Ein Super-GAU der Klimaforschung und die Folgen

„Climategate“

"Climategate" - ein E-Mail-Hack erschüttert die Welt der Klimaforschung © SXC

Das Jahr 2009 verlief für die Klimaforschung alles andere als glorreich: Erst enthüllte ein E-Mail-Klau an der Universität von East Anglia fragwürdige Praktiken hinter den Kulissen, dann scheiterte die Klimakonferenz von Kopenhagen, und zu guter Letzt musste das IPCC auch noch ein paar peinliche Fehler im letzten Weltklimabericht eingestehen. Wie aber konnte das passieren? Und welchen Schaden haben diese Ereignisse angerichtet – für die Klimaforschung, den Kampf gegen den Klimawandel und den Klimaschutz?

Nach dem Hoch durch den Friedensnobelpreis für das IPCC und Al Gore im Jahr 2007 folgte im November 2009 der Tiefschlag. Ein unbekannter Hacker kopierte mehr als tausend private E-Mails und Dokumente von Klimaforschern der „Climate Research Unit“ der Universität von East Anglia und stellte sie frei zugänglich ins Netz. Die sensiblen Daten schienen zu belegen, dass in der Forschergemeinde nicht nur mit harten Bandagen gekämpft, sondern möglicherweise auch getrickst, gemauschelt und ausgegrenzt wird.

Für Klimaskeptiker war und ist das „Climategate“ ein gefundenes Fressen, untermauert es doch ihre alten Argumente von einer „Klimawandel-Verschwörung“, nach der die etablierte Klimaforschung eine Art Geheimbund bildet, der alle anderen Meinungen sabotiert und kleinhält. Dass solche Vorwürfe jeder Grundlage entbehren, interessiert da nur marginal. Gravierender aber noch ist, dass auch die öffentliche Meinung in Bezug auf Klimawandel und Klimaschutz vom „Climategate“ und den Folgen nicht unberührt geblieben ist.

Doch was war wirklich dran am „Climategate“? Was davon ist jetzt – ein Jahr danach – geblieben? Und vielleicht noch viel wichtiger: Welche Lehren hat die Gemeinschaft der Klimaforscher aus diesem Debakel gezogen?

Nadja Podbregar
Stand: 10.12.2010

Links und Videos zum Thema

Das „Climategate“ im Web

Links

Die E-Mails

Nach Stichworten durchsuchbare Datenbank mit einem Großteil der vom Server der Universität East Anglia kopierten E-Mails.

Mythen und Fakten zum „Hockeystick“

Gegenüberstellung von Fakten und falschen Annahmen zur Kurve der Temperaturen in den letzten tausend Jahren von Klimaforschern des RealClimate-Blog.

Nature-Special: Climategate

Special des renommierten Fachjournals “Nature” zur CRU-Affäre und den Folgen.

Abschlussbericht CRU

Website mit Abschlussbericht und weiteren Dokumenten der vom britischen Parlament eingesetzten Untersuchungskommission unter Leitung von Sir Muir Russel zu den Vorfällen an der Climate Research Unit der Universität von East Anglia.

Abschlussbericht Michael Mann (PDF)

Der Abschlussbericht der Untersuchung an der Pennsylvania State University zur Klärung der Frage eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens.

CRU Statements

Mitteilungen und Stellungnahmen der Universität von East Anglia zur Affäre um die Forscher des Climate Research Unit.

EPA: Denial of Petitions

Als Reaktion auf Petitionen von Klimaskeptikern führte die amerikanische Umweltbehörde EPA mehrere Überprüfungen von Daten, Studien und Fakten durch. In allen Fällen stellten sich die Vorwürfe als grundlos heraus. Auf dieser Seite sind die Argumenten und Fakten gesammelt.

Videos

ZDF-Diskussion zum „Climategate“

Hans von Storch, Mojib Latif und Stefan Rahmstorf äußern sich in der Sendung ZDF.Umwelt vom 13.Dezember 2009 zur „Climategate“-Affäre.

Phil Jones vor dem Ausschuss

Video der Aussage von Klimaforscher Phil Jones vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss am 1. Maürz 2010.

Satirevideo „Hide the decline“

Böse Satire zu Michael Mann, der Hockeystick-Kurve und dem in der Mail von Phil Jones erwähnten Nature-„Trick“


Stand: 10.12.2010

Der Hackerangriff auf die Climate Research Unit

Ein „schwarzer Donnerstag“

Es ist der 19. November 2009, ein scheinbar ganz gewöhnlicher Donnerstag im englischen Norwich: Wie immer macht sich Phil Jones auf den Weg zur Arbeit. Er ist Leiter der renommierten Climate Research Unit der Universität von East Anglia und hat immer reichlich zu tun: Zu seinen ständigen Aufgaben gehört unter anderem die Auswertung von Wetterdaten rund um die Welt, um daraus eine Übersicht der globalen Temperaturentwicklung zu erstellen. Daneben ist er als Reviewer für verschiedene Fachpublikationen und auch den Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) tätig.

In diesem Gebäude sitzt die "Climate Research Unit" der Universität East Anglia © ChrisO / CC-by-sa 3.0

Und dann gibt es da noch die E-Mails von Kollegen, die sich über neue Erkenntnisse, Ereignisse oder Daten austauschen wollen, Anfragen von ihm bekannten oder unbekannten Forschern, die Einblick in bestimmte Rohdaten möchten und zahllose Hinweise auf Organisatorisches, Konferenzen, Deadlines etc. Um das überquellende Postfach einigermaßen unter Kontrolle zu behalten, löscht Jones regelmäßig Altes und Erledigtes, und versucht, die restlichen E-Mails möglichst schnell und knapp zu beantworten – nichts Ungewöhnliches also.

