Was tun gegen den Raumfahrtmüll im erdnahen Weltraum?

Weltraumschrott: Alarm im Orbit

Explosionen von abgestoßenen, ungenügend entleerten Raketentriebwerken sind eine der Hauptquellen von Weltraumschrott. © ESA

Es wird eng im Orbit: Gut 50 Jahre Raumfahrt im erdnahen Weltraum bescheren uns heute nicht nur Satelliten-TV, GPS und Weltraumteleskope. Sie haben auch hunderttausende von größeren und kleineren Schrottteilen hinterlassen, die zu einer enormen Gefahr für unbemannte, aber auch bemannte Raumfahrzeuge geworden sind.

Achtmal bereits musste die Internationale Raumstation ISS einem mit mehrfacher Düsenjetgeschwindigkeit heranrasenden Trümmerteil ausweichen, dreimal der ESA-Umweltsatellit Envisat. Schon ein Partikel von mehr als einem Zentimeter Größe könnte für die milliardenteure Technologie das Aus bedeuten, für die ISS-Besatzung im Extremfall sogar den Tod. Und das Risiko nimmt zu. Immer häufiger schlagen die Überwachungssysteme Alarm, denn die Trümmerwolken im Orbit wachsen inzwischen fast exponentiell.

Wenn nicht bald etwas dagegen unternommen wird, da sind sich die Experten inzwischen einig, dann ist eine sichere Raumfahrt in wenigen Jahrzehnten nicht mehr möglich. Jeder Versuch, die dichte Trümmerwolke zu durchdringen, gliche dann einem Himmelfahrtskommando. Aber was kann getan werden? Und wer muss es tun? Genau darüber wird seit Jahren diskutiert. Denn die Vermeidung und Entsorgung des Weltraumschrotts ist ebenso ein technisches, wie auch ein rechtliches und vor allem auch ein politisches Problem. Lösungen können hier nur in internationaler Zusammenarbeit gefunden und umgesetzt werden.

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010

Kleine Chronik der Weltraumschrott-Ereignisse

Verloren, explodiert und kollidiert

März 1958: der älteste Weltraumschrott

Als das älteste Stück Weltraumschrott gilt der Satellit Vanguard I, der am 17. März 1958 von den USA als ihr zweiter Satellit überhaupt in die Umlaufbahn geschossen wird. Nach sechs Jahren Laufzeit wird er 1964 abgeschaltet und kreist seitdem als Schrott im All.

Juni 1965: das gefährlichste Kleidungsstück der Geschichte

Gemini-4-Astronaut Edward White verliert bei seinem ersten Außeneinsatz einen Handschuh seines Raumanzugs. Das mit 28.000 Kilometern pro Stunde durch das All rasende Objekt geht als „gefährlichstes Kleidungsstück der Geschichte“ in die Annalen der Raumfahrt ein. Nach einem Monat sinkt er in die Atmosphäre ab und verglüht.

Januar 1978: Trümmerpfad über Kanada

Der russische Radarsatellit Kosmos 954, ein nukleargetriebener Meeresbeobachtungssatellit, sinkt wegen einer nicht erfolgten Antriebsabtrennung immer weiter ab und stürzt schließlich ab. Ein Großteil verglüht in der Atmosphäre, doch zahlreiche radioaktive Trümmerteile verteilen sich auf einem 600 Kilometer langen Pfad quer über den Nordwesten Kanadas. In Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Haftungsregelungen stellt die kanadische Regierung der Sowjetunion für die Bergungsmaßnahmen der Trümmerteile Kosten von sechs Millionen Dollar in Rechnung.

Januar 1996: Shuttle muss ausweichen

Astronauten an Bord des Space Shuttle „Endeavor” entgehen nur knapp einer Kollision mit einem gut 150 Kilogramm schweren Satellit der US Air Force. Ein in letzter Minute ausgeführtes Ausweichenmanöver lässt die abgeschaltete Sonde in weniger als acht Kilometern Entfernung vorbeitrudeln.

Juni 1996: Trümmerreichste Explosion

Die Explosion der obersten Brennstufe einer amerikanischen Pegasus-Rakete galt bis 2007 als schlimmster Trümmerfall im Orbit. Das in 630 Kilometern Höhe zerplatzende Triebwerk erzeugte mehr als 300.000 Fragmente größer als vier Millimeter und rund 700 per Radar beobachtbare größere Trümmerteile. Ein Großteil von ihnen kreist bis heute im Orbit.

März 2006: Weltraumschrott zerstört Satelliten

Der Kontakt der russischen Bodenstation mit ihrem Kommunikationssatelliten Ekspress-AM11 bricht am 29. März 2006 abrupt ab. Wenig später stellt sich heraus, dass der Satellit mit einem Stück Weltraumschrott kollidierte und dadurch beschädigt und trudelnd aus seiner geostationären Umlaufbahn katapultiert wurde.

September 2006: Loch im Shuttle

Bei einer Überprüfung der oberen Hülle des Space Shuttle Atlantis entdecken NASA-Ingenieure ein knapp drei Millimeter großes Loch in einem Radiator an der Innenseite einer der Türen der Ladebucht. Hätte der das Loch verursachende Mikrometeorit oder das Weltraumschrott-Teilchen eine der Radiatorleitungen getroffen, hätte das Shuttle vorzeitig die Mission abbrechen und landen müssen.

Januar 2007: China schießt eigenen Satelliten ab

China testet eine Antisatellitenwaffe an dem abgeschalteten Wettersatelliten Feng Yun 1C. Der in rund 800 Kilometern Höhe auf einem polaren Orbit fliegende Satellit zerplatzt und erzeugt eine Trümmerwolke, die bis heute zu einer der folgenschwersten gehört. Zehntausende Trümmerteile über einem Zentimeter Größe und möglicherweise Millionen von kleineren verteilen sich im Lower Earth Orbit.

Februar 2007: Russisches Triebwerk explodiert

Die Oberstufe einer russischen Proton-Rakete explodiert über Australien. Knapp ein Jahr zuvor hatte eine Fehlfunktion dieses Triebwerks einen für den geostationären Orbit bestimmten Satelliten abstürzen lassen, die defekte Oberstufe war dabei jedoch selbst in einen stark elliptischen Orbit geraten. Die Explosion verteilt rund 1.100 Trümmerteile daher über nahezu alle Höhen des Erdorbits.

Februar 2008: Satellitenabschuss durch die USA

Das US-Militär schießt am 20. Februar 2008 einen ihrer eigenen, ausgemusterten Spionagesatelliten ab. Die in einem sehr niedrigen Orbit fliegende Sonde zerplatzt, ein Großteil der rund 350 per Radar verfolgbaren Trümmer verglüht in der Atmosphäre, einige jedoch dringen durch und hinterlassen eine Trümmerspur im Nordwesten Kanadas und der USA. (Simulation eines Satelliten-Abschusses).

