Die Welt der Riesenschlangen

Züngelnde Giganten

Boa constrictor © XPS420 / GFDL

Sie werden lang wie ein Bus, töten durch heftige Umarmungen und schlingen ihre Beute anschließend am Stück herunter: Riesenschlangen wie Anakonda, Boa und Python gehören zu den größten und spektakulärsten Tieren der Erde – und zu den rätselhaftesten.

In Horrorfilmen wie „Anaconda“ mit Jennifer Lopez sind Riesenschlangen die (ungeliebten) Stars und dürfen sich nach Herzenslust austoben. Doch die Imitate aus Pappmaché und Plastik haben meist nur wenig mit den Originalen in freier Natur gemein – sowohl was die Größe als auch was ihr Verhalten angeht.

Doch was macht eine Schlange eigentlich zur Riesenschlange? Welche Überlebenstricks setzen die Tiere ein? Wie schaffen sie es, ihre Organe quasi „auf Kommando“ wachsen zu lassen? Und vor allem: Sind Riesenschlangen wirklich Menschenfresser? Diese und viele anderen Fragen haben Wissenschaftler in den letzten Jahren beantwortet – mit überraschenden Ergebnissen…

Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010

60 Millionen Jahre alte Titanoboa als Weltrekordhalter

Die längste Schlange der Welt

Der Norden des heutigen Kolumbiens vor rund 60 Millionen Jahren. Feucht und mollig warm ist es inmitten des gewaltigen tropischen Regenwaldes – erstaunliche 32°C im Jahresdurchschnitt sind normal. Das Zeitalter der Dinosaurier ist seit einiger Zeit vorbei, doch noch immer wimmelt es hier von Giganten in der Tierwelt. Sie finden perfekte Bedingungen vor, um zu überleben und sich prächtig zu entwickeln.

Titanoboa © Jason Bourque / University of Florida

Krokodil im Überlebenskampf

Harmlose Riesenschildkröten gehören genauso dazu, wie urtümliche Krokodile mit ihrem massigen Körper und dem machtigen Gebiss. Unzählige dieser kaltblütigen Panzerechsen liegen am Rande eines Sumpfes träge in der Sonne. Doch der Frieden trügt, das zeigt sich schon bald. Denn es existiert hier noch ein Lebewesen, das von seinen Dimensionen her alle anderen in den Schatten stellt und äußerst gefährlich ist: eine Riesenschlange, so lang wie ein Schulbus und so schwer wie ein Pkw.

Längst hat sie Witterung aufgenommen und wartet reglos darauf, dass ein Opfer in ihre Reichweite kommt. Als sich endlich eines der Krokodile schläfrig nähert, läuft alles wie im Zeitraffer ab. Blitzschnell schießt der gigantische Schlangenkopf vor und packt kräftig zu. Nahezu zeitgleich windet die Schlange ihren Leib ein paar Mal um das überraschte Tier und setzt zum Würgegriff an. Verzweifelt versucht sich das Opfer zu wehren und aus der tödlichen Falle zu entkommen – vergeblich. Am Ende triumphiert die Riesenschlange und verschlingt ihre Beute mit Haut und Haaren.

Fossilien der Titanoboa © Ray Carson / University of Florida

So lang wie ein Schulbus, so schwer wie ein Pkw

Soweit das Szenario, das Paläontologen und Biologen für das Erdzeitalter des Paläozän vor 65,5 bis 55,8 Millionen Jahren entworfen haben. Die präzisen Vorstellungen von dieser Ära der Erdgeschichte basieren entscheidend auf Fossilien, die ein internationales Wissenschaftlerteam im Jahr 2009 in der so genannten Cerrejon Kohlenmine entdeckt hat. In dem Tagebau, in dem jährlich 33 Millionen Tonnen Kohle gewonnen werden, stießen die Forscher auf versteinerte Überreste, darunter die Wirbel einer rätselhaften Ur-Schlange, die sie auf den Namen Titanoboa cerrejonensis tauften.

Wie die Rekonstruktionen der Wissenschaftler um Jonathan Bloch von der Universität von Florida (UF) und Carlos Jaramillo vom Smithsonian Tropical Research Institute in Panama ergaben, handelt es sich dabei vermutlich um die größte und mächtigste Schlange, die jemals lebte. Vom Kopf bis zur Schwanzspitze waren es vermutlich rund 14 Meter und sie wog erstaunliche 1,25 Tonnen. Zum Vergleich: Die Titanoboa erreichte damit in etwa die gleiche Länge wie das berühmte T.rex-Skelett „Sue“ im Field Museum in Chicago.

So dick wie eine Liftfass-Säule

Doch damit nicht genug der Superlative: „Der Körper der Schlange war so dick, dass sie sich geradezu durch die Tür quetschen müsste, wenn sie in mein Büro kommen und mich fressen wollte“, so Jason Head, ein Paläontologe der Universität von Toronto, der ebenfalls an der Untersuchung der Fossilien beteiligt war.

„Vor unserer Arbeit hatte man im tropischen Südamerika keinerlei Wirbeltierfossilien aus der Zeit von vor 65 bis 55 Millionen Jahren gefunden“, erklärt Head die Bedeutung der Funde. „Dadurch wussten wir kaum etwas über das Leben in den nördlichen Neotropen. Jetzt haben wir ein Fenster in die Zeit direkt nachdem die Dinosaurier ausgestorben waren und wir können sehen, welche Eigenschaften die Tiere hatten, die sie ersetzten.“

Wirbelvergleich: Moderne Anakonda (links) und ausgestorbene Titanoboa (rechts) © Ray Carson / University of Florida

Krokodile als Leibspeise?

