Überlegungen an den Grenzen unseres Zahlenverständnisses

Wie viel ist eine Billion?

Wie viel ist eine Billion? © gemeinfrei / MMCD

Schreiben lässt sich eine Billion leicht: einfach als eine Eins mit zwölf Nullen. Aber wenn es darum geht, uns vorzustellen, was eine solche Zahl bedeutet, wird es schon schwieriger. Denn darstellbar heißt nicht unbedingt vorstellbar. Das merken wir beispielsweise, wenn es um die gigantischen Entfernungen im Weltraum geht oder aber um die gewaltigen Summen, die bei den Einnahmen oder Ausgaben großer Volkswirtschaften anfallen.

Der Mathematiker Matthias Ludwig von der Goethe-Universität Frankfurt nimmt uns mit auf seine Suche nach einer gut vorstellbaren und fassbaren Veranschaulichung für die Zahl eine Billion. Den Mathematikdidaktiker reizt an großen (und kleinen) Zahlen der kognitive Konflikt, der sich beim Vorstellen einstellt. Diesen Konflikt versucht er zu lösen.

Matthias Ludwig / Forschung Frankfurt
Stand: 26.10.2012

Bis wohin reicht unser Vorstellungsvermögen?

Die unfassbare Zahl

Wie schwer es ist, große Mengen zu schätzen, belegen jedes Wochenende Berichte über Teilnehmerzahlen an Kundgebungen, Umzügen oder Demonstrationen. In der Regel geben die Ordnungskräfte eine viel geringere Teilnehmerzahl an als die Organisatoren der Veranstaltung. Das liegt daran, dass wir unstrukturierte Anzahlen von Menschen oder Gegenständen nur dann auf einen Blick erfassen können, wenn es weniger sind als sechs.

Ein Abakus macht kleinere Zahlen und Rechnungen greifbar © SXC

Zahlen wie 10, 20, 25 oder 100, eventuell noch 1.000, kann man sich gut als strukturierte Menge vorstellen. So versucht man in der Grundschule, mit einem 20er-Rahmen Zahldarstellungen und Zahlzerlegungen bis 20 zu verinnerlichen. Mit einem Fünf-mal-Fünf-Punktefeld lässt sich beispielsweise die 25 darstellen, und mit dem vierfachen fünf mal fünf Punktefeld die 100. So hat man für die Zahlen im Hunderterraum fassbare und überschaubare Mengen- und Zahlvorstellungen.

Das Problem beginnt schon bei der Tausend

Bei der Eintausend wird das schon schwieriger. Man kann zwar zehn Hunderterfelder nebeneinanderlegen oder zehn zu einem Tausender-Buch zusammenheften. Aber es sind schon mehr Hilfsmittel erforderlich, um sich die 1.000 vorstellen zu können. Ein Grund dafür mag sein, dass 1.000 keine Quadratzahl ist. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es hier nicht um die Zahldarstellung geht, sondern um eine Mengenvorstellung, sozusagen die innere Verbildlichung der Zahl.

Eine Billion, das sind tausend Milliarden oder eine Million Millionen. Immerhin eine Quadratzahl. Um sich eine Zahl dieser Größenordnung vorstellen zu können, oder um überhaupt eine Idee zu haben, wie viel das ist, muss man sich diese Zahl als eine Größe vorstellen. Dieses Vorstellen funktioniert nur, wenn man Bezugsgrößen wählt, mit denen man tagtäglich umgeht. Für den Normalbürger sind das die Zeit, Geld, Gewicht und Längen, aber auch Volumen oder Flächen eignen sich.

Matthias Ludwig / Forschung Frankfurt
Stand: 26.10.2012

Auf der Suche nach einer begreifbaren Vergleichsgröße

Zeit, Geld, Länge

Wie lange sind eine Billion Sekunden? Jeder Tag hat 60 Sekunden × 60 × 24 = 86.400 Sekunden. Damit entspricht die Zeitspanne von einer Billion Sekunden ziemlich genau 11.574.074 Tagen oder 31.710 Jahren. Eine lange Zeit, fast drei Mal länger als das Holozän – die Jetztzeit – alt ist. Ich würde sagen nicht vorstellbar, also unbrauchbar.

