 4.0

Vorreiter moderner Wissenschaft

Und es gibt noch viele weitere Errungenschaften der Alchemisten: In ihren Laboren erzeugten sie nützliche neue Metalllegierungen, stellten Pigmente und Säuren her oder erfanden Apparate zur Destillation, mit denen in der Folge Parfums, aber auch Whiskey hergestellt wurden. Andere entwickelten Beschichtungen und Lacke, die Farben oder Holzinstrumente schützten. Die Alchemisten produzierten in ihren Laboren demnach durchaus Nützliches – und sie legten mit ihrer Methodik das Fundament für echte Wissenschaft.

„Der Prozess der alchemistischen Versuche war ein wichtiger Beitrag zu dem, was wir heute die wissenschaftliche Revolution bezeichnen“, erklärt Daniel Liu von der Princeton University. In einer Zeit, in der viele Gelehrte sich auf reine Beobachtung oder aber überlieferte Theorien verließen, führten die Alchemisten bereits kontrollierte Experimente durch und zogen aus deren Ergebnissen ihre Schlussfolgerungen, die sie dann in weiteren Versuchen überprüften.

Die Sache mit dem Gold

Für uns eher unverständlich mag dagegen die Obsession der Alchemisten mit der Herstellung von Gold oder dem Stein der Weisen sein – einem geheimnisvollen Material, das durch bloßen Kontakt diese begehrte Transformation bewirken sollte. Heute ist klar, das bloße Chemie solche atomaren Transformationen nicht bewerkstelligen kann.

Gold war nicht nur kostbar, ihm wurden von den Alchemisten auch heilsame Kräfte zugeschrieben. © USGS

Doch die damalige Sicht war eine andere: Ohne Kenntnis von Atomen und dem Aufbau der Elemente mussten sich die Alchemisten auf das verlassen, was sie sahen. Und das sprach dafür, dass sich Metalle durchaus ineinander umwandeln konnten. Denn mischte man einige von ihnen, zeigten sie hinterher völlig andere Eigenschaften als zuvor die beiden Ausgangsmetalle – wie es bei Legierungen in der Tat der Fall sein kann.

„Die meisten Alchemisten des Mittelalters glaubten, das Metalle nicht Elemente sind, wie wir heute wissen, sondern hielten sie für Verbindungen aus Schwefel und Quecksilber und vielleicht noch einem Salz“, erklärt William Newman von der Indiana University. Der Anteil dieser Stoffe, so glaubten sie, bestimmt, wie hart und beständig ein Metall sei. Demnach bestand Eisen zum großen Teil aus Schwefel, der ihm seine Härte verlieh. Das weichere Gold dagegen musste einen höheren Anteil an Quecksilber enthalten.

Später in der Renaissance sah man im Gold eher eine Art fortgeschrittenen Entwicklungszustand der Metalle. „Gold war sozusagen die perfekte reife Frucht, zu der die unterirdischen Vorkommen der unedlen Metalle heranreifen würden, wenn man sie nur lange genug in der Erde ließe“, erklärt Newman.

Die Quadratur des Kreises: Der Stein der Weisen stand für das ultimative Material, dessen Kräfte Gold und das Unsterblichkeits-Elixier erzeugen können. © historisch

…und der Stein der Weisen

Hier kam der Stein der Weisen ins Spiel: Seine Kräfte nehmen, so der Glaube der Alchemisten, diese Reifung sozusagen vorweg und führen zur Transmutation der Metalle. Diese Umwandlung war jedoch weit mehr als nur ein Weg zum schnellen Reichtum. Für die eng mit Mystik und Philosophie verwobene Alchemie war der Stein der Weisen auch ein Weg, um zu einem Allheilmittel und Unsterblichkeits-Elixier zu gelangen.

Kein Wunder daher, dass die Alchemisten fieberhaft und jahrhundertelang nach diesem Wundermittel suchten – leider vergebens. Dennoch hinterließen sie ein wertvolles Erbe in Form ihrer Methoden und Denkansätze, von der ihre Nachfolger in Physik, Chemie und Medizin reichlich profitierten.