November 2008: Astronautin verliert Werkzeugtasche

US-Astronautin Heide Stefanyshyn-Piper verliert während eines Außeneinsatzes an der Weltraumstation ISS ihre Werkzeugtasche. Die 13 Kilogramm schwere und rund 100.000 Dollar teure Tasche kreist seither im Lower Earth Orbit und wird von Amateurastronomen weltweit beobachtet und verfolgt. Die amerikanische Website spaceweather.con hat die Tasche sogar in ihren Satellitentracker aufgenommen.

Februar 2009: Erste Kollision zweier Satelliten im Orbit

Erste Kollision zweier kompletter Satelliten im Orbit: Knapp 800 Kilometer über dem Norden Sibiriens stoßen am 10. Februar 2009 der amerikanische Kommunikationssatellit “Iridium-33“ und der russische Satellit „Kosmos-2251“ zusammen (Video). Beide werden komplett zerstört und hinterlassen eine Trümmerwolke, die sich über den gesamten Lower Earth Orbit ausbreitet. Sie ist bis heute für einen signifikanten Anstieg des Kollisionsrisikos in der Umlaufbahn verantwortlich.

Mai 2010: Ausweichen vor dem „Zombiesatelliten“

Zum ersten Mal gerät ein aktiver Satellit in der geostationären Umlaufbahn außer Kontrolle: Der Intelsat -Kommunikationsatellit Galaxy 15 driftet ostwärts durch den Orbit und blockiert durch Interferenzen Übertragungen benachbarter Satelliten. Der TV-Satellit AMC-11 muss deshalb Ende Mai seine Position verlassen und ausweichen, weitere werden gestört. (Video) Intelsat hofft nun, dass Galaxy 15 irgendwann komplett aus dem Orbit ausschert und das Problem damit quasi von selbst behebt.

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010

Weltraumschrott sorgt für Fast-Kollision

Alarm auf der ISS

Die Internationale Raumstation ISS umkreist die Erde in rund 350 bis 400 Kilometern Höhe. Achtmal bereits musste sie einem heranrasenden Schrottteilchen ausweichen. © NASA

12. März 2009, kurz vor 17:00 Uhr. Alarm an Bord der Internationalen Raumstation ISS, rund 350 Kilometer über der Erdoberfläche: Gerade hat die Bodenstation der dreiköpfigen ISS-Besatzung gemeldet, dass sich ein Objekt auf potenziellem Kollisionskurs mit der Raumstation befindet. Das nur gut einen Zentimeter große Metallstück stammt vermutlich von einem ausgedienten Zusatzantrieb einer Delta-Rakete oder eines Space Shuttles und rast nun mit gut zehn Kilometern pro Sekunde auf die ISS zu – dies entspricht der 36-fachen Geschwindigkeit eines Düsenjets. Schon in wenigen Minuten könnte es einschlagen.

Flucht in die Soyuz-Fähre

Die Wände der Raumstation sind zwar gegen Treffer von Objekten kleiner als einen Zentimeter gepanzert, aber alles, was größer ist, bedeutet eine akute Gefahr. Wird die Außenhülle durchschlagen, drohen Druckverlust und schlimmstenfalls der Tod eines oder mehrerer Besatzungsmitglieder. Der Russe Yury Lonchakov und die beiden Amerikaner Michael Fincke und Sandra Magnus müssen jetzt schnell handeln: Sie lassen alles stehen und liegen und steigen um in die angedockte russische Raumkapsel Soyuz TMA-13, ihr „Rettungsboot“. Sollte die Bodenstation die Kollisionswahrscheinlichkeit in den nächsten Minuten bestätigen, werden sie die Verbindungsluke schließen, abdocken und sich mit der Raumfähre in sichere Entfernung begeben.

ISS-Astronautin Sandra Magnus im Columbus-Modul. Sie arbeitete als Flugingenieur der Station, als die kurzzeitige Evakuierung nötig wurde. © NASA

Doch es geht noch einmal alles gut: Um 17:39 Uhr fliegt das Metallprojektil an der ISS vorbei statt einzuschlagen. Wenige Minuten später vermeldet die NASA: „Die Besatzung ist in die Station zurückgekehrt. Sie sind in keiner Gefahr mehr und das Schrottteil hat die Station passiert. Der normale Betrieb wurde wieder aufgenommen.“ So dramatisch das Ganze auch klingt – ein Einzelfall ist dieses Ereignis nicht. Schon achtmal in ihrer Geschichte musste die gesamte Raumstation ein Ausweichmanöver fliegen, um einem drohenden Einschlag eines Schrottteilchens zu entgehen. Auch diesmal wäre vermutlich ein solches Manöver fällig geworden, doch das nur schraubengroße Metallstück wurde von den Radarstationen am Boden zu spät entdeckt.

Fünf Ausweichmanöver allein 2009

Neben der ISS müssen immer wieder auch andere Raumfahrzeuge im Orbit solchen fliegenden „Schrottbomben“ ausweichen: Allein für 2009 meldete Nicholas Johnson, Chefwissenschaftler des Johnson Space Center der NASA, Kollisionsvermeidungsmanöver von gleich fünf verschiedenen NASA-Satelliten, darunter den wertvollen Erdbeobachtungssatelliten Landsat-7 und Aqua sowie dem Wettersatelliten Cloudsat. Für diese sensiblen, mit Hightech vollgepackten Sonden wäre schon ein Treffer im Millimetermaßstab ein schwerer Schaden, ein Einschlag von Zentimetergröße aber das Aus. Und die Wahrscheinlichkeit besteht: Raumfahrtexperten schätzen das Risiko für einen Satelliten, im Laufe seiner zehnjährigen Missionsdauer im Orbit von einem Teilchen der Größe oberhalb einem Zentimeter getroffen zu werden, auf immerhin zehn Prozent – Tendenz zunehmend.

2,5 mm großes Einschlagsloch im Solarsegel des Hubble-Teleskops. Dieses Solarsegel wurde 2002 nach gut acht Jahren im Weltraum geborgen und zur Erde zurückgebracht. Bereits zuvor, 1993, waren die Sonnensegel ersetzt und geborgen worden. © NASA

Solarsegel als „Trefferkartei“

Treffer durch Objekte von geringerer Größe sind dagegen fast schon Alltag im erdnahen Weltraum. Wie häufig solche Mini- und Mikroeinschläge stattfinden, zeigte sich unter anderem 1993, als eine Servicemission die Sonnensegel des in 600 Kilometer Höhe kreisenden Weltraumteleskops Hubble austauschte und die alten zur Untersuchung mit zur Erde zurückbrachte. Nach nur drei Jahren im Orbit war die Oberfläche der Solarpanels mit hunderten winziger Einschlagslöcher und -krater übersät.

