Gibt es Hoffnung auf neue Therapien?

Seltene Krankheiten

In Deutschland leiden vier Millionen Menschen an einer Seltenen Erkrankung © SXC /MMCD

Sie gelten als die Stiefkinder der Medizin: Wer von einer der Seltenen Erkrankungen betroffen ist, dem bleibt nur wenig Hoffnung auf Behandlung oder gar Heilung. Obwohl inzwischen Millionen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung leben, müssen sie mit dem Stempel des „Exoten“ leben – und oft auch mit dem Wissen um einen frühen Tod.

Menschen, die unter einer Seltenen Krankheit leiden gelten für ihr Umfeld sie oft als Exoten. Für Mediziner bleiben sie so lange ein Rätsel, bis die lange Suche nach der richtigen Diagnose endlich eine Erklärung bringt. Aber längst nicht für jeden Betroffenen gibt es dann eine Therapie. Denn für die Pharmaindustrie sind Seltenen Krankheiten meist nicht lukrativ genug. Die teure und langwierige Suche nach einem geeigneten Wirkstoff bringt am Ende, bedingt durch die wenigen Betroffenen, zu wenig ein um die Kosten auszugleichen. Doch diese Rechnung stimmt nur bedingt.

Denn insgesamt leiden in Deutschland immerhin vier Millionen Menschen an einer Seltenen Erkrankung, in der EU sind es bereits 36 Millionen. Etwa 80 Prozent davon sind genetisch bedingt, die meisten führen bereits im Kindesalter zu Symptomen – Symptomen, die oft nur ansatzweise gelindert werden können.

Inzwischen gibt es jedoch leisen Anlass zur Hoffnung: Immer mehr Netzwerke von Medizinern, Genetikern und auch Selbsthilfeorganisationen arbeiten daran, wenigstens für einige dieser „Stiefkinder“ eine Therapie zu finden. Es gibt inzwischen sogar ein „Nationales Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen“ (NAMSE).

Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
Stand: 20.05.2011

Häufigkeit und Ursachen der Seltenen Krankheiten

Wie selten ist selten?

Fast jeder hat schon einmal von einer Seltenen Krankheit gehört. Da sind die Menschen mit auffallend weißer Haut, die an Phenylketonurie (PKU) leiden, einer angeborenen Stoffwechselstörung, die das Gehirn schädigen kann. Oder die Kinder, die aussehen wie Greise, sie leiden an „Progerie“ – einem genetischen Defekt, der die Stabilisierung der Zellwände stört. Oder der bekannte Physiker Stephen Hawking, der nur noch über einen Sprachcomputer mit anderen kommunizieren kann, betroffen von der Nervenerkrankung „Amyotrophen Lateralsklerose“.

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Sechs bis acht Prozent der Bevölkerung

Nach Angaben des europäischen Netzwerks für Seltene Krankheiten (Orphanet) werden in der medizinischen Fachliteratur jede Woche etwa fünf neue Erkrankungen erstmals beschrieben. Dabei gilt die Definition: Ist nicht mehr als einer von 2.000 Menschen von einem spezifischen Krankheitsbild betroffen, gilt diese als selten. Rund 30.000 Seltene Krankheiten sind weltweit bekannt, davon zählen 6.000 bis 8.000 zu den Seltenen Erkrankungen, auch „Orphan Diseases“ genannt.

Dabei sind die seltenen Krankheiten gar nicht so selten: Allein in der EU sind schätzungsweise bis zu 36 Millionen Bürger, also zwischen sechs und acht Prozent der Gesamtbevölkerung, von einer Seltenen Krankheit betroffen. In Deutschland leben vier Millionen Menschen, die eine seltene Diagnose bewältigen müssen. Im Vergleich zu den großen Volkskrankheiten ist dies dann doch wieder eine geringe Zahl: Allein von der Zuckerkrankheit „Diabetes mellitus“ sind hierzulande sieben Millionen Menschen betroffen.

