Rätsel um die kosmische Inflation

Der große Schub

Kosmische Inflation - stand sie am Anfang unseres Universums? © Neven Bijelic / iStock.com

Das klassische Szenario des Urknalls hat einen Haken: Es erklärt nicht, wie das Universum von winzig klein auf unendliche Größe heranwachsen konnte. Und auch andere Phänomene passen nicht ins Bild. Erklären könnte all dies die kosmische Inflation – aber auch dieses Szenario ist nicht ohne Tücken, wie sich gerade in letzter Zeit zeigte.

Unser Universum ist zwar schon knapp 14 Milliarden Jahre alt – das Entscheidende aber dauerte nur winzige Sekundenbruchteile: Eine explosive und ultraschnelle Phase der Ausdehnung katapultierte die „Keimzelle“ unseres Universums von Quantengröße bis auf riesenhafte Ausmaße. Erst nach dieser kosmischen Inflation entwickelten sich allmählich die Grundbausteine der Materie. Soweit die heute gängige Theorie.

Dieses Szenario der Inflation kann viele der zuvor rätselhaften Merkmale unseres Kosmos erklären, gleichzeitig aber wirft es neue Fragen auf. Und: Trotz mühsamer Suche ist es Forschern bisher nicht gelungen, die kosmische Inflation zu beweisen – auch wenn es zwischenzeitig danach aussah. Diese heute gängigste Erweiterung der Urknalltheorie gibt daher noch immer reichlich Rätsel auf.

Nadja Podbregar
Stand: 22.05.2015

Von fast Null auf Unendlich

Urknall – und dann?

So viel scheint bisher klar: Unser Universum entstand vor knapp 14 Milliarden Jahren in einem Urknall – einem explosiven Anfang, bei dem sich aus einem extrem kleinen und extrem dichten „Urkeim“ durch Ausdehnung der Kosmos entwickelte. Mit dem Urknall begann eine Kette von Ereignissen, in deren Verlauf die Elementarteilchen, die chemischen Elemente und letztlich alle Materie um uns herum gebildet wurden.

Im Extreme Deep Field zeigt das Hubble-Weltraumteleskop Galaxien des ganz jungen Universums. Sie entstanden nur wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall. © NASA, ESA, G. Illingworth, D. Magee, P. Oesch, R. Bouwens and the HUDF09 Team

Leistungsstarke Instrumente wie das Hubble-Weltraumteleskop haben inzwischen viele Aspekte dieser Evolution unseres Universums bestätigt. So zeigen Aufnahmen von Galaxien in gut 13 Milliarden Lichtjahren Entfernung, wie das junge Universum aussah. Und die kosmische Hintergrundstrahlung, gemessen vom Planck-Teleskop, verrät unzählige Details über die Zeit, als sich die ersten Atome bildeten und das Universum erstmals transparent wurde.

Unendliche Ausdehnung

Klar ist auch: Nach dem Urknall muss sich das Universum ziemlich heftig ausgedehnt haben – und tut dies immer noch. Der US-Astronom Edwin Hubble entdeckte dies bereits 1929, als er das Licht weit entfernter Galaxien analysierte. Ihm fiel auf, dass es umso stärker in den roten Wellenbereich verschoben war, je weiter entfernt die Lichtquellen lagen. Seine Schlussfolgerung: Das Licht wurde auf seinem Weg zu uns gedehnt, weil sich seine Quelle von uns entfernt.

Visualisierung der Ausdehung des Universums
Das Universum dehnte sich nach dem Urknall gewaltig aus . © NASA / WMAP Science Team

Die Rotverschiebung belegt, dass das Universum seit dem Urknall ununterbrochen expandiert. Nach gängiger Theorie ist es heute sogar unendlich groß – auch wenn wir mit unseren Teleskopen nur gut 13 Milliarden Lichtjahre weit sehen können. Das allerdings wirft die Frage auf, wie der Kosmos es schaffte, in den rund 13,8 Milliarden Jahren nach dem Urknall bis auf eine unendliche Größe heranzuwachsen. Denn mit einer normalen, linearen Expansion ist das kaum zu schaffen, die Zeit hätte nicht ausgereicht.

