100 Jahre Bohrsches Atommodell

Als die Atome Schalen bekamen

Ein Meilenstein der Wissenschaft: Niels Bohr und sein Atommodell © historisch / MMCD

Im Juli 1913 veröffentlichte der dänische Physiker Niels Bohr sein Atommodell – und damit einen Meilenstein der Physik und Chemie. Denn er war der erste, der erkannte, dass die Elektronen den Atomkern in ganz bestimmten Abständen umkreisen – und dass sie ihre Energie in fest definierten Paketen abgeben. Auch wenn einiges an seinem Modell inzwischen veraltet ist, sein Grundprinzip gilt bis heute und erklärt viele chemische und physikalische Phänomene.

Dass Niels Bohr sein Atommodell gerade vor hundert Jahren entwickelte, ist dabei keineswegs ein Zufall. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Physik von großen Umbrüchen erschüttert. Die Anfänge der Quantenmechanik unterminierten viele festgefügte Annahmen der klassischen Physik. Bohr war einer ihrer prägenden Akteure – weit über sein Atommodell hinaus. In ihm aber übertrug er die revolutionären Vorstellungen erstmals auf die Grundbausteine der Materie – und veränderte damit fundamental die Sicht auf die atomare Welt.

Nadja Podbregar

Demokrit und die unteilbaren Partikel

Die Erfindung des Atoms

Wasser, Feuer, Luft und Erde - für die frühen Griechen die Grundbausteine der Materie © MMCD

Schon im Altertum machten sich unsere Vorfahren Gedanken darüber, woraus unsere Welt besteht – was die Materie formt und zusammenhält. Dass sie noch kaum Möglichkeiten hatten, in den Mikrokosmos zu sehen oder komplizierte Experimente durchzuführen, war dabei kein Hindernis. Denn einige Merkmale und Verhaltensweisen von Substanzen und Materialien ließen sich auch damals schon sehr wohl beobachten. So zum Beispiel, dass Flüssigkeiten bei höheren Temperaturen verschwanden und an ihre Stelle ein Gas trat. Oder dass sich die Eigenschaften mancher Substanzen veränderten, wenn sie mit anderen reagierten.

Für die Griechen war die Schlussfolgerung aus alle diesen Beobachtungen lange Zeit klar: Alle Materie besteht aus nur vier Grundelementen: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Jeder Stoff, egal ob das Holz eines Baumes oder der Wein im Trinkbecher, bestand ihrer Ansicht nach nur aus einer Mischung dieser vier Grundqualitäten. Auch die Aggregatzustände erklärten sie sich mit diesem Modell: Gasförmige Stoffe sollten demnach vor allem Luft enthalten, feste dagegen vor allem Erde, flüssige wiederum überwiegend Wasser.

Demokrit postulierte die Idee der unteilbaren Atome © historisch

„Nur Atome im leeren Raum“

Doch im vierten Jahrhundert vor Christus entwickelte der Naturphilosoph Demokrit eine neue, absolut revolutionäre Idee: Nicht die vier Elemente seien die Basis aller Materie, so postulierte er, sondern winzige, feste und unteilbare Partikel: „Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum“, zitiert später der Naturgelehrte Galen Demokrits Aussagen. Dessen Vorstellung nach sollten die Atome zwar in ihrer Beschaffenheit alle gleich sein, sich aber in ihrer Form unterscheiden – rund, würfelförmig, zylindrisch oder pyramidal. Und erst die Kombination und Anzahl dieser Atomformen erzeugt dann die verschiedenen Materialien und ihre typischen Merkmale.

Auch wenn Demokrit weder die Natur der Atome richtig erkannte, noch die Art und Weise, wie aus ihnen verschiedene Materialien entstehen: Mit seinem Modell war die Idee des Atoms als dem Grundbaustein der Materie geboren. Es sollte allerdings noch weit mehr als 2.000 Jahre dauern, bis Forscher begannen, die Eigenschaften der Atome genauer zu erforschen.