Größtenteils genetisch bedingt

Etwa 80 Prozent der Seltenen Krankheiten sind genetisch bedingt, die meisten verlaufen zudem chronisch und führen bereits im Kindesalter zu Symptomen. Viele der Erkrankungen gehen mit einer eingeschränkten Lebenserwartung einher. So lang allerdings eine Diagnose fehlt, ist es für die Betroffenen und ihre Familien besonders schwer: Sie jagen von einem Arzt zum anderen, unterziehen sich unzähligen Untersuchungen – und doch bleibt das Gefühl, dass niemand wirklich helfen kann. Ist dann endlich die Diagnose gestellt, beginnt die Suche nach geprüften Informationen zur Erkrankung, anderen Betroffenen und auch Fachärzten, die das spezielle Krankheitsbild kennen. Es geht um Austausch, aber auch um ein gemeinsames Planen der nächsten Lebensschritte.

Dank engagierter Forschung, die in den kommenden Jahr noch verstärkt werden muss, sind erste Therapien gefunden. Und so können selbst genetisch bedingte Seltene Erkrankungen behandelt werden. Manches mal lässt sich der Krankheitsverlauf schlicht mit einer veränderten Lebensführung beeinflussen. Die ganze Hoffnung vieler Betroffener und ihrer Familien ruht auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die Ursachen der Erkrankungen erforschen wollen.

Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
Stand: 20.05.2011

Vom Leben mit den Seltenen

„Wir konzentrieren uns auf das gegenwärtige Leben“

Wie sagt man seinem kleinen Sohn, dass er nicht Fußball spielen kann wie die anderen Kinder, weil er an Muskelschwäche leidet? Wie fühlt es sich an, immer ein Einzelfall zu sein? „Das ist eine wirklich schlimme und beängstigende Sache.“ Bernd Dückmann (Name von der Redaktion geändert) spricht mittlerweile ganz nüchtern über die Erkrankung seines ältesten Sohns. Der Zehnjährige leidet an „Duchenne Muskeldystrophie“. Der Muskelschwund bedeutet für die betroffenen Kinder und deren Familien immer noch eine unheilbare, tödlich endende Krankheit.

Schwund von Muskelzellen bei einem Duchenne-Patienten: Querschnitt durch einen Muskel © CDC

Mit Zwölf in den Rollstuhl

Verursacht wird Duchenne durch ein geschädigtes Dystrophin-Gen auf seinem X-Chromosom. In Deutschland gibt es etwa 2.500 betroffene Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Die ersten Krankheitszeichen treten auf, wenn ein Kind etwa vier Jahre alt ist auf. Dann fällt das Gehen schwer, die Muskeln werden immer schwächer. Mit zwölf Jahren sind die Kinder meist an den Rollstuhl gebunden. Durch die immer schwächer werdenden Muskeln wächst der Bedarf an Hilfe und Pflege. Die meisten Duchenne-Patienten sterben im jungen Erwachsenenalter, denn auch Atem- und Herzfunktionen sind von der Muskelschwäche betroffen.

Dückmann hat, auch dank des großen Rückhalts seiner Familie, das Leben seines Sohns hervorragend organisiert. Der Junge ist durch intensive Pflege, wöchentliche Arzt- und Krankengymnastik-Besuche optimal versorgt und wirkt im Vergleich zu anderen Betroffenen sehr gesund. Er hat drei gesunde Geschwister und viele Freunde. „Wir sind direkt offen mit der Krankheit umgegangen. Das fällt manchmal dennoch schwer. Man will ja nicht jedem seine Leidensgeschichte erzählen“, sagt der Vater. Sein Sohn wird bald auf das Gymnasium wechseln. Das erfordert Organisation.

Zukunftsplanungen machen keinen Sinn

Aber wie sagt man seinem Kind, dass es bald im Rollstuhl sitzen wird und wahrscheinlich nicht besonders alt werden wird? „Wir konzentrieren uns stets auf die aktuell anstehenden Problembereiche, auf das gegenwärtige Leben“, beschreibt Dückmann, anders gehe das nicht. Er vermeidet ausgreifender Zukunftsplanungen, die zusätzlich bedrücken und keinen Sinn machen würden. „Wir gehen eben einfach eher den nächsten als den übernächsten Schritt – und glauben, dass man damit Panik vermeidet und Kraft optimal einsetzt, ohne von Lähmung befallen zu werden.“ Außerdem werde die Familie von der Hoffnung getragen, dass sich die Forschungslage in Zukunft entscheidend verbessern wird.