„Die Zeit, die wir für Forschung noch haben, scheint immer weniger und weniger zu werden. Entweder man erkennt die Dinge, die einem die Zeit nehmen oder man findet sich dabei wieder, auch an Wochenenden und abends noch zu arbeiten, zum Ärger der Familie“, erklärt Jones im November 2010 in „Nature“ das Dilemma. Gerade im Herbst wird es immer besonders eng, denn dann muss der Forscher den Großteil seiner Lehrverpflichtungen erfüllen. Trotz dieser Last ist Jones produktiv, veröffentlicht in „Nature“ und anderen renommierten Journalen und ist, obgleich in der Öffentlichkeit kaum bekannt, unter Kollegen sehr angesehen.

Der Hackerangriff

Doch noch bevor dieser 19. November vorüber ist, wird für Phil Jones nichts mehr so sein wie es war. Denn was der Forscher nicht ahnt: Hacker haben den Server der Universität von East Anglia geknackt und mehr als 1.000 private E-Mails der Klimaforscher, aber auch tausende weiterer Dokumente kopiert und in der Nacht frei ins Internet gestellt – unter anderem auf die Server von Wikileaks. Die aus den Jahren 1996 bis 2009 stammenden Daten, die ungeachtet ihres illegalen Ursprungs sofort von verschiedensten Medien, Bloggern und nicht zuletzt bekannten Klimaskeptikern heruntergeladen und durchmustert werden, erweisen sich als „Bombe“.

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Schnell kursieren Gerüchte von einer „Verschwörung“. Unter anderem soll Jones in seinen E-Mails gegenüber Kollegen offen von einer Manipulation von Klimadaten gesprochen haben, die die globale Erwärmung stärker erscheinen lassen. Außerdem wollen die Medien in den Mails Hinweise auf eine Art Kartell innerhalb der Klimaforscher entdeckt haben. Dieses habe, so der Vorwurf, die Veröffentlichung missliebiger Fachartikel in Zeitschriften aber auch im Bericht der IPCC aktiv und mit unlauteren Mitteln unterdrückt. Ziel sei es dabei gewesen, zu verhindern, dass Ergebnisse, die den Klimawandel relativieren, an die Öffentlichkeit gelangen. Um Klimaskeptikern keine Munition zu liefern, soll Jones seine Kollegen sogar zur Löschung von Daten aufgefordert haben.

In den Medien ist daraufhin vom „Climategate“, dem „größten Wissenschaftsskandal aller Zeiten“ die Rede. Wenige Tage vor Beginn der entscheidenden Weltklimakonferenz in Kopenhagen stehen Phil Jones und mit ihm die gesamte Zunft der Klimaforscher plötzlich am Pranger. Die gesamte Forschung zur globalen Erwärmung erscheint zwielichtig und wenig vertrauenswürdig. Aber was steckt wirklich hinter den Vorwürfen? Was ist dran am „Climategate“?

Nadja Podbregar
Stand: 10.12.2010

CRU-Hack bringt die Peer Review ins Zwielicht

Gibt es ein „Klimakartell“?

Dass zwischen Klimaforschern und Klimaskeptikern teilweise mit harten Bandagen gekämpft wird, ist nicht wirklich neu. Entsprechend wenig verwunderlich ist es daher, dass auch Phil Jones und seine Kollegen die „Gegenseite“ in ihren E-Mails mit wenig freundlichen Ausdrücken bedenken. Weitaus brisanter ist jedoch, was die gehackten E-Mails über den Umgang mit Veröffentlichungen im Rahmen der Peer-Review zu enthüllen scheinen.

Grundpfeiler Peer Review

Die Peer-Review ist das bei Fachzeitschriften übliche Verfahren, zur Veröffentlichung eingereichte wissenschaftliche Artikel auf ihre Relevanz und Qualität hin zu begutachten. Normalerweise wählt dabei der Redakteur oder Herausgeber der Zeitschrift einen oder mehrere geeignete Gutachter aus, in der Regel Forscher des gleichen Fachs. Oft bleibt der „Peer“ anonym, um diesen vor Kritik oder Repressalien zu schützen, sollte sein Gutachten negativ ausfallen.

Peer Review, hier die Prüfung von Forschungsanträgen an der US-Gesundheitsbehörde NIH, ist einer der Grundpfeiler der modernen Wissenschaft © NIH

Auch Phil Jones gehört jahrelang zu den Wissenschaftlern, die eingereichte Manuskripte zur Review annehmen. Fallen sie in seinen Augen durch, dann hält er mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, was zunächst nichts Ungewöhnliches oder Fragwürdiges ist: „Das ist ein Einblick darin, wie Forscher wirklich interagieren“, erklärt Gavin Schmidt vom Goddard Institute for Space Studies (GISS) der NASA und einer der Autoren des Klimaforscher-Blogs „RealClimate“. „Die Konflikte zeigen, dass die Gemeinschaft weit davon entfernt ist, der Monolith zu sein, wie man sich das manchmal vorstellt.“

Angreifbar macht sich Jones allerdings dann, wenn er, wie die E-Mails enthüllen, ausgerechnet solche Artikel abschmettert, die die Arbeiten der Climate Research Unit (CRU) der Universität von East Anglia und damit auch Jones‘ Forschung in Frage stellen und kritisieren. „Ich habe kürzlich zwei Paper von Leuten abgelehnt, die sagen, CRU habe in Bezug auf Sibirien Fehler gemacht. Ich habe in den Reviews richtig auf den Putz gehauen, hoffentlich erfolgreich. Wenn eines von denen erscheint, wäre ich überrascht“, schreibt er im März 2004 an seinen Kollegen Michael Mann an der Pennsylvania State University.

In einer anderen E-Mail kündigt er an, notfalls dafür zu sorgen, dass der zuständige Redakteur des Fachmagazins „Journal of Climate Research“ gehen muss, sollte der Artikel erscheinen. „Ich werde dem Journal schreiben und ihnen sagen, dass ich mit ihnen nichts mehr zu tun haben will, bis sie diesen lästigen Editor losgeworden sind…“

Systematische Unterdrückung missliebiger Artikel?