Dass die Titanoboa tatsächlich Krokodile fraß, schlossen die Forscher schon früh aufgrund von versteinerten Überresten der Panzerechsen, die sie am Fundplatz der Schlangenfossilien entdeckt hatten. Weitere Indizien für diese Theorie lieferte dann eine Studie aus dem Jahr 2010 in der Fachzeitschrift „Journal of Vertebrate Paleontology“. Darin hatten erneut Forscher der Universität von Florida und vom Smithsonian Tropical Research Institute die Krokodilrelikte näher analysiert und dabei eine Vorstellung von der Größe und dem Aussehen der Cerrejonisuchus improcerus genannten Krokodil-Art gewonnen.

Danach war das Tier um die zwei Meter lang und deshalb eine leichte Beute für die riesige Titanoboa. „Dieses neue Fossil war eindeutig ein Teil der Nahrungskette – sowohl als Räuber wie auch als Beute“, erklärt UF-Paläontologe Bloch. „Riesenschlangen sind heute dafür bekannt, dass sie Krokodile fressen. Und es ist nicht weit hergeholt, wenn man sagt, dass Cerrejonisuchus vermutlich eine häufige Mahlzeit der Titanoboa war. Fossilien dieser beiden Arten werden oft direkt nebeneinander gefunden.“

Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010

Legenden, Halbwahrheiten und Klischees

Riesenschlangen sind (keine) Menschenfresser

„Riesenschlangen haben die Phantasie der Menschen schon immer beflügelt, aber hier hat die Realität die Fantasien von Hollywood klar übertroffen. Die Schlange, die versuchte Jennifer Lopez im Film ‚Anaconda’ zu verschlingen, war nicht mal annähernd so groß wie die, die wir nun gefunden haben“, sagt Jonathan Bloch von der Universität von Florida, der entscheidend an der Entdeckung der 60 Millionen Jahre alten Titanoboa beteiligt war.

Anakonda (Eunectes murinus) © Ltshears / GFDL

„Anaconda“ – Fiktion statt Realität

Realität schlägt Fiktion: Das will schon etwas heißen. Denn die Regisseure des Horrorfilm-Genres geizen in ihren Werken wahrlich nicht mit Superlativen zu den Tieren – und sie verbreiten Legenden, Halbwahrheiten und Klischees über Riesenschlangen, die mit dem wahren Leben der Tiere so gut wie nichts gemein haben.

So wimmelt es im von Bloch genannten Thriller „Anaconda“ nur so von Fehlern und Gruseleffekten, die vor allem die Spannung erhöhen sollen, aber ansonsten frei erfunden sind. So kann eine Anakonda – eine der heute rund 70 Riesenschlangenarten weltweit -, gar keine in der Kehle gebildete Laute von sich geben, wie im Film mehrfach zu hören. Die Tiere peitschen auch nicht mit dem Schwanz im Wasser herum, geschweige denn können sie einen Menschen innerhalb einer Minute herunterwürgen.

Wie groß sind Riesenschlangen?

Eher der Sensationslust geschuldet denn Realität sind auch die meisten Größenangaben zu Riesenschlangen wie Anakonda, Python oder Boa – egal ob im Kino oder in Presseberichten. In der Regel entpuppen sich vermeintliche Rekorde von zwölf Metern oder mehr bei genauem Nachmessen als völlig übertrieben oder die Tiere sind plötzlich wie von Zauberhand ganz verschwunden.

Als größte Schlange der Neuzeit gilt unter vielen Experten deshalb ein im Jahr 1912 in Indonesien entdeckter Netzpython von 9,99 Metern Länge. Dabei handelte es sich nicht etwa um ein Männchen, sondern um ein besonders stattliches weibliches Tier. Dies ist kein Zufall, denn bei Riesenschlangen sind letztere in der Regel deutlich größer und schwerer als die „Herren der Schöpfung“. Schlangenforscher, so genannte Herpetologen, sprechen deshalb auch von einem ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus.

Menschen passen nicht ins Beuteschema

Alles Lüge also, was man so über Riesenschlangen hört und liest? Ja und nein. Das wird deutlich, wenn man einem weiteren häufig genannten Vorwurf auf den Grund geht: Riesenschlangen sind Menschenfresser. Unstrittig ist, dass schon des öfteren Kinder, aber auch Erwachsene von Anakondas oder Pythonschlangen getötet wurden. Grund dafür war allerdings meist wohl mangelnde Vorsicht oder Sorglosigkeit der Opfer im Umgang mit Riesenschlangen. Dass es die Tiere besonders auf Menschen abgesehen haben, ist dagegen nach Ansicht von Wissenschaftlern nichts als blanker Unsinn.

Mit Vorsicht zu genießen sind auch Meldungen, wonach Riesenschlangen regelmäßig Menschen auffressen. Eines der wenigen authentischen Beispiele für eine solche Schlangenmahlzeit stammt aus dem Jahr 1998. Auf der philippinischen Insel Mindoro war damals ein Einheimischer in der Abenddämmerung auf Fledermausjagd in den Wald gegangen. Doch schon bald hörten Dorfbewohner in der Dunkelheit verzweifelte Hilfeschreie. Dann war es plötzlich still.