Nadja Podbregar
Stand: 21.06.2013

Daltons Modell der Atome

Eine Sorte pro Element

Der nächste entscheidende Schritt ereignet sich im Jahr 1808. Der britische Naturforscher John Dalton führt in seinem Labor Messungen und Versuche mit verschiedensten Gasen und Flüssigkeiten durch. Ihm fällt dabei auf, dass sich bestimmte Elemente immer in festen Verhältnissen miteinander zu verbinden scheinen. Außerdem bemerkt er, dass in einer Mischung verschiedener Gase jedes Gas unabhängig von den anderen einen bestimmten Partialdruck besitzt.

So zeichnete Dalton seine Vorstellung von Atomen und Molekülen © MMCD / historisch

Ein Atom für jedes Element

Um diese Beobachtungen zu erklären, greift Dalton die Ideen Demokrits wieder auf, modifiziert sie aber: In seinem Atommodell haben alle Atome die gleiche Form und den gleichen Grundaufbau. Je nach Element unterscheiden sie sich aber in ihrer Masse, Größe und anderen Eigenschaften. Ähnlich wie Demokrit glaubt auch Dalton, dass Atome unteilbar sind und weder erschaffen noch zerstört werden können. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger geht er aber nicht von einer unendlich großen Vielzahl von Atomen aus. Stattdessen vermutet er, dass es für jedes bekannte Element genau eine Atomsorte geben muss.

„Mit anderen Worten: Jedes Wasserteilchen ist exakt wie jedes andere Wasserteilchen, jedes Atom Wasserstoff wie jedes andere Wasserstoffatom“, schreibt der Forscher. In chemischen Reaktionen verbinden sich seiner Vorstellung nach diese Atome mit anderen oder trennen sich Ansammlungen von verschiedenen Atomen wieder auf. Damit legt er den Grundstein für die moderne Chemie und den Begriff der Moleküle.

Der Abstand entscheidet: so stellte sich Dalton die Atomanordnung bei Wasserstoffgas vor. © historisch

„In respektvollem Abstand“

Sein Modell liefert zudem eine Erklärung für die Aggregatzustände: „Wenn ein Stoff in einem gasförmigen Zustand existiert, sind seine kleinsten Teilchen weiter voneinander entfernt als in jedem anderen Zustand“, so Dalton. „Jedes der Teilchen sitzt im Zentrum einer relativ großen Sphäre und behält seine Würde, indem es alle andern Teilchen in respektvollem Abstand hält.“ Bei Flüssigkeiten und noch mehr bei Feststoffen seien die Abstände zwischen den Atomen dagegen geringer. Erwärmt man einen Stoff, dehnt dieser sich aus, weil seine Atome immer weiter auseinander streben.

Einen gewaltigen Haken hatte das Atommodell von Dalton allerdings: Es konnte nicht erklären, warum Atome unter bestimmten Bedingungen positive oder negative Ladungen annehmen. Und auch für das Phänomen der Radioaktivität lieferte Daltons Modell keine Erklärung: Denn wenn Atome doch unteilbar sind, woher sollten dann die Teilchen und die Strahlung kommen, die beispielsweise Uran beim Zerfall aussandte?

Nadja Podbregar
Stand: 21.06.2013

Die Suche nach dem Sitz der Elektronen

Kuchenteig oder Hülle?

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts überschlagen sich die Ereignisse. Immer mehr Experimente liefern neue Erkenntnisse über die Bausteine der Materie – und die Physiker und Chemiker kommen kaum hinterher, entsprechende Erklärungen und Modelle für das Gefundene zu entwickeln. Vorreiter und Zentrum des Geschehens ist dabei England.

Thomsons Vorstellung des Atoms: eine positive Matrix mit darin eingebetteten Elektronen © MMCD

An der Universität Cambridge ist es der Physiker Joseph John Thomson, der schon kurz vor der Jahrhundertwende als erster eindeutig nachweist, dass Atome – entgegen der Vorstellungen von Dalton und Demokrit – keine massive, unteilbare Einheit sind. Es gelingt ihm zu beweisen, dass Kathodenstrahlen aus Elektronen und damit aus geladenen, subatomaren Teilchen bestehen. Seine Vermutung: Diese von der positiven Elektrode abgestrahlten Elektronen müssen aus den Atomen selbst stammen. Weil aber das Atom als Ganzes neutral ist, muss zusätzlich zu den negativ geladenen Elektronen auch noch ein positiver Rest existieren.