Als diese Mails durch den CRU-Hack öffentlich werden, ist die Empörung groß. Jones und seinen Kollegen wird vorgeworfen, die Ergebnisse von „kritischen“ Forschern systematisch zu unterdrücken. Von einem „Kartell“ ist gar die Rede, das die Peer Review missbraucht, um die eigenen Ansichten gegen andere durchzusetzen.

IPCC-Bericht von 2007, erster Teil: "Die wissencshaftlichen GRundlagen" © IPCC

Noch schlimmer wird es, als eine weitere Mail von Jones bekannt wird, die er 2004 in seiner Eigenschaft als einer der Autoren des IPCC-Berichts an Michael Mann geschrieben hat: „Ich kann mir keine dieser Publikationen im nächsten IPCC-Bericht vorstellen. Kevin [Trenberth] und ich werden sie irgendwie heraushalten – und wenn wir neu definieren müssen, was Peer-Review-Literatur ist.“

Für die Klimawandel-Skeptiker ist spätestens jetzt alles klar: Es gibt eine Verschwörung und auch das IPCC steckt mit drin. „Das ist furchtbar. Das ist genau, was jeder befürchtet hat“, erklärt Pat Michaels, einer der Klimaforscher, die in den Mails schlecht wegkommen. „Über die Jahre ist es für jeden, der nicht den Klimawandel als ‚Ende der Welt‘ sieht, immer schwieriger geworden, Artikel zu veröffentlichen. Das ist keine fragwürdige Praxis, das ist schlicht unethisch.“

Konflikte statt Kartell

Die meisten anderen Wissenschaftler sehen dies allerdings anders. Für sie sind raue Töne bei Gutachten und im Umgang mit Fachkollegen nichts Ungewöhnliches. „Die meisten Forscher haben wohl schon einmal boshafte Gutachterkommentare erlebt“, erklärt auch Stefan Rahmstorf, Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in Potsdam. „Doch die Vorstellung eines ‚Kartells‘ halte ich für gänzlich unrealistisch. Dafür ist die Wissenschaft zu frei und pluralistisch, es gibt zahlreiche, unabhängig operierende Fachzeitschriften – auch solche, in denen die eingereichten Manuskripte sofort online zur offenen Diskussion gestellt werden.“

Nadja Podbregar
Stand: 10.12.2010

Klimaforscher als Heimlichtuer

„Bitte nach dem Lesen löschen“

Vollends ins Zwielicht geraten die Spitzenvertreter der Klimaforschung, als weitere Mails bekannt werden, in denen von Löschung von Daten die Rede ist. Bereits seit längerem wird die Climate Research Unit (CRU) dafür kritisiert, Rohdaten zu Studien nicht oder nur widerwillig herauszugeben. Die Offenlegung von Rohdaten gilt jedoch nicht nur als korrekte wissenschaftliche Praxis, in England gibt es zudem nach amerikanischem Vorbild den so genannten „Freedom of Information Act“. Dieses Gesetz verpflichtet öffentliche Institutionen dazu, auf Anfrage ihre Daten zur Verfügung zu stellen.

Entlarvend sind daher zahlreiche Mails von Jones an Kollegen, in denen er nicht nur explizit davon spricht, keine Daten herausgeben zu wollen, sondern auch diese darum bittet, ihrerseits Daten und Mails zu löschen. So diese Mail vom 21. Februar 2005 an Michael Mann: „Ich überlasse es dir, zu löschen was du für richtig hältst. P.S. Ich werde von einer Reihe von Leuten genervt, die die CRU-Stationsdaten der Temperaturen haben wollen. Verratet denen bloß nicht, dass wir in England einen Freedom of Information Act haben!“

Bitte lösche alle E-Mails... ©

„For Your Eyes Only“….

Geradezu wie aus einem Agentenroman klingen Formulierungen wie diese: „Dies ist nur für deine Augen bestimmt. Bitte lösche es nach dem Lesen!“ in einer Mail ebenfalls an Mann im Januar 2004. Und am 29. Mai 2008 bittet Jones Mann: „Kannst du bitte alle E-Mails löschen, die du mit Keith [Trenberth] bezüglich AR4 [dem vierten Weltklimabericht des IPCC] ausgetauscht hast? Keith wird das Gleiche tun.“

Da Jones, Mann und Trenberth zu den Leitautoren des vierten IPCC-Berichts gehören, wirft diese Heimlichtuerei kein allzu gutes Licht auf die Praxis der Datenerhebung und der Erstellung des Weltklimaberichts. Kaum sind diese E-Mails öffentlich, gerät daher auch das IPCC unter Beschuss.

In der Zeitung „Die Welt“ behaupten die bekannten deutschen Klimaskeptiker Dirk Maxeiner und Michael Miersch, das CRU hätte wichtige Rohdaten absichtlich gelöscht, um Interpretationen nicht mehr nachvollziehbar zu machen: „Die Berichte der IPCC basieren somit auf einer Art Geheimwissenschaft. Genau wie Legionen weiterer Klimastudien, die ebenfalls auf den Angaben der CRU aufbauen.“

Daten frei zugänglich?

Vor dem vom britischen Parlament eingesetzten Untersuchungsausschuss zum „Climategate“ verteidigt sich Phil Jones im Februar 2010 gegen die Vorwürfe der Konspiration und Heimlichtuerei. Die Verstöße gegen den „Freedom of Information Act“ (FOI) seien keine böse Absicht gewesen, sondern eine Mischung aus Überforderung und Fehleinschätzung der Situation, so der Forscher. Zudem seien die meisten Rohdaten ohnehin frei im Netz verfügbar, unter anderem auf den Servern des Historical Climatology Network in den USA.

Letzteres bestätigt auch der Untersuchungsausschuss, der einige der umstrittenen und angeblich gelöschten Daten sucht und damit Studien von Jones und Co nachvollzieht. „Es wurde sehr klar, schon früh, dass jeder diese Daten bekommen kann. Wir brauchten buchstäblich nur Minuten für den Download“, erklärt Peter Clarke, Professor für Physik an der Universität Glasgow und Mitglied des britischen Untersuchungsausschusses.