Ein grausiger Fund

Die Entdeckung des grausigen Fundes am nächsten Tag schildert der Herpetologe Lutz Dirksen auf seiner Website anakondas.de so: „Am frühen Morgen wurde der Philippine dann gesucht und eine Blutspur führte zu einem Gebüsch, unter dem sie einen über sieben Meter langen Netzpython mit prall gefülltem Leib fanden. Sie töten die Riesenschlange und schnitten ihr den Bauch auf und sahen, dass ihre schlimmsten Befürchtungen wahr wurden. Im Verdauungstrakt fanden sie den Mann inmitten schleimiger Verdauungssäfte. Die Haut war bereits angeätzt und ein bestialischer Gestank soll sich verbreitet haben. An seinem linken Fuß befanden sich Biss-Spuren.“ Laut Dirksen ist nicht rekonstruierbar, ob der Netzpython zubiss, weil ihm der Mann im Dunkeln zu nahe gekommen war oder ob die Schlange bewusst angegriffen hatte, um ihn zu fressen.

Hypnose …

Einige Anakonda & Co zugeschriebene, meist negative, Eigenschaften lassen sich mit völlig harmlosen biologischen Phänomen erklären. So säuselt die Riesenschlange Kaa im 1967 entstandenen Disney-Film „Dschungelbuch“: „Hör‘ auf mich, glaube mir. Augen zu, vertraue mir! Schlafe sanft, süß und fein. Will dein Schutzengel sein! Sink‘ nur in tiefen Schlummer, schwebe dahin im Traum, langsam umgibt dich Vergessen, doch das spürst du kaum!“ Dabei schaut sie dem Hauptdarsteller Mogli, einem als Baby im Dschungel ausgesetztem Menschjungen, tief in die Augen. Kaa versucht ihn so zu hypnotisieren und in ein willenloses Opfer zu verwandeln. Allerdings vergeblich.

Rote Regenbogenboa (Epicrates cenchria cenchria) © Angela Rothermann / GFDL

… oder „böser Blick“?

Viele Naturvölker glauben auch heute noch immer, dass die Reptilien auch den „bösen“ Blick besitzen, der Tod oder Unheil über alle bringt, auf die dieser fällt. Hintergrund für den Aberglauben ist, dass Riesenschlangen – wie viele andere Schlangen auch – ihre Umgebung mit einem starren und oft auch grimmig oder bösartig wirkenden Blick fixieren. Die Erklärung dafür ist jedoch simpel. Denn die Tiere besitzen nicht wie der Mensch undurchsichtige und bewegliche Augenlider, sondern sie tragen eine Art unsichtbare „Brille“. Dabei handelt es sich um ein dünnes Häutchen, das immer geschlossen, aber dafür glasklar ist und die Augen der Reptilien schützt. Riesenschlangen können also aus biologischen Gründen gar nicht blinzeln, sie sind zum Starren „verdammt“.

Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010

Noch mehr Erstaunliches zu Riesenschlangen

Big Four and more…

Grüner Baumpython (Morelia viridis) © Marcel Burkhard / CC by-sa 2.0

Riesenschlangen besitzen viele Merkmale, die mindestens genauso so spannend sind wie die angedichteten Eigenschaften. Ein Beispiel: die Fähigkeit zum Farbwechsel. Diese ist unter anderem bei trächtigen Weibchen vom Grünen Baumpython und der Hundskopfboa regelmäßig zu beobachten. Statt im normalen Hellgrün oder Blau-türkis, zeigen sich die Weibchen der beiden Arten in dieser Lebensphase viel dunkler als gewöhnlich.

Forscher vermuten, dass die Tiere so ihre Energiebilanz verbessern, indem sie mehr Sonnenlicht – und damit Wärme – aufnehmen können. Das ungewöhnliche Schauspiel ist vorbei, wenn der Nachwuchs da ist. Dann kommt es zur Häutung und die Schlangen tragen anschließend wieder ihre normale Färbung.

Auch Jungtiere wechseln die Farbe

„Make up“ legen aber nicht nur die Frauen von Baumpython und Hundskopfboa auf, sondern auch die Jungtiere. So besitzen die frisch geschlüpften Babys der Baumpythons nicht einmal ansatzweise das typische grün der erwachsenen Schlangen. Stattdessen ist ihre Haut oft leuchtend gelb oder rot gefärbt. Erst nach einigen Monaten – manchmal sogar Jahren – nehmen sie dann das Standard-Outfit an. Warum es und wie es zu dem Farbwechsel kommt, ist heute noch weitgehend unklar.

Python reticulatus: Ein Netzpython wird bis zu zehn Meter lang © Mariluna / GFDL

Der sechste Sinn

Mindestens ebenso geheimnisumwittert wie der Farbwechsel war für Tierforscher lange Zeit auch der präzise Wärmesinn von Python oder Boa. Doch im Jahr 2010 sind Wissenschaftler der Universität von Kalifornien in San Francisco hier einen entscheidenden Schritt weiter gekommen. Bekannt war bereits seit längerem, dass Riesenschlangen – wie viele ihrer Vettern und Kusinen – Infrarotstrahlung wahrnehmen können und damit bis auf drei tausendstel Grad genaue dreidimensionale Wärmebilder ihrer Umgebung erzeugen. Damit schaffen sie es, selbst in tiefster Nacht, Beute und Geschlechtspartner zu orten und sogar zwischen diesen zu unterscheiden.

Ein Rezeptor für Wärme

Wissenschaftler wussten auch, dass der Sitz dieses sechsten Sinns der Riesenschlangen das auf den Ober- und Unterlippen thronende so genannte Labialorgan ist. In ihrer neuen Studie konnten die Zoologen um David Julius nun auch den zuständigen Rezeptor für die Infrarotsicht enthüllen. Das Protein TRPA1 befindet sich auf den Nervenfasern des Labialorgans und fungiert als Ionenkanal, der durch Wärme aktiviert wird. TRPA1 ist ein alter Bekannter, der unter anderem auch beim Menschen existiert. Dort ist der Rezeptor allerdings nicht für Wärme zuständig, sondern registriert den scharfen Geschmack von Senföl und Wasabi.

