Wo selbst Nobelpreisträger falsch lagen

Noble Irrtümer

Auch unter den Nobelpreisträgern gab es einige, die falsch oder knapp daneben lagen © Nobel Media AB / Helena-Paulin Strömberg, gemeinfrei

Es ist in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Nobelpreise zwar selten vorgekommen, aber einige Fälle gab es doch: Nobelpreisträger, deren Erkenntnisse sich hinterher als falsch herausstellten – oder zumindest als knapp am Richtigen vorbei. Einige davon führten sogar dazu, dass wichtige Erkenntnisse erst mit Verzögerung gemacht wurden.

Wissenschaftliche Erkenntnis ist selten absolut. Denn Theorien, Methoden und Annahmen über das Richtige haben sich im Laufe der Wissenschaftsgeschichte immer wieder gewandelt. Deshalb ist es im Nachhinein immer sehr viel leichter, den wahren Wert einer Forschungsarbeit zu bewerten. Umso erstaunlicher ist es, dass in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Nobelpreisträger nur wenige komplette Fehlgriffe dabei waren. Und auch sie lagen keineswegs immer komplett daneben – manchmal sahen sie das Richtige, zogen aber falsche Schlussfolgerungen.

Nadja Podbregar

Fibiger und der fiese Fadenwurm

Krebs durch Parasiten?

Der wahrscheinlich eklatanteste Fall eines Nobelpreis-geschmückten Irrtums ist die Verleihung des Medizin-Nobelpreises an den dänischen Forscher Johannes Fibiger. Er erhielt ihn 1926 für die Entdeckung eines Parasiten, den Fadenwurm Spiroptera carcinoma, der bei Ratten Krebs auslöste – das jedenfalls dachten Fibiger und auch das Nobelpreiskomitee. In einer Zeit, als man fieberhaft nach den Auslösern von Krebs suchte, war dies eine echte Sensation.

Johannes Fibinger in seinem Labor © Historisch

Mangelernährung statt Krebstumore

Doch wenige Jahre später stellte sich die Parasitengeschichte als kompletter Unsinn heraus. Denn die vermeintlichen Krebstumore, die seine Ratten entwickelten, waren gar nicht bösartig. Stattdessen handelte es sich um gutartige Geschwülste, wie sie typischerweise bei einem starken Vitamin A-Mangel auftreten. Wahrscheinlich lag dies daran, dass Fibiger seine Tiere wenig artgerecht mit Weißbrot und Wasser ernährte.

Dass dies zu Mangelerscheinungen führen kann, fiel Fibiger nicht auf, weil der Forscher neben den mit dem Fadenwurm infizierten Ratten keine nicht-infizierte Kontrollgruppe hielt. Solche Kontrollversuche waren Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht durchgängig üblich. Fibiger erkannte daher den wahren Grund der Tumore nicht und interpretierte sie fälschlicherweise als Krebs in Folge des Fadenwurm-Befalls.

Ein vermeintlich durch den Fadenwurm ausgelöstes Karzinom im Magen einer Ratte. © Johannes Fibiger

„Beginn einer neuen Ära“

Obwohl Fibingers vermeintliche Erkenntnisse längst widerlegt sind, wird er noch immer in der Liste der Medizin-Nobelpreisträger geführt. Dort fehlt bis heute jeder Verweis darauf, dass Fibinger falsch lag. Stattdessen kann man dort noch die damalige Preisrede lesen, in der es unter anderem heißt: „Fibigers Entdeckung markiert den Beginn einer neuen Ära, einer neuen Epoche in der Geschichte des Krebses… Fibiger war ein Pionier im schwierigen Feld der Krebsforschung und wird es bleiben.“

Erst im Jahr 2004 räumte das schwedische Karolinska Institut, das damals für die Auswahl der Preisträger zuständig war, offiziell ein, dass Fibingers Schlussfolgerungen nicht korrekt waren. Der Fadenwurm, der das ganze Theater ausgelöst hatte, ist heute übrigens umgetauft: Er heißt heute Gongylonema neoplasticum – der frühere Verweis auf Karzinom in seinem Namen ist damit getilgt.

