Eine Reise in die Gegenwelt

Antimaterie

Antimaterie - die Teilchen dieser "Gegenwelt" sind noch immer kaum erforscht. © Podbregar

Jedes Teilchen in unserer Welt besitzt einen Gegenpart aus Antimaterie – eine Art verkehrtes Spiegelbild. Sie bildet damit das Gegenstück zur normalen Materie. Doch warum ist die Antimaterie im heutigen Universum so rar? Und wo überall finden wir diese geheimnisvollen Gegen-Teilchen? Eine Spurensuche in der mysteriösen Antiwelt.

Antimaterie besitzt eine große Besonderheit: Kommt sie mit Materie in Kontakt, löschen sich beide gegenseitig aus. Das setzt nicht nur große Mengen an Energie frei, es hat auch Folgen für unser kosmologisches Weltbild. Denn folgt man streng den Regeln der physikalischen Gesetze, dürfte es unser Universum gar nicht geben. Kein Wunder, dass Antimaterie und die mit ihr verbundene Symmetrieverletzung noch immer als eines der großen ungelösten Rätsel der Physik gelten.

Nadja Podbregar

Was ist Antimaterie?

Die Antiwelt

Wir leben in einem Materie-Universum: Alles, was wir um uns herum sehen, besteht aus normaler Materie – ob unser Planet, die Sterne oder die Kerne der Atome. Und diese Materie wiederum besteht aus einer ziemlich begrenzten Anzahl von Elementarteilchen – im Prinzip reichen zwölf Teilchensorten plus ein paar Kraftteilchen und dem Higgs-Boson. Doch es gibt noch eine Gegenwelt – die Welt der Antimaterie.

Spuren in der Nebelkammer

Vermutet hat dies bereits 1928 der Physiker Paul Dirac, als er die heute nach ihm benannte Wellengleichung für Elektronen entwickelte. Ihm fiel auf, dass sie zwei Lösungen hat, eine für das Elektron und eine für ein fast identisches Teilchen mit entgegengesetzter Ladung. Er postulierte daher die Existenz eines Anti-Elektrons, des „Positrons“.

Dieses Foto von Carl Anderson aus dem Jahr 1933 zeigt die Spur eines POsitrons in einer Nebelkammer. © historisch

Diracs gewagte These hatte Folgen: Überall auf der Welt suchten nun Physiker fieberhaft nach diesen Antiteilchen, einige postulierten bereits ein ganzes Periodensystem der Antimaterie. Dirac selbst schlug sogar vor, dass es im Universum: ganze Anti-Galaxien mit Anti-Sternen und Anti-Planeten geben könnte.

1932 wurde die Existenz der Antimaterie schließlich amtlich: Bei Experimenten in einer Nebelkammer bemerkte Carl Anderson Teilchenspuren, die denen eines Elektrons glichen, sich aber im Magnetfeld genau in die andere Richtung krümmten. Schnell war klar: Diese Spuren hatten Positronen aus der kosmischen Strahlung hinterlassen. Anderson hatte damit quasi den ersten „Fingerabdruck der Antimaterie“ nachgewiesen.

Wie ein Spiegelbild

Heute weiß man, dass für alle Teilchen unseres Standardmodells ein entsprechendes Antiteilchen existiert. Für alle Quarks, für Elektronen, Myonen oder Tau-Leptonen und sogar für die geheimnisvollen „Geisterteilchen“, die Neutrinos. Ihre Gegenparts in der Antiwelt haben nach gängigem Wissen die gleiche Masse und auch sonst ziemlich ähnliche Eigenschaften.

Elektron und Positron haben die entgegengesetzte Ladung und einen umgekehrten Spin. Letzteres ist die Folge der CP-Symmetrie: Die Raumkoordinaten sind umgekehrt. © Xerxes314 / CC-by-sa 3.0

Sie können sich beispielsweise auf ähnliche Weise zu größeren Einheiten verbinden wie die Materiebausteine. Anti-Wasserstoff und Anti-Helium haben Physiker bereits nachgewiesen, aber selbst größere Elemente und sogar Moleküle wären theoretisch möglich.

