Neuro-Enhancement und die Folgen

Doping fürs Gehirn

Neuro-Enhancement: Pharmazeutische Nachhilfe fürs Gehirn? © Kim Hager, Neal Prakash / UCLA

Sie heißen Ritalin, Adderall, Vigil oder Aricept und eigentlich sollen sie heilen. Denn diese Medikamente wurden für kranke Menschen entwickelt, für Patienten mit ADHS, Narkolepsie oder Alzheimer. Mehr und mehr aber nutzen auch völlig Gesunde diese Mittel – um ihre Konzentration, ihr Gedächtnis oder allgemein ihre kognitiven Fähigkeiten zu steigern.

Dieses Neuro-Enhancement, die Verbesserung der eigenen geistigen Leistungsfähigkeit durch pharmazeutische Mittel, ist alles andere als neu. Schon in den 1930er Jahren stellten amerikanische Studenten fest, dass Amphetamine ihnen halfen, die Nacht durchzulernen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Aufputschmittel gezielt an Soldaten verteilt, um diese länger durchhalten zu lassen. Später dann brachten zunehmender Missbrauch und unkontrollierbare Nebenwirkungen die meisten dieser Mittel auf die Drogenliste.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten jedoch feiern Amphetamine und Amphetaminderivate, aber auch andere wachmachende und konzentrationsfördernde Wirkstoffe, ein schleichendes Comeback: Denn die eigentlich gegen die Aufmerksamkeitsstörung ADHS Alzheimer oder schwere Schlafstörungen verschriebenen Mittel gelten mehr und mehr als Neuro-Enhancer. Sie sollen bei Gesunden das Gedächtnis, den Lernerfolg oder die Konzentration über das normale Maß hinaus verbessern und sich daher perfekt zum „Gehirn-Doping“ eignen.

Aber was ist wirklich dran an der gehirnoptimierenden Wirkung der neuen Lifestyle-Drogen? Wer nimmt sie und wie stark sind sie verbreitet? Und vor allem: Welche Schattenseiten hat ihre Nutzung – für unsere Gesundheit, die Psyche, aber auch für unsere Gesellschaft?

Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011

„Nature“-Leser outen sich

Akademiker-Elite: Alle nur gedopt?

10.April 2008. Wie jeden Donnerstag erscheint auch an diesem Tag das renommierte Fachmagazin „Nature“. Diesmal allerdings enthält das Heft echten Sprengstoff: Auf zwei Seiten nebst ausführlichem Anhang präsentieren die Redakteure Ergebnisse einer Umfrage unter „Nature“-Lesern zum Thema „Gehirn-Doping“, die Überraschendes enthüllen.

Denn von den 1.400 Befragten gibt ein Fünftel zu, schon einmal verschreibungspflichtige Medikamente zur Verbesserung der Konzentration, der Aufmerksamkeit oder des Gedächtnisses eingenommen zu haben. Das Erstaunliche dabei: Hier geht es nicht um drogenaffine Außenseiter auf der Suche nach dem „Kick“ oder gelangweilte Reichensöhnchen. Die Teilnehmer – Akademiker aller Altersklassen aus 60 verschiedenen Ländern – gehören zur Elite des Bildungssystems. Im Klartext: 20 Prozent der Wissenschaftler dopt sich – einmalig oder sogar regelmäßig – um die gewünschte oder geforderte Leistung zu bringen.

Typische Wirkstoffe, die als Neuro-Enhancer genutzt werden: Methylphenidat(Ritalin), Modafinil (Provigil, Vigil), Donepezin (Aricept) udn Amphetamine (Adderall) © SXC / NPO

„Heilmittel“ als Optimierungshilfe für Gesunde

Hat die Forschung ein Drogenproblem? Das kommt ganz auf die Betrachtungsweise an. Denn die drei in der Umfrage spezifisch angesprochenen „Neuro-Enhancer“ sind keine illegalen Drogen, sondern legal zugelassene Medikamente: Zu ihnen gehören das normalerweise gegen die Aufmerksamkeitsstörung ADHS verschriebene Medikament Ritalin mit dem Wirkstoff Methylphenidat, dann das in Deutschland unter dem Handelsnamen Vigil vertriebene Narkolepsie-Mittel Modafinil sowie die normalerweise unter anderem gegen Herzrhythmusstörungen verordneten Betablocker.

Sie alle machen nicht „High“ und erzeugen auch keinen euphorischen Rauschzustand, sondern entfalten ihre Wirkung eher subtil. Helfen sollen sie schließlich gegen spezifische Symptome: gegen Konzentrationsschwächen, Hyperaktivität, Müdigkeit oder andere physiologisch bedingte Störungen. Doch von dem, was bei Kranken nur den Normalzustand wieder herstellt, erhoffen sich auch immer mehr Gesunde einige Vorteile. Berichtet wird von verbesserter Konzentration, einer subtilen Wachheit, dem Quäntchen zusätzliche Spritzigkeit nach einem erschöpfenden Arbeitstag.

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Ritalin und Vigil als Spitzenreiter

Ganz vorn auf der Hitliste des Akademiker-Dopings liegt dabei, das zeigt die Auswertung, mit 62 Prozent das ADHS-Medikament Ritalin. Zu dem auch gegen Jetlag verschriebenen Wirkstoff Modafinil greifen 44 Prozent der Umfrageteilnehmer, rund 15 Prozent nutzen klassische Betablocker. Die Prozentwerte enthüllen allerdings auch, dass es eine ganze Reihe von Nature-Lesern gibt, die offenbar mehrere Mittel – quasi je nach gewünschter Wirkung – einnehmen. 80 Befragte geben zudem an, andere Medikamente, darunter vor allem das ebenfalls gegen ADHS wirksame Amphetaminpräparat Adderall, zur Leistungssteigerung einzusetzen.