Krebs durch Infektion gibt es doch

Immerhin: Fibiger lag damals zwar mit seiner Parasiten-Theorie komplett falsch. Inzwischen aber wissen wir, dass zumindest einige Viren und Bakterien durchaus Krebs hervorrufen können. Der australische Wissenschaftler Barry Marshall bewies in den 1980er Jahren sogar im Selbstversuch, dass das Bakterium Helicobacter pylori Magengeschwüre auslösen kann.

Das humane Papillomavirus (HPV) kann Gebärmutterhalskrebs auslösen © NCI

Der deutsche Forscher Harald zur Hausen entdeckte, dass das Humane Papillomavirus (HPV) Gebärmutterhalskrebs auslöst. 2008 bekam er dafür den Medizin-Nobelpreis. Heute werden junge Frauen in vielen Ländern gegen dieses Virus geimpft, um diesem Krebs vorzubeugen. Inzwischen haben krebsforscher noch einige weitere Viren als krebsfördernd identifiziert, darunter das Humane Herpesvirus-8 (HHV-8) als Auslöser für das Karposi-Sarkom, das Epstein-Barr-Virus (EBV) bei Nasenrachenkrebs und Hodgkins-Lymphom und die Hepatitisviren B und C für Leberkrebs.

Nadja Podbregar

Der Fall Moniz und die Lobotomie

„Klebrige Nervenbahnen“

Unter den Medizin-Nobelpreisen gab es auch einige, die für zumindest ethisch äußerst fragwürdige Therapien verliehen wurden. Denn auch wenn sie in Einzelfall vielleicht Linderung verschafften, brachten sie vielen Patienten unnötiges Leid. Aus heutiger Sicht sind sie daher wohl nur bedingt nobelpreiswürdig.

Fast wie ein Heiliger: Denkmal für Egaz Moniz in Lissabon © Manuelvbotelho / CC-by-sa 3.0

Heilung durch Zerstörung

Der bekannteste Fall ist die Auszeichnung von Antonio Egas Moniz im Jahr 1949. Der portugiesische Mediziner und Neurologe meinte damals festgestellt zu haben, dass eine Lobotomie bestimmte Psychosen lindern kann. Bei diesem Eingriff werden die Nervenverbindungen zwischen dem Frontallappen des Gehirns und dem Thalamus durchtrennt. Weite Teile der weißen Hirnsubstanz und Teile des präfrontalen Cortex werden dabei zerstört.

Moniz glaubte, dass die fixen Ideen und Wahrvorstellungen bei Schizophrenie und anderen psychischen Erkrankungen von anormal „klebrigen“ Nervenverbindungen herrührten. Ihre Durchtrennung hielt er daher für die beste Methode, um den Patienten Erleichterung zu verschaffen. Tatsächlich schien es der ersten Patientin von Moniz auch besser zu gehen: Sie war weniger aufgebracht und paranoid als zuvor, allerdings auch apathischer und gedämpfter.

„Jeder Patient verliert etwas“

Selbst der US-Mediziner Walter Freeman, einer der größte Verfechter der Lobotomie in den 1940er und 1950er Jahren, räumte später ein, dass dieser Eingriff den Patienten einen Teil ihrer Persönlichkeit nimmt. „Jeder Patient verliert etwas durch diese Operation, etwas Spontanität, etwas von dem Strahlen, dem Geschmack der Persönlichkeit“, schrieb er. Doch Freeman, ebenso wie vor ihm schon Moniz, hielten diesen Verlust für hinnehmbar, wurde dies doch ihrer Ansicht mehr als aufgewogen durch die verringerten Belastungen ihrer Patienten durch die Psychosen.