Es gibt aber einen wesentlichen und entscheidenden Unterschied zwischen Antimaterie und normaler Materie: Die Antiteilchen verhalten sich in bestimmten Merkmalen wie ein Spiegelbild zu ihren Materie-Gegenparts. Ihre Ladung und ihr Spin sind beispielsweise genau entgegengesetzt. Und das hat Folgen: Kommen Teilchen und dazu gehörendes Antiteilchen zusammen, dann löschen sie sich gegenseitig aus und setzen dabei Energie frei.

Antimaterie kann daher in Gegenwart all unserer Materie nicht lange überleben: Sie verschwindet fast sofort wieder, weil sie ständig irgendwo mit ihren Materie-Gegenparts kollidiert. Die große Frage ist aber: Wo kommt die Antimaterie überhaupt her? Und warum scheint sie in unserem Universum gegenüber der Materie so benachteiligt zu sein?

Nadja Podbregar
Stand: 06.11.2015

Auf der Suche nach der Symmetrieverletzung

Spiegelbild mit kleinen Fehlern

Mit dem Urknall fing alles an: Innerhalb von winzigen Sekundenbruchteilen entstand aus dem Nichts der Ursprung unseres gesamten Universums. Als sich dieser fast unendlich heiße und dichte „Urkeim“ ausdehnte, bildeten sich allmählich aus Energie die ersten Teilchen – sowohl der Materie wie auch der Antimaterie. Doch genau an diesem Punkt beginnt das Problem.

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Warum ist nicht alles weg?

Nach gängiger Ansicht sind unser Universum und seine Prozesse symmetrisch. Das aber bedeutet, dass beim Urknall für jedes Teilchen auch sein Antiteilchen entstanden sein muss. Am Anfang unseres Universums sollten sich daher Antimaterie und Materie genau die Waage gehalten haben. Doch genau das ist unmöglich: Hätte es gleich viele Antiteilchen wie Teilchen gegeben, hätten diese sich unweigerlich gegenseitig ausgelöscht. Damit aber wäre der frischgebackene Kosmos wieder verschwunden, bevor er sich richtig entwickeln konnte.

Da wir heute aber existieren – und mit uns Milliarden andere Planeten und Sterne – kann dieses Szenario nicht so abgelaufen sein. Die Symmetrie des Universums muss im Uranfang verletzt worden sein, sonst hätte die Materie nicht die Überhand gewinnen können. Physiker vermuten, dass es zwischen Materie und Antimaterie winzige, aber entscheidende Unterschiede im Verhalten geben muss, die zu einer leichten Asymmetrie und damit dem Erhalt der Materie geführt haben.

Haben Antiteilchen das gleich Masse-Ladungs-Verhältnis wie normale Materie? © Chukman So

Kein Erfolg bei Masse und Ladung

Aber wo versteckt sich dieser Symmetriebruch? Eine Möglichkeit wären kleinste Unterschiede im Verhältnis der Masse zu Ladung. Diese könnte schon ausreichen, um der Materie den kleinen, aber so wichtigen Vorteil zu verschaffen. Doch im Sommer 2015 haben gleich zwei Experimente am CERN Ergebnisse geliefert, die diese Hypothese unwahrscheinlicher machen.

Weder bei Proton und Antiproton noch bei Deuterium oder Helium-3-Kernen und ihren Antiteilchen konnten die Physiker Abweichungen im Masse-Ladungs-Verhältnis feststellen – und das teilweise bis auf elf Nachkommastellen genau. Es bleibt damit nicht mehr viel Platz, wo sich ein Unterschied noch verstecken könnte. Doch die Physiker geben nicht auf. Sie wollen nun als nächstes das magnetische Moment der Protonen und Antiprotonen vergleichend unter die Lupe nehmen.

Ist es eine CP-Verletzung?