Und es gibt noch einige weitere Aspekte des Kosmos, die nicht ohne weiteres zu dieser simplen Vorstellung von einer Ur-Explosion mit darauffolgender Ausdehnung zu passen scheinen…

Nadja Podbregar
Stand: 22.05.2015

Die unerklärliche Gleichheit allen Seins

Das Horizont-Problem

Von uns aus gesehen können wir in alle Richtungen gut 13 Milliarden Lichtjahre weit blicken – und in allen Richtungen sieht das Universum ziemlich gleich aus: Wir sehen lokale Materieansammlungen wie Sterne, Galaxien und selbst Galaxiencluster. Ihre Form und physikalischen Eigenschaften ähneln sich jedoch so stark, dass wir allein anhand der Beobachtungen nicht sagen könnten, von welchem Ende des Kosmos sie stammen.

Egal wohin man schaut: Galaxien wie diese Spiralgalaxie sehen überall sehr ähnlich aus © NASA/ ESA, Hubble Heritage Team (STScI/AURA), R. Gendler

Riesige gleiche Würfel

Und betrachten wir größere Ausschnitte des Himmels, dann gilt diese Gleichförmigkeit noch viel mehr: Egal in welche Richtung wir schauen, Materie und Energie sind im großen Maßstab betrachtet ziemlich gleichmäßig verteilt. Würden wir das Universum in Würfel mit 300 Millionen Lichtjahren Seitenlänge aufteilen, dann hätten alle die gleichen durchschnittlichen Merkmale, beispielsweise in Bezug auf Galaxiendichte, Temperatur oder Strahlungsausstoß.

Auch die kosmische Hintergrundstrahlung – das Licht, dass rund 380.000 Jahre nach dem Urknall freiwurde – ist erstaunlich einförmig: Egal wie weit zwei Bereiche auseinander liegen, ihre Temperatur weicht um höchstens 0,0002 Grad voneinander ab. Und das Muster aus wärmeren und kühleren Flecken in diesem Mikrowellenhintergrund ist ebenfalls in allen Richtungen weitgehend gleichmäßig verteilt.

Zu wenig Zeit

Rein theoretisch könnte das Zufall sein. Denn wartet man nur genügend lange, dann gleichen sich beispielsweise die Temperaturen vieler Dinge einander an – ähnlich wie ein Becher mit heißem Kaffee, der nach einer Stunde die Temperatur seiner Umgebung angenommen hat. Aber im Fall unseres Universums und des kosmischen Mikrowellenhintergrunds ist für einen solchen Prozess nicht einmal annähernd genügend Zeit vergangen, wie physikalische Modelle zeigen. Und das so seltsam gleiche Fleckenmuster lässt sich damit ohnehin nicht erklären.

Der Krebsnebel, ein Supernova-Überrest, zeigt, wie unregelmäßig Explosionen im All ablaufen können. © NASA, ESA, J. Hester and A. Loll (Arizona State University)

Hinzu kommt: Es ist bei einer normalen Explosion ziemlich unwahrscheinlich, dass Hitze und Trümmer völlig gleichmäßig in alle Richtungen verteilt werden. Das lässt sich im Labor beobachten, aber auch im Weltraum: Die faszinierenden Überreste von Sternexplosionen bilden bizarre Gebilde, die alles andere als regelmäßig geformt sind. Es liegt daher nahe, auch beim Urknall von chaotischen Anfangsbedingungen auszugehen.

Zu große Entfernungen

Eine zweite Möglichkeit wäre daher ein kausaler Zusammenhang, ein Austausch von Informationen und physikalischen Parametern zwischen den verschiedenen Bereichen des Kosmos. Aber dieser Erklärungsansatz hat ebenfalls einen Haken. Denn stellen wir uns vor, kurz nach dem Urknall wären zwei Photonen in entgegengesetzte Richtungen gestartet. Sie wären dann bis heute gut 13 Milliarden Lichtjahre weit von ihrem Ursprung gekommen.