Walter Freeman und sein Kollege James Watts beraten über eine Lobotomie. Dieses Foto erschien 1941 in einem begeisterten Zeitungsartikel über die neuen Methode. © historisch

Das sah auch das Nobelpreis-Komitee so und zeichnete Moniz für diese Therapie aus. In einem späteren Kommentar schreibt Komitee-Mitglied Bengt Jansson vom Karolinska Institut: „In meinen Augen gibt es keinen Zweifel daran, dass Moniz den Nobelpreis damals verdient hatte“, so der Mediziner. „Denn damals gab es keine Alternativen und die Lobotomie machte das Leben für einige Patienten und ihre Umgebung tatsächlich erträglicher.“

Lobotomie als Allheilmittel

Doch Moniz Entdeckung und ihre öffentlichkeitswirksame Verbreitung durch Freeman und andere, hatte fatale Folgen. Denn sie löste einen wahren Boom der Lobotomien aus. Vor allem in den USA galt das von Freeman weiterentwickelte „minimalinvasive“ Verfahren fast schon als Allheilmittel. Er kurierte seine Patienten, indem er ihnen teilweise ohne Betäubung ein scharfes, eispickelartiges Instrument an den Augäpfeln vorbei ins Gehirn trieb und damit die Nervenbahnen zerstörte.

Wahllos wurde dieses „Eispickel“-Verfahren allein in den USA an zehntausenden von Patienten angewendet – kuriert werden sollte damit nahe alles von der Depression über Angststörungen und Schizophrenie bis hin zu „Hysterie“. In den 1950er Jahre meinte man damit sogar Homosexualität, eine kommunistische Gesinnung und Gewalttätigkeit beseitigen zu können.

Rosemary Kennedy (vordere Reihe ganz rechts) war in diesem Familienportrait der Kennedys von 1931 noch ein normales, fröhliches Mädchen. 1941 wurde sie durch eine Lobotomie zur Schwerbehinderten. © Historisch/ Richard Sears

Das Mädchen Rosemary

Statt als Methode der letzten Wahl galt der Eingriff als einfaches Mittel, um unliebsame und unbequeme Verwandte ruhigzustellen. Einer der bekanntesten Fälle dieser Art ist Rosemary Kennedy, die Schwester des später US-Präsidenten John F. Kennedy. Die 1918 geborene Rosemary war Legasthenikerin und war möglicherweise leicht geistig gehindert. Dennoch machte sie einen Abschluss in Montessori-Pädagogik und führte zunächst ein völlig normales Leben.

Doch weil Rosemary als schwer zu bändigen, jähzornig und impulsiv galt, ließ ihr Vater sie 1941 einer Lobotomie unterziehen. Der Eingriff galt damals auch als probates Mittel, um „überschießende Triebe“ zu besänftigen. Für die junge Frau war dies fatal. Sie wurde durch die Lobotomie zur Schwerbehinderten und verbrachte den Rest ihres Lebens in einer Heilanstalt – inkontinent, kindlich vor sich hinbrabbelnd und teilweise an den Rollstuhl gefesselt.

In den USA wurde die Lobotomie noch bis Ende der 1960er Jahre hinein praktiziert – trotz wachsender Zweifel und Kritik. Mindestens 40.000 Menschen, so schätzt man, unterzogen sich dort dieser Prozedur – oft nicht freiwillig und ohne zu wissen, was dies für sie bedeutete. Ausgerechnet die Sowjetunion verbot die Lobotomie bereits im Jahr 1950 – weil sie „den Prinzipien der Menschlichkeit widerspricht“. Deutschland und Japan folgten bald danach.

Nadja Podbregar

Irrtümer und "halbe Sachen" in der Physik

Das falsche Element

Die Physik macht ihrem Ruf als exakte Wissenschaft alle Ehre – zumindest in Bezug auf die Nobelpreise. Denn komplett falsch lagen die Preisträger hier fast nie. Es gibt aber zumindest einen Fall von richtiger Methode mit falscher Schlussfolgerung und ein sich kurios ergänzendes Vater-Sohn-Paar.