Noch größere Hoffnung aber setzten viele Physiker auf die zweite Laufzeit des Teilchenbeschleunigers LHC am CERN. Denn bei den energiereichen Kollisionen der Protonen und Bleikerne könnten Zerfallsreaktionen auftreten, die auf eine Verletzung der sogenannten CP-Symmetrie hindeuten. Diese besagt, dass man in jeder Reaktion ein Teilchen folgenlos durch sein Antiteilchen ersetzen kann, wenn man gleichzeitig alle Raumkoordinaten spiegelt.

Der LHC liefert ab jetzt Daten aus einem zuvor unerreichten Bereich der Physik © CERN

Praktisch bedeutet dies, dass bei einer Kollision im Beschleuniger ein Antiproton gleich viele Zerfallsprodukte erzeugen müsste wie ein Proton – nur jeweils in der Antimaterie-Variante. Tatsächlich haben Physiker sowohl an US-Beschleunigern als auch am LHC erste Indizien für eine solche CP-Verletzung entdeckt. So entstanden nach Kollisionen von Protonen und Antiprotonen etwa ein Prozent mehr Myonen als Antimyonen und auch beim sogenannten Beta-Meson-Zerfall gab es Unregelmäßigkeiten.

Noch allerdings sind diese Daten nicht signifikant genug, hier soll, der LHC Abhilfe schaffen. Zudem muss die beobachtete Symmetrieverletzung groß genug sein, um die Dominanz der Materie über die Antimaterie erklären zu können. Auch das ist bisher aber nicht der Fall. Die Suche geht daher weiter.

Nadja Podbregar
Stand: 06.11.2015

Antimaterie gibt es auch in unserer Umgebung

Sie ist überall

Auch wenn in unserem Universum heute die Materie über die Antimaterie dominiert: Die Teilchen der „Gegenwelt“ begegnen uns häufiger, als man denkt. Denn sie entstehen ständig aufs Neue um uns herum: In der Atmosphäre, im Erdinneren – und sogar in unserem Körper. Zwar löschen sich diese Antimaterie-Teilchen fast sofort wieder aus, weil sie mit Materie in Kontakt kommen. Aber es gibt sie – und sie sind überall.

Kosmische Strahlung besteht zu einem kleinen Teil aus Antitielchen © Simon Swordy/ University of Chicago, NASA

Aus dem All

Ein Teil der Antimaterie in unserer Umwelt regnet buchstäblich auf uns herab. Denn sie stammt aus der kosmischen Strahlung, die aus dem Weltraum ständig auf die Erde trifft. Dieses größtenteils bei Supernova-Explosionen entstehende Gemisch aus energiereichen Teilchen enthält neben der normalen Materie und Strahlung auch einen kleinen Anteil von etwa einem Prozent Antimaterie.

Gemessen hat dies das Alpha Magnetic Spectrometer (AMS), ein Sensor, der an der Raumstation ISS sitzt. Er registrierte in den ersten eineinhalb Jahren seiner Laufzeit immerhin 6,8 Millionen Einschläge von Elektronen und ihren Antimaterie-Gegenparts, den Positronen. Schätzungen nach treffen auf jedem Quadratmeter der Atmosphären-Oberseite der Erde zwischen einem und 100 dieser Antiteilchen auf. Allerdings: Dort ist dann für sie meist Schluss. Denn sobald die Positronen mit den Gasteilchen der Atmosphäre kollidieren, werden sie ausgelöscht. Bei uns am Erdboden kommen daher von diesen Positronen kaum noch welche an.

Aus der Erde

Schon mehr Kontakt haben wir mit der Antimaterie, die in der Erde und in unserer irdischen Umwelt bei bestimmten Formen des radioaktiven Zerfalls entsteht. Eine der Quellen dafür ist das Element Kalium. Rund 0,012 Prozent des auf der Erde vorkommenden Kaliums liegt als radioaktives Isotop Kalium-40 vor. In der Erdkruste sind dies immerhin rund 2,5 Milligramm pro Kilogramm Gestein. Und im Erdmantel ist der Zerfall dieses Kaliums immerhin die drittgrößte Quelle radioaktiver Hitze.