Die kosmische Hintergrundstrahlung ist überall erstaunlich gleich - selbst bei Gegenden, die an entgegengesetzten Enden unseres Sichthorizonts liegen. © scinexx

Weil sich gleichzeitig der gesamte Raum ausdehnt, werden sie sogar noch weiter entfernt, doch das lassen wir hier der Einfachheit halber erstmal außer Acht. Zwischen unseren Photonen liegen damit rund 26 Milliarden Lichtjahre. Ein Austausch zwischen ihnen ist damit nicht möglich. Denn jede Information müsste mit doppelter Lichtgeschwindigkeit transportiert werden, um diese Entfernung zu überbrücken.

In der Zeit, als die kosmischen Hintergrundstrahlung entstand, war dies nicht viel anders: Damals lag der Urknall nur rund 450.000 Jahre zurück, das Universum hatte aber schon einen Durchmesser von vielen Millionen Lichtjahren. Strahlung und Wärme konnten damit nicht mehr durch den gesamten Kosmos strömen und die Unterschiede ausgleichen. Eine Kommunikation zwischen allen Lichtteilchen wäre nicht mehr möglich gewesen. Der Horizont, den sie in der gegebenen Zeit erreichen konnten, war zu eng.

Wie aber kam dann trotzdem die über das gesamte Universum gleichförmig verteilte „Tapete“ der Hintergrundstrahlung zustande? Dieses Dilemma bezeichnen Kosmologen als Horizont-Problem. Der Horizont ist dabei die größte Distanz, die Information oder Energie seit dem Urknall mit Lichtgeschwindigkeit zurückgelegt haben kann.

Nadja Podbregar
Stand: 22.05.2015

Eine scheinbar unmögliche Raumkrümmung

Das Flachheits-Problem

Das zweite große Problem der Urknalltheorie ist das Flachheits-Problem. Aus Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie geht hervor, dass der Raum durch die Gravitation gekrümmt wird: Ein Stern erzeugt beispielsweise eine Art Delle im Raumzeit-Gefüge. Aber auch das Universum als Ganzes hat eine Geometrie.

Möglichkeiten der Raumkrümmung. Unser Universum entspricht fast dem untersten Fall - es ist nahezu flach. © NASA

Diese Raumkrümmung ergibt sich aus der Materie- und Energiedichte des Alls im Verhältnis zur Expansion. Denn je mehr Materie es gibt, desto stärker wirkt ihre Schwerkraft der ausdehnenden Kraft entgegen. Ist die Dichte des Universums zu gering, dann geht die Expansion ewig weiter – die Raumkrümmung ist negativ. Enthält das Universum dagegen genügend Masse, um die Expansion zu stoppen und irgendwann sogar zu einem Kollaps des Universums zu führen, spricht man von einer positiven Krümmung.

Fast flach

Doch Messungen der Weltraumobservatorien WMAP und Planck zeigen, dass das Universum auf dem schmalen Grat zwischen diesen beiden Extremen liegt: Es ist flach. Das bedeutet, dass die Dichte nahe am kritischen Wert 1 liegt. Sie reicht demnach fast genau aus, um die Balance zwischen ewiger Expansion und einem Kollaps zu halten.

Das klingt erstmal prima, aber der entscheidende Knackpunkt verbirgt sich im Wörtchen „fast“. Denn nach der Allgemeinen Relativitätstheorie kann ein Wert so nahe an der kritischen Dichte eigentlich nicht sein. Hätte das Universum genau die kritische Dichte, dann wäre alles wunderbar: Es bliebe vom Urknall bis heute und in die ferne Zukunft alles stabil. Aber wenn beim Urknall die Dichte nur ein kleines bisschen abwich, dann hätte sich diese Abweichung seither drastisch verstärken müssen.

Ein auf der Spitze balancierender Bleistift

Der US-Physiker Alan Guth vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) vergleicht dies mit einem Bleistift, der auf seiner Spitze balanciert. Steht er genau senkrecht, kann er sich ausbalancieren und bleibt stehen. Wird er aber nur ein wenig ausgelenkt, verliert er das Gleichgewicht und fällt um. Das bedeutet: Eigentlich müssten wir heute eine Dichte im Universum von entweder genau 1 oder aber einem Wert sehr viel größer oder kleiner als 1 messen.