Nadja Podbregar
Stand: 20.05.2016

Wenn der Drache den Mond verschluckt

Geheime Rezepte

Drachenblut-Harz, gemahlener Bernstein oder exotische Wurzeln: Die Zutaten für viele der alchemistischen Rezepte gleichen eher denen eines Hexengebräus als wissenschaftlich-chemischen Ingredienzen. Doch das täuscht. Denn hinter der blumigen, verschleiernden Sprache stecken durchaus nützliche und funktionierende Anleitungen – man muss sie nur zu entschlüsseln wissen.

Verklausulierte Hinweise: Mytische Anspielungen und Bilder verschlüsseln in diesem Alchemisten-Manuskript die Rezeptur. © Wellcome Trust Images /CC-by-sa 4.0

Drachenblut und kalter Höhlendrache

Das allerdings ist alles andere als einfach, weil die Alchemisten ihre Rezepte absichtlich so formulierten, dass sie nur von Eingeweihten verstanden wurden. Häufig nutzten sie bewusst Begriffe aus der Mythologie und Sagenwelt. Was ist beispielsweise mit „Drachenblut“ gemeint? Und was mit dem „Entzünden eines schwarzen Drachen“? Und was verbirgt sich hinter einem „kalten Drachen, der in Höhlen umherkriecht“?

So mythisch das klingt, so prosaisch sind die Ingredienzen und Methoden, die sich hinter diesen Umschreibungen verbergen – wenn man sie denn zu interpretieren weiß: Mit Drachenblut war schlicht Quecksilbersulfid gemeint, den schwarzen Drachen entzündete man, wenn man fein gemahlenes Blei anzündete und der kalte Höhlendrache entpuppt sich bei näherer Analyse als Kaliumnitrat, eine Variante des Salpeters. Sie kommt an den Wänden bestimmter Höhlen vor und schmeckt auf der Zunge kühl – daher ein kalter Drache.

Ripley Scroll: Die vier Meter lange Schriftrolle aus dem 16. Jahrhundert beschreibt die Herstellung des Steins der Weisen - aber verschlüsselt. © Jennifer Rampling/Princeton University

Verschluckte Sonne und spritzendes Silber

Aber mit den Zutaten allein ist es noch nicht getan, man muss auch wissen, was man mit ihnen anstellen soll. Dummerweise haben die Alchemisten auch das stark verklausuliert. Da ist beispielsweise von Drachen die Rede, die Mond und Sonne vertilgen, wenn das Lösen von Gold und Silber in Säuren gemeint ist. Andere Beschreibungen brechen mitten im Satz ab und werden als Illustration fortgesetzt oder die entscheidenden Anweisungen verbergen sich in den an den Rand des Manuskripts gekritzelten Anmerkungen.

Das kann zu unerwarteten Effekten führen, wie Studenten und Wissenschaftler an der Columbia University in New York unlängst feststellten. Im Rahmen des „Making & Knowing“-Projekts versuchen sie, die Rezepte aus einem französischen Alchemie-Manuskript aus dem 16. Jahrhundert zu entschlüsseln und umzusetzen. In einem davon wird beschrieben, wie man ein Silberschmuckstück mit Hilfe einer Sandform gießt.

„Wir waren so aufgeregt, endlich das Silber gießen zu können, doch dann explodierte es plötzlich geradezu“, erinnert sich Joel Klein. Das Silber spritzte auf dem Labortisch umher, statt geordnet in die Form zu fließen. Wie sich herausstellte, hatten die modernen Nachahmer einen entscheidenden Hinweis im Manuskript des Alchemisten übersehen: Der Sand der Gießform muss völlig trocken sein, was im missglückten Versuch jedoch nicht der Fall war. Als die Restfeuchte des Sandes mit dem heißen Metall in Kontakt kam, verdampfte das Wasser schlagartig und löste das Spritzen aus.