Der Kernphysiker Enrico Fermi Anfang der 1940er Jahre © Department of Energy

Fermi entdeckt das „Hesperium“

Einer dieser Fälle ist der Physiker Enrico Fermi, bekannt geworden vor allem durch seine Mitarbeit an der Entwicklung der ersten Atombombe. Er erhielt 1938 den Physik-Nobelpreis für Experimente, die belegten, dass beim Beschuss schwerer Elemente mit Neutronen neue radioaktive Elemente erzeugt werden.

Prinzipiell stimmt das auch. Denn der Beschuss verursacht eine Kernspaltung und es entstehen beispielsweise aus Uran leichtere Zerfallsprodukte. Fermi jedoch glaubte, er hätte auf diese Weise ganz neue, schwerere Elemente erzeugt. 1934 publizierte er gemeinsam mit Kollegen von der Universität Rom einen Fachartikel, in dem er die Entdeckung des durch Neutronenbeschuss von Thorium und Uran erzeugten neuen Elements „Hesperium“ mit der Ordnungszahl 94 verkündete.

Zerfall statt neues Element: Das passierte beim Neutronenbeschuss wirklich. © Fastfission / gemeinfrei

Dummerweise lag er damit komplett falsch: Es gibt zwar ein Element 94, Plutonium, was auch einige Jahre später entdeckt wurde. Dieses war aber bei Fermis Versuchen nicht entstanden. Stattdessen produzierte sein Neutronenbeschuss nur eine Mischung leichterer Elemente, darunter Barium und das Edelgas Krypton. In seiner Nobelpreisrede räumte Fermi diesen Fehler dann auch ein – den Preis durfte er aber trotzdem behalten.

Teilchen und/oder Welle?

Ein bemerkenswerter Fall von „ein bisschen richtig“ sind die beiden Physik-Nobelpreise für Joseph John und George Thomson – Vater und Sohn. Sie gleichen fast schon den sprichwörtlichen Blinden die beim Abtasten eines Elefanten mal einen Wurm und mal einen Baum zu erkennen glauben.

Der Vater Joseph Thomson erhielt den Preis 1906 für die Entdeckung des Elektrons – eines ersten subatomaren Teilchens. Schon in den 1830er Jahren hatten Physiker vermutet, dass Elektrizität durch kleinste geladene Einheiten transportiert wird. Thomson lieferte mit Experimenten elektrisch geladener Gase den Beweis für die Teilchennatur dieser Einheiten.

Sein Sohn, George Paget Thomson, bekam seinen Nobelpreis 1937 kurioserweise für scheinbar das genaue Gegenteil: Er bewies, dass Elektronen sich wie eine Welle verhalten. Gemeinsam mit Clinton Davisson demonstrierte er im Experiment, wie Elektronenstrahlen an einem Kristallgitter gebeugt werden – etwas, das als typisch für Strahlung gilt. Heute weiß man, dass beide vollkommen richtig lagen: Dank des Welle-Teilchen-Dualismus verhalten sich Elektronen sowohl wie ein Teilchen als auch wie eine Welle.

Nadja Podbregar

Stanley und das Tabakmosaikvirus

Trügerische Kristalle

Der Fehler eines Nobelpreisträgers trug wahrscheinlich sogar dazu bei, eine entscheidende Entdeckung hinauszuzögern. Denn durch seine vermeintlichen Belege glaubte man mehr als ein Jahrzehnt lang, dass sich der entscheidende Code des Lebens in den Proteinen versteckt, statt in RNA und DNA.

Nobelpreisträger Wendell Meredith Stanley © nobelprize.org

Aus was bestehen Viren?

Ende der 1930er Jahre trieb vor allem eine Frage viele Biochemiker um: Wo verbirgt sich der Schlüssel des Lebens – der Code, der dafür sorgt, dass Kinder ihren Eltern ähnlich sind und ein Bakterium dem anderen gleicht? Gleichzeitig grübelten Mediziner darüber nach, was die wahre Natur der erst neu entdeckten Viren sein könnte: Handelte es sich trotz ihrer minimalen Größe um Lebewesen? Oder waren es doch bloße Moleküle?