Wie Rosinen in einem Teig

Ausgehend von dieser Überlegung entwickelt Thomson 1903 sein „Rosinenkuchen“-Modell des Atoms: Nach diesem besteht ein Atom aus einer positiven Grundmasse, in das die Elektronen wie winzige Rosinen in einem Kuchenteig eingebettet sind. Die Elektronen, so postuliert der Forscher, können – beispielsweise im Rahmen chemischer Reaktionen – aus der Grundmasse entfernt werden.

Einem Natrium-Atom fehlt dann beispielsweise in einer Kochsalzlösung (Natriumchlorid) ein Elektron, dadurch wird es einfach positiv geladen und wandert beim Anlegen einer Spannung an den negativen Pol, die Anode. Durch dieses Modell kann Thomson die Ladungsveränderungen der Atome bei Reaktionen plausibel erklären. Tatsächlich liegt er mit seinem Grundprinzip – es werden Elektronen ausgetauscht – absolut richtig, wenn auch nicht in der Form.

Auch seine Zeitgenossen kann Thomson damit zunächst vollauf überzeugen. Für seine Entdeckung des Elektrons erhält er 1906 den Nobelpreis für Physik. Im gleichen Jahr kann er nachweisen, dass Wasserstoff nur genau ein Elektron enthält. Der junge Niels Bohr, zu diesem Zeitpunkt noch Student an der Universität Kopenhagen, bezeichnet Thomson damals als „das Genie, das allen den Weg zeigte.“

Ruhterfords Streuversuch: Ein Strahl aus Heliumkernen trifft auf eine Goldfolie, ein Schirm registriert, ob und wie die Heliumkerne abgelenkt werden. © MMCD

„Kuchenteig“ unter Beschuss

Doch schon wenig später gerät Thomsons „Rosinenkuchen“ unter Beschuss – buchstäblich. Denn in Manchester führt der Physiker Ernest Rutherford 1911 ein Experiment durch, mit dem er Thomsons neues Atommodell überprüfen will. Dazu beschießt er eine dünne Goldfolie mit Alphastrahlen. Diese beim radioaktiven Zerfall von Uran entstehenden Partikel sind, das weiß Rutherford bereits, positiv geladen. Es handelt sich um Heliumatome, die ihrer beiden Elektronen beraubt wurden.

Rutherfords Erwartung: Stimmt das Rosinenkuchen-Modell von Thomson, dann müsste die positive Matrix der Goldatome die auftreffenden positiven Teilchen nahezu vollständig reflektieren. Nur sehr wenige Alpha-Partikel dürften die Folie passieren. Doch zur großen Überraschung des Physikers ist das Gegenteil der Fall: Der größte Teil der Alphateilchen passiert die immerhin rund 4.000 Atomlagen dicke Goldfolie völlig ungehindert. Weniger als ein Prozent der Teilchen wird abgelenkt oder zurückgeworfen.

Rutherfords Modell: kleiner postiver Atomkern und große, weitgeend leere Hülle mit Elektronen © MMCD

Leere Hülle und massiver Kern

Für Rutherford ist die Konsequenz aus diesem Ergebnis klar: Das Atom kann kein Rosinenkuchen sein, wie es Thomson postuliert hatte. Stattdessen muss es vorwiegend aus etwas anderem bestehen – aus Leere. Denn nur dann ist erklärbar, warum die Alphateilchen die Goldfolie so mühelos durchschlagen konnten.

„Ich gehe davon aus, dass das Atom aus einem kleinen positiv geladenen Atom besteht, in dem praktisch die gesamte Masse des Atoms konzentriert ist. Um diesen Kern verteilen sich Elektronen, die das Atom elektrisch neutral machen“, postuliert der Forscher. Diese Hülle aus Elektronen ist dabei mehr als hunderttausend Mal größer als der massive Kern – entsprechend selten kommt es daher vor, dass ein Alphateilchen genau diesen winzigen Kern trifft.