E-Mail-Anfragen als Waffe im Klimastreit? © SXC/NASA

FOI-Anfragen als Vorwand?

Gleichzeitig führt Jones vor dem Ausschuss an, ein Großteil der FOI-Anfragen sei nicht fachlich motiviert gewesen, sondern ein Versuch, die Arbeit der Wissenschaftler zu behindern: Im Juli 2008 habe die CRU beispielweise innerhalb von nur wenigen Tagen 40 ähnliche Anfragen erhalten. Jede fragte nach Rohdaten für fünf verschiedene Länder, so dass Jones und Co. insgesamt Stationsdaten aus 200 Ländern hätten raussuchen müssen. „Nach den FOI-Regeln muss man mindestens 18 Stunden Arbeit in jede Anfrage gesteckt haben, bevor man sie ablehnen darf“, so Jones. Diese Zeit wäre für die Forschungsarbeit verloren gegangen. Hinter dieser Anfragenflut vermutet Jones einen alten „Bekannten” im Klimastreit, Steve McIntyre, Wirtschaftswissenschaftler und Herausgeber der klimaskeptischen Website „Climate Audit“.

Verständnis für die Situation von Jones und Co. äußert im Dezember 2009 auch Klimaforscherkollege Thomas Stocker von der Universität Bern: „Man muss allerdings die Klimaforscher verstehen. Mit der Freigabe der Daten ist es ja meistens nicht getan. Man wird mit hunderten von E-Mails überhäuft, in denen um technische Hilfestellung bei der Handhabung der Daten gebeten wird“, so der Forscher in der „Neuen Zürcher Zeitung“. „Wenn diese Anfragen von Leuten kommen, die nichts anderes im Sinn haben, als einen zu wiederlegen, und deren Ton schnell aggressiv wird, ist die Geduld schnell einmal erschöpft.“

Nadja Podbregar
Stand: 10.12.2010

Temperaturen, Proxies und der Klimawandel

Streit um den „Hockeystick“

Doch das „Climategate“ enthüllt nicht nur die „Wagenburg-Mentalität“ einiger renommierter Klimaforscher, nach Ansicht der Klimaskeptiker entlarvt es auch Grundannahmen zum Klimawandel als Fälschung. Was ist dran an den angeblich „tönernen Füßen“ von Mann, Jones und dem IPCC?

Die Hockeystick-Kurve: blau= Jahresringdaten, rot= Thermometerdaten © Mann et al. 1998, Nature 392:779-787

Einer der größten fachlichen Vorwürfe betrifft die so genannte „Hockeystick“-Kurve. 1999 von Michael Mann, Raymond Bradley und Malcolm Hughes erstmals in „Nature“ veröffentlicht, verdeutlicht die Kurve wie kaum eine andere den rasanten Anstieg der irdischen Temperaturen seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Zu sehen ist, wie nach einem eher gleichmäßigen Auf und Ab der Temperaturen in den letzten Jahrhunderten – vergleichbar dem Griff des Hockeyschlägers – die Kurve ab etwa 1900 steil ansteigt – ähnlich dem Fußteil eines solchen Schlägers.

Die von Mann, Professor für Meteorologie an der Pennsylvania State Universität, und seinen Kollegen entwickelte Kurve erscheint im Jahr 2001 auch prominent im dritten Weltklimabericht der IPCC. Hundertfach von der Presse reproduziert, wird sie geradezu zum Symbol des menschlichen Einflusses auf das irdische Klima. Doch genau diese Prominenz macht sie auch zum Angriffspunkt der Klimaskeptiker. Zu diesen Kritikern der Mehrheitsposition in der Klimaforschung gehören sowohl Angehörige etablierter Forschungseinrichtungen als auch fachfremde Einzelkämpfer oder eindeutig der Industrie nahestehende Gruppierungen.

Satire-Video auf Mann und den Hockeystick, lanciert von Klimaskeptikern © Youtube

„Korrigierte“ Kurve scheitert

Vor allem Steven McIntyre und Ross McKitrick, Wirtschaftswissenschaftler der kanadischen University of Guelph, attackieren Manns Kurve und werfen ihm 2003 sogar öffentlich Datenmanipulation vor. Er habe Daten ergänzt und statistisch ungenau gearbeitet, so der Vorwurf. Die beiden Kritiker versuchen 2004, eine in ihrem Sinne „korrigierte“ Kurve im Fachmagazin „Nature“ unterzubringen. In dieser wird sichtbar, dass die Temperaturen auch im 15. Jahrhundert bereits hoch lagen und daher die heutige Erwärmung keineswegs die stärkste der letzten tausend Jahre sei. Doch ihr Manuskript wird von den „Nature“-Editoren abgelehnt – peinlicherweise, weil sich ihre angeblich richtige Kurve als statistisch nicht haltbar und nicht reproduzierbar herausstellt.

Die Sache mit den „Proxy“-Daten

Dennoch wirft die Kritik Fragen zur Herkunft der Daten auf. Da die direkt gemessenen Klimadaten aus Wetterstationen nur seit etwa 1850 zur Verfügung stehen, müssen Klimaforscher für die Rekonstruktion des vergangenen Klimas auf indirekte Quellen zurückgreifen, so genannte „Proxies“. Im Falle der Hockeystick-Kurve sind dies vor allem Daten aus den Jahresringen von Bäumen. Da die Temperatur der Umwelt das Wachstum von Pflanzen beeinflusst, spiegelt die Breite der jeweiligen Jahresringe diese Bedingungen wieder. Dass diese Korrelation relativ genau ist, belegen unter anderem Vergleiche der direkt gemessenen Temperaturen mit den Jahresringdaten für das späte 19. Jahrhundert.