Das allein wäre noch nicht wirklich überraschend, denn mit Treffern von Mikrometeoriten hatte man gerechnet. Brisant wurde es allerdings, als eine chemische Analyse enthüllte, dass rund die Hälfte dieser Treffer keines natürlichen Ursprungs, sondern menschengemacht waren: Sie stammten von Weltraumschrott im Minimaßstab, millimeter- und submillimetergroßen Metallteilchen. Trefferspuren in Bauteilen anderer Orbitalsonden sowie des Space Shuttles bestätigten diese Beobachtung. Aber woher stammen diese Winzlinge?

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010

Massenauftrieb im Erdorbit

Bald wegen Überfüllung geschlossen?

Nach gut 50 Jahren Raumfahrt, mit mehr als 4.800 Starts und rund 6.000 ausgebrachten Satelliten wird es langsam gefährlich eng im erdnahen Weltraum. Den vermeintlich „unendlichen Weiten“ droht eine Überfüllung. Geht die Raumfahrt mit unverändertem Tempo weiter wie bisher, könnte schon Ende dieses Jahrhunderts das Kollisionsrisiko mit Satelliten und Weltraumschrott so hoch liegen, dass Starts neuer Missionen nicht mehr stattfinden können. Dies prognostizierten bereits im Jahr 1999 Hochrechnungen in einem Technischen Report der UNO zum Thema Weltraumschrott.

Verteilung von Satelliten und größeren Schrottobjekten im erdnahen und geostationären Orbit © ESA

900 künstliche Trabanten…

Am wenigsten problematisch ist dabei noch die Zahl der tatsächlich aktiven Satelliten: Von ihnen gibt es gerade einmal knapp 900. Sie verteilen sich zum einen auf den erdnahen, „Lower Earth Orbit“ (LEO) in rund 200 bis 1.200 Kilometern Höhe. Hier ziehen beispielsweise das Weltraumteleskop Hubble und der europäische Erdbeobachtungssatellit Envisat ihre Bahn, aber auch Spionage- und Kommunikationssatelliten sowie die Internationale Raumstation ISS finden sich hier.

Weiter draußen, in knapp 36.000 Kilometer Höhe liegt der geostationäre Orbit. Wie Perlen auf einer Schnur reihen sich hier die GPS-Navigationssatelliten, viele Wettersatelliten aber auch Stationen zur TV- und Telefonübertragung in einem Ring längs des Äquators. Sie alle bewegen sich synchron zur Drehung der Erde und stehen daher ständig über dem gleichen Punkt der Erdoberfläche. Und ihre Anzahl wächst schneller als alles andere: Allein 2009 brachten Raketen und Shuttles rund 80 neue Satelliten in den Orbit, für die nächsten Jahre sollen für den geostationären Orbit weitere 100 hinzukommen.

Abgestoßene Raketenbrennstufen gehören wegen ihrer Explosionsgefahr zu den gefährlichsten Schrotteilen. Sie machen zusammen mit abgeschalteten Satelliten und missionsbedingten Kleinteilen 38 Prozent aller per Radar erfassbaren Schrotteile aus. © ESA

…und um ein Vielfaches mehr an Schrott

Leider aber sind die aktiven Satelliten lange nicht alles, was in diesen beiden orbitalen Hauptverkehrszonen herumfliegt. Denn nahezu jedes Objekt, was einmal in einen dieser Orbits hinaufgebracht wurde, bleibt hier Jahrzehnte bis Jahrhunderte lang, egal ob noch funktionierend oder nicht. In der Erdumlaufbahn finden sich daher bis heute hunderte von ausgemusterten Satelliten, darunter auch noch solche aus der Ära des kalten Krieges. Seit Jahrzehnten stillgelegt, war es bisher unproblematischer und billiger, sie einfach auf ihren Bahnen zu belassen. Ähnliches gilt für die ausgebrannten Oberstufen von Raketen, die – oft noch mit Treibstoffresten gefüllt – unkoordiniert im Orbit herumtaumeln. (Video: Explosion eines Triebwerks im Orbit)

Weitaus häufiger vertreten sind noch die unzähligen Relikte von Satelliten und Sonden, die im Missionsverlauf gezielt oder versehentlich freigesetzt worden sind. Das Spektrum reicht hier von abgesprengten Haltebolzen, Spannbändern oder Schutzklappen bis hin zu Schlackebrocken, Metallteilchen aus Raketentriebwerken und von der Außenhaut von Sonden abgeplatzten Farbpartikeln. Bis zu vier solcher Bauteile pro Mission, so schätzen Forscher, gelangten so bisher in den Orbit. Inzwischen hat sich diese Rate etwas verringert, da die meisten Betreiber und Staaten heute versuchen, diese unnötige Schrottproduktion zu vermeiden.

Knapp 18.000 Objekte von mehr als zehn Zentimetern Größe umfasst inzwischen allein der Katalog des US Space Surveillance Network, einem Netzwerk zur Weltraumüberwachung auf Basis von rund 25 Radaranlagen und Teleskopen. Ihre Bahnen sind bekannt und – wenn sie nicht durch Taumeln chaotisch und irregulär geworden sind – auch weitestgehend vorhersagbar.

Millionen fliegender Miniprojektile

Anders dagegen sieht dies bei den kleineren Weltraumschrott-Teilchen aus, hier können die Experten nur schätzen und aufgrund von Modellen hochrechnen. In der Größenordnung bis hinunter zu einem Zentimeter Größe gibt es demnach vermutlich mindestens 600.000, dazu könnten noch mehrere Millionen noch kleinerer Teilchen im Millimeter bis Mikrometermaßstab kommen. Ein Großteil dieser winzigen Partikel sind Trümmer, die erst in der Umlaufbahn entstanden sind: durch Explosionen von Treibstoffresten in Raketenoberstufen, aber auch durch Kollisionen anderer, größerer Schrottteile.

Insgesamt schätzen Experten die Menge des Weltraumschrotts auf rund 6.000 Tonnen. Und der größte Teil dieser orbitalen Müllhalde kreist ausgerechnet dort, wo sich die meisten und teuersten Satelliten befinden: in Höhen zwischen 600 und 1.000 Kilometern und damit dem oberen Bereich des Lower Earth Orbits.