Nadja Podbregar
Stand: 21.06.2013

Niels Bohr und die etablierten "Atombauer"

Der junge Wilde

Herbst 1911. Der junge dänische Physiker Niels Bohr hat gerade seine Doktorarbeit zur Elektronentheorie der Metalle abgeschlossen und ist auf dem Weg zu seinem großen Idol: Er darf im Rahmen eines Forschungsaufenthalts im Labor des Nobelpreisträgers und „Elektronenpapstes“ Joseph John Thomson mitarbeiten. Bereits in seiner Diplomarbeit hat sich Bohr mit der Arbeit von Thomson auseinandergesetzt – und platzt nun vor neuen Ideen und Verbesserungsvorschlägen. „Voll wildem, dummem Mut“, beschreibt er seinen Gemütszustand später.

Niels Bohr als junger Mann - er fiel schon im Studium als sehr begabter Physiker auf © historisch

Besuch in Manchester

Damit allerdings kommt er beim etablierten Nobelpreisträger nicht gerade gut an. Dieser nimmt den mit Akzent sprechenden Jungforscher nicht wirklich für voll und ist zudem viel zu sehr damit beschäftigt, sein Rosinenkuchen-Modell und dessen Konsequenzen weiter zu entwickeln. Bohr bleibt dennoch für rund ein halbes Jahr in Cambridge, folgt Vorlesungen und Vorträgen von Thomson, aber auch dem Mathematiker Joseph Larmor.

Im Februar 1912 dann bietet sich ihm die nächste große Chance: Er kann im Labor von Ernest Rutherford in Manchester mitarbeiten – kurze Zeit nachdem dieser sein bahnbrechendes Goldfolien-Experiment veröffentlicht hat. Bohr beschreibt seine Eindruck des Forschers so: „Ein echt erstklassiger Mann und extrem fähig, in vielerlei Hinsicht noch fähiger als Thomson, wenn auch vielleicht nicht so begabt“, so die fast schon vorwitzige Einschätzung des Jungphysikers. Und auch bei Rutherford tut Bohr zunächst das, was ihm besonders liegt: Er beschäftigt sich mit den Modellen seines Chefs und analysiert sie auf seine eigene Weise.

Radioaktiver Zerfall von Uran - eine Sache des Kerns, wie Bohr erkennt. Dabei gibt der Urankern einen Heliumkern ab (Alphateilchen) udn wird dadurch zu Thorium. © MMCD

Deutlich getrennt: Chemie und Radioaktivität

Dabei erkennt Bohr bereits, was selbst Rutherford zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst ist: Das Kern-Hülle-Modell liefert auch das Handwerkszeug, um radioaktive und chemische Reaktionen klar voneinander abzugrenzen. Denn alles, das die Hülle und die darin befindlichen Elektronen beeinflusst und verändert, ist seiner Definition nach Chemie.

„Zur ersten Klasse von Atommerkmalen gehören die meisten physikalischen und chemischen Eigenschaften von Substanzen, wie ihre Farbe oder chemische Reaktivität“, erklärt Bohr 1922 in seiner Nobelpreis-Rede. „Diese Eigenschaften beruhen auf dem Elektronensystem und die Art und Weise, mit der sich seine Bewegung unter dem Einfluss verschiedener äußerlicher Handlunge verändert.“ Die Reaktionen aber, die vom Atomkern ausgehen, sind Bohrs Ansicht nach Kernphysik. „In den radioaktiven Prozessen begegnen wir einer Art Explosion des Atomkerns, bei der er positive oder negative Partikel, die sogenannten Alpha- und Beta-Teilchen, mit großen Geschwindigkeiten ausstößt“, erklärt Bohr.

Kann chemische Bindungen nicht erklären: Rutherfords Atommodell © MMCD

Viele offene Fragen

Bohr belässt es dabei aber nicht, er hinterfragt Rutherfords Modell auch kritisch und sieht durchaus einige Lücken. Einen Aspekt chemischer Reaktionen kann das Rutherford-Modell beispielsweise nicht erklären: Warum bilden manche Elemente wie das Natrium fast immer einfach positiv geladenen Ionen, andere dagegen wie Aluminium sogar dreifach positive?