Dies ist die erste Karte der Antineutrino-Ausstrahlung unseres Planeten © National Geospatial-Intelligence Agency/ AGM2015

In Bezug auf Antimaterie sorgt das Kalium-40 gleich auf zweierlei Weise für stetigen Nachschub. Ein kleiner Teil des Kalium-40 zerfällt im Betazerfall zu einem Neutrino und einem Positron – dem Antiteilchen des Elektrons. Der größte Teil jedoch zerfällt im sogenannten Beta-Minus-Zerfall zu einem Elektron und einem Antineutrino – dem Antiteilchen des Neutrinos. Wie groß die Menge dieser Antiteilchen ist, zeigte erst vor kurzem die erste Antineutrino-Karte der Erde. In ihr glüht unser Planet förmlich von der Menge der Antineutrinos, die er aussendet.

Und sogar in uns selbst

Und nicht nur das: Über Wasser, Luft und Boden nehmen Pflanzen, Tiere und auch wir Menschen ständig Kalium-40 auf. Deshalb kommt dieses Isotop auch in allen lebenden Wesen vor – und gibt dort Antiteilchen ab. So produziert beispielsweise eine Banane immerhin rund ein Positron alle 75 Minuten.

In unserem eigenen Körper zerfällt das Kalium-40 mit einer Rate von knapp 5.000 Ereignissen pro Sekunde. Zwar wird ein Großteil der dabei produzierten Antiteilchen sofort wieder ausgelöscht. Aber einige schaffen es, bis nach draußen vorzudringen. Unser Körper gibt daher immerhin rund 180 Positronen pro Stunde ab – von uns völlig unbemerkt.

Nadja Podbregar
Stand: 06.11.2015

Gammablitze erzeugen Positronen

Antimaterie-Gewitter

Es donnert, blitzt und stürmt: Gewitter sind schon per se ein dramatisches Naturschauspiel. Doch hoch oben in den Gewitterwolken spielen sich für uns unsichtbar auch Prozesse ab, bei denen größere Mengen Antimaterie entstehen. Die Herkunft einiger dieser Positronen ist allerdings bis heute rätselhaft.

Gewitter als Gammastrahlen. und Antimaterie-Produzenten.© NASA/GSFC

Gammablitze und Positronen

Die Geschichte beginnt 2008 mit dem Start des Gammastrahlen-Teleskops Fermi in die Erdumlaufbahn. Das fliegende Observatorium soll eigentlich die energiereichen Strahlenblitze einfangen, die bei bestimmten Explosionen im Weltall entstehen. Doch als NASA-Forscher die ersten Daten auswerten, entdecken sie Überraschendes: 130 der von Fermi registrierten Gammablitze stammen nicht aus dem All, sondern von der Erde. Die Blitze gehen offensichtlich von der Oberseite starker Gewitterstürme aus.

Heute weiß man, diese Gammastrahlen entstehen, wenn stark beschleunigte Elektronen in den Wolken mit Luftteilchen kollidieren. Doch das ist noch nicht alles: Wenn die energiereichen Gammablitze ihrerseits auf Atomkerne treffen, kann dabei ein Teilchen-Antiteilchen-Paar entstehen: ein Elektron und ein Positron. Wie das Fermi-Teleskop nachwies, können bei einem schweren Gewitter ganze Ströme dieser Antiteilchen von der Wolke aus aufwärts rasen, bis sie von den Magnetfeldlinien eingefangen werden und diesen folgen.

„Diese Signale sind der erste direkte Beweis dafür, dass Gewitter Antimaterie-Ströme erzeugen“, erklärt Michael Briggs von der University von Alabama. Er und seine Kollegen schätzen, Gewitter täglich bis zu 500 terrestrische Gammablitze erzeugen – und möglicherweise produzieren sie alle solche Teilchenströme.

Die von Gewittern erzeugten Gammablitze erzeugen einen Strom von Positronen (grün) © NASA, Joe Dwyer/Florida Inst. of Technology

Flug durch eine Positronen-Wolke

Wie viel Positronen in der Erdatmosphäre verborgen sein können, erlebte der Forscher Joseph Dwyer vor einigen Jahren am eigenen Leib. Im Sommer 2009 war er mit Kollegen in einem Messflugzeug unterwegs, um die Gammablitze von Gewittern zu messen. Auf einem Flug gerieten die Forscher irrtümlich etwas zu tief in den oberen Bereich einer großen Gewitterwolke hinein und wurden von heftigen Turbulenzen durchgeschüttelt.