Leidet ein Familienmitglied an einer seltenen Erkrankung, stellt das alle vor besondere Probleme. Die „Seltenen“ sind oft genetisch bedingt, es handelt sich um sehr schwere Krankheiten. Eine aufwändige Behandlung und Betreuung ist zumeist erforderlich. Das macht es für die Patienten und ihre Familien sehr schwer, den Alltag zu bewältigen.

„Ein totaler Schock“

Zum Beispiel wenn es um die körperliche Belastung geht, wie Marion Grosskopf (Name von der Redaktion geändert) erzählt. Ihr elfjähriger Sohn ist an Duchenne erkrankt, sie muss ihn oft die Treppen rauf und runtertragen. Badezimmer und Kinderzimmer befinden sich im oberen Stockwerk des Hauses. Weil sich der Gesundheitszustand ihres Sohnes zunehmend verschlechtert, muss die Wohnung behinderten gerecht umgebaut werden. Das Geld dafür hat die Familie nicht. Das Schicksal ihres Kindes macht Marion Grosskopf immer noch sehr traurig.

„Als er drei Jahre alt war, bekamen wir die Diagnose“, sagt sie, „das war ein totaler Schock.“ Es hat lang gedauert, nicht jedes Mal in Tränen auszubrechen, wenn sie anderen von der Erkrankung berichtete. Überhaupt hat die Familie sich sehr schwer damit getan, sich mit der Situation zurecht zu finden. „Ich weiß manchmal nicht, woher ich die Kraft nehme“, sagt Grosskopf. Traurig macht sie auch, dass der große Bruder immer Rücksicht nehmen muss, weil der Kleine eben einfach mehr Aufmerksamkeit benötigt. Ändern kann sie es aber nicht.

Die Familien Dückmann und Grosskopf hoffen, dass im Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung weitere Fortschritte erzielt werden, die ihren Kindern das Leben leichter machen.

Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
Stand: 20.05.2011

Zwischen Resignation und Hoffnung auf neue Therapien

Uninteressant für die Pharmaindustrie?

Am meisten ärgert sich Fee, wenn sie wegen ihrer Andersartigkeit in den Blickpunkt gerät. Die Zehnjährige misst 1,17 Meter und wiegt 17 Kilogramm. „Wenn meine Tochter dann aber redet wie andere Kinder in ihrem Alter, kommen die erstaunten Bemerkungen“, erzählt Mutter Trix Buchholz. Noch vor ein paar Jahren war es noch schlimmer, erinnert sich die gelernte Krankenschwester, „da wurde sie immer gefragt, ob sie und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Zwillinge seien. Denn die war sogar größer und kräftiger als ihre Schwester.“

Fee hat die Seltene Erkrankung Hypophosphatasie (HPP) © Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung

Zu selten um für die Pharmaindustrie von Interesse zu sein?

Mittlerweile hat Fee eine gute Portion Selbstbewusstsein entwickelt, etwas anderes bleibt ihr auch kaum übrig. Ihre kleine Körpergröße ist einer Seltenen Erkrankung geschuldet, die sich Hypophosphatasie (HPP) nennt. Außer ihr leben rund 200 Menschen in Deutschland, die von dieser nicht heilbaren Störung im Knochenstoffwechsel betroffen sind. Gleich mehrere genetische Fehler sorgen dafür, dass ein für die Knochenbildung wichtiges Enzym nicht richtig gebildet wird. Schon mit drei Jahren verlor Fee viele ihrer Milchzähne und konnte nur dank einer Prothese normal essen und sprechen lernen. Mit dreieinhalb Jahren musste sich Fee zudem einer schwere Schädeloperation unterziehen.