Versuchen wir es mit der Darstellung als Quadratzahl. Wenn wir als Einheit den Quadratmillimeter nehmen, so befinden sich auf einer Fläche von einem Quadratkilometer genau eine Billion Quadratmillimeter. Uns zugänglicher als Einheit ist der Quadratmeter. Um eine Billion davon zu bekommen, benötigen wir ein Quadrat mit einer Seitenlänge von 1.000 Kilometern. Dies ergibt eine Fläche von einer Million Quadratkilometern. Das ist ziemlich viel, nämlich drei Mal so groß wie Deutschland oder in etwa so viel wie die Fläche von Spanien und Frankreich zusammen.

Geld als Bezugsgröße funktioniert meist nur bei kleineren Summen. © SXC

Wie viel kostet ein Fahrrad?

Verwenden wir als Bezugsgröße Geld. Mit Geld lernen die Kinder zwar das Rechnen, das Bündeln, das Eintauschen und somit auch das Stellenwertsystem kennen. Interessanterweise haben Kinder aber selbst in einem Alter von zehn Jahren kaum Vorstellungen von Geld als Größe. Sie könnten also nicht einmal ungefähr sagen, was ein Fahrrad, ein Fußball, ein Auto oder ein Restaurantbesuch kosten. Aber auch einem Erwachsenen dürfte es schwerfallen, sich eine Billion Euro vorzustellen – selbst wenn man ihm sagt, dass es sich ungefähr um die Hälfte der deutschen Staatsverschuldung von derzeit etwas über 2.000 Milliarden handelt.

Rechnen wir den Betrag auf die Zahl der deutschen Bürger um, kommen wir bei derzeit 82 Millionen Bundesbürgern auf gute 24.400 Euro Schulden pro Kopf. Bei einer vierköpfigen Familie sind das schon knapp 100.000 Euro. Da wir uns nur die Hälfte, also eine Billion, vorstellen müssen, sinkt die Familienlast auf 50.000 Euro. Also gut 12.500 Euro für jeden. Bei einem Mindestlohn von 9,50 Euro und ohne Lohnsteuer und Sozialabgaben müsste man dafür 33 Wochen à 40 Stunden arbeiten, also knapp zwei Drittel des Jahres.

Eine Billion Euro entsprächen 50 Millionen Golfs © Stefan-Xp / CC-by-sa 3.0

Aber was die Vorstellung unserer Billion Euro betrifft, kommen wir so nicht weiter, denn wir sehen ja nur einen Teil davon. Dennoch bieten Geld- und Sachwerte eine gute Orientierungsmöglichkeit. Was kostet ein gut ausgestatteter Golf, das Lieblingsauto der Deutschen? Derzeit um die 20.000 Euro. Eine Billion Euro entsprächen damit 50 Millionen Golfs. Derzeit sind in Deutschland 51,7 Millionen PKWs zugelassen. Würde man also alle in Deutschland zugelassenen Autos durch einen neuen Golf ersetzen, müsste man dafür ungefähr eine Billion ausgeben. Eine Vorstellung von der Menge der Fahrzeuge erhält man, wenn man sie sich Stoßstange an Stoßstange geparkt vorstellt. Die Parkschlange würde sich mehr als sechs Mal um die Erde winden.

Matthias Ludwig / Forschung Frankfurt
Stand: 26.10.2012

Flächen als Vorstellungshilfe

Ein Teppich von 50-Euro-Scheinen

Lösen wir uns von den Sachwerten und versuchen wir uns einmal das Geld in Scheinen vorzustellen. Der häufigste Schein, der sich im Umlauf befindet, ist der 50-Euro-Schein. Das wären dann

20 Milliarden Scheine. Legt man diese 20 Milliarden Scheine alle der Länge nach hintereinander, so kann man das entstandene Band 70 Mal um die Erde wickeln.

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Oder eventuell vorstellbarer ausgedrückt: Wir können dieses Band knapp vier Mal zum Mond und zurückspannen. Oder vielleicht besser: Unser gesamtes Autobahnnetz hat eine Länge von mehr als 13.000 Kilometern. Gehen wir davon aus, dass es durchschnittlich dreispurig ausgebaut ist, könnten wir die Autobahn mitsamt den Standstreifen und Leitplanken mit 50-Euro- Scheinen bekleben und hätten noch genug Scheine übrig für Österreich und die Schweiz. Wer solch astronomische Längenvergleiche nicht mag: hier ein Flächenbeispiel. Wir legen diese 20 Milliarden 50-Euro-Scheine nebeneinander zu einem großen Teppich. Dieser Teppich ist so groß, dass er das Stadtgebiet von Frankfurt unter sich versteckt. Eine surreale Vorstellung.