Per Rezept oder Internet

Wie aber kommen die Nutzer an diese immerhin verschreibungspflichtigen Mittel? Auch das enthüllte die Umfrage. Erste Anlaufstelle ist demnach noch immer der Mediziner ihres Vertrauens, von ihm erhielten immerhin 52 Prozent der Befragten ein entsprechendes Rezept. Je nach Bereitwilligkeit und Naivität des Arztes reicht dabei eine sich vorher angelesene Schilderung der typischen ADHS-Symptome aus, in anderen Fällen hilft auch der direkte Appell, wie ihn Neurowissenschaftler in „Nature“ exemplarisch zitieren: „Ich weiß, ich entspreche nicht den diagnostischen Kriterien für ADHS, aber ich habe manchmal Probleme mich zu konzentrieren und es würde mir sehr helfen, dann Ritalin griffbereit zu haben, wenn ich bei der Arbeit (mit den Kindern etc.) trotzdem funktionieren muss.“ Nicht wenige Ärzte – erst recht, wenn sie zum Bekannten- oder Freundeskreis gehören – zücken dann bereitwillig ihren Rezeptblock. Funktioniert auch das nicht, bleibt immer noch das Internet. Im Falle der „Nature“-Umfrage war dies für immerhin rund ein Drittel der „Gehirn-Doper“ die Pillen-Quelle.

Möglicherweise sind Nachschub-Probleme auch für das überraschend positive Votum für eine allgemeine Freigabe solcher Mittel verantwortlich: Vier Fünftel der Befragten sprechen sich für eine legale Abgabe an gesunde Erwachsene aus. Ein Akademiker schreibt dazu: „Als Fachmann ist es meine Pflicht, meine Ressourcen zum größtmöglichen Wohl der Menschheit einzusetzen. Wenn Enhancer zu diesem Dienst beitragen können, ist es meine Pflicht, sie zu nutzen.“

Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011

Was bringt Neuro-Enhancement?

Keine „Einstein-Pille“

Sie gelten als „sanfte Helferlein“, als subtile Wachmacher und Konzentrationsförderer, gleichzeitig sollen die Neuro-Enhancer sicher und relativ nebenwirkungsarm sein. Aber wie sieht die Realität aus? Was können die Mittel wirklich?

Amphetamin-Präparat Adderall © CC-by-sa 3.0

Viele Nutzer von Ritalin und Co. scheinen von der Wirkung der Mittel überzeugt. Auf Studentenwebsites wie „Bored at Harvard“ finden sich Kommentare wie: „Ich habe Adderall um 20:00 Uhr genommen und jetzt ist es 06:30 morgens und ich habe noch kaum geblinzelt“. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtet ein anonym bleibender Autor von einem Selbstversuch: „Ritalin ist kein Wundermittel, es stärkt nicht meine Arbeitsmoral, aber zumindest lenkt mich nichts mehr ab. Ich arbeite konzentriert drei, vier Stunden lang.“

Arbeitsgedächtnis verbessert?

Trotz solcher subjektiven Lobeshymnen – objektive Daten zur Wirkung der Mittel auf Gesunde gibt es bisher nur wenige. Studien liefern zudem teilweise widersprüchliche Ergebnisse. So stellten Wissenschaftler des Kings College in London zwar Veränderungen der Stimmung, nicht aber eine Verbesserung der kognitiven Leistungen bei Tests von Modafinil an gesunden jungen Männern fest. Forscher der Universität von Cambridge unter Leitung von Danielle Turner kamen dagegen in ihrer Studie an 60 Probanden zu einem anderen Fazit. In ihrer Studie mussten die Teilnehmer eine Batterie von kognitiven Tests absolvieren, jeweils mit und ohne Modafinil. Darunter waren „Klassiker“, wie das Memorieren von immer längeren Zahlenreihen, das Erkennen visueller Muster oder Tests zur räumlichen Planungsfähigkeit.

Strukturformel von Modafinil, die Verbindung existiert in unterschiedlichen Stereoisomeren. © gemeinfrei

Es zeigte sich, dass die Modafinil-Teilnehmer in diesen Tests tatsächlich besser abschnitten als ihre nicht-gedopten Kollegen. Kurzzeitgedächtnis und Erinnerung schienen verbessert. Keine fördernde Wirkung trat hingegen in Aufgaben zum schnellen Erfassen visueller Informationen und in Aufmerksamkeitstests auf. Wenn es um schnelles Reagieren ging, lagen die gedopten Probanden sogar eher hinten. Turner und ihre Kollegen vermuten daher, dass das Modafinil die Teilnehmer länger nachdenken lässt und damit tendenziell richtiger. Auch einige Studien zur Wirkung von Ritalin deuten auf eine leichte Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses hin, andere berichten nur von einer Veränderung der subjektiven Einschätzung der Leistung.

Leistungsschwächere profitieren mehr

Es gibt allerdings einen Haken: Die Pillen machen niemanden zu einem Einstein. Am meisten profitieren diejenigen vom Gehirn-Doping, so die Erkenntnis britischer Forscher, die einen eher niedrigeren IQ besitzen. Modafinil bewirkt bei ihnen stärkere Verbesserungen in Aufmerksamkeitstests und beim Gedächtnis als bei Personen, die ohnehin schon zu den geistigen Überfliegern gehören. Ein professioneller Pokerspieler beschreibt die Wirkung von Modafinil gegenüber der Journalistin Margaret Talbot so: „Es macht dich nicht schlauer, aber es hilft dir, die Werkzeuge, die du besitzt für einen längeren Zeitraum besser zu nutzen.“

Ähnliches bestätigt auch eine großangelegte Studie an amerikanischen Universitäten, in der mehr als 10.000 Studentinnen und Studenten zu ihrem Konsum leistungssteigernder Mittel befragt wurden. In ihrem Fazit charakterisieren Sean McCabe und seine Kollegen von der Universität von Michigan den typischen Nutzer von Neuro-Enhancern als „männlich, weiß, Mitglied in einer Studentenverbindung und mit eher schlechteren Noten.“

Was bringt Hirn-Doping beim Schachspielen? © SXC

Schach als Nagelprobe

Auf eine besonders anspruchsvolle Probe stellt den Neuro-Enhancer Modafinil zurzeit eine Studie an der Universität Mainz: das Schachspiel. Wegen seiner komplexen Anforderungen an das analytische und strategische Denken, an Gedächtnis, aber auch Entscheidungsfähigkeit und Emotionskontrolle, galt das „Spiel der Könige“ bisher als relativ dopingfreie Zone. Spieler, die sich mit Amphetaminen aufputschten oder Betablocker gegen Nervosität nahmen, gab es zwar immer wieder mal, oft spielten sie aber gedopt schlechter als zuvor. Durchsetzen konnte sich das Doping im Schach daher nie so richtig.