So weit so gut. Doch endgültig ist das Problem des sechsten Sinns der Riesenschlangen damit noch nicht gelöst. Denn Anakondas, die ebenfalls zur Tiergruppe der Boas gehören, verfügen nicht über Labialorgane und sind trotzdem in der Lage, Wärmequellen auch über größere Distanzen zu orten. Wie sie das schaffen? Die Wissenschaftler stehen (noch) vor einem Rätsel.

Heller Tigerpython beim Schwimmen © Paul Asman und Jill Lenoble / GFDL

Von Giganten…

Auf den ersten Blick verwirrend sind nicht nur einige Eigenschaften der Riesenschlangen, sondern auch die Zusammensetzung des „Familien-Clans“ an sich. Denn zu dieser Tiergruppe gehören zwar auch die „Big Four“, die Großen Vier in der Schlangenwelt: Der Netzpython, der Tigerpython, die Große Anakonda und der Nördliche Felsenpython, die allesamt mehr als sechs Meter Länge oder mehr erreichen.

…und Zwergen

Eine Cousine dieser Giganten, die Westliche Sandboa, wird jedoch gerade mal 80 Zentimeter groß und übertrifft damit unsere heimische Kreuzotter (70 Zentimeter) nur unwesentlich. Aber was macht eine Schlange zur Riesenschlange, wenn nicht ihre Größe? Entscheidend für die Einordnung durch Wissenschaftler sind auch Kriterien wie ein massiver Schädelbau oder ein vergleichsweise großes Maul. „Und die Bezahnung“, nennt der deutsche Biologe Mark Auliya in einer Radiosendung von SWR2 ein weiteres typisches Merkmal aller Riesenschlangen.

Ungiftige Riesen

„Denn die Zähne von Riesenschlangen sind nicht gefurcht, wie bei anderen Schlangen. Riesenschlangen sind ungiftig. Und die Zähne der Riesenschlangen sind vor allem markant nach hinten gebogen oder geneigt.“ Folge: Wenn sie sich festbeißen, können sie die Beute auch festhalten. „Ein zweites Merkmal bei den Riesenschlangen sind Reste von Hinterbeinen im Beckengürtel. Und das ist auch ein Beweis dafür, dass diese Schlangen mal Beine hatten“, so Auliya weiter.

Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010

Riesenschlange auf Nahrungssuche

Züngeln als Überlebenstrick

Wenn ein Mensch einem anderen seine Zunge raustreckt, gilt dies mindestens als unhöflich, wenn nicht gar als Beleidigung. Im Schlangenreich dagegen ist das völlig normal. Egal in welcher Lebenslage sich die Tiere befinden: Das Maul ist fast immer ein stückweit geöffnet und unaufhörlich bewegt sich die Zunge hin und her – die Schlange züngelt.

Mit der Zunge riechen

Auf den ersten Blick erinnert das Verhalten an einen Hund, der nach großer Anstrengung oder bei starker Hitze hechelt, um überschüssige Wärme los zu werden. Das Züngeln der Schlangen verfolgt jedoch einen ganz anderen Zweck: Die Tiere „riechen“ vor allem mit der Zunge.

Denn beim Züngeln nehmen sie aus der Luft selbst feinste Duftpartikel auf, die im so genannten Jacobson-Organ, das in einer Vertiefung im Gaumendach liegt, analysiert und ausgewertet werden. Dieser Geruchssinn der Schlange ist der menschlichen Nase um ein Vielfaches überlegen und fungiert als wichtiger Detektor bei der Nahrungs- oder Partnersuche.

Empfindliche Messgeräte

Denn auch ohne Hilfe der Augen können sich Schlangen nur durch das Züngeln räumlich orientieren. Sie erkennen sogar, ob ein identifizierter Geruch von rechts oder links auf sie einströmt. Das liegt daran, dass die Zungenspitze gespalten ist und die Tiere deshalb über gleich zwei empfindliche Sensor-Abteilungen verfügen. Mithilfe dieser nehmen sie selbst minimale Konzentrationsunterschiede bei den Duftmolekülen wahr und identifizieren so einwandfrei, aus welcher Richtung der Geruch kommt.

Hat eine der bis zu zehn Meter langen, 30 Zentimeter dicken und über zweihundert Kilogramm schwere Riesenschlangen dabei eine potenzielle Beute entdeckt, setzt sie meist auf das Motto „Ruhe bewahren“. Je nach Art gut versteckt im Wasser, am Rande eines Sumpfes oder im Geäst von Büschen und Bäumen harrt sie bewegungslos aus und wartet diskret im Verborgenen auf das Opfer.

Alligator und Tigerpython im Todeskampf © Lori Oberhofer / National Park Service

Riesenschlangen sind nicht wählerisch

„Ab einer gewissen Länge – und das fängt bei dreieinhalb Meter an –, da gehen diese Riesenschlangen zu größerer Beute über. Es würde also nie so sein, dass zum Beispiel ein fünf Meter langes Tier sich von 40 Ratten ernährt. Das würde eher ein großes Beutetier erbeuten. Jetzt ist es halt so, dass ein sechs Meter langer Python natürlich nicht wählerisch ist. Der nimmt im Prinzip das, was er antrifft“, erklärt der deutsche Biologe Mark Auliya in der Radiosendung „Im Reich der Riesenschlangen“.