Größenverteilung des Weltraumschrotts. Die Natrium-Kalium-Tropfen sind radioaktiv und stammen aus dem Kühlsystem von sowjetischen Satelliten der 1980er Jahre. Diese stießen nach Ende ihrer Lebenszeit ihren Reaktorkern aus und dabei entwich auch das Kühlmittel. Die Schlacketeilchen stammen dagegen aus Feststofftriebwerken, die sie gegen Ende ihrer Brennzeit vermehrt ausstoßen. © D. Rex / TU Braunschweig

Trümmer erzeugen Trümmer: der Kaskaden-Effekt

Doch damit nicht genug, entwickelt der Weltraummüll, einmal im All deponiert, auch ein fatales Eigenleben. „Selbst wenn man heute mit der Raumfahrt aufhörte, würde die derzeitige Trümmermasse im Orbit ausreichen, um immer neue Trümmer entstehen zu lassen“, erklärte Heiner Klinkrad, Leiter der Weltraumschrott-Abteilung bei der Europäischen Weltraumagentur ESA. Was dies bedeutet, darauf stieß der NASA-Forscher Donald Kessler bereits im Jahr 1978 – zu einer Zeit, als der Erdorbit im Vergleich zu heute noch geradezu leer war. Schon damals prognostizierte er, dass mit steigender Satellitendichte in der Umlaufbahn auch die Zahl der Kollisionen zunehmen würde. Und jede dieser Kollisionen würde wiederum Hunderte oder gar Tausende neuer Trümmerteilchen produzieren, die ihrerseits zu neuen Kollisionen führen könnten. Das Risiko für Treffer im All steigt damit nicht linear, sondern exponentiell an. (Video: Trümmerausbreitung nach einer Kollision)

„Es ist nichts komplexes an dem, was ‚Kessler-Syndrom‘ genannt wird. Es ist einfach die Art, wie die Natur früher auch eine ungeordnete Gruppe von kreisenden Gesteinsbrocken in ein geordnetes Sonnensystem umgewandelt hat“, erklärt Kessler den heute nach ihm benannten Effekt. „Obwohl die Natur uns alle paar Millionen Jahre mit einem Asteroiden oder Kometentreffer daran erinnert, dass dies noch nicht ganz abgeschlossen ist. Im Falle des Weltraumschrotts hat dieser Kollisionsprozess gerade erst begonnen.“

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010

Erste Kollision zweier Satelliten in der Erdumlaufbahn

Super-GAU im Orbit

Am 10. Februar 2009, fast genau einen Monat vor der Kollisionswarnung an Bord der ISS, erlebt die erdnahe Raumfahrt einen echten Super-GAU: 790 Kilometer über dem Norden Sibiriens rammt ein 16 Jahre alter, abgeschalteter russischer Satellit einen amerikanischen Telekommunikationssatelliten.

Bahnen von Kosmos 2251 und Iridium-33: Die Iridium-Satelliten bewegen sich alle in polaren Orbits, der alte Kosmos-Satellit ebenfalls. Über Nordsibirien kreuzten sich ihre Bahnen - leider zur gleichen Zeit auf der gleichen Höhe. © Analytical Graphics

Totalschaden in der Umlaufbahn

Der rund eine Tonne schwere „Kosmos 2251“ prallt fast im rechten Winkel auf den mit 560 Kilogramm gut halb so schweren US-Satelliten „Iridium-33“. Bei der Kollision sind beide Objekte mehrere zehntausend Stundenkilometer schnell, entsprechend gewaltig ist die freigesetzte Energie. Beide Satelliten erleiden Totalschaden und zerplatzen in hunderte von kleineren Trümmerteilen. „Dies ist das erste Mal, dass zwei intakte Raumfahrzeuge versehentlich aufeinandergestoßen sind“, erklärt Nicholas Johnson, Leiter des Weltraumschrottprogramms der NASA. „Das war ein schlimmer Tag für beide von ihnen.“

Noch schlimmer allerdings ist, dass sich dieser Zusammenstoß ohne Vorwarnung ereignet, aus scheinbar heiterem Himmel. Der Satellitenbetreiber Iridium bemerkt die Katastrophe erst, als er plötzlich den Kontakt zu seinem Satelliten verliert. Alarmiert durch eine Nachfrage seitens Iridium schauen die Zuständigen des Weltraumüberwachungsprogramms des US Strategic Command in ihren Daten nach. „Kurz danach berichtete unser Weltraumüberwachungszentrum, dass es zahlreiche neue Objekte im niedrigen Erdorbit bemerkt hätte“, erklärt Charlie Drey, Sprecher des Weltraumüberwachungsprogramms.

Für Heiner Klinkrad, Weltraumexperte bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in Darmstadt, war eine Kollision wie diese allerdings nur eine Frage der Zeit. „Wissenschaftler gehen davon aus, dass so etwas statistisch gesehen alle zehn Jahre ansteht“, erklärt er wenige Tage später gegenüber dem „Spiegel“.

Neue Trümmerteile (rot) durch die Kosmos-Iridium-Kollision. Sie gefährden inzwischen vor allem andere, ebenfalls auf polaren Orbits fliegende Iridium-Satelliten, aber auch Erdbeobachtungssatelliten wie Envisat von der ESA. © Analytical Graphics

Chaos ohne Verkehrsregeln

Und auch warum dies so ist, ist klar: „Es gibt keinerlei Verkehrsregeln, sondern alles fliegt durcheinander. Wir verlassen uns auf den puren Zufall, dass es zwischen den orbitalen Objekten nicht zu Zusammenstößen kommt“, erklärte schon 1999 Professor Dietrich Rex vom Institut für Luft- und Raumfahrtsysteme der TU Braunschweig. Der international renommierte Weltraumschrott-Experte ist seit 1996 Leiter des UN-Gremiums zu diesem Thema.

„Diese Vorgehensweise hatte ihre Berechtigung zu Beginn der Raumfahrt, als nur wenige Raumfahrtobjekte die Erde umkreisten“, so Rex weiter. „Als man froh über jeden geglückten Start war und die Raumfahrt nicht noch zusätzlich dadurch belasten konnte, dass man ihr kollisionsfreie Bahnen, das heißt Verkehrsregeln, vorschrieb.“ Inzwischen allerdings bedeutet diese lockere Haltung eine ernste Gefahr – nicht nur für die Satelliten im Orbit, sondern auch für jeden Start und jede Landung eines bemannten Raumfahrzeugs. Denn sie alle müssen die Gefahrenzone passieren: den erdnahen Weltraum.

Video: Kosmos-Iridium-Kollision und die Folgen

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010

Was macht die Schrottteilchen so gefährlich?