Ändern könnte sich dies durch die Entdeckung vermeintlich subtiler und gezielter wirkender Neuro-Enhancer wie Modafinil. Unter anderem deshalb sollen nun 40 Schachspieler in Partien gegen einen Schachcomputer zeigen, ob und welchen Unterschied Koffein, Ritalin, Modafinil oder ein Placebo machen. In der doppelblinden Studie wissen dabei weder Mediziner noch Probanden, welches Mittel sie gerade erhalten. Klar ist nur, dass jeder Teilnehmer im Laufe der Spiele jede Wirksubstanz einmal bekommt. Ob das Doping etwas bringt, wird sich allerdings frühestens im Herbst 2011 zeigen, dann sollen die Auswertungen abgeschlossen sein.

Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011

Wie wirken Ritalin und Co im Gehirn?

Übersteuerung als Dauerzustand

Sie machen wach, fokussiert oder stärken das Gedächtnis – aber wie? Für klassische Aufputsch-Drogen wie Amphetamine oder Kokain ist der Wirkmechanismus bekannt: Beide erhöhen die Konzentration anregender Botenstoffe wie Dopamin, Noradrenalin und Serotonin in den Synapsen des Gehirns. Dort, im Spalt zwischen den einzelnen Gehirnzellen, docken die Neurotransmitter an Rezeptoren auf den Zelloberflächen an. Diese Bindung löst wiederum elektrische Nervenreize aus, die den Körper in einen erhöhten Aktivitätszustand versetzen – den gleichen Effekt hat extreme Angst oder Wut.

Dieser Ausnahmezustand hemmt Signale der körperlichen Erschöpfung oder Müdigkeit, auch Hunger, Durst und andere lebenswichtige Funktionen werden unterdrückt. Biologisch gesehen ist dies durchaus sinnvoll und unter Umständen sogar lebensrettend, denn sämtliche Ressourcen sind dadurch für Muskeln und Gehirn, für Flucht oder Angriff, mobilisiert. Begleitend zu dieser Mobilisierung steigert sich auch die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit, die gesamte Aufmerksamkeit kann so auf die Bedrohung und den potenziellen Ausweg aus der Situation gerichtet werden.

Ansatzstelle der Neuro-Enhancer: die Neutrotransmitter der Synapsen. Die Mittel verhindern entweder die Wiederaufnahme der Botenstoffe (gelb) oder fördern die Ausschüttung zusätzlicher Botenstoffe in den synaptischen Spalt. Die anregenden Wirkung entfaltet sich bei Bindung der Transmitter an die Rezeptoren (orange) © UCLA/ NPO

Ritalin und Adderall: Ausnahmezustand als Norm

In der Natur hält diese Übersteuerung aller Ressourcen nur wenige Minuten an, danach werden die überschüssigen Neurotransmitter von den Zellen aufgenommen und die Reizüberflutung durch die Rezeptoren lässt nach. Nicht so bei Aufputschmitteln und gängigen Neuro-Enhancern wie Ritalin oder Adderall. Sie halten die Konzentration der Botenstoffe und damit auch den Ausnahmezustand künstlich aufrecht – über Stunden oder länger. ADHS-Patienten hilft dies, weil nach gängiger Lehrmeinung die Anzahl der „Entsorgungskanäle“ für Dopamin und Co. in ihren Synapsen genetisch bedingt höher ist als normal. Dadurch versiegt der Botenstoffnachschub in ihrem Gehirn zu schnell, die Folge sind die Aufmerksamkeitsstörungen.

Ritalin verhindert dies, indem es eine Wiederaufnahme der Neurotransmitter in die Gehirnzellen verhindert. Amphetamine wie Adderall fördern dagegen aktiv die Ausschüttung zusätzlicher Botenstoffmoleküle. Im Gegensatz zu klassischen Amphetamin-Drogen wie Speed erzeugen Ritalin und Adderall wegen ihrer niedrigeren Dosierung und einer Formulierung, bei der der Wirkstoff verzögert freigesetzt wird, jedoch kein euphorisches „High“. Ihre Wirkung entfaltet sich gedämpfter und dafür langanhaltender.

Strukturformel von Donepezil © gemeinfrei

Donepezil: Transmitter-Nachschub gegen Alzheimer

An einem anderen Hirnbotenstoff setzt dagegen das Alzheimermedikament Donepezil an: Es hemmt das Enzym Acetylcholinesterase und verhindert damit, dass der Neurotransmitter Acetylcholin im Synapsenspalt abgebaut wird. Die Konzentration dieses für Gedächtnis und Lernen wichtigen Stoffs wird so künstlich erhöht. Hilfreich ist dies für Alzheimerpatienten deshalb, weil in ihrem Gehirn ein krankhafter Mangel an Acetylcholin herrscht.

Eine Metastudie der Cochrane Collaboration im Jahr 2009 stellte tatsächlich leicht positive Effekte auf die kognitiven Leistungen, das Verhalten und das Funktionieren im Alltag bei Alzheimerpatienten verschiedener Demenzgrade fest. Ob allerdings der Transmitter-Überschuss auch bei Gesunden eine Leistungssteigerung bewirken kann, ist bisher noch umstritten. In einer Studie verbesserte sich bei Piloten im Flugsimulator die Leistung, in einer anderen an 30 gesunden jungen Männern erhöhte sich unter dem Alzheimermittel das verbale und visuelle Gedächtnis.

PET-Aufnahmen von Probanden mit Placebo (links) und mit Modafinil: Die geringere Konzentration des Radiomarkers rechts deutet auf Verdrängung durch Dopamin hin. © Brookhaven National Laboratory

Modafinil: Doch Eingriff in Belohnungsschaltkreise

Wie das als „Vigil“ in Deutschland vermarktete Modafinil genau wirkt, ist dagegen bisher unklar. Es lagert sich vermutlich an Rezeptoren für Adrenalin und Noradrenalin an und verstärkt dadurch deren stimulierende Wirkung. Dopamin ist dabei nicht im Spiel – so dachte man jedenfalls bis vor kurzem. Doch im März 2009 widerlegten dies amerikanische Forscher in einer Studie an gesunden Freiwilligen, die 200 oder 400 Milligramm Modafinil erhielten – beides Dosierungen, wie sie für Narkolepsie und ADHS verschrieben werden. Mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomografie analysierten die Wissenschaftler dabei die Effekte des Wirkstoffs auf die Dopamin-Transporter im Gehirn.