Jahresringe von Bäumen geben Aufschluss auf vergangenes Klima © SXC

Rätselhafte Diskrepanzen

Doch für die letzten Jahrzehnte der Kurve gilt diese Korrelation nicht mehr: Ab etwa 1960 folgen die Klimadaten von Bäumen der höheren Breiten der Nordhalbkugel nicht mehr den tatsächlich gemessenen Temperaturwerten, sondern liegen deutlich darunter. Würde man nur die Baumringe betrachten, ergäbe sich daher sogar ein leichtes Absinken für die letzten rund 50 Jahre. Um dies auszugleichen, ergänzten Mann und seine Kollegen ihre Kurve ab 1960 mit Temperaturdaten aus direkten Messungen. In einem Addendum kennzeichneten sie dies auch entsprechend.

Warum die Jahresringdaten in den letzten Jahrzehnten von den realen Temperaturen abweichen, weiß bis heute niemand. Rein theoretisch könnte dieses Auseinanderlaufen demnach auch schon in früheren Zeitperioden der Fall gewesen sein. Dann aber, so auch die Argumentation einiger Klimaskeptiker, ist nicht ausgeschlossen, dass der heutige Temperaturanstieg doch kein menschengemachter Sonderfall der Klimaentwicklung ist. Für eine Richtigkeit dieser Annahme gibt es allerdings keinerlei Hinweise. Stattdessen bestätigen andere Proxy-Daten, beispielsweise aus Eisbohrkernen oder Pollen, den in der Hockeystick-Kurve gezeigten vergangenen Temperaturverlauf.

Nadja Podbregar
Stand: 10.12.2010

Pfusch am Klimawandel-Symbol?

Der fatale „Trick“

Zehn Jahre nach der Veröffentlichung von Michaels Manns „Hockeystick“-Diagramm wird die Vorgehensweise des Forschers Phil Jones und seinen Kollegen von der Climate Research Unit zum Verhängnis. Denn in einer durch den Hackerangriff öffentlich gewordenen Mail aus dem Jahr 1999 schrieb Jones an einen Kollegen: „Ich habe gerade Mike’s [gemeint ist Michael Mann] Nature-Trick angewendet und die realen Temperaturen für die letzten 20 Jahre ergänzt, um den Rückgang zu kaschieren.“

Mike's Nature Trick... ©

Während Jones mit „Trick“ hier nichts Anrüchiges oder Verheimlichendes, sondern einfach einen Kniff zur besseren Darstellung meint, ist dies für die Medien und Klimaskeptiker gefundenes Fressen. Pauschal werden erneut die Hockeystick-Kurve und die Kernaussagen zum Klimawandel als auf Manipulation basierend hingestellt, Mann, Jones und Co. als „Klimaverschwörer“.

Ruf der Klimaforschung ruiniert

Auch die breite Öffentlichkeit ist jetzt gegen die Klimaforscher: In einer Internet-Umfrage mit 1.000 US-Bürgern im Dezember 2009 halten 59 Prozent es für sehr wahrscheinlich oder ziemlich wahrscheinlich, dass einige Forscher Daten gefälscht haben, um ihre Theorien und Meinungen über den Klimawandel zu belegen. Auch im traditionell Klimaschutz-bewussteren Europa schlägt die öffentliche Meinung um. Wenige Tage nach der Veröffentlichung der E-Mails halten 51 Prozent der 65.000 Teilnehmer einer Umfrage der schwedischen Zeitung „Aftonbladet“ die Bedrohung durch den Klimawandel für übertrieben dargestellt.

Klimaforscher Michael Mann © Greg Grieco / CC-by-sa 3.0

Kurve korrekt, Beschriftung mangelhaft

Als Reaktion auf diese Anwürfe muss sich nicht nur Jones, sondern auch Michael Mann vor verschiedenen Untersuchungskommissionen verantworten. Erneut werden die Hockeystick-Daten analysiert, reproduziert und – wie schon mehrfach zuvor – als korrekt befunden. „Sie zeigen die damals beste Schätzung dessen, wie sich die Temperaturen entwickelt haben“, erklärt Gabriele Hegerl, Klimaforscherin an der Universität von Edinburgh im Januar 2010 in „Nature“.

„Im Nachhinein hätten sie aber ein bisschen klarer darstellen können, wie das gemacht wurde, angesichts der Prominenz, die Diagramme wie dieses bekommen können“, kommentiert sie das Vorgehen von Jones et al. Denn im Gegensatz zu Michael Mann hatten Jones und seine Kollegen bei ihrer Hockeystick-Kurve nicht eigens kenntlich gemacht, wo die Baumringdaten aufhören und die Daten der Wetterstationen anfangen.

Grundaussage nicht tangiert

Doch diese Verfahrensfehler ändern nichts an der Kernaussage der Daten, wie Überprüfungen durch andere Forschergruppen und Reproduktionen auf Basis anderer oder größerer Datenmengen zeigen: Die Temperaturen sind seit Beginn der Industrialisierung so stark und schnell gestiegen wie seit tausenden von Jahren nicht mehr.

„Während die Proxy-basierten Rekonstruktionen ein kontroverser Bereich der Forschung bleiben, zeigen die Thermometer-Daten unzweifelhaft, dass sich die Erde erwärmt und liefern die Hauptbeweise dafür, dass dies der menschlichen Aktivität zu verdanken ist. Dieser Beleg bleibt unbestritten“, erklärt der Klimaforscher Hans von Storch im Dezember 2009 in einer Stellungnahme in „Nature“.

Nadja Podbregar
Stand: 10.12.2010

Das Rätsel der verschwundenen Stationsdaten

Wärmeinseln im Zwielicht

Die gehackten E-Mails bringen nicht nur die Hockeystick-Grafik in Misskredit. Auch eine weitere grundlegende Klimastudie – und ein beliebter Angriffspunkt von Klimaskeptikern – gerät ins Kreuzfeuer der Kritik. In dem 1990 in „Nature“ erschienenen Paper belegen Phil Jones und sein Koautor Wei-Chyung Wang, dass der so genannte Wärmeinsel-Effekt der Städte keine verfälschende Auswirkung auf die festgestellte globale Erwärmung hat.