Der tödliche Handschuh

Der Witz vom Chirurgen, der sein Skalpell oder einen Tupfer im Körper seines Patienten vergisst, oder vom Handwerker, der einen Schraubenzieher zwischen den komplexen Teilen einer Maschine verliert, ist alt. Doch im Weltraum erhält er eine ganz neue Brisanz. Denn ab und zu kommt es tatsächlich vor, dass Astronauten bei Außeneinsätzen Teile ihrer Ausrüstung einbüßen. Aus der Hand gerutscht, trudeln sie davon und lassen sich ab einer bestimmten Entfernung nur noch unter akuter Lebensgefahr wieder einfangen.

November 2008: Die Werkzeugtasche von Astronautin Stefanyshyn-Piper driftet davon und kreist bis heute in der Umlaufbahn © NASA

Legendär ist beispielsweise der Handschuh, den Gemini-4-Astronaut Edward White 1965 beim ersten Raumspaziergang der US-Raumfahrt verlor. Das mit 28.000 Kilometern pro Stunde durch das All rasende Objekt ging als „gefährlichstes Kleidungsstück der Geschichte“ in die Annalen der Raumfahrt ein. Er kreiste einen Monat im erdnahen Weltraum, bis er in der Atmosphäre verglühte. Seit knapp zwei Jahren zieht sogar eine ganze Werkzeugtasche im Lower Earth Orbit ihre Bahn: Sie entschwebte im November 2008 der amerikanischen Astronautin Heidemarie Stefanyshyn-Piper bei einem Außeneinsatz an der Internationalen Raumstation.

Gaskanone im Riesenmaßstab

Das alles klingt eher kurios. Aber bei einer Fluggeschwindigkeit von rund zehn Kilometern pro Sekunde wird selbst der vermeintlich harmlose Handschuh zu einem tödlichen Geschoss. Wie groß die Durchschlagskraft selbst kleinster Teilchen bei solchen Geschwindigkeiten ist, zeigen Experimente mit Hochgeschwindigkeitskanonen. Forscher führen sie beispielsweise am Experimental Impact Laboratory der NASA in Houston, aber auch hier in Deutschland am Ernst Mach Institut der Fraunhofer Gesellschaft in Freiburg durch.

Leichtgaskanonen im Hochgeschwindigkeitslabor am Johnson Space Center der NASA in Houston. Sie dienen unter anderem dazu, die Schutzwirkung von Raumanzügen und Raumfahrzeughüllen gegenüber einschlagenden Partikeln zu testen. © NASA/ JSC

In den spezialverstärkten Laborräumen stehen gewaltige, zwölf bis sogar 29 Meter lange Leichtgaskanonen. Sie feuern nach dem Prinzip eines überdimensionierten Luftdruckgewehrs: Eine Sprengladung treibt einen Bolzen an, der durch ein Rohr mit unter hohem Druck stehenden Wasserstoffgas gejagt wird. Dadurch komprimiert sich das Gas weiter und schießt schließlich durch ein Ventil in den eigentlichen, unter Vakuum stehenden Lauf der Kanone. Es trifft dort auf das Projektil, eine wenige Millimeter große Kugel aus Aluminium, und katapultiert es mit Hochgeschwindigkeit auf das Ziel. Eine Spezialkamera zeichnet auf, was beim Einschlag geschieht.

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010

Wie werden Raumfahrtzeuge geschützt?

Schockwellen verflüssigen Metall

Einschlag einer 4 mm großen Aluminiumkugel mit 7,5 km/s in eine Doppelwand. Die Hochgeschwindgkeitsaufnahe zeigt, wie die Kugel in eine Trümmerwolke zerplatzt, bevor sie die zweite Wand erreicht. © ESA

Schon bei einem nur Millimeter kleinen Geschoss ist die bei einem Treffer freigesetzte Energie so groß, dass sich das Metall des Projektils – aber auch das des Ziels – kurzzeitig verhält wie eine Flüssigkeit. Schockwellen durchrasen das Material, bei einem Druck von Millionen Kilogramm pro Quadratzentimeter verflüssigt und verdampft es wie Quecksilber an der Sonne. Selbst extrem feste Materialien wie Kevlar, das unter anderem bei schusswaffensicheren Westen, aber auch zur Abschirmung von Satelliten und Raumsonden eingesetzt wird, können dieser Energie nicht standhalten. „Die dabei auftretenden Schockwellen können die ganze Satellitenstruktur zerreißen“, erklärt UN-Weltraumschrott-Experte Dietrich Rex die Konsequenzen.

Im Kanonenversuch durchschlägt das Projektil das Ziel und zerplatzt dabei zu einer Wolke von winzigen Trümmertröpfchen, die schnell wieder erhärten. Sind diese sekundären Teilchen klein genug, genügt schon eine zweite Abschirmungsschicht, um sie aufzuhalten. Die meisten Schutzschilde für Sonden und Raumfahrzeuge sind daher heute nach diesem Prinzip aufgebaut, nach ihrem Erfinder Fred Whipple auch als „Whipple-Shield“ bezeichnet. Oft müssen die Hochgeschwindigkeitsprojektile jedoch erst mehrere Lagen Schutzmaterial durchschlagen, bis sie ausreichend klein und damit harmlos sind.

Trefferrisiko für verschiedene Bereiche der ISS: rot: höchste Gefahr, blau: niedrigste Trefferwahrscheinlichkeit. Das japanische Labormodul Kibo (Ausschnittfoto) wurde an seiner gefährdetsten Seite mit einem gefüllten Mehrfachschild ausgerüstet. Allerdings hält auch dieser nur maximal 1,2 Zentimeter große Impaktoren auf. © NASA

Labormodul „Kibo“ nutzt gefüllten Schild

Deshalb nutzt auch der jüngste Zuwachs der ISS, das japanische Labormodul Kibo, ein Sandwich-Prinzip als Schutz: An seiner am stärksten durch Treffer gefährdeten Vorderseite liegen unter einer knapp 1,3 Millimeter dünnen Außenhaut aus Aluminium gleich mehrere „Bremslagen“ aus Kevlar und ähnlichen Hightechgeweben. Dann erst folgt mit einem kleinen Abstand die eigentliche Druckhülle des Moduls, bestehend aus einer knapp fünf Millimeter dicken Aluminiumlegierung.

Versuche mit einer Leichtgaskanone zeigen, dass diese verstärkte Schutzhülle bei einer Einschlagsgeschwindigkeit von rund zehn Kilometern pro Sekunde noch Objekte bis 1,2 Zentimeter Größe aufhalten kann. Alles was größer oder schneller ist, dringt durch. Immerhin erreichen die japanischen Raumfahrtingenieure damit fast die doppelte Schutzwirkung eines normalen, nicht gefüllten Whipple-Schilds.