„Wie Kokain und Methylphenidat blockiert Modafinil Dopamintransporter und erhöht damit die Dopaminkonzentration im Gehirn“, erklärt Joanna Fowler vom Brookhaven National Laboratory das Ergebnis. Damit beeinflusst es wie Kokain und Amphetamine die klassischen Belohnungsschaltkreise des Gehirns und besitzt entgegen bisherigen Annahmen durchaus auch Suchtpotenzial.

Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011

Risiken von Neuro-Enhancern

Ungeprüfte (Neben-)Wirkung

Neuro-Enhancer wie Ritalin oder Modafinil gelten gemeinhin als sicher – vor allem verglichen mit Straßendrogen wie Speed oder anderen Amphetamin-Cocktails. Sie seien ja schließlich zugelassene und damit auch ausgiebig geprüfte Medikamente. Das aber ist leider mehr Wunschdenken als Realität.

Methylphenidat wird in unterschiedlichen Formulierungen und unter verschiedenen Präparatnamen verschrieben. Abgestimmt ist seine Wirkung aber auf ADHS-Kranke, nicht auf Gesunde © Alfie66/CC-by-sa 3.0

So listet schon die offizielle Begleitinformation von Ritalin zahlreiche Nebenwirkungen und Kontraindikationen auf. Bei mehr als jedem zehnten Patienten gibt der Hersteller Schaflosigkeit und Nervosität als Begleiterscheinung an. Selbst bei normaler Dosierung von zehn bis 20 Milligramm pro Tag können zudem bei jedem zehnten bis hundertsten Fall körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen auftreten. In schweren Fällen ist sogar ein Herzinfarkt möglich. Auch psychische Veränderungen wie abnormales Verhalten, Aggression, Erregung, Ängstlichkeit oder Depression gelten als häufig.

Risiken für Gesunde nahezu unerforscht

All diese Nebenwirkungen treten schon bei ADHS-Patienten auf – also bei Menschen, deren Hirnstoffwechsel durch das Mittel erst auf den Normalzustand gebracht werden soll. Bei Gesunden könnte sich demnach die Übersteuerung noch stärker bemerkbar machen, systematische Studien fehlen aber auch hier weitestgehend. In der „Nature“-Studie von 2008 gab etwa die Hälfte der – gesunden – Nutzer von Neuro-Enhancern an, unter Nebenwirkungen zu leiden.

In einem kurz davor erschienenen Kommentar ebenfalls zum Thema Neuro-Enhancer konstatieren sieben renommierte Neurowissenschaftler: „Auch wenn Richtlinien zu medizinischen Wirkstoffen sicherstellen, dass diese sicher und effektiv für ihre jeweiligen therapeutischen Zwecke sind, gibt es keine äquivalente Sicherheitsüberprüfung für die Off-Label-Nutzung und darunter auch das Enhancement.“ Ein Medikament, dass zwar starke Nebenwirkungen hat, aber schwerst Demenzkranken hilft, könnte demnach in diesem engen Rahmen als durchaus sicher eingestuft werden, an Gesunden wären die damit verbundenen Risiken und gesundheitlichen Folgen jedoch nach Ansicht der Experten nicht akzeptabel. Welche Auswirkungen gar eine langfristige Einnahme solcher Mittel hat, weiß zurzeit noch niemand.

Nachtarbeit: Positiver Effekt von Modafinil umstritten © SXC

„Nicht mehr als günstig angesehen“

Bei Modafinil haben Nebenwirkungen und Risiken in den letzten Jahren zu einem regelrechten Tauziehen geführt. Ursprünglich nur für schwere Narkolepsie zugelassen, gelang es der Herstellerfirma Cephalon, das Verschreibungsspektrum des Medikaments ab 2004 auf Schlaf-Apnoe und Schlafstörungen bei Schichtarbeitern auszuweiten. Parallel vermarktete Cephalon Modafinil auch als geeignetes Mittel gegen Müdigkeit, Abgespanntheit und andere Off-Label-Nutzungen.

2008 erhielt die Firma von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA jedoch bereits einen ersten Dämpfer und musste für die unsachgemäße Vermarktung 425 Millionen US-Dollar Strafe zahlen. Im Februar 2011 kam dann der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zu dem Schluss, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Modafinil für alle Anwendungen außer der schweren Narkolepsie „nicht mehr als günstig angesehen wird“. Mit anderen Worten: Das Risiko, durch Nebenwirkungen Schaden zu nehmen ist deutlich höher als die erhoffte Wirkung.

Der Beliebtheit des Mittels – auch und gerade für nicht-medizinische Zwecke – scheint dies jedoch keinen Abbruch zu tun: In den USA verfünffachte sich der Umsatz mit Modafinil von 196 Millionen US-Dollar im Jahr 2002 auf 988 Millionen Dollar im Jahr 2008 – Tendenz weiter steigend.

„Wenn es möglich wäre, ein Moratorium für kognitives Enhancement auszurufen bis die Risiken besser verstanden sind, wäre das offensichtlich das beste“, erklärt die Neurowissenschaftlerin Martha Farah von der Universität von Pennsylvania. „Aber der Geist ist längst schon aus der Flasche entwischt.“ Sie und ihre Kollegen plädierten daher 2008 in einem „Nature“-Kommentar dafür, die Öffentlichkeit, aber auch die Ärzte aufzuklären und intensiv über biologische, medizinische, aber auch ethische Auswirkungen des Neuro-Enhancements zu forschen.

Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011

Gewöhnungseffekte und Suchtpotenzial

Rebound

Weil das Dauerfeuer der Gehirnrezeptoren wichtige Signale des Körpers überdeckt, wird bei den meisten Neuro-Enhancern der Antrieb zum Essen, Trinken oder Schlafen unterdrückt, auch die Entscheidungsfähigkeit leidet. „Ich hatte keinen Hunger mehr und keinen Durst, wusste nicht mehr, welche CD ich hören und welche Hose ich anziehen wollte“, beschreibt ein anonym bleibender Student in der „Zeit“ die Wirkung von Ritalin.