„Die Tatsache, dass Viren in Bezug auf ihre Größe mit den Organismen des Biologen auf der einen Seite und mit Molekülen des Chemikers auf der anderen Seite überlappen, trug nur noch zum Mysterium ihrer Natur bei“, konstatierte der US-Forscher Wendell Meredith Stanley in seinem Nobelpreis-Vortrag 1946. „Es war nicht bekannt, ob sie anorganisch waren, aus Kohlenwasserstoffen oder Kohlenhydraten bestanden, aus Fetten, Proteinen oder gar organismisch waren.“

Infektiöse Kristalle aus Protein

Für Stanley war dies der Anlass, an einer Methode zu forschen, mit der sich die Zusammensetzung von Viren herausfinden ließe. Mitte der 1930er Jahre gelang es ihm, Tabakmosaikviren (TMV) in eine kristalline Form zu überführen. Diese Kristalle, so glaubte Stanley, bestanden aus reinem Virenprotein. Das Entscheidende aber: Als der Forscher Tabakpflanzen mit diesen Kristallen infizierte, brach die Mosaikkrankheit bei ihnen aus.

Kristalle des Tabakmosaikvirus © gemeinfrei

„Es wurde festgestellt, dass die gesamte Virusaktivität, die in der infektiösen Lösung enthalten ist, in Form des kristallinen Materials isoliert werden kann,“, so Stanley. Das war ein enormer Durchbruch, schien es doch zu belegen, dass Viren aus Proteinen bestehen – und dass die entscheidenden Informationen für ihre Vermehrung und sogar für Mutationen in diesen Proteinen enthalten sind.

“ Beginn der Molekularbiologie“

1946 erhielt Stanley für seine Erkenntnisse zu den Eigenschaften des kristallisierten Tabakmosaikvirus den Nobelpreis für Chemie. „Seine Entdeckung wurde – durchaus mit einiger Berechtigung – als der symbolische Beginn der Molekularbiologie angesehen“, kommentierte 40 Jahre später die Biochemikerin Lily Kay von der Johns Hopkins University in Baltimore.

Stanley hatte eindrucksvoll die gängige Lehrmeinung seiner Zeit widerlegt, nach der nur lebende Organismen wie Bakterien als Krankheitserreger wirken können. Seine Kristallisation der Viren und genaue Beschreibung ihrer Eigenschaften bewies, dass sie definitiv keine lebenden Zellen waren. Das bedeutet, dass auch molekulare Konstrukte infektiös sein konnten.

…mit kleinen Fehlern

„Dennoch war Stanley Arbeit mit technischen Irrtümern und Fehlschlüssen behaftet“, betont Kay. Denn was Stanley nicht bemerkt hatte: Seine vermeintlich reinen Proben der Virenkristalle waren nicht rein. Sie enthielten auch sechs Prozent Viren-RNA – und damit den eigentlichen Träger der Erbinformation des Tabakmosaikvirus. Weil Stanley dies jedoch nicht wusste, sah er zunächst in den Proteinen die entscheidenden Träger der Infektiosität und Virenaktivität.

Dass die DNA der wahre Träger der Erbinformation ist, setzte sich erst Anfang der 1950er Jahre durch © iStock.com

In der Folge konzentrierte man sich daher bei der Suche nach dem Code des Lebens auf die Proteine. Selbst als der kanadische Mediziner Oswald Avery 1944 durch einen Versuch nachwies, dass Bakterien Erbinformationen in Form von DNA übertragen, konnte er sich zunächst nicht gegen die vorherrschende Meinung durchsetzen. Dies änderte sich erst Anfang der 1950er Jahre, als Alfred Hershey und Martha Chase belegten, dass Bakteriophagen sich in ihren Wirten mittels DNA vermehren.