Wärmeinsel Stadt: Im Zentrum wärmer, außen kühler © NASA

Die Sache mit dem Wärmeinsel-Effekt

Unter dem Wärmeinsel-Effekt verstehen Klimaforscher die Tatsache, dass in größeren Städten im Durchschnitt höhere Temperaturen herrschen als im ländlichen Umland. Ursache dafür ist unter anderem die gute Wärmespeicherung von Beton und Stein gegenüber der eher abkühlend wirkenden Vegetation. Gerade in der „Blütezeit“ der Klimaskeptiker, den frühen 1990er Jahren, vertraten diese die Ansicht, dass genau dieser Effekt – und nicht ein menschengemachter Klimawandel – für die vermeintlich ansteigenden Temperaturwerte verantwortlich sein müsse. Denn, so die Argumentation, die meisten Messstationen stünden heute in dichter besiedelten und daher eher dem Wärmeinsel-Effekt ausgesetzten Gebieten.

Die Studie von Jones liefert einen der wichtigsten Belege gegen diese Argumentation. Basierend auf Daten chinesischer Wetterstationen zeigt der Forscher, dass der Temperaturanstieg des 20. Jahrhunderts sowohl in städtischen wie auch in ländlichen Gegenden nachweisbar ist. Zur Auswahl seiner Stationsdaten erklärt er in der Veröffentlichung: „Wir wählten diejenigen mit wenig oder keinen Veränderungen in Instrumentierung, Ort oder Beobachtungszeiten.“

Blick in eine einfache Wetterstation © gemeinfrei

Falschaussage zu Stationsdaten?

Der gehackte E-Mail-Verkehr von Jones und seinen Kollegen enthüllt jedoch, dass genau diese entscheidenden Angaben zur Datenbasis offenbar nicht korrekt waren. Der Amateur-Klimatologe Doug Keenan wirft den Forschern vor, bewusst verheimlicht zu haben, dass zahlreiche der aufgelisteten Stationen ihre Standorte durchaus verändert haben. Nach Ansicht von Keenan – der eher dem Skeptikerlager nahesteht – stellt dies schlimmstenfalls die Grundaussage der Studie komplett in Frage, bestenfalls überführt es Jones und Co. der Lüge. Genau dies behauptet er auch belegen zu können und reicht im Sommer 2007 ein entsprechendes Manuskript bei der Fachzeitschrift „Energy and Environment“ ein. Gleichzeitig beantragt er eine Prüfung auf wissenschaftliches Fehlverhalten an der University of Albany, der Heimatuniversität von Wang.

Jones gerät daraufhin in Panik. Denn die Stationsdaten, die er und Wang unter der Hand von einem inzwischen in Ruhestand getretenen chinesischen Kollegen erhalten haben, sind zu diesem Zeitpunkt auch für sie nicht mehr erreichbar. Ihre eigenen Rohdaten sind verloren gegangen und die chinesischen Behörden geben offiziell nichts heraus.

Hektischer Mailwechsel

Wang beruhigt ihn in einer Mail: „Keenan fängt sich jetzt selbst in einer Falle, indem er darauf setzt, dass die Geschichte der Stationen nicht verfügbar ist und behauptet, die Stationen hätten sich stark verändert – was er nicht genau wissen kann. Wir stehen hier einer trickreichen Person und Gruppierung gegenüber. Der einzige Weg ist, die korrekten Prozeduren einzuhalten, um sie verrückt zu machen.“

Wenig ermutigend ist allerdings, dass Tom Wigley, Forscher an der University Corporation for Atmospheric Research (UCAR) und einer der führenden Experten für Klimadatenanalyse, in einer Mail an Jones durchaus Substanz in den Vorwürfen von Keenan sieht: „Mir scheint, dass Keenan da einen gültigen Punkt hat. Die Statements in den Publikationen, die er zitiert, scheinen inkorrekt zu sein und jemand – zumindest Wei-Chyung Wang – muss gewusst haben, das sie nicht korrekt waren.“

Wärmebild der Stadt Atlanta, aufgenommen von einem speziell ausgerüsteten Messflugzeug aus. © NASA/GSFC Scientific Visualization Studio

Grundaussage korrekt, Verhalten fragwürdig

Jones verteidigt sich gegen diesen Vorwurf: Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass sich die Standorte der Stationen geändert hatten. Zudem hätten sie nie behauptet, dass sich die Stationen überhaupt nicht verändert hätten, sondern hätten nur erklärt, dass sie diejenigen mit den geringsten Änderungen ausgewählt hätten. Doch da bis heute die Rohdaten der Studie nicht aufzutreiben sind, wirft der gesamte Vorfall ein denkbar schlechtes Licht auf die Integrität der Forscher, auch wenn die Prüfung durch das Komitee gegen wissenschaftliches Fehlverhalten an der University of Albany keine Verurteilung ausspricht.

Doch in einem Punkt erreicht der Klimaskeptiker Keenan sein Ziel nicht: Die Grundaussage der umstrittenen Studie kann er nicht dauerhaft in Zweifel ziehen. Sie wird 2008 durch eine im „Journal of Geophysical Research“ erscheinende Nachfolgestudie bestätigt: Auf Basis eines neuen, diesmal auch als Rohdaten erhaltenen Datensatzes belegt Jones gemeinsam mit zwei Kollegen erneut, dass der Wärmeinsel-Effekt der Städte keinen verfälschenden Einfluss auf die gemessenen Klimatrends hat.