Doch das ist nicht der Fall. Stattdessen liegt der Dichtewert seltsamerweise bei „fast 1“ – der Bleistift ist quasi leicht schräg in der Luft stehen geblieben statt umzufallen. Oder anders ausgedrückt: Das Universum ist seit Milliarden von Jahren „fast flach“. Warum das so ist, lässt sich mit dem klassischen Urknallmodell nicht erklären. „Eine simple Explosion liefert uns keine Erklärung für dieses extreme Fine-Tuning“, sagt Guth. Kosmologen sprechen deshalb vom Flachheits-Problem.

Nadja Podbregar
Stand: 22.05.2015

Die Erfindung der kosmischen Inflation

Exponentielle Ausdehnung

Das Horizont- und das Flachheits-Problem zeigen, dass uns offenbar eine wichtige Zutat im Szenario des Ur-Anfangs fehlt. Was diese Zutat sein könnte, darauf kamen vor rund 40 Jahren unabhängig voneinander der sowjetische Physiker Alexei Starobinsky und der US-Physiker Alan Guth. Die Details der beiden Modelle waren unterschiedlich, in der Essenz aber beschrieben beide das gleiche Grundphänomen: die kosmische Inflation.

DIe Inflation blähte das Universum von einem Etwas im Quantenmaßstab auf gewaltige Ausmaße auf - udn das innerhalb von Sekundenbruchteilen. © scinexx

Demnach muss es direkt nach dem Urknall eine Phase gegeben haben, in der sich das Universum nicht linear ausdehnte, sondern exponentiell. Der ganze Spuk dauerte wahrscheinlich nur rund 10 hoch -35 Sekunden – das ist noch kürzer als ein Milliardstel einer Quadrillionstel Sekunde. Innerhalb dieser Zeit blähte sich der Kosmos bis auf gewaltige Dimensionen auf. Die Größe des Universums nahm um einen Faktor von 10 hoch 30 bis 10 hoch 100 zu – ja nachdem, welcher Theorie man hier folgen möchte.

Schneller als das Licht

Allerdings: Um in so kurzer Zeit so gewaltig wachsen zu können, muss sich das Universum während der Inflation viel schneller ausgedehnt haben als das Licht. Spätestens seit Einstein wissen wir jedoch, dass sich im Kosmos nichts schneller bewegen kann als das Licht. Wie ist eine so schnelle Ausdehnung trotzdem möglich?

Statt einer linearen Expansion könnte es eine kurze phase exponentieller Ausdehnung gegeben haben. © NASA

Die Antwort versteckt sich in der genauen Formulierung von Einsteins Relativitätstheorie. Nach dieser gilt die Beschränkung für die Lichtgeschwindigkeit nur innerhalb der Raumzeit, der Grundmatrix unseres Kosmos. Bei der Inflation aber dehnte sich das Universum aus und damit die Raumzeit selbst. Und für diese Art der Bewegung gilt die Einstein’sche Beschränkung nicht. Das Universum dehnte sich in der Inflation mit Überlichtgeschwindigkeit aus – und die in ihm vorhandene Materie und Strahlung wurden innerhalb dieser Blase einfach passiv mitgerissen.

Aufgeblähte Quantenfluktuationen

Diese extreme Expansion bedeutet, dass sich eine zufällige Quantenfluktuation – 100 Trillionen mal kleiner als ein Proton – in diesen Sekundenbruchteilen bis auf eine Kugel von zehn Zentimetern Größe aufgebläht hätte. Nachdem die Inflation vorbei war, ging die Ausdehnung des Universums wieder auf ein lineares Maß zurück. Die nun ins makroskopische vergrößerten Fluktuationen jedoch hinterließen eine bleibende Wirkung: Sie beeinflussten die Verteilung von Energie und Materie im jungen Kosmos.

Die Quantenfluktuationen des Uranfangs finden sich riesenhaft vergrößert in der kosmischen Hintergrundstrahlung wieder. © NASA/ESA/ Planck Collaboration

„Genau diese Unregelmäßigkeiten in der Verteilung können wir heute in der kosmischen Hintergrundstrahlung beobachten“, erklärt der britische Physiker John Gribbin. Die feine „Körnung“ im Mikrowellen-Hintergrund entspricht in vieler Hinsicht genau dem, was man von gewaltig vergrößerten Quantenfluktuationen erwarten würde. „Bisher waren die Messungen des Spektrums dieser Strahlung daher wunderbar konsistent mit den Vorhersagen der Inflation“, so Gribbin.