Und warum weigern sich manche Elemente schlichtweg, überhaupt positiv zu werden und nehmen stattdessen negative Ladungen an, wie beispielsweise das Chlor wenn es in Form von Kochsalz – Natriumchlorid – gelöst wird? Steckt der Hinzugewinn oder der Verlust von Elektronen dahinter, müsste dies ja bedeuten, dass einige Elektronen leichter entfernt werden können als andere. Rutherfords nicht weiter unterteilte Atomhülle liefert hier keine Erklärung dafür.

Und noch etwas bleibt beim Rutherford-Modell ungeklärt: Warum bleiben die Elektronen in der Hülle, statt in den Kern hineinzustürzen? Eigentlich müssten die kreisenden Teilchen bei ihrer Bewegung ständig an Energie verlieren und damit auch an Geschwindigkeit. Denn nach gängiger Theorie der klassischen Elektrodynamik verliert eine bewegte Ladung ständig Energie, weil sie elektromagnetische Strahlung aussendet. Langsamer werdend, müssten die Elektronen dadurch schließlich von der positiven Ladung angezogen werden und in den Kern fallen. Doch ganz offensichtlich geschieht genau dies nicht. Die Elektronen scheinen völlig ungebremst um den Kern zu kreisen. Aber warum?

Nadja Podbregar
Stand: 21.06.2013

Die Entdeckung der Quanten

Unteilbare Pakete

Noch während sich Thomson, Rutherford und Bohr den Kopf über die mögliche Struktur des Atoms zerbrechen, debattiert die Physikerwelt über eine andere, mindestens ebenso fundamentale Größe: die Energie. Denn erst wenige Jahre zuvor hat Max Planck das gesamte bisherige Weltbild der Physik ins Wanken gebracht. Seine revolutionäre Erkenntnis: Energie ist keine kontinuierliche Größe, sondern besitzt – ähnlich wie Materie – eine kleinste, nicht mehr teilbare Einheit. Ein glühender Körper gibt demnach seine Wärmestrahlung nicht in beliebigen Mengen ab, sondern in fest definierten Paketen, den Quanten. Diese Quanten, so erkannte Planck, sind umso energiereicher, je kürzer die Wellenlänge der ausgestrahlten elektromagnetischen Strahlung ist.

Max Planck erkannte die Quantelung der Energie, sein Strahlungsgesetz revolutionierte die Physik. © historisch

Skepsis überwiegt – zunächst

Als Planck seine Idee der Quanten und sein darauf aufbauendes Strahlungsgesetz am 14. Dezember 1900 auf der Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft vorstellt, reagieren seine Kollegen alles andere als begeistert. Zwar erklärt Plancks Gesetz viele der bisher unerklärlichen Beobachtungen bei der Wärmestrahlung – aber es widerspricht allem, was man bisher als gegeben ansah. Entsprechend skeptisch bleibt die Physikergemeinde – und auch Planck selbst ist sich seiner keineswegs sicher. Der eher konservative Forscher versucht lange, sein Konzept in das alte Gefüge der klassischen Physik einzubauen – allerdings eher vergebens.

Schützenhilfe erhält Planck 1905 von Albert Einstein. Dieser erkennt die Tragweite von Plancks Idee und führt sie in seiner Lichtquantenhypothese weiter. Nach dieser ist auch das Licht als eine Form der elektromagnetischen Strahlung gequantelt: Obwohl es eine Welle ist, wird es in Form von Photonen, Lichtteilchen übertragen. Es hat daher sowohl Eigenschaften einer Welle als auch von Teilchen.

Spektrallinien der Balmer-Serie des Wasserstoffs © Jan Homann/ CC-by-sa 3.0

Das Rätsel der Spektrallinien

Auch Niels Bohr beschäftigt sich während seiner Zeit in England intensiv mit Plancks Strahlungsgesetz – und überlegt, ob nicht die Quantisierung der Energie auch einige seltsame Phänomene bei Atomen erklären könnte. So strahlt beispielsweise Wasserstoff, wenn ihm Energie zugeführt wird, nicht Licht eines kontinuierliche Spektrums aus, sondern erzeugt klar abgegrenzte Linien nur bei bestimmten Wellenlängen. Wo diese Linien sitzen, lässt sich durch mathematische Formeln nachvollziehen, je nach Energiezugabe bilden sie Serien – die Balmer-Serie, die Lyman-Serie und die Paschen-Serie.