Nadja Podbregar
Stand: 10.12.2010

Das Urteil der parlamentarischen Untersuchungskommission

Freispruch – mit Einschränkungen

Für viele Medien steht das Urteil zum „Climategate“ bereits fest, lange bevor es gesprochen wird: Für sie sind Phil Jones, Michael Mann und zahlreiche andere durch den CRU-Hack betroffene Klimaforscher von vornherein schuldig – wenn nicht der glatten Fälschung von Daten so doch zumindest der Vertuschung wichtiger Details und der „Kartellbildung“ gegen Vertreter unliebsamer Ansichten.

Unterstützung nur hinter den Kulissen

Auch von Seiten der Klimaforscher kommt zunächst nur wenig Unterstützung. Zwar beeilen sich viele klarzustellen, dass der Klimawandel als solches und auch das IPCC durch das „Climategate“ nicht in Zweifel gezogen werde. Über Jones und seine Kollegen vom CRU möchte jedoch keiner viel sagen. „Ich bekam zahlreiche unterstützende Botschaften von meinen Mitforschern. Und ich habe mich gewundert, warum sie nicht zu den Medien gegangen sind und dort das gleiche gesagt haben wie mir gegenüber“, schildert Jones die Situation in einem „Nature“-Interview im November 2010.

Phil Jones vor dem Untersuchungsausschuss: Der Klimaforscher wirkt um Jahre gealtert © Youtube-Video

„Nature“-Reporter David Adam berichtet über die Reaktion einiger britischer Wissenschaftler: „Im Privaten sagen sie, dass diese E-Mails böse aussahen. Und sollten die CRU-Forscher des Fehlverhaltens für schuldig befunden werden, wollten sie nicht mit hineingezogen werden.“ Ähnliches erklärt auch Paul Ehrlich von der Stanford Universität in Kalifornien: „Alle haben Schiss, aber sie wissen nicht was sie tun sollen“, so der Klimaforscher noch im März 2010.

Monatelang bleibt alles in der Schwebe. Jones, der nach Bekanntwerden der E-Mails von seinem Posten als Leiter des CRU zurückgetreten ist, erleidet einen Nervenzusammenbruch und kämpft gegen schwere Depressionen. Bei seinem Auftritt vor der parlamentarischen Untersuchungskommission im März 2010 wirkt er ausgezehrt und gebrochen.

Der Abschlussbericht: Kein Zweifel an Ehrlichkeit…

Dann endlich, im Sommer 2010 veröffentlicht die Untersuchungskommission unter Sir Muir Russell ihren Abschlussbericht zur „Climategate“-Affäre. Nach gründlicher Überprüfung von Dokumenten und Korrespondenz sowie zahlreichen Anhörungen kommen die fünf Kommissionsmitglieder zu dem Schluss, dass die Vorwürfe gegenüber den Wissenschaftlern an der Climate Research Unit (CRU) nicht gerechtfertigt sind. Nach Michael Mann, der sich einer ähnlichen Kommission an der Universität von Pennsylvania stellen musste, und dem IPCC, sind damit auch Jones und seine Kollegen „freigesprochen“.

„Ihre Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit als Wissenschaftler steht nicht in Zweifel“, erklärt Sir Muir Russel bei der Verkündung der abschließenden Bewertung. „Hier geht es um das, was sie getan haben, nicht um das, was gesagt wurde.“ Auch der Vorwurf des Missbrauchs der Peer Review und von Mauscheleien im IPCC-Prozess werden entkräftet. „Wir haben keinerlei Belege für Verhalten gefunden, das die Schlussfolgerungen der IPCC-Einschätzungen unterminieren könnte.“

Tatsächlich fanden die beiden Publikationen, die Jones in seiner E-Mail aus dem IPCC-Bericht 2007 fernhalten wollte, dennoch Eingang in den Berichtstext. In diesem Falle waren die Drohungen offensichtlich mehr heiße Luft als tatsächliche Handlungsabsicht. Der Chefredakteur des „Climate Research“ musste allerdings wirklich seinen Hut nehmen. Aber nicht, weil ein „Klimakartell“ ihn dazu zwang. Stattdessen stellte sich die schon von Jones beanstandete und dann trotzdem veröffentlichte Publikation als so fehlerbehaftet heraus, dass er als Verantwortlicher die Konsequenzen ziehen musste.

….aber Kritik an mangelnder Offenheit

Deutliche Kritik äußern die fünf Kommissionsmitglieder in ihrem Abschlussbericht allerdings an der „Wagenburg-Mentalität“ der CRU-Forscher. „Es gab ein konsistentes Muster darin, das passende Maß an Offenheit fehlen zu lassen, sowohl von Seiten der CRU-Wissenschaftler als auch von Seiten der Universität von East Anglia“, so Russel. Warum Jones allerdings in seinen E-Mails seine Kollegen ausdrücklich um die Löschung von Mails oder Daten bat, kann er bis heute nur ungenügend erklären. In einen Interview in „Nature“ erklärt er dazu im November 2010: „Das war wahrscheinlich einfach nur Leichtsinnigkeit („Bravado“). Wir dachten: Wenn sie dann noch nach mehr fragen, können wir das ebensogut einfach nicht mehr haben.“

Als fahrlässig, wenn auch nicht böse Absicht, kritisiert die Kommission auch das Fehlen von entsprechenden Beschriftungen im Diagramm der Hockeystick-Kurve von Jones et al. Zwar sei die Kurve korrekt und auch im Text des Artikels sei auf die Datenquellen hingewiesen worden, das Ergebnis sei aber dennoch missverständlich.

Offiziell ist Jones damit freigesprochen und rehabilitiert. Nachdem er für die Dauer der Untersuchungen von seinem Posten als Leiter des CRU zurückgetreten war, ist er inzwischen wieder im Amt, als Forschungsdirektor der Abteilung und damit mit weniger administrativen Aufgaben. Die FOI-Anfragen beantwortet nun ein anderer für ihn…

Nadja Podbregar
Stand: 10.12.2010

Die Spätfolgen des „Climategate“

Was bleibt?