Und auch die Verteilung der Materie im heutigen Kosmos ließe sich so erklären. Denn nach gängiger Theorie ist diese ein Abbild der Fluktuationen im Urplasma. Nachdem sich die ersten Atome bildeten und die Elemente entstanden, bestimmten sie, wo sich Materie zu den ersten Sternen, Galaxien und Galaxienclustern zusammenballte.

Nadja Podbregar
Stand: 22.05.2015

Welche Probleme löst die Inflation?

Prinzip Trockenpflaume

Aus Ermangelung an besseren Alternativen gilt das Szenario der kosmischen Inflation heute schon fast als die Standarderweiterung der Urknalltheorie. Sie ist die bisher gängigste Erklärung für das, was unmittelbar nach dem Urknall geschah. Denn immerhin bietet die Inflation überzeugende Lösungen sowohl für das Horizont- als auch das Flachheits-Problem.

Ein winziger ausgeglichener Fleck reicht

So kann die Inflation erklären, warum das Universum heute so gleichförmig ist und warum die Hintergrundstrahlung überall gleich kalt ist: Es reicht aus, dass vor der Inflation nur ein winziges Gebiet im Urkeim des Universums eine ausgeglichene, uniforme Temperatur entwickelte. „Weil diese Region so klein war, reichte die Zeit, um dies durch alltägliche physikalische Prozesse zu erreichen – die gleichen, durch die heute auch eine Tasse Kaffee auf Raumtemperatur abkühlt“, sagt Alan Guth.

Die Inflation vergrößerte eine winzige gleichförmige Region des "Urkeims" so stark, der sie heute unseren gesamten Sichthorizont ausfüllt © scinexx

Der Prozess der Inflation vergrößerte diese Region dann in Sekundenbruchteilen so stark, dass sie das komplette von uns beobachtbare Universum umfasst. Unser Babyuniversum bekam so eine ziemlich einheitliche, wenn auch noch sehr hohe Temperatur mit auf den Weg, dessen Relikt wir heute als Hintergrundstrahlung messen können. „Keine andere Theorie kann erklären, warum das Universum im Großen so uniform ist, aber trotzdem genau die ‚Körnung‘ enthält, die wir in der Hintergrundstrahlung und der Verteilung der Galaxien sehen“, konstatiert der britische Physiker John Gribbin.

Durch Dehnung entschrumpelt

Und auch das Flachheits-Problem lässt sich mit der Inflation umgehen: Die Krümmung des Universums erscheint uns nur deshalb als flach, weil es sich so schnell und stark ausgedehnt hat. Gribbin vergleicht diesen Effekt mit einer Trockenpflaume, die gewässert wird: Nach einer Weile glätten sich die Falten und die Oberfläche des anfangs schrumpeligen Gebildes wird glatt. Diese Glättung geschieht unabhängig davon, wie glatt oder schrumpelig die Trockenpflaume vorher war – am Ende ist ihre gewässerte Haut in jedem Fall glatt.

Physikalischer ausgedrückt: Die Gleichung, die beschreibt, wie sich das Verhältnis von Dichte zu Expansion entwickelt hat, erlebt während der Inflation eine Vorzeichenumkehr. Statt aus dem Fast-Gleichgewicht zu kippen, wird der Wert dadurch sehr schnell bis nahe an die kritische Massendichte von eins herangetrieben. „Es ist damit nicht mehr notwendig, von einem anfänglichen Wert extrem nahe an eins auszugehen“, so Guth. Dadurch umgeht man den Widerspruch zur Allgemeinen Relativitätstheorie.

Nadja Podbregar
Stand: 22.05.2015

Die Suche nach einem Beweis für die Inflation

Zu früh gefreut

Noch ist die kosmische Inflation nicht mehr als eine Theorie, denn nach Beweisen dafür suchen Astrophysiker und Astronomen bisher vergeblich. Im März 2014 sah es allerdings kurzzeitig so aus, als wäre der lange gesuchte Beleg endlich gefunden – in dem komplexen Muster der kosmischen Hintergrundstrahlung.