Eine Billion 10-Euro-Scheine füllt 1.630 LKW © gemeinfrei

1.630 Sattelzüge im Stau

Tauschen wir die 50-Euro-Scheine jetzt in 10-Euro- Scheine um. Stellen Sie sich vor: Sie sind auf einem Schiff auf hoher See und sitzen in einem Ausguck von mehr als 20 Metern Höhe über dem Meeresspiegel. Dann können Sie rundherum genauso weit sehen, wie der Teppich aus 10-Euro-Scheinen reichen würde. Das wäre ein Geldmeer von einer Billion Euro. Um eine Billion an 10-Euro- Geldscheinen zu transportieren, braucht man 1.630 Sattelzüge. Parkt man diese hintereinander, erhält man eine Strecke von über 32 Kilometern. Aber so eine Staulänge ist man in den Sommermonaten durchaus gewohnt.

Packen wir das Geld wieder aus und stapeln die Geldscheine in die Frankfurter Commerzbank-Arena. Wir bedecken die Spielfläche von 105 mal 68 Metern mit Scheinen. Würden wir das mit 10-Euro-Scheinen tun, hätten wir eine Stapelhöhe von 16,68 Metern erreicht. Benötigen wir eine Sekunde, um ein Bündel aus 100 Scheinen (das sind 1.000 Euro) zu legen, und es helfen 150 Personen bei dieser Aktion, dann benötigt man ziemlich genau zehn Jahre, um diese Geldmenge zu stapeln – aber nur, wenn man jeden Tag rund um die Uhr arbeiten würde.

Blick in die Commerzbank-Arena in Frankfurt © ToKo / CC-by-sa 3.0

Noch eindrucksvoller wird es, wenn man die 10-Euro- Scheine in 5-Euro-Scheine umtauscht. Dann dauert es 20 Jahre und man erhält eine Stapelhöhe von mehr als 30 Metern. Der höchste Sitzplatz in der Commerzbank- Arena liegt übrigens bei 32 Metern über dem Spielfeld. Das Stadion wäre also komplett bis oben hin mit 5-Euro-Scheinen gefüllt. Das ist doch eine schöne Vorstellung für Eintracht-Fans.

Matthias Ludwig / Forschung Frankfurt
Stand: 26.10.2012

Wie Mathematik hilft große Zahlen zu verstehen

Mit dem Weltwissen kommt der Kontext

Die Schulmathematik liefert im Prinzip alle Werkzeuge, damit Kinder sich ein Bild von großen Anzahlen machen können. Alle hier aufgezählten Ideen und Vergleiche beruhen auf dem einfachen mathematischen Modell der Proportionalität beziehungsweise der Dreisatzrechnung. Unsere Kinder lernen diese Rechenverfahren und Methoden in der sechsten und siebten Klasse und lösen auch

Übungsaufgaben dazu.

Wie viel Platz würden eine Million in 5-Euro- Scheinen auf einem Fußballfeld einnehmen? © Forschung Frankfurt

Die Kinder würden aber niemals auf die Idee kommen, diese Mathematik modellbildend einzusetzen, um sich eine Vorstellung von großen Anzahlen im täglichen Leben zu machen. Dazu fehlt ihnen noch die Lebenserfahrung, das Weltwissen. Die Kontexte, in denen sie in der Schule Mathematik lernen, sind sehr isoliert und konstruiert. Um etwas Neues zu erlernen, ist das auch gut so.

Große Zahlen und Anzahlen machen aber trotz mehr Lebenserfahrung auch Erwachsenen Probleme – vor allem dann, wenn sie außerhalb unserer Erfahrungswelt liegen. Mathematik kann hier auch im positiven Sinne helfen, rational zu bleiben. Etwa in Bezug auf unsere Staatsschulden. Denn den zwei Billionen Euro Schulden steht ein enormes Staatsvermögen gegenüber. Eine gegenseitige Aufrechnung kommt daher ziemlich glatt auf Null heraus; die Vermögen der privaten Haushalte gar nicht eingerechnet. So betrachtet sind die zwei Billionen wieder wenig.

Matthias Ludwig / Forschung Frankfurt
Stand: 26.10.2012