„Es ist wohlbekannt, dass die Wellenlängen der Spektrallinien eines Elements unter den gleichen äußeren Umständen auch immer exakt die gleichen sind“, erklärt Bohr später in seiner Nobelpreis-Rede. „Aber solange wir uns auf die klassische Elektrodynamik beschränken, können wir diese scharfen Linien nicht erklären.“ Wie aber dann?

Nadja Podbregar
Stand: 21.06.2013

Die Geburt des Bohrschen Schalenmodells

Springende Elektronen

Atommodell nach Bohr: Die Elektronen kreisen auf definierten Bahnen © MMCD

Anfang 1913 steht Niels Bohr vor mehr Fragezeichen als Antworten: Rutherfords Atommodell kann nicht erklären, warum die Elektronen in der Hülle nicht ständig Strahlung aussenden. Und warum die Elemente scharf abgegrenzte Spektrallinien aussenden ist ebenfalls völlig schleierhaft. Doch der junge Physiker hat einen Geistesblitz: Was wäre, wenn auch in der Welt der kleinsten Teilchen nicht die klassische Elektrodynamik gilt, sondern die gerade erst postulierten Quanten? Bohr beginnt, die Planckschen Prinzipien auf die Balmer-Serie des Wasserstoffs anzuwenden und stellt überraschende Parallelen fest.

Wie Planeten auf ihren Bahnen um die Sonne

Nach und nach kristallisiert sich ein völlig neues Bild des Atoms und seiner Elektronen heraus: Demnach kreisen die Elektronen nicht einfach ungeordnet und in beliebigem Abstand um den Atomkern, sondern in bestimmten Bahnen. „In diesem Bild sehen wir sofort eine erstaunliche Ähnlichkeit zu einem Planetensystem“, erklärt Bohr. Innerhalb dieser Bahnen befinden sich die Elektronen in einem stabilen Zustand, sie verlieren keine Energie und senden auch keine Strahlung aus. Ihre Bewegung steht in einem Gleichgewicht zur Kraft, die der Kern auf sie ausübt.

Jede Bahn des Elektrons entspricht nach Bohr einem anderen Energieniveau © MMCD

Anders aber, wenn beispielsweise dem Wasserstoffatom Energie zugeführt wird: Dann nimmt das Elektron diese Energie auf und wird dadurch von seinem Grundzustand auf eine weiter außen liegende – energiereichere – Bahn katapultiert. Nach einiger Zeit aber fällt es wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Die nun überschüssige Zusatzenergie gibt das Elektron dabei ab – als Strahlung. Und hier sieht Bohr die Erklärung für die Spektrallinien und die Verbindung zu Planck:

Das Elektron strahlt beim Rücksprung von einer höheren auf eine niedrigere Schale Energie in Form von Strahlung aus - dies erzeugt die typischen Spektrallinien der Elemente. © MMCD

Energiepakete auch beim Elektron

„Der essenzielle Punkt in Plancks Theorie der Strahlung ist es, dass die von einem Atomsystem ausgesendete Energie nicht kontinuierlich erfolgt, sondern im Gegenteil in klar getrennten Emissionen“, erklärt der Physiker. Und weil das Elektron seine Energie nur in bestimmten Paketen – den Quanten – abgeben kann, hat der abgegebene Lichtblitz immer eine feste Wellenlänge, entsprechend der abgegebenen Energiemenge. Statt eines allmählichen Übergangs sieht man dieses Lichtsignal im Spektrum daher als klar abgrenzte Linie.

Nun wird auch die Balmer-Serie des Wasserstoffs klar: Wenn das Elektron des Wasserstoffs je nach Energiezufuhr auf unterschiedlich weit außen liegende Bahnen katapultiert wird, fällt es bis zum energieärmsten Grundzustand jeweils unterschiedlich weit. Als Folge gibt es jeweils unterschiedliche Strahlenpakete ab – und diese erzeugen die verschiedenen Linien der Balmer-Serie.