Als sie schließlich nach einigen Minuten wieder ruhigere Luftbereiche erreichten, stellte Dwyer Seltsames fest: Der Gammastrahlensensor des Flugzeugs hatte während ihrer Passage durch die Wolke dreimal hintereinander starke Strahlenpeaks im Bereich von 511 Kiloelektronenvolt registriert. Doch dieser Wert passte nicht zu den normalen Gammablitzen der Gewitter. Stattdessen entsprach dieses Signal genau dem Wert, den man von Positronen erwarten würde.

„Wenn Positronen ausgelöscht werden, geben sie zwei Photonen ab, jedes mit der Energie von 511 Kiloelektronenvolt“, erklärt Dwyer. Rechnete man die registrieren Gammastrahlenwerte in Positronen um, dann musste das Flugzeug mitten durch eine mindestens ein bis zwei Kilometer große Wolke aus diesen Antiteilchen geflogen sein. „Die Emission stammte aus einem großen Bereich rund um das Flugzeug herum“, sagt Dwyer.

Herkunft rätselhaft

Aber wo kamen diese Unmengen an Positronen plötzlich her? Während der turbulenten Passage durch die Gewitterwolke registrierte das Messinstrument nur einen herkömmlichen Gammablitz. Doch dieser allein – und auch die bekannte Rate der Antimaterieproduktion in Gewittern reicht bei weitem nicht aus, um eine solche Wolke an Positronen zu erklären. Das Ganze war so rätselhaft, dass Dwyer immerhin fast sechs Jahre zögerte, bevor er seine Beobachtungen und Analysen veröffentlichte.

Woher diese Antimaterie-Wolke kommt, und ob es sie auch in anderen Gewittern gibt, ist bis heute ungeklärt. Dwyer vermutet, dass vielleicht kosmische Strahlen eine Rolle spielen könnten oder auch elektrische Felder, die im Gewitter am Flugzeug selbst entstanden sind. Er und seine Kollegen haben inzwischen damit begonnen, Messballons mit Gammastrahlensensoren inmitten von Gewitterstürmen steigen zu lassen – in der Hoffnung, mehr über diese rätselhafte Positronen-Wolke zu erfahren.

Nadja Podbregar
Stand: 06.11.2015

Wie reagieren Antiteilchen auf die Schwerkraft?

Antimaterie = Antigravitation?

Was passiert, wenn man ein Objekt aus normaler Materie fallenlässt? Ganz klar: Es fällt auf den Boden. Und was passiert, wenn man das Gleiche mit Antimaterie macht? Die Antwort auf diese Frage ist bisher unbekannt. Es ist zwar wahrscheinlich, dass sich die Antiteilchen ebenfalls in Richtung Erdboden bewegen. Theoretisch könnten sie aber auch entgegengesetzt auf die Schwerkraft reagieren oder nur verlangsamt wie in Zeitlupe nach unten fallen.

Blick in das ALPHA-Experiment am CERN, das das Fallverhalten von Antiteilchen untersuchte. Das Foto zeigt die Elektroden der Penningfalle in der Vakuumkammer. © Niels Madsen ALPHA/Swansea

Anders als bei Materie?

„Seit die Antimaterie entdeckt wurde, hat man darüber spekuliert, dass sie andere Gravitationseigenschaften besitzen könnte als Materie“, erklärt Joel Fajans von der University of California in Berkeley, ein Mitwirkender am ALPHA-Experiment des CERN. Dabei könnte diese „Antigravitation“ eine Abstoßungsreaktion bewirken, die Antiteilchen nach oben fallen lassen würde. Es könnte aber auch nur kleine Abweichungen geben, durch die Antiteilchen langsamer fallen als normale Materie.