Nadja Podbregar
Stand: 20.05.2016

Die Tücke liegt im Detail

Baum aus Gold und gelbes Glas

Je mehr Forscher die alten Rezepte der Alchemisten erforschen und entschlüsseln, desto mehr Überraschungen treten zutage. Denn einige vermeintlich falsche oder überholte Experimente entpuppen sich beim Nachmachen als durchaus funktionierend oder sogar nützlich – wenn man einige entscheidende Kleinigkeiten berücksichtigt.

Aus Silbernitratlösung mit Quecksilber kristallisiert ein Baum aus silbrigem Metall aus – der Baum der Diana. © ΛΦΠ / CC-by-sa 4.0

Wundersame Vermehrung

Einen solchen Aha-Effekt hat der Chemiker Lawrence Principe von der Johns Hopkins University vor einigen Jahren erlebt. Auf der Suche nach einem echten Klassiker der Alchemie hatte er Fragmente von Rezepten und Laborbüchern aus dem 17. Jahrhundert studiert, in denen es um den geheimnisvollen Baum der Philosophen ging – eine Art Vorstufe zum Stein der Weisen.

Dieser Baum sollte nach damaligem Glauben eine geradezu wunderbare Goldvermehrung bewirken. Paracelsus schrieb beispielsweise: „Gold kann in einem Glas wie ein Baum wachsen“. Als „Arbor Dianae“ sind solche Metallbäume auf Basis von Silber schon länger bekannt. Sie entstehen, wenn beispielsweise Silber aus einer Silbernitratlösung unter Zugabe von Quecksilber auskristallisiert.

Ein Baum aus Gold

Doch das Ganze mit Gold? Klingt unmöglich – so dachte auch Principe zunächst. Dennoch folgte er dem Rezept und mischte ein speziell vorbereitetes Quecksilber mit einer kleinen Menge Gold, bis das Ganze zu einem kleinen butterartigen Klümpchen am Grund des Kolbens wurde. Getreu den Anweisungen der Alchemisten versiegelte er den Kolben und stellte ihn in angewärmten, feuchten Sand. Tagelang passierte nicht viel.

Doch eines Morgens erlebte der Chemiker eine Überraschung: Im Kolben war tatsächlich ein baumartiges, goldglänzendes Gebilde herangewachsen. Die Metallmischung war auskristallisiert und hatte diesen beeindruckenden Baum aus Kristallen entstehen lassen. Eine echte Goldvermehrung war natürlich nicht im Spiel, wie moderne Analysemethoden belegen. Doch für die Alchemisten der Renaissance muss dieses Phänomen wie eine wundersame Vervielfältigung des begehrten Edelmetalls erschienen sein.

Das gelbliche, glasartig amorphe Antimonglas galt in der Renaissance als Medizin © Making and Knowing Project

Glas aus Antimon

In einem anderen Fall schien Principe bei seinem Versuch, ein altes Alchemisten-Rezept umzusetzen, zunächst völlig zu scheitern. Ziel war es, Antimonglas herzustellen. Dieses gelbliche, glasartig amorphe „Vitrium antimonii“ galt in der Renaissance als Medizin und als Hilfsmittel, um bestimmte Arzneien herzustellen. „Die Alchemisten schrieben, dass es ziemlich einfach herzustellen sei“, berichtet der Forscher. „Aber ich kam dem Ziel nicht einmal nahe.“

Dem Rezept nach sollte man gemahlenes Stibnit (Sb2S3) mit Antimontrioxid vermischen und dann diese Mischung auf mehr als 1.000 Grad in einem Tiegel erhitzen. Es entsteht eine Schmelze, die beim Erstarren zunächst rötliches, bei längerem Erhitzen gelbliches amorphes Glas bildet. So die Theorie.