Nadja Podbregar
Stand: 21.06.2013

Das Modell und seine Folgen

1913 und danach

{1r}

Anfang Juli 1913 – und damit vor fast genau hundert Jahren – veröffentlicht Bohr seine neuen Erkenntnisse unter dem Titel „On the Constitution of Atoms and Molecules“ im Philosophical Magazine, noch im gleichen Jahr folgen zwei weitere Veröffentlichungen. „Diese auch als Trilogie bekannten Artikel waren bahnbrechend, denn zum ersten Mal beschrieben sie, wie Atome funktionieren“, erklärt Troels Petersen, Physiker am dänischen Niels Bohr Institut in Kopenhagen.

Meilenstein mit kleinen Fehlern

Bohrs Kollegen und Zeitgenossen sind allerdings zunächst nur mäßig begeistert. Denn seine Theorie ist nur eine von vielen, die in dieser Zeit die Physikjournale füllen. Zudem passen Bohrs Berechnungen und Annahmen zwar für den Wasserstoff, bei Elementen mit mehr als einem Elektron weichen Beobachtungen und Theorie aber deutlich voneinander ab. Doch Bohr lässt sich nicht entmutigen. In den folgenden Jahren modifiziert und erweitert er sein Atommodell weiter. Er geht beispielsweise später nicht mehr von Kreisbahnen der Elektronen aus, sondern von elliptischen Orbits.

In der Folgezeit beschäftigt sich Bohr vor allem weiter mit den Konsequenzen der Planckschen Quanten für die atomare Welt und trägt so ironischerweise selbst tatkräftig dazu bei, die Quantenmechanik zu etablieren und sein Modell in vielen Punkten zu widerlegen.

Mögliche Orbitale des Elektrons beim Wasserstoff © PoorLeno / gemeinfrei

Heute wissen wir, dass die Elektronen nicht in festen, flachen Bahnen kreisen, sondern in bestimmten Orbitalen zu finden sind – Zonen der höchsten Aufenthaltswahrscheinlichkeit. Denn spätestens seit Werner Heisenbergs Unschärferelation ist klar, dass sich die genaue Position und Geschwindigkeit eines Elementarteilchens nicht genau bestimmen lässt, ohne dessen Zustand zu beeinflussen. Zudem besitzen Elektronen – ähnlich wie Licht – auch Eigenschaften von Wellen.

Prägend bis heute

Doch trotz alledem: Das Bohrsche Atommodell – so vorläufig es auch war – ist auch heute noch immer das prägendste Modell. Es wird in den Schulen als erstes gelehrt, es findet sich in unzähligen Symbolen für Atome wieder und dient noch immer als Erklärungsmodell für zahlreiche Phänomene in Chemie und Physik. Mit seiner Hilfe wird beispielsweise bis heute die Bindung chemischer Elemente und letztlich auch das gesamte Periodensystem der Elemente erklärt.

Bis heute wird die Elektronenkonfiguration der Elemente vereinfacht als Bohrmodell dargestellt, hier für Kohlenstoff. © gemeinfrei

Denn nach diesem Modell ist eine chemische Bindung nichts anderes als ein Austausch der jeweils äußeren Elektronen zwischen Atomen. Beim Kochsalz beispielsweise gibt das Natrium sein einziges auf der äußeren Schale kreisendes Elektron ab, das Chlor nimmt dieses auf. Dadurch bekommen beide Atome eine nun volle Außenschale – und damit einen stabilen Zustand. Die Anzahl der Außenelektronen bestimmt damit letztlich, mit wem ein Element bevorzugt reagiert – und damit eine der Eigenschaften, die die Gruppenzuordnung im Periodensystem bestimmt.

Niels Bohr hat sich mit seinem „Planetenmodell“ der Elektronen tatsächlich unsterblich gemacht. Die bestrickende Einfachheit und Eingängigkeit seines Modells macht es bis heute relevant – wenn auch nicht in allen Aspekten. In dieser Hinsicht hat Bohrs Atommodell eine weitere Parallele zu einem Planetensystem, genauer gesagt dem des Astronomen Kopernikus: Beide Modelle änderten die Sicht auf ihre damalige Welt fundamental und öffneten die Tür zu weiteren Erkenntnissen – Erkenntnissen, die unser Weltbild bis heute prägen.

Nadja Podbregar
Stand: 21.06.2013