„Ein nur kleiner Unterschied in der Reaktion der Antimaterie auf die Gravitation wäre theoretisch sehr viel plausibler“, meint Fajans‘ Kollege Jay Tasson vom Carleton College. „Aber jeder noch so kleine Unterschied würde schon ausreichen, um unser Verständnis der Allgemeinen Relativität und des Standardmodells zu erschüttern – gängige Theorien müssten neu gedacht werden.“ Andererseits könnte ein solcher Unterschied helfen zu erklären, warum wir in einem Universum voller Materie leben.

Funktionsprinzip des ALPH-Experiments © Nature

Magnetkäfig mit Ausschalter

Wie aber kann man das Verhalten der Antimaterie testen? Eine Chance bietet das ALPHA-Experiment am CERN, wie sich vor kurzem zeigte. „Es war eigentlich eher Zufall“, sagt Fajans. Im ALPHA-Experiment halten die Physiker Antiprotonen und Positronen in einer speziellen Magnetfalle in der Schwebe und verhindern so, dass sie mit Materie kollidieren und ausgelöscht werden.

Wenn man nun das Magnetfeld abschaltet, dann sind diese Antiteilchen für kurze Zeit der Schwerkraft ausgesetzt. Wenn man nun ermittelt, wo genau im Detektor die Annihilation dieser Teilchen stattfindet, kann dies verraten, ob sich die Antiteilchen nach Abschalten des Magnetfelds nach unten oder oben bewegt haben – ob sie also der Schwerkraft folgten oder ihr auswichen.

Diese Lichtblitze werden von der Annihilation des Antiwasserstoff im ALPHA-Experiment erzeugt. © Maximilien Brice/ CERN

Eine Antwort schon in den nächsten Jahren?

Tatsächlich können die genauen Detektoren des ALPHA-Experiments diese Daten liefern – im Prinzip. Noch allerdings gibt es Probleme: In den ersten Versuchen war das Abschalten nicht plötzlich genug, dadurch löschten sich die meisten Antiteilchen aus, bevor sie sich nach oben oder unten bewegen können. Von den 434 Antiwasserstoff-Atomen waren dadurch nur 23 für die Messung brauchbar – viel zu wenig, um belastbare Ergebnisse zu erhalten. „Gibt es eine Antigravitation? Bisher können wir weder eindeutig ja noch nein sagen“, so Fajans.

Doch die CERN-Forscher sind optimistisch, dass sie die Probleme schon bald in den Griff bekommen. Die Physiker sind im Moment dabei, das Experiment entsprechend zu optimieren, damit unter anderem das Magnetsystem schneller abgeschaltet wird. Sie rechnen damit, schon in den nächsten vier Jahren klären zu könne, ob sollen künftig ebenfalls die Reaktion von Antiteilchen auf Schwerkraft untersuchen. Es könnte daher nicht mehr lange dauern, bis wir wissen, wohin ein Antiteilchen fällt – man darf gespannt sein.

Nadja Podbregar
Stand: 06.11.2015

Wie realistisch ist ein "Warp-Antrieb"?

Antimaterie als Treibstoff?

Ohne seinen Warp-Antrieb wäre das Raumschiff Enterprise nur eine lahme Ente. Erst die Interaktion von Antimaterie und Materie in seinem „Warp-Kern“ sorgt dafür, dass das Schiff mit Überlichtgeschwindigkeit die unendlichen Weiten des Alls erkunden kann. Zwar ist ein Tempo schneller als das Licht auch nach heutigen Stand reine Fiktion, das Prinzip eines Antimaterie-Antriebs aber keineswegs.

Die Annihilation von Antimaterie setzt große Mengen Energie frei © Carlos Koblischek / freeimages

Fakt ist: Die Annihilation von Antimaterie mit Materie setzt ungeheure Mengen Energie frei, denn bei dieser Reaktion wandelt sich in Sekundenbruchteilen nahezu die gesamte Masse der Teilchen in Energie um. Die Antimaterie-Materie-Reaktion produziert dadurch zehn Milliarden Mal mehr Schub als ein herkömmlicher Raketenantrieb auf Wasserstoff-Sauerstoff-Basis und 300 Mal mehr als ein Kernreaktor.