Doch statt des transparenten, gelblichen Glases fand sich am Boden von Principes Tiegel nur ein eher traurig aussehender grauer Klumpen. Aber warum? Die Lösung fand sich erst, als der Forscher die Herkunft des Rezept-Manuskripts berücksichtigte. Denn dieses stammte aus Osteuropa – und dort ist der Ausgangsstoff für das Antimonglas, das Mineral Stibnit, typischerweise mit einigen Prozent Silikat verunreinigt. Und siehe da: als Principe dem hochreinen Stibnit ein wenig Silikat zusetzte, bildete sich tatsächlich Antimon-Glas.

Lawrence Principe versucht, das Antimonglas der Alchemisten herzustellen.© Making and Knowing Project

Nadja Podbregar
Stand: 20.05.2016

"Geheime Zutat" entpuppt sich als Hightech-Mineral

Das Geheimnis der Tiegel

Schon vor 500 Jahren gehörten sie zur Grundausstattung jedes begüterten Alchemisten: hessische Tiegel. Denn diese praktischen Gefäße waren haltbarer und robuster als jedes andere Behältnis aus Glas, Metall oder Stein. Sie widerstanden hohen Temperaturen ebenso wie starken Säuren oder Laugen – und war daher für einige der Experimente nahezu unentbehrlich.

Unter Alchemisten waren Tiegel aus Hessen hochbegehrt - denn sie waren besonders widerstandsfähig. © Wellcome Trust Images /CC-by-sa 4.0

Begehrt in ganz Europa

Schon der englische Alchemist Thomas Norton beklagte sich 1477 darüber, dass in ganz England keine guten Tiegel produziert werden und man die Gefäße daher unter großem Aufwand aus dem Ausland beschaffe müsse. Tatsächlich belegen Ausgrabungen in ganz Europa und selbst in Nordamerika, dass die Tiegel aus Deutschland damals weithin exportiert wurden.

Doch was war das Geheimnis der unter Alchemisten so begehrten hessischen Tiegel? Die „geheime Zutat“ dieser Gefäße haben erst vor kurzem moderne Forscher entdeckt. Marcos Martinon-Torres vom University College London und seine Kollegen hatten für ihre Studie 50 hessische und normale Tiegel aus verschiedenen Ausgrabungen chemisch analysiert und verglichen.

Seltenes Mineral als geheime Zutat

Das überraschende Ergebnis: Die hessischen Tiegel enthielten eine bestimmte Zutat, das Aluminiumsilikat Mullit. „Dieses Material ist erst im 20. Jahrhundert erstmals beschrieben worden“, erklärt Martinon-Torres. „Doch wie sich jetzt zeigt, nutzten hessischen Tiegelmacher die Vorteile dieses speziellen Aluminiumsilikats bereits mehr als 400 Jahr früher.“

Das Mineral Mullit zeigt sich hier als feine weiße Fäden. © Leon Hupperichs/ CC-by-sa 3.0

Obwohl die Tiegelmacher des Mittelalters und der Renaissance dieses Silikat nicht kannten, hatten sie durch Versuch und Irrtum eine Herstellungsmethode entwickelt, die dieses stabile Material produzierte. Sie stellten ihre Tiegel aus kaolinhaltigem Lehm her und brannte diese bei Temperaturen von über 1.100 Grad. Unter diesen Bedingungen bildete sich das Mullit.

„Ein Material, was wir bisher als modern und Hightech angesehen haben, entpuppt sich damit als schon seit Jahrhunderten genutzt“, sagt Ian Freestone von der Cardiff University. „Die alten Handwerker hatten zwar nur ein begrenztes wissenschaftliches Verständnis ihrer Produkte, dafür aber besaßen sie ein sehr erfolgreiches Rezept – und hielten es über Jahrhunderte geheim.“

Vom Tiegel zur Turbinen-Auskleidung

Den Alchemisten bescherten die Tiegelmacher damit eines der wichtigsten Hilfsmittel ihrer Zunft. Aber nicht nur ihnen: Ohne die Widerstandsfähigkeit dieser Gefäße gegenüber Hitze, Chemie und mechanischen Belastungen wären auch einige chemische Elemente wahrscheinlich erst sehr viel später entdeckt worden, wie die Forscher erklären.