Ein schnelles Zucken des Kopfes, ein Biss und der Vogel, das Wasserschwein, eine kleinere Schildkröte oder ein Alligator sind in sicherem Gewahrsam. Dann bleibt reichlich Zeit für die tödliche Umarmung…

Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010

Wie viel „Power“ hat eine Boa?

Das große Quetschen

„Big Squeeze“, das „große Quetschen“: Unter diesem Motto standen Experimente, die Professor Adnan Akay von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania, schon vor einigen Jahren durchgeführt hat. Darin ging es darum für eine BBC-Sendung den Druck zu ermitteln, den eine Boa maximal erzeugen kann, wenn sie eine Beute umschlingt und tötet.

Boa constrictor imperator © Jens Raschendorf / CC by-sa 2.5

„Constrict-o-Meter“ misst Boa-Kraft

Herzstück der Versuche im Jahr 2002 war ein so genanntes „Constrict-o-Meter“, das Akay schon zuvor zusammen mit seinen Studenten entwickelt hatte. Dabei handelt es sich um ein druckempfindliches Gerät mit einem äußerst sensiblen Sensor am Ende einer 30-Zentimeter langen Messsonde.

Die Kunst bei den Boa-Experimenten bestand nun darin, das Constrict-o-Meter möglichst optimal zwischen die Körperschlingen der Schlange und ihre Beute zu platzieren. Wenn sich dann die Boa zusammenzog, wurden die elektrischen Signale an einen Laptop weitergegeben und ausgewertet. Die Druckwerte – und ihre Veränderungen – wurden von den Forschern nahezu in Echtzeit am Bildschirm kontrolliert und überwacht.

Das Sechsfache eines starken menschlichen Händedrucks

Doch wie viel Kraft hat denn nun eine Boa? Die Ergebnisse des zweimonatigen Projekts im Zoo Pittsburgh waren erstaunlich. Danach ist eine 5,5 Meter lange Schlange in der Lage, einen Druck von einem Kilogramm pro Quadratzentimeter auf das bemitleidenswerte Beutetier auszuüben. Klingt auf den ersten Blick nicht viel, das entspricht aber immerhin etwa dem Sechsfachen eines starken menschlichen Händedrucks.

Atmung und Kreislauf k.o.

Die Kraft der Boa reicht deshalb locker für eine tödliche Umarmung aus. Denn bei jedem Ausatmen des Opfers ziehen sich die Körperschlingen der Boa weiter zu und drücken den Brustkorb der Beute zusammen. Schließlich stoppt der Blutfluss und das Luftholen wird unmöglich.

Fazit der Forscher: Riesenschlangen sind keineswegs – wie früher gedacht – Knochenbrecher, sondern setzen bei ihrem Würgegriff „lediglich“ das Herz-Kreislaufsystem und die Atmung der Opfer außer Gefecht.

Säugetiere wie Hirsche oder Wasserschweine halten dem Quetsch-Angriff der Riesenschlangen gerade mal ein paar Minuten stand, Krokodile oder Alligatoren dagegen überleben deutlich länger, weil sie weniger Sauerstoff benötigen. Ein Todeskampf kann dann schon mal mehrere Stunden dauern.

Albino eines Netzpython © SEWilco / GFDL

Vergleichende Untersuchungen stehen aus

Akay kommentierte die Ergebnisse seiner Experimente so: „Was ich persönlich dabei über diese Riesenschlangen gelernt habe, ist mehr als ich eigentlich je wissen wollte.“

Ob die von dem Pittsburgher Forscher ermittelte Boa-Kraft den Weltrekord im Reich der Riesenschlangen darstellt, oder ob es noch leistungsfähigere „Druckkünstler“ gibt, ist unklar. Denn an vergleichende Untersuchungen beispielsweise mit den meist viel größeren und muskulöseren Anakondas oder Pythonschlangen hat sich noch kein Wissenschaftler heran getraut.

Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010

Fressen und verdauen bei Riesenschlangen

Organe im Größenwahn

Anakonda, Boa, Python: So unterschiedlich die über 70 Arten von Riesenschlangen auch sein mögen, beim Fressen der Beute verhalten sie sich nahezu alle gleich. Das Grundprinzip beschreibt Stephen Secor, Biologe an der Universität von Alabama in Birmingham so: „Während die meisten Raubtiere in der Lage sind, zuerst zu kauen oder ihre Beute zu zerfetzen oder zu zerdrücken, schlucken Riesenschlangen immer das intakte Tier komplett herunter. Den ganzen Job, die Beute klein zu machen, überlassen sie ihrem Magen.“

Schon das Herunterwürgen des Opfers läuft dabei nach streng festgelegten Regeln ab. Zuerst verschwindet der Kopf im Schlangenleib, dann erst folgt der Rest des Körpers. Das hat den Vorteil, dass die erlegte Mahlzeit gut rutscht und sich weder Beine oder Flügel noch Stacheln auf dem Weg in den Magen verhaken können. Dies erklärt zwar, warum das Verschlucken weitgehend störungsfrei funktioniert, aber wie gelangt die große und massige Beute durch das vergleichsweise kleine Maul der Riesenschlangen? Möglich machen dies einige Besonderheiten des Kiefers:

Dunkler Tigerpython (Python molurus bivittatus) mit geöffnetem Maul © Mannes Fotos / GFDL

Nadelöhr Maul

„Beim Menschen und den meisten anderen Wirbeltieren verwachsen im Laufe der Embryonalentwicklung die Unterkieferhälften vorne zu einer festen Knochenverbindung. Bei Schlangen wird diese Verbindung nie geschlossen, sondern nur über elastische Bänder gehalten. Außerdem hat jede Unterkieferhälfte ein Gelenk in der Mitte und kann sich so der Form eines Beutetieres anpassen. Und sie ist nicht starr mit dem Schädel verbunden, sondern frei schwingend aufgehängt“, beschreibt Thomas Willke in einem Anakonda-Special der Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ einige der wichtigsten morphologischen Anpassungen.