Reicht nur für eine Glühlampe

Theoretisch würde man daher für einen Flug zum Mars nur rund zehn Milligramm Positronen oder zehn Gramm Antiprotonen benötigen – sozusagen einen Fingerhut voll. Das klingt wenig, ist aber ein zumindest mit heutiger Technologie unlösbares Problem. Denn bisher lässt sich Antimaterie nur mit großem Aufwand und in winzigen Mengen in Teilchenbeschleunigern erzeugen. In ihrer gesamten bisherigen Laufzeit haben alle Beschleuniger der Welt zusammen jedoch nicht einmal ein Millionstel Gramm Antimaterie produziert. Das würde gerade einmal ausreichen, um eine Glühlampe für wenige Minuten brennen zu lassen.

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Hinzu kommt: Die Kosten und Energie, um die benötigte Menge Antimaterie zu produzieren, wären enorm. Nach Angaben des CERN bräuchte man für ein Gramm Antimaterie etwa 25 Billiarden Kilowattstunden Strom – selbst mit einem extrem günstigen Strompreis wäre das unglaublich teuer. Der britische Physiker Frank Close schätzt, dass die Herstellung von nur einem Gramm Antimaterie mehr als eine Billion US-Dollar kosten könnte.

Das Lager-Problem

Aber gesetzt den Fall, die Menschheit würde irgendwie einen Weg finden, die im Weltraum oder auf der Erde natürlicherweise produzierten Antiteilchen einzufangen? Dann würde direkt die nächste Herausforderung warten: die Speicherung der Antimaterie. Denn um eine unkontrollierte Auslöschung zu verhindern, dürfen die Antiteilchen nicht mit normaler Materie in Kontakt kommen.

Dies lässt sich beispielsweise mit Hilfe spezieller Magnetkäfige wie der sogenannten Penningfalle erreichen. Allerdings: Das klappt bisher maximal 16 Minuten lang – für einen Weltraumflug nicht wirklich lang genug. Und für ein Raumschiff und seine Besatzung wäre es das Todesurteil, wenn die Magnetspeicherung versagt und eine unkontrollierte Annihilation abläuft. Das Schiff könnte explodieren wie eine Bombe.

So könnte ein von Antimaterie getriebenes Raumschiff aussehen. In diesem Falle würden Positronen mit Materrie reagieren udn dies erzeugt über einige Zwischenschritte Schub. © Positronics Research, LL

Bremser am Heck

Das nächste Problem ist die Antriebsdüse. Denn Schub bekommt ein Antimaterie-getriebenes Raumschiff nur dann, wenn die bei der kontrollierten Auslöschung im „Warp-Kern“ entstehenden Teilchen und Strahlung in eine Richtung ausgestoßen werden. Das maximale Tempo des Raumschiffs hängt dabei direkt von der Geschwindigkeit dieses Ausstoßes ab – und für diese ist neben der Annihilation selbst vor allem die Konstruktion der magnetischen Auslassdüse verantwortlich.

Bisher jedoch erwiesen diese sich als echte Bremser: Lässt man Antiprotonen in einem Antrieb mit Protonen reagieren, entstehen dabei geladene Pionen als Antriebsteilchen. Diese rasen den Berechnungen nach mit immerhin 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit aus dem Reaktor des Antimaterie-Raumschiffs heraus. Doch die bisherigen Auslassdüsen-Designs waren so uneffektiv, dass nur noch ein Schub von einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit übrig bleibt.

2012 jedoch haben zwei Physiker neue Berechnungen und Simulationen veröffentlicht, nach denen man Auslassdüsen so konstruieren könnte, dass der Antriebsstrom rund 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht. „Relativistische Geschwindigkeiten kommen damit wieder in den Bereich des Möglichen“, meinen Ronan Keane und Wei-Ming Zhang.