Kein Hunger, kein Durst - nur Konzentration © SXC

Auch die eigentlich erwünschten Effekte können unter Umständen ins Negative umschlagen. Die übersteigerte Konzentration wird dann zu einer Fixierung, geht in eine kaum mehr steuerbare Richtung. Statt zu lernen oder eine Hausarbeit zu schreiben, ertappen sich die Nutzer dann plötzlich dabei, wie sie ihre CD-Sammlung akribisch sortieren oder einen Wohnungsputz veranstalten. Der in der „Zeit“ schreibende Student verliert sich bei einem Klogang während einer Klausur so in seiner Fixierung auf den Händetrockner, dass er fast vergisst, wieder in den Prüfungsraum zurückzukehren. „Ja, ich bin ein Zombie, aber ein Zombie, der lernt wie eine Maschine“, schreibt er.

Die Sache mit den „Rebound“

Nahezu allen Neuro-Enhancern gemeinsam ist auch der so genannte „Rebound“-Effekt: Werden sie abgesetzt, fällt das übersteuerte Gehirn nicht direkt in den Normalzustand zurück. An die ständige Überdosierung mit Hirnbotenstoffen gewöhnt, wirkt der natürliche Hirnstoffwechsel nun wie ein Mangel. Erst allmählich pendelt sich das sensible Gleichgewicht wieder ein. Die Folge: nach dem Nero-Enhancer induzierten Höhenflug folgt ein ziemlich unsanfter Absturz. Experten stufen die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit bei solchen Mitteln daher als durchaus real und potenziell besorgniserregend ein, auch wenn die Hersteller von Ritalin und Co. bei normaler Dosierung dafür keine Hinweise sehen (wollen).

„Ich habe drei Monate lang jeden Morgen 100 Milligramm Modafinil eingenommen, hörte aber auf, nachdem ich Herzschmerzen bekam“, schreibt eine Schülerin in einem Online-Forum. „Nach dem Absetzen hatte ich einen Cold Turkey, ich begann, mich extrem müde zu fühlen und war unfähig, mich auf meine Hausaufgaben zu konzentrieren.“ Dieser Einbruch der Leistungsfähigkeit bringt sie dazu, das Mittel prompt wieder einzunehmen – trotz der Warnsignale ihres Körpers. Ähnliches berichtet ein Student in der „Zeit“: „Wenn die Wirkung nachließ, wurde ich unkonzentrierter als vorher und statt mich zusammenzureißen, überlegte ich, wo ich wieder Ritalin herbekommen konnte.“

Rebound - wenn das künstliche Feuerwerk ausbleibt © SXC/NPO

Wenn der Ausnahmezustand zur Norm wird

Und auch ohne diesen Absturz, der sich bei einigen Mitteln durch ein „Ausschleichen“ verhindern lassen soll, könnte das Gehirn-Doping bei einigen Menschen schnell vom „Kann“ zum „Muss“ werden: „Es ist nämlich ein Fehlschluss, nur noch bis zur nächsten Hürde auf das Doping setzen zu wollen und ab dann plötzlich ‚clean‘ zu werden“, erklärt der an der Universität Groningen forschende Psychologe Stefan Schleim. „Wenn man die Hürde nur noch mit Hilfe leistungssteigernder Mittel schafft, dann ist es unwahrscheinlich, auf höherer Stufe plötzlich ohne die Helfer auszukommen.“ Im Klartext: Das permanente Abrufen von Höchstleistungen wird irgendwann zur Norm für einen selbst und die Umwelt.

Ein Heer von Buchhaltern?

Einige Forscher vermuten zudem, dass die kognitive Leistungssteigerung auf Kosten anderer Fähigkeiten wie beispielsweise Kreativität oder Sozialkompetenz gehen könnte. „Mehr und mehr junge Leute nehmen diese Wirkstoffe um besser arbeiten zu können. Sie haben ihren Laptop, ihr iPhone und ihr Adderall“, erklärt die Neurowissenschaftlerin Martha Farah von der Universität von Pennsylvania. „Ich mache mir ein wenig Sorgen, dass wir hier eine Generation von sehr fokussierten Buchhaltern heranziehen.“

Der deutsche Journalist und Wissenschaftsautor Jörg Auf dem Hövel hat das Narkolepsie-Mittel Modafinil mehrfach im Selbsttest ausprobiert, sowohl beim Arbeiten als auch bei einer Technoparty. Sein Fazit sieht dabei ganz ähnlich aus: „Mit schwant, dass Modafinil seinen Platz vor allen dort finden wird, wo wenig Kreativität und viel Arbeitsleistung gefragt ist. Merkfähiger oder gar kreativer macht es nicht, eher breitet sich Fließbandatmosphäre im geistigen Raum aus.“

Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011

Die Verbreitung von Neuro-Enhancern

Nur eine Frage der Zeit?

Sind wir auf dem besten Wege, eine Gesellschaft von „Gehirn-Dopern“ zu werden, von Menschen, die mit Pillen noch das letzte bisschen Leistung aus ihrem Denkorgan herauskitzeln wollen? Wohl eher nicht. Obwohl es bisher kaum Studien zur allgemeinen Verbreitung von Neuro-Enhancement-Mitteln gibt, spricht alles dafür, dass ihre Nutzung eine Domäne vor allem bestimmter Bevölkerungs-Gruppen ist – noch.

An den Ivy-League-Universitäten des amerikanischen Nordostens enhancen besonders viele, hier Harvard Square © Muns/ CC-by-sa 3.0

An US-Elite-Unis besonders verbreitet

Besonders „Doping-trächtig“ sind einer amerikanischen Studie zufolge die US-Universitäten. Dort nutzen bis zu sieben Prozent, an einigen Campussen angeblich sogar ein Viertel aller Studenten leistungsfördernde Mittel. Auch die „Nature“ Umfrage verzeichnet einen Peak in der Altersgruppe unter 25 Jahren. Allerdings: Ein zweiter Peak findet sich bei den 55- bis 65-Jährigen und damit bei Akademikern, die eigentlich aus der experimentierfreudigen Sturm-und-Drang-Zeit heraus sein sollten.