Das BICEP2-Teleskop am Südpol fahndet nach Belegen für die Inflation im kosmischen Mikrowellen- Hintergrund © Steffen Richter (Harvard University)

Diese Strahlung wurde rund 380.000 Jahre nach dem Urknall frei, in der Zeit, als sich die ersten Atome bildeten. Das ist zwar lange nach der Phase der Inflation, aber Folgen der Inflation müssten sich nach Ansicht vieler Kosmologen auch damals noch bemerkbar gemacht haben. Gängiger Theorie nach löste die plötzliche Ausdehnung des Universums Gravitationswellen aus, die den Raum verzerrten. Dies wiederum beeinflusste die Schwingungsrichtung der Hintergrundstrahlung – und müsste daher Spuren in ihrem Polarisationsmuster hinterlassen haben.

Ein verräterisches Signal

Mit Hilfe des BICEP2-Array, einem am Südpol stehenden Mikrowellen-Teleskop, hatten John Kovac vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics und sein Team lange nach den verräterischen Polarisationspuren der Inflation gefahndet. Die größte Schwierigkeit besteht dabei darin, die von den frühen Gravitationswellen ausgelösten Muster von denen der unzähligen Störeinflüsse zu unterscheiden.

In diesem Polarisationsmuster der kosmischen Hintergrundstrahlung meinten Astronomen das Signal der Inflation zu sehen. © BICEP2 Collaboration

Im März 2014 aber schien es endlich soweit zu sein: Das BICEP2-Array hatte in den kurvigen Formen der sogenannten B-Modi des Polarisationsmusters eine Signatur entdeckt, die von Gravitationswellen stammen könnten. „Wir haben damit das erste direkte Bild von Gravitationswellen im primordialen Himmel“, verkündete damals BICEP2-Team-Mitglied Chao-Lin Kuo von der Stanford University. Das Signal war sogar viel stärker als erwartet. „Dies ist ein völlig neues und unabhängiges Stück kosmologischen Beweises, dass das Bild der Inflation zusammenpasst“, kommentiert Guth begeistert diese Entdeckung.

Staub statt Gravitationswellen

Aber die Freude war verfrüht. Obwohl die Forscher ihre Daten drei Jahre lang immer wieder überprüft und reanalysiert hatten, war ihre Interpretation der Muster falsch: Nicht Gravitationswellen der Inflation, sondern interstellarer Staub hatte die von Kovac und seinen Kollegen beobachteten Polarisationsmuster ausgelöst, wie Messungen des Planck-Weltraum-Teleskops ergaben.

Staubdichte und Orientierung des galaktischen Magnetfelds im von BICEP2 untersuchten Himmelsausschnit (weißer Umriss) © ESA / Planck Collaboration

Eine weitere Studie zeigte auch, wie der Staub diese Pseudo-Gravitationswellen-Muster hervorbringt: Wenn das Licht der Hintergrundstrahlung Galaxiencluster und Staub in Vordergrund passiert, beeinflusst dies die Schwingung des Lichts und wandelt eine weitere Art von Polarisationsmustern, die E-Modi, in B-Modi um. Das aber macht es extrem schwer, das schwache Signal der von der Inflation erzeugten B-Modi aus diesen nachträglichen Veränderungen herauszulesen.

Die Suche geht weiter

Immerhin: Trotz dieses Störeffekts könnte die kosmische Hintergrundstrahlung dennoch den lange gesuchten Beweis für die Inflation liefern. Denn wenn klar ist, wie die vom Staub erzeugten B-Modi aussehen, lassen sie sich herausfiltern. Dann könnte das schwache Signal der primordialen Gravitationswellen zutage treten – wenn es sie denn gegeben hat.

Seither könnten Forscher tatsächlich Hinweise auf ein echtes Signal der Inflation gefunden haben, wie sie berichten. Das Muster ist bisher aber zu schwach und uneindeutig, um als signifikant zu gelten. Die Daten können daher eine Inflation weder belegen noch ausschließen. Die Forscher der BICEP2-Kollaboration jedenfalls lassen sich nicht entmutigen und suchen weiter.

Nadja Podbregar
Stand: 22.05.2015

Was hat die kosmische Inflation angetrieben?