Die Familie erlebte schwere Zeiten, musste für Unterstützung kämpfen. „Heute geht es Fee gut, sie geht ganz normal zur Schule. Ältere HPP-Patienten berichten, dass sie als Jugendliche und auch später noch einmal eine Verschlimmerung mit unzähligen Knochenbrüchen erlebten“, sagt Trix Buchholz. Sie will sich trotzdem nicht entmutigen lassen und hofft, dass eine Enzym-Ersatztherapie, schon lang im Gespräch, bald zugelassen und eingesetzt wird. „Die Erkrankung ist leider so selten, dass sie für Pharmakonzerne uninteressant war und nur wenig in die Erforschung investiert wurde.“ Das käme jetzt so langsam. Aber ob ihre Tochter die erste Patientin sein soll? Trix Buchholz ist nicht sicher.

36 Millionen Menschen allein in der EU betroffen

Nicht nur im einzelnen Fall, auch für die Gesellschaft stellen die seltenen Krankheiten ein Problem dar. Allein in Deutschland sind rund vier Millionen Menschen betroffen, in der gesamten EU wird die Zahl auf 36 Millionen geschätzt. Und alle diese Menschen verdienen es natürlich, genauso behandelt zu werden, wie die, die von bekannten Leiden wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Störungen betroffen sind. „Obwohl die seltenen Erkrankungen während der vergangenen zehn oder 20 Jahre stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit fanden, gibt es immer noch große Lücken in unserem Wissen über die Entstehung und Behandlung seltener Erkrankungen“, schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem jüngsten Gesundheitsbericht.

Auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kommt 2009 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass es Defizite in der Versorgung gibt. Diese seien mit einer besseren Koordination, Kooperation und Vernetzung von Forschung, medizinischer Versorgung, Patienten und Angehörigen zu verbessern. Das Bundesforschungsministerium (BMBF) fördert seit 2003 die Etablierung von krankheitsspezifischen Netzwerken, um die Kapazitäten in Forschung und Versorgung zusammenzuführen, bisher werden immerhin 16 Nationale Netzwerke für Seltene Erkrankungen mit rund acht Millionen Euro pro Jahr unterstützt.

Vernetzung hilft den Patienten, aber auch der Forschung © SXC

Netzwerke sollen Diagnose und Behandlung verbessern

Wie wichtig Netzwerke sind, zeigt sich derzeit beispielweise bei der Muskeldystrophie Duchenne (DMD), einer schweren Muskelschwäche, die nur Jungen betrifft. „Das Transnationale hat die Sache deutlich vorangebracht“, sagt Janbernd Kirschner, Kinderneurologe und Oberarzt am Universitätsklinikum Freiburg. Diese Erkrankung ist eine an Jungen vererbte, nicht heilbare Muskelkrankheit, bei der vor allem die rumpfnahe Muskulatur immer schwächer wird. Meist sterben die Betroffenen im frühen Erwachsenenalter an einer zunehmenden Schwäche der Atem- und Herzmuskulatur.

Durch Initiative der Wissenschaftler Volker Straub und Hans Lochmüller entstand 2003 zunächst das MD-NET (Muskeldystrophie-Netzwerk), das seither Ärzte und Wissenschaftler aus ganz Deutschland zusammenbringt, deren Interesse der Erforschung der Erkrankung gilt. Ziel ist es, die Diagnose der Krankheit zu optimieren und Therapien zu deren effektiven Behandlung zu entwickeln. Längst ist man mit dem europäischen Netzwerk TREAT-NMD verbunden, so dass erstmals Register angelegt werden konnten, die weltweit mittlerweile über 10.000 betroffene Patienten erfassen.

Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
Stand: 20.05.2011

Genforscher Stefan Mundlos über die Suche nach Ursachen und mögliche Ansatzstellen

Interview: „Wir suchen den richtigen Gegenspieler“

Interview mit Professor Stefan Mundlos, der am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und am Institut für Medizinische Genetik an der Charité Berlin arbeitet. Mit seinen Arbeitsteams erforscht er die Entstehung des Skeletts und die Entstehung seltener Skeletterkrankungen.

Professor Mundlos, was hat Ihre Arbeit als medizinischer Genetiker mit seltenen Erkrankungen zu tun?

Viele seltene Erkrankungen gehen auf einen genetischen Defekt zurück. Gene sind für bestimmte Entwicklungsschritte oder andere Körperfunktionen zuständig. Ist ein Gen mutiert, verläuft die Entwicklung nicht so wie sie soll. Das lässt sich am menschlichen Skelett gut untersuchen.