„Zusammen mit den ebenfalls recht flexibel befestigten Oberkieferknochen besitzt das Schlangenmaul so eine unglaubliche Flexibilität. Nach dem Verschlingen einer Riesenbeute muss eine Anakonda mehrfach ‚gähnen‘, damit alle Bestandteile ihres Schädels wieder in die richtige Position rutschen“, so Wilke weiter.

Ein überdimensionaler Fleischklops wird zersetzt

Hat die Beute erst einmal das Nadelöhr Maul passiert, ist das Schwierigste geschafft. Im Magen wartet zunächst eine starke Salzsäurelösung auf den überdimensionalen Fleischklops. Sie wirkt intensiv auf die Nahrung ein und zersetzt sie nach und nach immer weiter. Doch das ist längst nicht der einzige Trick, den Riesenschlangen bei der Verdauung benutzen.

Dies hat der Wissenschaftler Professor Matthias Starck mit seinem Team von der Universität Jena bereits im Jahr 1998 bei Python-Experimenten enthüllt. Die Ergebnisse waren ebenso beeindruckend wie verblüffend. Denn die mit Kaninchen gefütterten Pythons verdauten ihre Nahrung im Eil-Tempo. Möglich wurde dies durch eine enorme Vergrößerung der inneren Organe unmittelbar nach dem Fressen der Beute. Innerhalb kürzester Zeit kam es dabei nach Angaben der Forscher zu einer Verdreifachung des Umfangs beispielsweise von Darm und Niere.

Ruhender Grüner Baumpython © Jens Raschendorf / CC by-sa 2.5

Darmzotten werden aufgepumpt

„Hat das große Fressen begonnen, fließt Lymphe in die Darmzotten. Diese werden wie ein Ballon aufgepumpt, entfalten sich, und der Darm dehnt sich innerhalb von zwei Tagen auf die maximale Größe aus. Die Durchblutung im Schlangendarm steigt; die Python kann besser verdauen. Jede einzelne Darmzelle verändert sich, sodass es nach der Mahlzeit plötzlich mehr Enzyme gibt, die die Nährstoffe in die Zellen transportieren. Außerdem verlängern sich auf den Darmzellen die sogenannten Mikrovilli, die aussehen wie kleine Bürsten und den Speisebrei nach Nährstoffen durchkämmen“, erklären Starck und seine Kollegen die Vorgänge im Schlangenleib. Nur Zähne, Haare und Krallen können dem ganzen Prozedere widerstehen und werden am Ende wieder ausgeschieden.

Ultraschall und Kernspintomographie

Den Geheimnissen der Verdauung auf die Spur gekommen sind die Zoologen mit einigen für die Tierforschung ungewöhnlichen Hilfsmitteln. „Wir durchleuchten die Schlangen mit modernsten medizinischen Geräten wie Ultraschall und Kernspintomographen“, erklärte Starck – heute an der LMU München tätig –damals im Spiegel. „Auf diese Weise können wir den Verdauungsvorgang am lebenden Objekt studieren. Und auch die Schlangen haben etwas von dem Einsatz moderner Technik: Im Gegensatz zu anderen Labortieren müssen sie nicht getötet und seziert werden.“

Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010

Pythons wechseln zwischen Turbo- und Normal-Modus

Heilfasten auf Schlangenart

Dass Riesenschlangen ihre inneren Organe quasi auf Kommando wachsen lassen können, haben Wissenschaftler mittlerweile in zahlreichen wissenschaftlichen Studien bestätigt – und sie haben weitere Beispiele für das Phänomen gefunden.

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Hypertrophie als Überlebenstrick

So wie im Jahr 2005 ein Team um Professor James Hicks von der Universität von Kalifornien in Irvine. Die Forscher entdeckten in einer Studie, dass auch die Herzmuskelmasse von Pythonschlangen innerhalb kurzer Zeit nach dem Fressen um bis zu 40 Prozent steigt. Verantwortlich für das schnelle Herzwachstum ist nach Angaben von Hicks die vermehrte Produktion eines bestimmten Proteins.

Dieses steht in Verbindung mit Zellen, die die Herzmuskelfasern vergrößern und dadurch letztlich auch die Pumpkapazität des Herzens erhöhen. Ein Syndrom, das beispielsweise auch bei Ausdauersportlern vorkommt und als Hypertrophie bezeichnet wird. Beim Menschen dauert dieser Anpassungsvorgang Wochen, wenn nicht Monate.

Herzwachstum im Turbo-Tempo

Die Pythonschlangen dagegen schaffen das innerhalb von 48 Stunden. Dann können sie pro Herzschlag bis zu 50 Prozent mehr Blut durch die Adern und Venen pumpen als unter normalen Bedingungen. Das verbessert unter anderem die Sauerstoffversorgung des Körpers und wirkt sich dadurch positiv auf alle mögliche Lebensvorgänge aus. „Einige Forscher haben von einer 44-fachen Zunahme des Stoffwechsels während der Verdauung berichtet“, konstatierte Hicks dann auch in seiner Studie.