Auch in Europa scheint der Trend zum akademischen Gehirn-Doping bereits Fuß gefasst zu haben, wenngleich bisher quasi nur mit einer Zehe. So berichtete die britische Neuropsychologin Barbara Sahakian schon 2009 in einem Zeitungsartikel, dass viele ihrer Kollegen Mittel wie Vigil oder Adderall nutzen, auch Journalisten und Medienschaffende scheinen hier zu den „early adopters“ – den Trendsettern – zu gehören.

Deutschland: noch „Entwicklungsland“

In Deutschland ist das gezielte Neuro-Enhancement dagegen bisher kaum vertreten: In einer 2009 veröffentlichten Studie der Krankenkasse DAK an 3.000 Berufstätigen gaben zwar 143 Menschen zu, schon mindestens einmal ein Medikament ohne medizinische Notwendigkeit eingenommen zu haben – das würde immerhin fünf Prozent entsprechen. Bei näherer Betrachtung stellte sich allerdings heraus, dass der Großteil von ihnen dabei keine Verbesserung der Leistungsfähigkeit anstrebte, sondern nur Stimmungstiefs oder Angstzustände ausgleichen wollte. Tatsächlich „gedopt“ im Sinne einer geistigen Leistungssteigerung hatten sich dagegen nur ein bis zwei Prozent.

In Deutschland fängt die Entwicklung gerade erst a © SXC

Auch die deutschen Universitäten scheinen im Gegensatz zu ihren amerikanischen Gegenstücken noch keine „Brutstätte“ des Neuro-Enhancements zu sein, wie eine Anfang 2011 veröffentlichte Studie von Forschern der Universität Mainz zeigt. Sie hatten 1.035 Schüler und 512 Studenten nach ihrem Wissen und ihren Erfahrungen mit Neuro-Enhancern, aber auch Aufputschmitteln wie Ecstasy, Kokain oder Speed befragt. Das Ergebnis: gut 2,5 Prozent der Teilnehmer gaben an, im Laufe ihres Lebens schon einmal aufputschende Drogen genommen zu haben, Erfahrungen mit Neuro-Enhancern hatten aber nur rund 1,55 Prozent der Schüler und 0,78 Prozent der Studenten.

„Große generelle Bereitschaft“

Eine Entwarnung ist das allerdings nicht, wie auch Thomas Metzinger, der Leiter der Studie betont: Zwar gebe es noch keine Enhancement-Epidemie, „es zeichnet sich aber eine große generelle Bereitschaft ab, solche Substanzen einzunehmen.“ Ähnlich sieht das auch seine britische Kollegin Barbara Sahakian: „Der Antrieb zur Selbstoptimierung in Bezug auf geistige Fähigkeiten ist genauso stark, wenn nicht sogar noch stärker, als derjenige im Bereich der Schönheit oder Sexualität.“

Und ähnlich wie bei der Schönheitschirurgie prognostizieren die Forscher auch für das „Gehirn-Doping“ eine schleichende und mit wachsender kultureller Akzeptanz zunehmende Verbreitung. Gelten solche Mittel erst einmal als ethisch unbedenklich und „cool“, werden sie ihren Siegeszug antreten.

Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011

Gehirn-Doping, Gerechtigkeit und Chancengleichheit

(K)eine Frage der Fairness?

Im Sport ist die Sache klar: Doping verschafft häufig das entscheidende Quäntchen mehr an Geschwindigkeit, Kraft oder Ausdauer. Die pharmazeutischen Hilfsmittel steigern die Leistung über das Maß hinaus, das durch Training allein zu erreichen wäre oder sie helfen dabei, ein Formtief auszugleichen. Aber: Wer dopt, handelt gegen die Regeln. Wird er erwischt, folgt der Ausschluss von allen Wettbewerben und im Extremfall ist die Karriere als Leistungssportler damit für immer beendet. Seine Leistung wird nicht mehr anerkannt, er gilt als unfairer „Betrüger“.

Weitaus weniger klar ist die Lage im Bereich des „Gehirn-Dopings“: Ist es schon unfair, wenn ich vor einer Prüfung Ritalin oder Modafinil nehme, um fokussierter arbeiten zu können? Oder erst dann, wenn ich dank Neuro-Enhancement bei einem Vorstellungsgespräch den besseren Eindruck hinterlasse und einer Konkurrentin dadurch den Job vor der Nase wegschnappe?

Wenn alle dopen, schwindet der Vorteil... © gemeinfrei

Ein Nullsummen-Spiel

Für den Mediziner und Psychologen Stefan Schleim von der Universität Groningen wird die Fairness spätestens dann verletzt, wenn mich ein anderer nicht aufgrund von dessen Tüchtigkeit, sondern wegen der Einnahmen leistungssteigernder Mittel überholt, die im Wettbewerb nicht jedem zur Verfügung stehen. Er vergleicht das Gehirndoping mit dem Nullsummen-Spiel des Gefangenendilemmas:

„Der Nutzer des Gehirndopings hängt von der Entscheidung des Konkurrenten ab: Greift er ebenfalls zu den Pillen, dann hat keiner von beiden einen Vorteil, sondern bloß Nachteile. Die Effektivität des Psycho-Enhancements geht damit wesentlich von einer ungleichen Situation aus, in der nur ich meine Leistung steigere, nicht aber der andere und ist damit im Kern ungerecht.“ Die Folge dieses Ungleichgewichts wäre dann letztlich ein kognitives Wettrüsten.

Hirn-Doping nur für Reiche?

Die Frage nach der Fairness des Neuro-Enhancements hat aber auch einen gesellschaftlichen Aspekt: „Wenn kognitive Enhancements teuer sind, könnten sie eine Domäne der Reichen werden und damit die Bildungsvorteile verstärken, die diese ohnehin schon besitzen“, erklären die Autoren des 2008 veröffentlichten „Nature“-Kommentars. Wer aus weniger privilegiertem Elternhaus kommt und dadurch im Bildungssystem bereits benachteiligt ist – wie PISA und andere Studien dokumentieren – hätte dann auch hier das Nachsehen.