Sie suchen also nach mutierten Genen?

Uns interessiert dabei vor allem, zu welchem Zeitpunkt das mutierte Gen seine Wirkung entfaltet. Bei der Achondroplasie etwa, einer bestimmten Art des Kleinwuchses, ist ein Gen defekt, dass sich FGFR-3 nennt. Durch Forschung weiß man heute, dass durch die Mutation die Knorpelbildung in den langen Röhrenknochen gestört ist. Die Knorpelzellen teilen und differenzieren sich nicht richtig wodurch das Wachstum vor allem in den Armen und Beinen gestört ist. Als das verstanden wurde, konnte man beginnen, etwas gegen diese Störung zu entwickeln.

Lässt sich auch in anderen Fällen schon so klar benennen, welches Gen für die Störung verantwortlich ist?

Beim Marfan-Syndrom sorgt eine Mutation des Fibrillin-1-Gens für eine spezifische Störung des Bindegewebes, es ist fehlerhaft aufgebaut, und dadurch instabil. Außerdem ist die Speicherung von Wachstumsfaktoren gestört. Die Betroffenen sind oft ungewöhnlich groß, haben eine verformte Wirbelsäule und auch Herzfehler. Wir versuchen nun die richtigen Gegenspieler, so genannte Antagonisten zu finden, die diese Fehlentwicklung ausgleichen können.

Haben Sie, haben andere Wissenschaftler, schon wirksame Gegenspieler gefunden?

In einigen Fällen gibt es heute bereits Verfahren, die funktionieren, zum Beispiel werden beim Marfan Syndrom jetzt sogenannte Antagonisten (Gegenspieler) eines bestimmten Wachstumsfaktors (TGFß) erfolgreich eingesetzt, um die Herzproblematik zu behandeln.

Wie findet man das Gen, das für eine Mutation zuständig ist?

Mit modernen Methoden der Genanalyse lassen sich ganze Genome, also das Erbgut eines Lebewesens, untersuchen. Man testet dann nicht mehr ein oder zwei Abschnitte der menschlichen DNA, sondern gleich 20.000. Bioinformatiker helfen bei der Suche nach den Nadeln im Heuhaufen – also den Veränderungen, die Krankheiten verursachen. Wenn man diese hat, ist das ein wichtiger Schritt in Richtung Entwicklung entsprechender Therapien. Noch weiß man bei vielen seltenen Krankheiten zwar, welcher genetischer Defekt dafür verantwortlich ist, kann aber dennoch noch nichts daran ändern. Dass macht die Förderung der Forschung auf diesem Gebiet so wichtig.

Wenn es bei einer Erkrankung noch keine Therapie gibt, muss ich dann überhaupt wissen, woran ich leide?

Die Diagnosestellung an sich ist wesentlich. Die Unsicherheit der Betroffenen, dass ihnen gegenüber alle nur mit den Schultern zucken, ist dann vorbei. Das ist eine große Erleichterung für diese Menschen. Außerdem kann man meist etwas über den Verlauf der Krankheit sagen. Und auch für die zukünftige Familienplanung haben solche Erkenntnisse eine Auswirkung.

Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
Stand: 20.05.2011

Beispiele für Seltene Krankheiten

Von Akromegalie bis Progerie

Akromegalie

Die Überproduktion des Wachstumshormons Somatotropin führt zu einem übermäßigen Wachstum von Händen, Füßen und Teilen des Gesichts. Meist ist ein Tumor in der Hirnanhangdrüse verantwortlich. Tritt die Überproduktion in jungen Jahren auf, also während des Körperwachstums, kommt es zum sogenannten Riesenwuchs. Tritt die Akromegalie, von der in Deutschland rund 5.000 Menschen betroffen sind, nach der Pubertät auf, ist nicht die Körpergröße betroffen, doch Ohren, Nase, Kinn oder Hände und Füße vergrößern sich. Die Betroffene entwickeln in Folge häufig Gelenkerkrankungen. Auch Zuckerkrankheit, Bluthochdruck und das sogenannte Schlaf-Apnoe-Syndrom (nächtliche Atemaussetzer) sind häufig. Die Lebenserwartung der Patienten ist aufgrund dieser Folgeerkrankungen eingeschränkt. Zur Behandlung wird der Tumor in der Hirnanhangsdrüse entfernt, auch Medikamente können überschüssige Wachstumshormone blockieren.