Hoher Kalorienverbrauch

Alle diese raffinierten, aber aufwändigen Verdauungs-Tricks bleiben jedoch nicht ohne Folgen für die Energiebilanz. Ein Drittel bis die Hälfte der aufgenommen Kalorien werden dadurch gleich wieder verbraucht. Dennoch können Riesenschlangen nach einer üppigen Mahlzeit bis zu anderthalb Jahre überleben, ohne wieder Nahrung zu sich zu nehmen.

Warum das so ist, beschreibt der Zoologe Professor Matthias Starck zusammen mit Kollegen so: „Ist das Festmahl zu Ende, beginnt der Python mit dem Heilfasten. Er verbraucht kaum Stoffwechselenergie und erneuert dabei vollständig seine Darmzellen. Somit sind Fastenzeiten nichts anderes als notwendige Erholungsphasen für den Schlangendarm.“

Zurück in den „Normal-Modus“

Aber nicht nur dieser wechselt in den Normal-Modus zurück, auch die anderen „aufgepeppten“ Organe wie Leber, Niere oder Herz schrumpfen nach dem Ende der Verdauung fast genauso schnell wie sie gewachsen sind. Die Mechanismen, die diese umfangreichen Umbauarbeiten in die Wege leiten, sind noch weitgehend unklar und werden derzeit von Forschern weltweit untersucht.

Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010

Python & Co als unerwünschte Einwanderer

Riesenschlangen erobern Florida

Immer wieder gewaltige Hurrikans, Amokläufe von Alligatoren, Überfälle auf Touristen: Im U.S.-Bundesstaat Florida lebt es sich von jeher gefährlich. Seit ein paar Jahren jedoch müssen sich Touristen und Einheimische noch mit einem anderen ebenso ungewöhnlichen wie gefährlichen Problem herumschlagen: Riesenschlangen.

Tigerpython (Python molurus) – Ein Neueinwanderer in den USA © Roy Wood / National Park Service

Neue Heimat Florida

Das ist auf den ersten Blick verwunderlich, da solche Tiere normalerweise in Asien, Afrika, Australien und vielleicht noch in Südamerika leben. Doch längst haben sich auch die Vereinigten Staaten von Amerika zu einem Tummelplatz für solche Reptilien entwickelt. Genauer gesagt der Südosten des Landes. Neben Florida sind mittlerweile auch Louisiana und Mississippi von diesem Phänomen betroffen.

Dabei geht es nicht um einzelne Tiere, die sich in die Natur verirrt haben, sondern um eine regelrechte Pythonplage. Wie massiv die Invasion mittlerweile ist, zeigt ein Beispiel. So haben Schlangenexperten um Frank Mazzotti von der Universität Florida zwischen 2002 und 2005 „nur“ rund 200 Tigerpythons in und um den Everglades National Park herum gefangen oder tot aufgefunden. 2006-2007 hatte sich die Zahl bereits auf 418 mehr als verdoppelt.

Der Wildtierbiologe Skip Snow vom National Park Service in den USA schätzt, dass in Floridad vielleicht sogar 30.000 Tiere dieser Art wild leben. Mazzotti sieht das ähnlich und ergänzt: „Es gibt keinen Teil in diesem Staat, auf den man zeigen könnte, wo Pythonschlangen nicht leben könnten.“

Riesenschlangen erobern die Städte

Doch es ist längst nicht nur der Tigerpython, der die USA als Lebensraum erobert hat, erstaunliche acht weitere Arten von Riesenschlangen leben dort mittlerweile in freier Natur. Dazu gehören laut einer Studie des U.S. Geological Survey in Denver aus dem Jahr 2009 der Nördliche und der Südliche Felsenpython, Netzpython, Boa constrictor oder die Große Anakonda. Einige von ihnen haben sogar bereits die Vor- und Innenstädte mancher amerikanischer Metropolen in Besitz genommen. In Miami beispielsweise wurden laut dem neuen USGS Report bereits wiederholt Boa constrictor und Nördlicher Felsenpythons gesichtet.

Felsenpython © USGS

Doch woher stammen die unerwünschten tierischen Einwanderer? Einige von ihnen sind aus Zoos oder Zuchtfarmen ausgebrochen, andere aus privaten Terrarien geflüchtet. Doch die meisten wurden den Experten zufolge von Menschen schlicht und einfach ausgesetzt.

Ein Babypython kostet in den USA auf einer Reptilien-Messe gerade mal 20 US-Dollar, im Fachhandel sind es vielleicht 60 bis 80. Kein Wunder, dass die Tiere reißenden Absatz finden, denn aufgrund der attraktiven Farbmuster und der angeblichen Gelehrigkeit und Fügsamkeit sind sie als Haustier äußerst begehrt. Sage und schreibe 100.000 Tigerpython sind zwischen 1996 und 2006 zu diesem Zweck in die USA importiert worden.

Vom Winzling zum Giganten

Doch der Kauf eines jungen Python entpuppt sich für so manchen unerfahrenen Reptilienfreund als klassisches Eigentor: Denn aus dem vielleicht 50 Zentimeter langen Winzling wird innerhalb eines Jahres ein muskulöser 2,4 Meter-Räuber, der nicht nur Unmengen an Futter braucht, sondern auch jede Menge Kot produziert. Für viele Schlangenhalter ein ebenso teures wie arbeitsintensives Vergnügen. So manchem wird sein Python daher lästig und er wird irgendwo in der Natur „entsorgt“.

Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010

Maßnahmen gegen die Schlangenplage

Judas-Schlangen und Liebesdrogen

Egal ob ausgesetzt oder entflohen: Riesenschlangen wie der Tigerpython oder die Boa constrictor hatten in den USA kaum Schwierigkeiten in freier Natur zu überleben. Die Gründe dafür legte im Oktober 2009 eine Studie des U.S. Geological Survey (USGS) in Denver offen. Und noch eins machte der Report unmissverständlich klar: Die Riesenschlangen sind keine Bereicherung für die Tierwelt in den Staaten, ganz im Gegenteil.

Tigerpython auf dem Untersuchungstisch © Lori Oberhofer / National Park Service

Anpassungsfähige Riesenschlangen

„Was sie zu einer echten Bedrohung für einheimische Tiere und Ökosysteme macht, ist dass die Schlangen schnell geschlechtsreif werden, sehr viele Nachkommen produzieren, große Strecken zurücklegen und einen vielfältigen Speiseplan haben, auf dem auch die meisten heimischen Vogel- und Säugetierarten stehen“, erklärt Gordon Rodda vom USGS. Doch Riesenschlangen besitzen noch viele andere Vorzüge, die ihren Siegeszug begünstigten. Dazu gehören eine extreme Anpassungsfähigkeit an die Umweltbedingungen und die Möglichkeit, die verschiedensten Habitate zu besiedeln.

Und auch für die Zukunft sieht das USGS bei der Bekämpfung der Invasion eher schwarz. Denn der weiteren Ausbreitung der Tiere scheinen kaum natürliche Grenzen gesetzt. So kämen vom Klima her neben den bisher schon betroffenen Staaten wie Florida auch Texas, Hawaii und andere pazifische Inseln sowie Guam und Puerto Rico für eine Besiedlung in Frage. Einige Arten wie der Tigerpython würden dem USGS zufolge aber auch in den kontinentalen Gebieten Amerikas problemlos zurechtkommen.

Tötung als letzte Rettung?

Dass die Wissenschaftler um Rodda recht haben könnten, zeigt ein im Mai 2006 entdecktes neues Phänomen in Zusammenhang mit der Riesenschlangenplage. Denn längst haben es zwei eventuell sogar drei Arten – Tigerpython, Boa constrictor und Nördlicher Felsenpython – geschafft, sich in Florida in freier Natur fortzupflanzen. Den Forschern zufolge ein entscheidender Schritt zur dauerhaften Etablierung in einem neuen Lebensraum.

Allein in Florida wurden seitdem ein Nest und acht schwangere Riesenschlangen entdeckt. Alle gefundenen Tiere sind sofort von Experten eingeschläfert worden. „Wenn du weißt, dass sie brüten, ist Ausmerzung die einzige Lösung. Weibchen können Sperma aufbewahren und sind deshalb in der Lage, fruchtbare Gelege auf Jahre hin zu erzeugen. Und eine 50 Kilogramm oder mehr wiegende Schlange kann locker 60 bis 80 Eier pro Brutperiode produzieren“, nennt Schlangenexperte Frank Manzotti von der Universität Florida (UF) den Grund für die Tötungen.

Doch mit solchen Einzelaktionen kann man der Riesenschlangenarmada natürlich nicht Herr werden, das wissen auch Manzotti & Co. Sie versuchen deshalb zusammen mit einigen Kollegen mehr über die Ausbreitung der Tiere zu erfahren und die bisher besetzten Lebensräume zu enthüllen. Neben Radiotelemetrie und neuartigen Fallen sind dabei auch Beobachtungen von normalen Bürgern und bereits eingefangene Riesenschlangen eine wichtige Hilfe.

Mit Schlangen gegen Schlangen

„Judas-Schlangen“ nennt Mazotti letztere. Denn mit Funksendern bestückt, werden sie wieder in die Freiheit entlassen – aber nur um die Wissenschaftler zu anderen wilden Pythonschlangen zu führen. Die neue Methode brachte erstaunlichen Erfolg. Insgesamt zwölf Tigerpython konnten mithilfe von nur vier Judas-Schlangen in kurzer Zeit aufgespürt werden.

Die Forscher wollen deshalb dieses Verfahren in Zukunft verstärkt einsetzen, sie hoffen aber auch auf die Entwicklung eines künstlichen oder natürlichen Sexuallockstoffs. An bestimmten Stellen in großem Maßstab freigesetzt, soll er „liebestolle“ Pythons in Massen in vorbereitete Fallen locken.

Bis es soweit ist, wird es wohl noch ein Weilchen dauern. Bis dahin bleibt den Wissenschaftlern nichts anderes übrig als notfalls die Sache auch persönlich in die Hand zu nehmen. „…Wenn du einen Python siehst, musst du einfach irgendeinen Teil des Körpers zu fassen bekommen und hoffen, dass du stärker bist als der Python. Du musst den Kopf unter Kontrolle bringen, bevor er dich kriegt“, erklärt Mazotti die einigermaßen verwegen klingende Fangmethode. Doch: „Im Großen und Ganzen sind wir sehr, sehr erfolgreich damit“. Der Zoologe ist noch nie von einem Python gebissen worden – behauptet er zumindest.

Keine Hoffnung auf Ausrottung

Was die Beseitigung der Schlangenplage betrifft, ist Mazotti jedoch keineswegs allzu optimistisch. Er glaubt nicht, dass die Pythonschlangen und ihre Verwandten in absehbarer Zeit ausgerottet werden können. Stattdessen wollen die Wissenschaftler die Bestände kontrollieren und wenn nötig dezimieren. So sollen als Beute in Frage kommende einheimische Tieren wie die bedrohte Key Largo Woodrat oder der Waldstorch eine Überlebenschance erhalten.

Dieter Lohmann
Stand: 15.10.2010