Im Moment sind die Mittel, denen ein positiver Effekt auf die Gehirnleistung nachgesagt wird, nur für spezielle Krankheitsbilder zugelassen und werden auch nur in diesen Fällen von den Krankenkassen gezahlt. Eine so genannte Off-Label-Nutzung, der Einsatz für ein anderes als das offiziell zugelassene Krankheitsbild, wird nicht übernommen, ein Einsatz an Gesunden ist verboten. Wer trotzdem eines dieser verschreibungspflichtigen Medikamente haben möchte, braucht daher entweder einen wohlmeinenden oder leicht zu täuschenden Arzt oder muss auf illegale und teure Quellen zurückgreifen.

Gleichmacher oder Reichen-Domäne? © SXC

…oder als sozialer Gleichmacher?

Die Gefahr einer „Optimierung nur für Reiche“ liegt daher nahe und wird auch von den Befürwortern eines nicht-restriktiven Umgangs mit solchen Mitteln eingeräumt. Eine staatliche Kontrolle und Lenkung könnte aber, so die Meinung einiger, sogar Chancen für eine gezielte Förderung Benachteiligter sozialer Schichten eröffnen: „Die selektive Nutzung von Neuro-Enhancern unter Menschen mit geringerer intellektueller Kapazität oder benachteiligten Lebensumständen, die sich keine zusätzliche Schulung leisten können, könnte die Bildungschancen für diese Gruppe verbessern“, heißt es in einem 2007 erschienenen Diskussionspapier der British Medical Association.

Ins gleiche Horn stößt eine Gruppe von sieben deutschen Forschern, die Ende 2009 ein gemeinsames Memorandum zum Thema „Das optimierte Gehirn“ veröffentlichten: „Warum, so mag man fragen, gebietet die Gerechtigkeit nicht umgekehrt eine weite und großzügig subventionierte Verbreitung von Neuro-Enhancement-Produkten gerade unter Angehörigen der benachteiligten Schichten“, fragen sie provokant. Auch die Autoren des „Nature“-Kommentars von 2008 sprechen sich durchaus für eine subventionierte Abgabe solcher Mittel aus: „Man könnte diese Ungleichheit vermeiden, indem man jedem Prüfungsteilnehmer freien Zugang zu kognitiven Enhancern ermöglicht – ähnlich wie heute einige Schulen während der Prüfungswoche Computer zur Verfügung stellen.“

Sollte es allerdings eines Tages tatsächlich „Neuro-Enhancer für alle“ geben, dann wirft dies direkt das nächste Problem auf.

Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011

Vom „Kann“ zum „Muss“?

Die Rote Königin

In dem Buch „Alice hinter den Spiegeln“ trifft Alice auf eine rote Schachkönigin, die im Eiltempo rennt, aber dabei auf der Stelle bleibt. Sie erklärt ihr: „Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.“ Zu einem solchen „Red Queen’s race“ könnte nach Ansicht einiger Forscher auch das Neuro-Enhancement führen.

Alice und die Rote Königin © Illustration von John Tenniel (1871)

„In vielen Bereichen der Gesellschaft herrschen ‚the winner takes it all‘-Bedingungen, in denen schon kleine Vorteile überproportional große Belohnung bringen“, schreibt der Neurowissenschaftler Anjan Chatterjee von der Universität von Pennsylvania. Seiner Ansicht nach könnte der in unserer Leistungsgesellschaft ausgeprägte Wettbewerb dazu führen, dass man sich eines Tages sogar gezwungen sieht, kognitive Enhancer zu nehmen – einfach um mithalten zu können.

Konkurrenz verstärkt Enhancement-Motivation

Erste Belege dafür stellte bereits 2002 ein Forscherteam um Sean McCabe von der Universität Michigan fest. In ihrer Studie an mehr als 10.000 amerikanischen Studenten stieg der Anteil der Nutzer von Aderall, Ritalin und Co mit wachsendem Wettbewerbsdruck ihrer Umgebung. An den Elite-Colleges im Nordosten der USA berichteten 5,9 Prozent der Studenten, im letzten Jahr ein entsprechendes Mittel eingenommen zu haben. An anderen Universitäten mit weniger rigorosen Zugangsprüfungen und geringerem Leistungsdruck lagen die Zahlen signifikant niedriger.

Ähnliches könnte auch im Berufsleben gelten: Barbara Sahakian, Neuropsychologin an der Cambridge Universität in England, nennt als Beispiel Geschäftsleute, die häufig zu Meetings und Kunden über den Atlantik fliegen müssen. Zukünftig könnten immer mehr von ihnen in dieser Situation zu Modafinil greifen, um ihren Jetlag zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass sie fit und konzentriert sind. „Der Unterschied zwischen dem Abschluss eines Deals oder nicht ist gewaltig und manchmal haben sie nur ein einziges Treffen, um zu versuchen, ihn zu erreichen“, so die Forscherin. Die Versuchung, hier pharmazeutisch nachzuhelfen ist entsprechend groß. Schon jetzt kennt sie Wissenschaftler-Kollegen, die diese Form des Gehirn-Dopings gegen den Jetlag vor wichtigen Präsentationen praktizieren.

Erfolgsdruck könnte Neuro-Enhancement zum Zwang werden lassen © SXC

Wer nicht mitzieht, ist raus

Irgendwann jedoch wird diese verbesserte Leistungsfähigkeit fast schon zum Standard, den Kunden und Arbeitgeber erwarten. Wer dann nicht mitzieht, verliert. In der Ratgeberkolumne des Magazins „Wired“ berichtete Anfang 2009 ein Leser, dass sein Kollege Modafinil nähme, um extreme Überstunden zu leisten. Jetzt sei auch er unter Druck geraten und wisse nicht, wie er reagieren solle: „Unser Boss hat jetzt angefangen sich zu beschweren, warum ich denn nicht auch so produktiv bin.“

„Wenn Du ein 50-Jähriger in Boston bist, musst du heute mit einem 26-Jährigen in Mumbai konkurrieren und diese Art von Druck wird nur noch wachsen“, zitiert die Journalistin Margaret Talbot den Unternehmer Zack Lynch. Für ihn ist Neuro-Enhancement ein Entwicklungsschritt der Menschheit nicht anders als das Feuer, Computer oder Handys. Ein Verbot käme einer Beschneidung dieser Entwicklung gleich: „Das wäre wie zu sagen: Nein, du kannst keine Handys benutzen. Das würde die Produktivität erhöhen.“

Leistung um jeden Preis?