Schutzwirkung des am japanischen ISS-Modul eingesetzten gefüllten und einfachen Whipple-Shield im Vergleich. © JAXA

Doch diese Sonderpolsterung hat auch mehr Gewicht als eine reine Aluminiumhülle. Und jedes Gramm mehr im Orbit bedeutet mehr Kosten. Für unbemannte Sonden und Satelliten lohnt sich dieser Aufwand daher meist nicht. Als Folge sind ihre Sensoren und lebenswichtigen Bauteile oft nur von dünnsten Aluschichten überzogen – und damit so gut wie gar nicht geschützt. Für sie bedeuten daher selbst millimeterkleine Objekte schon das Aus.

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010

Satellitenabschuss vervielfacht Trümmerbedrohung

Der „China-Schlamassel“

Der abgeschaltete chinesische Wettersatellit Feng Yun 1C wurde im Januar 2007 von China im Rahmen eines Tests einer Anti-Satellitenwaffe abgeschossen. © Federation of American Scientists

11. Januar 2007. Ein Bergbunker bei Colorado Springs in den USA. Im Hauptquartier des amerikanischen Weltraumüberwachungssystems ertönt ein Alarm: Plötzlich ist der chinesische Wettersatellit Feng Yun 1C, 1999 gestartet und bereits seit einiger Zeit ausgemustert, von den Radarbildschirmen verschwunden. Er umkreiste die Erde bisher auf einem polaren Orbit in rund 850 Kilometern Höhe, jetzt allerdings finden sich an seiner Position nur noch rund 40 Fragmente und eine sich ausbreitende Wolke von Trümmerteilchen. Hektische Betriebsamkeit bricht aus, selbst das Weiße Haus wird alarmiert.

Abschuss mit fatalen Folgen

Wenig später stellt sich heraus, dass der alternde Wettersatellit abgeschossen wurde – von China selbst. Schon seit längerer Zeit hat das chinesische Militär mit Satellitenabwehrsystemen experimentiert und einige bis dato erfolglose Tests mit entsprechenden Raketen durchgeführt. Jetzt hat ihr Antisatellitensystem offenbar endlich funktioniert. Allerdings mit fatalen Folgen: Denn das Ereignis löst nicht nur heftige Reaktionen und Proteste auf dem politischen Parkett aus, besonders seitens der Amerikaner, die eine Bedrohung für ihre Vormachtstellung im All fürchten.

Bahnen der größeren Trümmerteile einen Monat nach Abschuss des Feng Yun 1C-Satelliten. Die Trümmer dieses Ereignisses stellen nach Aussagen von ESA-Experten die schlimmste Fragmentation in der Geschichte der Raumfahrt dar. Für den ESA-SAtelliten Envisat erhöhte sich das Trefferrisiko dadurch um ein Drittel. © NASA Orbital Debris Program Office

Weitaus schlimmer ist das, was seither nicht nur metaphorisch, sondern ganz real in der Luft hängt: die Trümmerreste des abgeschossenen Satelliten. Schon wenige Tage nach dem Abschuss registriert das amerikanische Überwachungsnetzwerk eine Trümmerwolke, die von weniger als 200 Kilometern Höhe bis in mehr als 3.850 Kilometer Höhe reicht und sich damit weit über den Lower Earth Orbit hinaus ausgebreitet hat. Sprungartig steigt die Population der per Radar nachweisbaren Trümmerobjekte ab zehn Zentimeter Größe um 20 Prozent an, die der ein-Zentimeter-Objekte um geschätzte 35.000 Teile.

Selbstreinigung versagt

Besonders fatal an der Sache: Der Großteil der Bruchstücke fliegt auf Höhe des Ursprungsorbits des Satelliten, in rund 850 Kilometern Höhe. „Das bedeutet, dass diese Trümmerteile sehr langlebig sein werden“, erklärt NASA-Weltraumschrott-Experte Nicholas Johnson. Denn aus Modellen und Simulationen ist bekannt, dass in niedrigen Umlaufbahnen die dünnen Atmosphärenreste einen Abbremseffekt auf alle Objekte im Orbit ausüben. Im Laufe der Zeit werden diese immer langsamer, sinken dabei tiefer und treten irgendwann in die Atmosphäre ein, wo sie verglühen.

Durchschnittliche Verweildauer von größeren Schrottobjekten im Orbit. Ab einer Flughöhe von 800 Kilometern sind die Atmosphärenreste so dünn, dass kaum eine Abbremsung durch Reibung erfolgt. Deshalb können Objekte oberhalb dieser Bahnhöhe mehr als hundert Jahre im Orbit bleiben. © Dantor / CC-by-sa 2.5

Bei Bahnen von 200 bis 400 Kilometern Höhe kann dies schon innerhalb von Wochen oder Monaten geschehen, wenn kein Antrieb dafür sorgt, dass sie angehoben werden, wie beispielsweise bei der Internationalen Raumstation ISS der Fall. Bei Bahnen über 800 Kilometern Höhe ist die Gashülle der Erde jedoch so dünn, dass dieser „Selbstreinigungseffekt“ Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende braucht, um ein Objekt abzubremsen und verglühen zu lassen.

„Schlimmste Fragmentierung in 50 Jahren Raumfahrt“

„Jedes dieser Trümmer hat das Potenzial, die Mission eines operativen Raumfahrzeugs im niedrigen Erdorbit ernsthaft zu stören oder zu beenden“, so Johnson kurz nach dem Ereignis. „Diese Satellitenzerstörung repräsentiert die weitreichendste und schlimmste Fragmentierung in 50 Jahren der Raumfahrt.“ Noch schärfer formuliert es Jeffrey Lewis vom Belfer Center for Science and International Affairs der Harvard Universität. „Dies ist eine enorme Sauerei, was die Chinesen produziert haben. Es gibt keine Entschuldigung für eine so leichtsinnige, dumme und sinnlose Entscheidung.“ Denn die neu hinzu gekommenen Trümmer gefährden die Weltraumoperationen sämtlicher Raumfahrtnationen – China selbst mit eingeschlossen.

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010

Teuerster Satellit der ESA muss ausweichen

Gefahr für Envisat

Umweltsatellit Envisat der ESA: Er ist mit Gesamtkosten von rund 2,3 Milliarden Euro teuerste Satellit der ESA und ist durch seine Bahn in 790 Kilometern Höhe besonders durch Weltraumschrott gefährdet. © ESA

Die Europäische Weltraumagentur ESA schätzt, dass sich durch den Abschuss des chineischen Wettersatelliten im Jahr 2007 das Trefferrisiko für ihren Umweltsatelliten Envisat um knapp ein Drittel erhöht hat. Zusammen mit den Trümmern der russisch-amerikanischen Satellitenkollision von 2009 ist die Anzahl der potenziell gefährlichen Teilchen sogar um 60 Prozent größer geworden. Der mit Gesamtkosten von rund 2,3 Milliarden Euro teuerste Satellit der ESA kreist nur knapp unterhalb der Bahnen beider Ereignisse, in rund 790 Kilometern Höhe.