Fazit des Ganzen: Antimaterie-Antriebe für Raumschiffe wären theoretisch durchaus machbar. Doch bisher fehlt es dafür noch an so ziemlich allem: an genug Antiteilchen als Treibstoff, an effektiven Speichermöglichkeiten und der Umsetzung einer Technik, die die entstehende Energie effektiv in Schub umwandelt.

Nadja Podbregar
Stand: 06.11.2015

Existierende Anwendungen von Antimaterie

Tumore, Gehirn und Kristalle

So exotisch uns Antimaterie erscheint, so alltäglich sind einige ihrer Anwendungen bereits. Vor allem Positronen werden routinemäßig in der Medizin eingesetzt, um Krebstumore zu finden, sie helfen Forschern aber auch dabei, neurobiologische Aspekte unseres Verhaltens aufzuklären. Und in der Materialforschung dienen die Anti-Elektronen dazu, winzige Defekte im Atomgitter von Metallen aufzuspüren.

Krebs-Metastase im Schlüsselbein eines Patienten, im CT und in der PET-Darstellung. © Südwestdeutsches PET-Zentrum Stuttgart / CC-by-sa 3.0

Verräterische Strahlung

Die gängigste Anwendung für Antimaterie ist die Positronen-Emissions-Tomografie, kurz PET. Bei diesem bildgebenden Verfahren erhält der Patient oder Proband zunächst ein leicht radioaktives Mittel gespritzt, das beim Zerfall Positronen erzeugt. Dieses Mittel reichert sich je nach Typ in verschiedenen Geweben besonders stark an – beispielsweise in Krebstumoren, aber auch in besonders aktiven Hirnbereichen.

Weil an diesen Stellen besonders viele Positronen entstehen, finden dort auch viele Annihilationen statt. Das aber bedeutet, dass von diesen Stellen verstärkt die typische Gammastrahlung dieser Auslöschungsreaktion ausgeht – und diese wird von den Detektoren des PET gemessen. In der Medizin wird die PET häufig eingesetzt, um beispielsweise bestimmte Tumore ausfindig zu machen, aber auch, um Epilepsieherde im Gehirn aufzuspüren.

PET-Aufnahme eines Gehirns. Beim schmerzlindernden Placebo-Effekt zeigen sich hier ähnliche Muster wie bei echten Schmerzmitteln. © gemeinfrei

In der Neurobiologie haben Forscher mit Hilfe der Positronen beispielsweise nachgewiesen, dass Placebos ähnliches Reaktionen aujslösen wie echte Schmerzmittel und dass die elektromagnetische Strahlung eines Handys am Ohr die lokale Hirnaktivität verändert.

Eine andere Forschergruppe entdeckte mit Hilfe der Positronen-Bestrahlung, dass alkoholfreies Bier im Belohnungszentrum des Gehirns eine ähnliche Reaktion auslöst wie normales Bier. Das könnte erklären, warum Alkoholikern auch die vermeintlich harmlose Biervariante zum Verhängnis werden kann.

Fehlern im Kristall auf der Spur

In der Materialforschung dienen die Positronen weniger dazu, das nachzuweisen was zuviel ist, sondern sollen eher Lücken aufzeigen. In den meisten Fällen nutzen Forscher die Antiteilchen dazu, um winzige Fehlstellen im Atomgitter von Kristallen aufzuspüren. An diesen Stellen können beispielsweise einzelne Atome fehlen oder sogar Atomlagen gegeneinander versetzt sein. Da solche Fehler die Materialeigenschaften beeinflussen, ist es wichtig, sie genau zu kennen.

Ähnlich wie bei der PET verrät auch hier die Gammastrahlung der Annihilation die Lage der Fehler. „An jenen Stellen, wo atomare Defekte vorliegen, gibt es weniger Elektronen und damit auch weniger Zerstrahlungsereignisse“, erklärt Wolfgang Sprengel von der TU Graz das Prinzip. „Die Positronen dienen damit als Spione, die detaillierte Auskunft über die atomaren Defekte geben.“ Dies kann beispielsweise wichtig sein, um die Sicherheit von Speichermaterialien für Wasserstoff zu bestimmen.

Nadja Podbregar
Stand: 06.11.2015