Das „Climategate“ im November 2009 war nur der Anfang eines desaströsen Jahres für das Image der Klimaforschung. Kaum zwei Jahre nach dem Hoch durch den Friedensnobelpreis für Al Gore und das IPCC, torpedierten Pleiten, Pech und Pannen die Glaubwürdigkeit der etablierten Klimaforschung schlimmer als je zuvor.

Himalaja und Tibet © Nasa/ISS

Pannenserie beim IPCC

Im Januar 2010 geriet das IPCC wegen falscher Zahlen in seinem vierten Sachstandsbericht unter Beschuss. Im Kapitel zur zukünftigen Entwicklung der Gebirgsgletscher führte ein Zahlendreher dazu, dass das Ende der Himalaya-Gletscher für 2035 statt für 2350 vorhergesagt wurde. Einen weiteren Fehler meldeten IPCC-Wissenschaftler im Februar 2010 selbst: Im Weltklimabericht von 2007 fand sich der Satz: „Die Niederlande sind ein Beispiel für ein Land, das hochgradig gefährdet ist, sowohl durch den Meeresspiegelanstieg als auch durch Flusshochwasser, weil 55 Prozent seines Territoriums unter dem Meeresspiegel liegt.“ Das sei falsch, da nur 26 Prozent der Niederlande tatsächlich unter Normalnull liegen. Stattdessen müsse es heißen: „…weil 55 Prozent der Niederlande von Überflutung bedroht sind.“

Zwar betonte das IPCC in beiden Fällen, dass keine Grundaussagen des Berichts betroffen seien und diese Fehler Einzelfälle darstellen, doch der Schaden war angerichtet. Die Fehler gingen durch alle Medien, Klimaskeptiker aller Couleur nutzten beflissen jede Chance, um grundlegende Zweifel an der Seriosität und Verlässlichkeit der IPCC zu sähen. Möglicherweise mit Erfolg, wie sich im Verlaufe des Jahres 2010 zeigt:

Umfragetief für Klimawandel

So sank in den USA die Anzahl derer, die an eine globale Erwärmung glauben, von noch 71 Prozent im Jahr 2008 auf nur noch 57 Prozent im Januar 2010. Das ergaben Umfragen der Yale und der George Mason Universität in Virginia. In Großbritannien stellte die BBC fest, dass der Anteil der Briten, die an eine menschliche Ursache für die globale Erwärmung glauben, von 41 Prozent Mitte November 2009 auf nur noch 26 Prozent im Februar 2010 gefallen war.

Wintersonne © SXC

Allerdings sind nicht alle Forscher der Ansicht, dass diese Entwicklung, speziell in Europa, auf das „Climategate“ und die IPCC-Fehler zurückzuführen sei. Sie sehen vielmehr den letzten Winter mit seinen anormal kalten Temperaturen als stärkste Ursache: „Die Art, wie diese Leute entscheiden, ob der Klimawandel stattfindet oder nicht, passiert, indem sie den Finger aus dem Fenster halten“, erklärt Jon Krosnick von der Stanford University in Kalifornien im Juli 2010 in „Nature“. Der Psychologe erforscht die Wahrnehmung des Klimawandels in der Öffentlichkeit. „Wenn wir wieder ein heißes Jahr bekommen, werden die Zahlen [derer die an den Klimawandel glauben] wieder ansteigen.“

Aus Fehlern gelernt?…

Darauf allein wollen sich führende Wissenschaftsorganisationen in den USA und Europa allerdings nicht verlassen. Stattdessen versuchen sie nun, aus den Fehlern der CRU-Wissenschaftler zu lernen und die Kommunikation zwischen Forschung und Öffentlichkeit zu verbessern. In den USA arbeiten Klimaforscher inzwischen in der Non-Profit-Plattform „Climate Central“ mit Journalisten zusammen, um fundierte Klimastories in den Medien zu lancieren. Forscher der George Mason University haben in diesem Jahr ein Projekt gestartet, bei dem Meteorologen im Rahmen des Fernseh-Wetterberichts auch Klimafragen ansprechen sollen.

Dass solche Maßnahmen zumindest die öffentliche Meinung positiv beeinflussen könnten, glaubt auch Anthony Leiserowitz, Leiter der Klimaforschung an der Yale Universität. Ob dies allerdings reicht, um auch im Bewusstsein der Politiker und im Klimaschutz etwas zu bewegen, bezweifelt er: „Selbst wenn Klimawandel-Forscher plötzlich die Fähigkeiten eines Carl Sagan besäßen, komplexe Ideen der Öffentlichkeit nahezubringen, gibt es Grenzen dessen, was sie erreichen können. Es ist hochmütig anzunehmen, dass wir, nur weil wir besser kommunizieren, jetzt plötzlich die Welt verändern können.“

Durchbruch oder Debakel? - 16. UN-Klimakonferenz (COP16) im mexikanischen Cancún © COP 16

Cancun – die Klimakonferenz danach

Heute, ein Jahr nach dem Beginn des „Climategate“ und ein halbes nach dessen Ende, ist die Frage nach dem Klimawandel und seiner weiteren Entwicklung aktueller denn je. Die Hoffnung, ihn noch auf ein erträgliches Maß von vielleicht nur zwei Grad mehr beschränken zu können, ist jedoch so gering wie lange nicht mehr. Finanzkrise, Wirtschaftsprobleme und noch immer verhärtete Fronten blockeren jeden Fortschritt.

Im Rahmen der Klimakonferenz in Cancun diskutieren zurzeit erneut Politiker, Klimaforscher und Vertreter von Verbänden und Organisationen über geeignete Maßnahmen, ringen um Verpflichtungen und gemeinsame Ziele. Doch schon vor Ende der Konferenz scheint klar, dass auch in diesem Jahr der große Wurf, ein Nachfoger des Kypoto-Protokolls nicht kommen wird. Inwieweit vielleicht auch das „Climategate“ und die darauf folgenden Probleme dazu beigetragen haben, bleibt offen.

Nadja Podbregar
Stand: 10.12.2010