Zehn Mal im Jahr meldet inzwischen das Kollisionswarnsystem der ESA eine hochkritische Situation, basierend auf Radardaten und komplexen Bahnberechnungen für die größeren Schrottteile. Mehrfach schon musste das acht Tonnen schwere „fliegende Auge“, das rund 2.000 Projekte weltweit mit Erdbeobachtungsdaten versorgt, Ausweichmanöver fliegen. Jedes dieser Manöver jedoch kostet Treibstoff – und damit auch Lebenszeit für den Satelliten. (Video: Envisat-Kontrollzentrum Darmstadt)

Raketenteil auf Kollisionskurs

Richtig brenzlig wurde es für Envisat zuletzt im Januar 2010: Das Überwachungssystem meldete eine abgestoßene chinesische Raketenoberstufe auf möglichem Kollisionskurs. Das 3,8 Tonnen schwere Raketenbauteil schien sich direkt auf den ESA-Satelliten zuzubewegen, genaueres jedoch konnte das System nicht feststellen.

E-Mail mit Kollisionswarnungen für Envisat. Täglich werden auf diese Weise nahe Annäherungen von Schrottteilen an den teuren Satelliten gemeldet und ihr potenzielles Kollisionsrisiko ermittelt. © ESA

Jetzt war die Radaranlage TIRA im deutschen Wachtberg bei Bonn gefragt. Denn hier steht die zurzeit leistungsfähigste „Spürnase“ für Weltraumschrott, betrieben vom Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik: Zusammengeschaltet mit dem benachbarten Radioteleskop Effelsberg des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie kann der 240 Tonnen schwere und 34 Meter große Parabolspiegel des Großradars noch Teilchen von einem Zentimeter Größe orten und ihre Bahn metergenau berechnen. TIRA-Leiter Holger Leushacke und sein Team machten sich sofort an die Arbeit, um die genaue Flugbahn der chinesischen Oberstufe zu berechnen.

Ausweichen auf Kosten der Lebenszeit

Wenig später war klar: Das Schrottteil wird Envisat in weniger als 50 Metern passieren, möglicherweise sogar nur in 15 Metern – zu nah, um sicher gehen zu können, dass eine Kollision nicht stattfindet. Die Envisat-Verantwortlichen entschieden sich deshalb für ein Ausweichmanöver. „Wenn man sich die Dimensionen von Envisat anschaut, dann ist 15 Meter nicht sehr viel“, erklärt ESA-Experte Heiner Klinkrad in 3sat. „Das heißt, es war bei weitem nicht ausreichend, um ohne Manöver das Ereignis an uns vorüber ziehen zu lassen.“ 400 Gramm Treibstoff verbrauchte das rettende Manöver und kostete den milliardenteuren Umweltsatelliten damit einen Monat seiner maximal 15jährigen Lebenszeit.

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010

Was tun gegen die Vermüllung des Orbits?

Kampf dem Schrott

„Es ist wie jedes Umweltproblem: Es wächst. Wenn wir es nicht jetzt angehen, wird es nur schlimmer werden und die Maßnahmen in der Zukunft werden noch teurer, als wenn wir heute handeln“ – nein, die Rede ist hier nicht vom Klimawandel, auch wenn es so klingt. Stattdessen konstatierte dies NASA-Experte Nicholas Johnson bereits vor einigen Jahren zum Thema Weltraumschrott. Denn der Kessler-Effekt sorgt dafür, dass sich der Weltraumschrott kaskadenartig von selbst vermehrt – und dies selbst dann, wenn die Menschheit jede Art von Raumfahrtaktivität sofort einstellen würden. „Wenn Maßnahmen ungenügend eingesetzt werden oder zu spät, könnten einige Regionen im Orbit, vor allem in Höhen zwischen 800 und 1.400 Kilometern, schon innerhalb der nächsten Jahrzehnte Kollisionskaskaden erleben, die sie für Weltraumaktivitäten zu gefährlich machen“, mahnt denn auch die ESA.

Dichte von größerem Weltraumschrott im erdnahen Orbit (nicht maßstabsgerecht, Teile größer dargestellt). Dargestellt sind hier nur Teile von mehr als zehn Zentimetern Größe, die im Radarkatalog der US-Weltraumüberwachung erfasst sind. © ESA

Und die Botschaft scheint angekommen zu sein: Als US-Präsident Barack Obama Ende Juni 2010 die neue Weltraumstrategie seiner Regierung vorstellte, spielte der „Space junk“ zum ersten Mal überhaupt in einer solchen Erklärung eine der Hauptrollen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger George W. Bush betonte Obama erstmals die Notwendigkeit einer internationalen Kooperation im Erdorbit. Barry Pavel, leitender Beamter am National Security Council des Weißen Hauses erklärte in einer Pressekonferenz: „Diese Strategie soll die Produktion von neuem Schrott minimieren und Operationen erforschen, um zusammen mit anderen Ländern, den Schrott wieder zu entfernen.“

Ideen vorhanden, Umsetzung problematisch

Doch das Problem liegt, wie so oft im Detail. Denn in punkto Schrottentsorgung ist zurzeit weder klar, welche technischen Verfahren überhaupt machbar, geschweige denn finanzierbar sind, noch, wie das Ganze völkerrechtlich geregelt werden könnte. So präsentieren bei einer der ersten Internationalen Weltraumschrottkonferenzen im Jahr 2008 zwar rund 50 Forscherteams aus den USA, Frankreich, Russland, Deutschland und Japan ihre Konzepte. Doch auf Anhieb realisierbar ist keines davon. „Zurzeit hat sich keine der untersuchten Technologien als praktikabel erwiesen, entweder aus technischen oder/und aus ökonomischen Gründen“, erklärt Johnson am Rand der Konferenz. Er setzt ohnehin auf die Regenschirm-Taktik: „Um das gesamte Spektrum des orbitalen Mülls in allen Höhen zu behandeln, wird eine ganze Bandbreite von Weltraumschrott-Entsorgungstechniken nötig sein“, so der Forscher.