Damit war klar, dass nicht Proteine, sondern die Nukleinsäuren DNA und RNA die Träger der Erbinformation vieler Viren und auch aller anderen Organismen sein mussten. 1953 beschrieben James Watson und Francis Crick dann erstmals die Struktur der DNA und eröffneten damit endgültig das Zeitalter der DNA.

Nadja Podbregar

Fehlschlüsse bei Makromolekülen und Enzymen

Biochemische Verwirrungen

Wenn es um biologische Makromoleküle geht, lagen gleich mehrere Nobelpreisträger falsch oder zumindest knapp daneben. Gerade die Enzyme sorgten für einige Verwirrung, denn oft war nicht klar, ob sie nun Synthesen katalysierten oder aber den Abbau bestimmter Verbindungen förderten.

Kristallisierte Struktur des Enzyms Polynucleotid-Phosophorylase © RCSB

Das falsche RNA-Enzym

1959 erhielten Severo Ochoa und Arthur Kornberg den Medizin-Nobelpreis ihre Entdeckung der Mechanismen bei der Biosynthese von RNA und DNA. Ochoa hatte wenige Jahre zuvor das Enzym Polynucleotid-Phosophorylase aus einem Bakterium isoliert. In Reagenzglas-Experimenten zeigte sich, dass dieses Enzym RNA aus kleineren Bausteinen aufbauen kann.

Ochoa hielt es daher für den entscheidenden Akteur bei der „Umschrift“ der genetischen Bauanleitungen der DNA in die Boten-RNA. „Das Vorkommen der Polynucleotid-Phosophorylase in der Natur erscheint verbreitet genug, um zu vermuten, dass dieses Enzym generell an der Bioynthese der RNA beteiligt ist“, erklärte er bei seiner Nobelpreis-Vorlesung.

in den Zellen läuft es anders…

Was Ochoa – und das Nobelpreis-Komitee – zu diesem Zeitpunkt nicht wussten: In diesem speziellen Fall sind Laborergebnisse nicht auf das Geschehen in den lebenden Zellen übertragbar. Denn unter normalen Umständen tut die Polynucleotid-Phosophorylase genau das Gegenteil von dem, wofür Ochoa seinen Nobelpreis bekommen hatte: Statt RNA aufzubauen, baut das Enzym sie in den Zellen ab.

Wie sich wenig später herausstellte, ist der eigentliche Produzent der RNA in der Zelle das Enzym RNA-Polymerase. Der US-Biochemiker Roger Kornberg erhielt für die Korrektur Ochoas und für die detaillierte Aufklärung der RNA-Synthese im Jahr 2006 den Chemie-Nobelpreis.

Arthur Kornberg im Labor 1959 © National Library of Medicine

Reparatur statt Neubau

Arthur Kornberg, der sich mit Ochoa den Nobelpreis teilte, lag bei seinem Enzym etwas richtiger. Er hatte eine Form des Enzyms DNA-Polymerase als das Molekül identifiziert, das neue Kopien eines DNA-Strangs erzeugt. Er beobachtete als erster, dass dies nur dann funktioniert, wenn ein kompletter DNA-Strang als Vorlage vorhanden ist. Gibt man das Enzym einfach nur zu DNA-Bausteinen dazu, passiert nichts.

„Das Enzym, das wir untersuchen, ist einzigartig darin, dass es Anweisungen von einem Template annimmt“, erklärte Kornberg bei seinem Nobelpreis-Vortrag. Er hatte damit das Grundprinzip entdeckt, über das unser Erbgut kopiert wird. Allerdings: Kornberg nahm an, dass auf diese Weise auch neue Chromosomen in der Zelle entstehen, doch damit lag er falsch. Die von ihm entdeckte DNA Polymerase 1 dient nur der Reparatur von DNA-Schäden an den Chromosomen. Erst sein Sohn Thomas Kronberg entdeckte zwei weitere Varianten der DNA-Polymerase und damit die entscheidenden Synthese-Enzyme der DNA.

Nadja Podbregar