Andere, wie der Psychologe Stefan Schleim, sehen in genau dieser Fixierung auf die Produktivität, auf die reine Leistung, das Problem: „Wenn Psychopharmaka eines Tages tatsächlich problemlos unsere geistige Leistungsfähigkeit steigern könnten, würden sie mittelfristig nicht das Problem des Leistungsdrucks lösen, sondern es nur auf eine andere Ebene verschieben.“ Statt eines 12- und mehr Stunden-Tages wären eben 16 Stunden die Regel – dank Enhancement reichen dann ja vier Stunden Schlaf. „All dies könnte zu einer Art von Gesellschaft führen, von der ich mir nicht sicher bin, ob ich in ihr leben möchte“, kommentiert Talbot.

Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011

Neuro-Enhancer als Förderhilfe für den Nachwuchs?

Optimierte Kinder

„Eine Gesellschaft, in der wir noch überarbeiteter und von der Technologie getriebener sind als jetzt schon und in der wir Drogen nehmen müssen, um mitzuhalten; eine Gesellschaft, in der wir Kindern akademische Steroide zusammen mit ihren täglichen Vitaminen verabreichen“, so charakterisiert die Journalistin Margaret Talbot vom „New Yorker“ eine mögliche Zukunft mit frei verfügbaren Neuro-Enhancern. Tatsächlich gibt es schon jetzt nicht wenige Eltern, die ihren Nachwuchs bereitwillig mit mehr als nur frühkindlichen Chinesisch-Kursen oder Ballettunterricht auf Erfolg trimmen würden.

Appell gegen Neuro-Enhancement bei Kindern © SXC

Ritalin für den unkonzentrierten Sohn

Der amerikanische Psychiater Paul McHugh berichtet in einem Artikel, dass mindestens einmal im Jahr Eltern bei ihm in der Praxis sitzen, deren Sohn in der Schule unkonzentriert ist und nicht so gut abschneidet wie erhofft. Oft bitten sie ihn, dem Kind eine entsprechende Medikation – gemeint ist meist Ritalin – zu verschreiben, die ihn konzentrierter und aufmerksamer macht. „Die Wahrheit ist, dass der Sohn einfach nicht den überragenden IQ seiner Eltern hat“, erklärt McHugh. Was nicht bedeutet, dass dem Jungen etwas fehlt oder er nicht genügend andere Qualitäten hätte. Der Psychiater versucht dann, die Eltern davon abzubringen, „ihn mit Medikamenten oder irgendetwas anderem an ihre ehrgeizigen Ziele anzupassen.“

Bildungsbürgertum besonders anfällig?

Dass dies kein Einzelfall ist, zeigte eine Studie schon im Jahr 1996: In ihr hatten amerikanische Forscher die aus epidemiologischen Studien hervorgehende durchschnittliche Häufigkeit von ADHS bei Kindern mit den Verschreibungen von ADHS-Medikamenten wie Ritalin oder Adderall in verschiedenen Gebieten verglichen. Dabei zeigten sich besonders in einigen Schulbezirken – meist in Wohngebieten eher bessergestellter Familien – deutliche Diskrepanzen zwischen beiden. Es wurden dort offenbar deutlich mehr Kinder als krank eingestuft und medikamentiert, als im Durchschnitt. Als treibende Kraft vermuteten die Wissenschaftler ehrgeizige Eltern oder aber Lehrer, die mehr Ruhe in ihrem Klassenraum wollen.

Aber wie hoch ist der Anteil der Eltern, die bereit wären, ihren Kindern auch dann Medikamente zu verabreichen, wenn dies nicht deren Heilung oder Behandlung dient, sondern dem Bestehen in einer wettbewerbsorientierten Umwelt? Einen Hinweis darauf gab 2008 eine Umfrage der Zeitschrift „Nature“ auf die 1.400 Leser – die meisten von ihnen selbst Wissenschaftler – antworteten. Immerhin rund ein Drittel der Befragten verspürte den Druck, auch ihre eigenen Kinder mit „smart drugs“ zu dopen, wenn sie wüssten, dass andere Eltern dies auch täten.

Veränderungen im heranwachsenden Gehirn © NIH

Dauerhafte Störungen des Hirnstoffwechsels nicht auszuschließen

Dass solche pharmazeutischen Starthilfen vermutlich alles andere als unbedenklich sind, enthüllten der Neuroforscher William Carlezon und seine Kollegen von der Harvard Universität in einer 2003 erschienenen Studie an Ratten. Erhielten diese im Jugendalter Ritalin, beeinflusste dies ihre Gehirnentwicklung. Noch als Erwachsene war ihr Verhalten dadurch deutlich verändert, sie zeigten häufiger Angst oder Anzeichen für Depression und reagierten weniger sensibel auf normale Glücklichmacher wie Sex oder Süßigkeiten. Wäre dies beim Menschen ähnlich, könnten Suchtanfälligkeit und sogar dauerhafte Störungen des Hirnstoffwechsels die Folge eines Medikamenten-Missbrauchs im Kindesalter sein. Pharmafirmen und auch einige ADHS-Organisationen widersprachen solchen Schussfolgerungen zwar vehement, aber widerlegen ließ sich dieser Verdacht bisher trotzdem nicht.

„Inakzeptabel experimenteller Charakter“

Gerade angesichts der noch unbekannten Langzeitfolgen und der höheren Sensibilität des sich noch formenden Gehirns warnen auch die meisten Neurowissenschaftler vor dem „Gehirn-Doping“ von Kindern. „Derzeit muss der Schutz von Kindern im Vordergrund stehen und es gibt längst nicht genügend gesicherte Kenntnisse zu den direkten und indirekten Wirkungen und Risiken einer Langzeitanwendung von Neuro-Enhancement-Produkten – deshalb hätte deren Anwendung gegenwärtig einen inakzeptabel experimentellen Charakter“, konstatiert denn auch eine Gruppe von sieben deutschen Forschern, die Ende 2009 ein gemeinsames Memorandum zum Thema „Das optimierte Gehirn“ veröffentlichten.

Zu einer kompletten Absage an eine pharmazeutischen „Optimierung“ bei Kindern können sie sich indes nicht durchringen: „Ihre pauschale Ablehnung erscheint angesichts des positiven Potenzials von Neuro-Enhancement jedenfalls unangemessen und voreilig.“

Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011