Der Motor

Wenn es eine kosmische Inflation gab, dann stellt sich die Frage nach dem Warum und Wie: Was hat sie ausgelöst? Welche Kraft könnte die ungeheure Anziehung des auf kleinstem Raum zusammengeballten Universums-Keims überwinden? Noch gibt es auf diese Frage keine eindeutige Antwort – diverse Theorien aber schon.

Eigentlich hätte das Universum direkt nach dem Urknall zu einem Schwarzen Loch kollabieren müssen © NASA/CXC/M.Weiss

Schwarzes Loch statt Kosmos

Nach der klassischen Urknall-Theorie begann alles vor rund 13,8 Milliarden Jahren mit einem Punkt unendlicher oder zumindest extrem hoher Dichte. In diesem Punkt waren die gesamte Energie und Materie des Kosmos konzentriert – quasi wie in einer Art „Urkeim“. Das Problem dabei: Ein Ort von so enormer Dichte besitzt eine gewaltige Schwerkraft – und die müsste jede Ausdehnung verhindern.

Theoretisch hätte unser Universum daher schon vergehen müssen, bevor es richtig entstanden war. „Sein extrem starkes Gravitationsfeld hätte es in ein Schwarzes Loch verwandeln und aus der Existenz zurück in die Singularität katapultieren müssen, sobald es geboren wurde“, beschreibt der britische Astrophysiker John Gribbin diesen kosmischen Fehlstart. Aber die Theorie der kosmischen Inflation löst dieses Dilemma. Denn sie beschreibt nicht nur, was in diesen entscheidenden Sekundenbruchteilen nach dem Urknall geschah, sie liefert auch einen physikalischen plausiblen Mechanismus dafür.

Felder und ein falsches Vakuum

Die Basis dieses Inflations-Mechanismus bildet ein Skalarfeld. Dieses ist nichts anderes als eine Funktion, die an jedem Punkt des Raumes einen bestimmten Wert hat. Die Temperatur oder Dichte sind beispielsweise ein solches Feld, aber auch das berühmte Higgs-Feld, das allen Teilchen ihre Masse verleiht. Viele dieser Skalarfelder haben ihren stabilsten Zustand, wenn ihre Intensität am niedrigsten ist.

Prinzip des Inflaton-Felds: Solange es ein Plateau bildet, treibt seine Existenz die Inflation an. © scinexx

Doch es gibt auch Ausnahmen, unter ihnen das Higgs-Feld. Dieses verharrt auf einer Art Plateau, einem vorübergehend stabilen Zustand auf einem höheren Energieniveau. Der US-Physiker Alan Guth bezeichnet diesen Zustand als „falsches Vakuum“ – falsch deshalb, weil dieser Zustand nur temporär ist. Vergleichen lässt sich dies mit einem Ball, der zunächst stabil auf einer Tischplatte liegt. Bekommt er jedoch einen Schubs, rollt er über die Tischkante und fällt auf den Boden. Der Boden entspräche in diesem Beispiel dem „wahren Vakuum“, einem dauerhaft stabilen Zustand minimaler Energie.

Gegenspieler der Gravitation

Nach Vorstellung von Guth war ein solches falsches Vakuum auch die Triebkraft für die kosmische Inflation. Demnach existierte direkt nach dem Urknall ein Skalarfeld – das Inflaton-Feld – in diesem metastabilen Zustand. Dieses Feld übte aufgrund seiner spezifischen Energiedichte und Konformation einen starken negativen Druck aus. „Mechanisch entspricht ein solcher negativer Druck einem Saugeffekt“, erklärt Guth. Dadurch aber wurde dieses Inflaton-Feld zu einem Gegenspieler der Gravitation: Es erzeugte eine abstoßende Wirkung, die die explosive Ausdehnung des Ur-Kosmos bewirkte.

Noch ist allerdings unklar, wie genau dieses Inflaton-Feld aussah und ob damals vielleicht sogar mehrere Skalarfelder gemeinsam die kosmische Inflation in Schwung brachten. Tatsächlich gibt es inzwischen bereits hunderte von Modellen der kosmischen Inflation – und jedes ist ein wenig anders. Eines allerdings ist allen gemeinsam: Beweise für diese dramatische Phase fehlen bisher.