Heute wird Mullit in einer Vielzahl von modernen Keramikwerkstoffen eingesetzt. Es steckt in Baustoffen, in optischen Materialien und Katalysatoren, in Hitzeschutzbeschichtungen und den Auskleidungen von Flugzeugturbinen und Gasturbinen von Kraftwerken.

Nadja Podbregar
Stand: 20.05.2016

Den "Stein der Weisen" gibt es doch

Blei zu Gold

Einer der größten Träume der alten Alchemisten war es, unedle Metalle in Gold umzuwandeln. Denn diese Transformation würde ihnen und ihren Auftraggebern nicht nur Reichtum und Ruhm bescheren, dem Element Gold wurde damals auch große Heilkraft zugeschrieben. Doch vergeblich: Obwohl Generationen von Alchemisten nach dem Stein der Weisen suchte – dem Verfahren, das diese geheimnisvolle und lukrative Umwandlung bewerkstelligen konnte, blieben sie erfolglos.

Ohne den Alchemisten Böttger wäre das europäische Porzellan erst sehr viel später erfunden worden – hier ein Blick in die Porzellan-Manufaktor Meissen. © JoJan/ CC-by-sa 3.0

„Weißes Gold“, aber kein Stein der Weisen

Immerhin einer von ihnen stolperte dafür aber über das Rezept für das „weiße Gold“ – die Herstellung des begehrten Porzellans. Dem Alchemisten Johann Friedrich Böttger rettete diese Entdeckung 1708 den Hals, denn er war kurz davor, als Betrüger von seinem Auftraggeber, dem Kurfürst von Sachsen, hingerichtet zu werden. Und Europa konnte damit endlich das Monopol der Chinesen in der Porzellanherstellung durchbrechen.

Echtes Gold aber war das trotzdem nicht. Und aus heutiger Sicht ist das auch kein Wunder. Denn längst ist klar, dass simple chemische Reaktionen, seien sie noch so heftig, kein Element in ein anderes umwandeln können. Stattdessen verändern sie nur den Bindungszustand des Elements. Dadurch wird beispielsweise aus einem elementaren Stoff ein Salz oder aber ein Molekül trennt sich in seine atomaren Bestandteile auf.

Umgewandelt in Gold

Jenseits der Chemie gibt es heute aber durchaus Nachfahren der alten Alchemisten, die Gold herstellen können. Ihr Stein der Weisen ist allerdings weder handlich noch ungefährlich. Einer der Wege zum begehrten Metall führt in die Kernphysik: Unter Beschuss mit radioaktiver Strahlung können sowohl Platin als auch Quecksilber in Gold umgewandelt werden. Beide sind im Periodensystem direkte Nachbarn des Goldes und müssen daher nur ein Proton verlieren oder hinzugewinnen, um zu Gold zu werden.

Blick in den Vorbeschleuniger UNILAC am GSI, hier werden Schwerionen auf 20 Prozent der Lichtgeschwindigekit gebracht. © G. Otto / GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung

Der zweite „Stein der Weisen“ ist riesig groß und enorm energiehungrig: Es handelt sich um Teilchenbeschleuniger. Werden schwere Atomkerne darin mit fast Lichtgeschwindigkeit aufeinander geschossen, dann kann Gold entstehen. Denn die Kerne verschmelzen und bilden neue, schwerere Elemente. Im Beschleuniger des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt beispielsweise entstehen in jeder Sekunde zwei Millionen neue Goldkerne. Allerdings: So viel das klingt, Reichtümer lassen sich damit nicht gewinnen. Denn um auf diese Weise ein einziges Gramm Gold zu produzieren, müssten die Beschleuniger 50 Millionen Jahre lang arbeiten.

Heute hat die moderne Wissenschaft daher zwar den alten Traum der Alchemisten verwirklicht. Aber lukrativ sind die modernen „Steine der Weisen“ leider alle nicht.

Nadja Podbregar
Stand: 20.05.2016