Bluterkrankheit

Die medizinisch korrekt „Hämophilie A“ genannte Erkrankung ist erblich, durch Veränderungen im Gen des Gerinnungsfaktors VIII ist die Blutgerinnung gestört. Betroffen sind etwa sechs von 100.000 Menschen. Wenn der Gerinnungsfaktor völlig fehlt, verläuft die Krankheit unbehandelt sehr schwer,

oftmals sogar tödlich. Fehlen die Gerinnungsfaktoren nur teilweise, ist die Krankheit weniger ausgeprägt. Die Hämophilie führt vor allem zu Blutungen in Gelenken und Muskeln. Nach einer Verletzung können Wunden überall am und im Körper übermäßig bluten. Die Behandlung besteht in allererster Linie aus dem Ersatz der fehlenden Gerinnungsfaktoren.

Duchenne Muskeldystrophie (DMD)

Die Diagnose bedeutet für die betroffenen Kinder und deren Familien immer noch eine unheilbare, tödlich endende Krankheit. DMD ist nach der Mukoviszidose die zweithäufigste Erbkrankheit bei Jungen. Etwa jeder 3.500. neugeborene Junge ist betroffen, da er auf seinem X-Chromosom ein geschädigtes Dystrophin-Gen hat, das die Krankheit auslöst. In Deutschland gibt es etwa 2.500 betroffene Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Bei der Erkrankung wird vor allem die rumpfnahe Muskulatur immer schwächer. Meist sterben die Betroffenen im frühen Erwachsenenalter an einer zunehmenden Schwäche der Atem- und Herzmuskulatur.

Mukoviszidose

In Deutschland leben etwa 8.000 Betroffene mit Mukoviszidose und jedes Jahr kommen rund 200 Kinder mit Mukoviszidose auf die Welt. Damit gehört Mukoviszidose zu den Seltenen Erkrankungen. Der Begriff setzt sich aus den lateinischen Wörtern mucus (Schleim) und viscidus (zäh) zusammen. Infolge eines Gendefektes wird in vielen Organen des Körpers ein sehr zäher Schleim produziert. Bereits im Kindesalter können verschiedene Krankheitserscheinungen auftreten. Vor allem die Lunge und die Bauchspeicheldrüse, aber auch weitere Organe, zum Beispiel Leber oder Gallenblase und die Gallenwege, sind von der Erkrankung betroffen. Mukoviszidose ist bis heute nicht heilbar, aber inzwischen gut behandelbar. Viele Mukoviszidose-Patienten müssen ihr ganzes Leben lang Medikamente einnehmen, regelmäßig inhalieren und täglich spezielle Atemtherapien und krankengymnastische Übungen durchführen. Ein heute geborener Mukoviszidose-Patient kann 50 Jahre und älter werden.

Progerie

Eine Veränderung auf einem Gen, das für die Ausbildung eines bestimmten Zell-Proteins verantwortlich ist, ist Ursache von Progerie („vorzeitiges Altern“). Eigentlich stabilisiert dieses Eiweiß die Wände des Zellkerns. Fehlt das Eiweiß, sind die Wände des Zellkerns geschwächt und verformt. Unter Progerie werden verschiedene Erbkrankheiten zusammengefasst, die alle durch das frühzeitige Vergreisen gekennzeichnet sind. Wissenschaftler vermuten, dass die Erbsubstanz vorzeitig abgebaut wird. Die Kinder beginnen schon mit wenigen Jahren zu altern, auch Haarausfall, Knochenschwund, Herzinfarkt und Schlaganfall können die Folge sein. Meist werden die Kinder nicht älter als 14 Jahre.

Die Progerie ist äußerst selten: Man schätzt, dass nur einer unter 400.000 Einwohnern in Europa von der Krankheit betroffen ist.

Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
Stand: 20.05.2011