Nadja Podbregar
Stand: 22.05.2015

Warum die Inflation auch Fragen aufwirft

Auf tönernen Füßen

Die kosmische Inflation geizt bisher aber nicht nur mit Beweisen, auch theoretisch gibt es noch reichlich Unstimmigkeiten. „In den 30 Jahren seit Guth sie eingeführt hat, ist etwas Seltsames mit dem Szenario geschehen: Die Indizien, die dafür sprechen sind gewachsen, aber auch die dagegen“, kommentiert der US-Physiker und Kosmologe Paul Steinhardt die Entwicklung.

So sieht der Planck-Satellit die kosmische Hintergrundstrahlung © ESA / Planck Collaboration

Nur das einfachste Modell passt

So sprechen Daten des Planck-Satelliten zwar nicht gegen das Szenario der kosmischen Inflation. Die bisher genaueste Karte der kosmischen Hintergrundstrahlung grenzt aber wichtige kosmologische Parameter weiter ein – und dies betrifft auch die Inflation. Denn unter den gängigsten Inflations-Varianten stimmen die einfachsten am ehesten mit den Planck-Ergebnissen überein – die Modelle, die nur einem einzigen Inflatonfeld mit einem sanft geneigten Plateau ausgehen, wie es auch schon Guth postuliert hatte.

Dieses einfache Szenario aber kollidiert mit Erkenntnissen aus der Teilchenphysik: Denn kurz nach dem Urknall müsste auch ein anderes wichtiges Feld bereits existiert haben: das Higgs-Feld. Auch dieses befand sich damals in einem metastabilen Zustand, in einem falschen Vakuum ähnlich wie das von Guth postulierte Inflaton-Feld. Ob und wie die kosmische Inflation das Higgsfeld beeinflusst hätte, haben 2014 Physiker um Robert Hogan vom King’s College London untersucht.

Kollaps vorprogrammiert?

Sie kamen dabei zu einer verblüffenden Erkenntnis: Eigentlich dürfte es unser Universum heute gar nicht geben. Denn die heftigen Quantenfluktuationen bei der Inflation hätten das Higgs-Feld destabilisiert und aus seinem metastabilen Zustand gerissen. Das aber wäre für die gerade erst begonnene Inflation fatal gewesen.

Die starken "Stöße" der Inflation müssten unser Universum eigentlich aus der Senke in das Tal ganz rechts geschubst haben - so die Ansicht von Hogan und Fairbairn © Robert Hogan/ Kings College London

Denn der Absturz des Higgs-Felds hätte auch das Inflatonfeld mitgerissen und die Inflation sofort beendet. Unser Universum hätte dann schon Sekundenbruchteile nach dem Urknall wieder in sich zusammenfallen müssen. „Das aber ist inakzeptabel, denn wenn dies geschehen wäre, könnten wir heute nicht hier sein und darüber diskutieren“, konstatierten Hogan und seine Kollege Malcolm Fairbairn.

Higgs-Wechselwirkung als Retter?

Demnach ist es offensichtlich, dass irgendetwas diesen Kollaps verhindert haben muss. Eine mögliche Erklärung lieferte Ende 2014 eine europäische Forschergruppe. Sie wies in einer theoretischen Herleitung nach, dass eine schon eine winzig kleine Wechselwirkung mit der Gravitation das Higgs-Feld während der Inflation stabilisiert haben könnte.

Auch dies aber ist bisher nichts als eine Theorie. Die Forscher hoffen aber, in der kosmischen Hintergrundstrahlung Signale zu finden, die diese schwache Interaktion von Higgs-Feld und Gravitation belegen. Ob dies gelingt, bleibt allerdings abzuwarten.

Klar scheint bisher nur eines: Die Inflation ist bisher die plausibelste Erklärung dafür, dass unser Universum heute so ist, wie es ist. Gleichzeitig aber wirft diese Theorie reichlich neue Fragen auf – und belegen lässt sie sich bisher ebenfalls nicht. Diese Schwierigkeiten ahnte allerdings auch schon Alan Guth, einer der „Väter“ der Inflation: „Die Inflation, wenn sie denn wahr ist, ist nicht das Ende der Erforschung der kosmischen Ursprünge, sondern nur ihr Anfang“, konstatierte er.

Nadja Podbregar
Stand: 22.05.2015