Einfangen mit Leinen und Netzen

Ideen dafür gibt es reichlich. So forscht die japanische Weltraumagentur JAXA zurzeit an einem „Active Removal Satellite“, der ausgebrannte Raketenstufen oder alte Satelliten mittels Roboterarm greifen und sie dann an die „Leine“ legen soll. Die Leine ist in diesem Fall ein rund zehn Kilometer langes Metallkabel, das mit den geladenen Teilchen der oberen Atmosphäre und dem irdischen Magnetfeld in Wechselwirkung tritt und dadurch das Schrottteil abbremst. Es fliegt dadurch immer niedriger und verglüht schließlich in der Atmosphäre. Erste Tests mit einzelnen Bauteilen dieses Systems haben die Japaner bereits erfolgreich absolviert, ein echter Prototyp steht allerdings noch aus.

Etwas exotischer, aber ebenfalls elektrodynamisch, ist ein vom US-Unternehmen Star Tech mit Unterstützung der DARPA, dem Forschungszweig des amerikanischen Militärs, erforschtes System. „EDDE“ – der Electrodynamic Debris Eliminator – besteht aus einer Art rotierendem Strangvehikel, das durch elektrische Ladungsdifferenzen und Sonnenenergie angetrieben wird und bis zu 200 feine Netze auswerfen kann. In diesen sollen sich dann Schrottteile, aber auch ganze Satelliten verfangen und deren Bahn verändert werden. Nach Schätzungen der Star Tech-Forscher könnten zwölf EDDEs im Orbit reichen, um innerhalb von sieben Jahren alle 2.465 identifizierten größeren Schrottbrocken aus der Umlaufbahn zu schaffen. Diese technisch reichlich ambitionierte Idee befindet sich allerdings erst im Rohstadium, erste Tests sollen frühestens 2013 durchgeführt werden.

Gossamer Orbit Lowering Device (GOLD) beim Absenken eines Forschungssatelliten (Computergrafik). Der huckepack mit dem Satelliten mitgereiste Ballon wird nach dessen Lebensende aufgepumpt und bewirkt eine verstärkte Abbremsung durch Reibung mit Gasteilchen. © Global Aerospace Corporation / NASA

Heliumballon als Bremse

Ebenfalls auf ein Abbremsen der Schrottteile setzen Wissenschaftler der kalifornischen Global Aerospace Corporation. Bei ihnen ist es allerdings ein rund 100 Meter großer Heliumballon, der für den nötigen Widerstand sorgen soll. Das im Juni 2010 vorgestellte System „Gossamer Orbit Lowering Device“, kurz „GOLD“ besteht aus einer hauchdünnen Spezialmembran und einem Aufpumpsystem, alles zusammen ein gerade mal handkoffergroßes Päckchen, das beim Start eines neuen Satelliten mit in den Orbit geschossen wird. Hat der Satellit das Ende seiner Lebenszeit erreicht, bläst sich der Ballon automatisch auf und entfaltet seine Bremswirkung.

„Wenn GOLD von allen Satelliten unter US-Verantwortung im Zeitraum von 2010 bis 2025 eingesetzt werden würde, könnte sich die Kollisionswahrscheinlichkeit im Lower Earth Orbit um bis zu 40 Prozent reduzieren“, erklärt das Unternehmen in einer Pressemitteilung. „Wir haben festgestellt, dass GOLD für De-Orbit-Maßnahmen von Satelliten bis in 1.200 Kilometer Höhe masse- und kosteneffektiver ist als chemische Antriebe.“ Das Verfahren ist bereits patentiert, aber eine Nachfrage seitens der Satellitenbetreiber fehlt bisher.

Laserkanone als Bremshilfe

Forscher des Marshall Flight Center der NASA setzen dagegen auf Laser, um trudelnden Schrottstücken genau das winzige Bisschen an Bremswirkung zu verleihen, das sie in eine tiefere Umlaufbahn und damit allmählich zum Verglühen bringt. Dafür könnten theoretisch sogar bodenstationierte Laserkanonen eingesetzt werden, was die Kosten pro beseitigtem Schrottstück auf wenige tausend Dollar drücken würde. In einem schon vor einigen Jahren veröffentlichten Bericht kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, „dass schon eine einzige rund 100 Millionen US-Dollar teure Laseranlage am Äquator allen Weltraummüll bis zu einer Höhe von rund 800 Kilometern in nur zwei Jahren eliminieren könnte.“ Bisher allerdings gibt es noch keinen Geldgeber, der diese 100 Millionen Dollar investieren will.

Andocksystem von "Olev" in Aktion (Illustration) © DLR

Docking-Dorn und Roboterarm

Sehr viel handfester gehen es ESA und das deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum DLR an. Denn sie wollen Räumsonden in den Orbit schicken, die abgeschaltete, aber auch irrtümlich auf falsche Bahn geratene aktive Satelliten direkt per Roboterarm und Dockingmanöver abschleppen. Der Orbitroboter „Smart Olev“ soll dafür mit Hilfe eines speziellen Dorns die Düsenöffnung des Satelliten ansteuern und sich dort festhaken. Einmal eingerastet, kann der „Abschleppdienst“ dann das Objekt beispielsweise in einen Friedhofsorbit weit oberhalb der geostationären Umlaufbahn schieben. Alternativ könnte er es auch durch gezielten Schub auf eine Bahn Richtung Atmosphäre und damit zu einem glühenden Ende bringen. Bisher existiert Olev allerdings nur in ausgefeilten Computermodellen und einzelnen Komponenten, frühestens 2013 wären erste Teststarts möglich.

Und noch einen Nachteil hat Olev: Der Abschlepproboter funktioniert nur bei Satelliten, die nicht bereits in chaotische Trudelbewegungen verfallen sind. Um diese zu greifen wäre Olevs Andock-Dorn viel zu langsam. Für diesen Fall arbeiten DLR-Wissenschaftler jedoch bereits an einem anderen System: einem Service-Satelliten mit Greifarm. „DEOS“, so sein Name, soll selbst außer Kontrolle geratene Objekte erwischen und dann mit seinem eigenen Antrieb aus der Gefahrenzone entfernen können. Im Februar 2010 vergab das DLR immerhin bereits Aufträge für die Entwicklung von fünf Kernkomponenten des Systems. Doch die Resonanz bei kommerziellen Satellitenbetreibern ist auch hier bisher eher gering.

Das allerdings hat auch politische Gründe…

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010

Juristische und politische Aspekte der Schrottentsorgung

Im rechtsfreien Raum

Tatort Lower Earth Orbit: In knapp 800 Kilometern Höhe zieht ein Kommunikations- und Nachrichtensatellit seine Bahn. Markierungen auf seiner Außenhaut charakterisieren ihn als Produkt eines chinesischen Betreibers. Plötzlich nähert sich ein weiteres Objekt, diesmal mit dem Signum eines US-amerikanischen Raumfahrtunternehmens. Langsam überbrückt es die letzten Meter Distanz, dann plötzlich klickt es: ein Greifarm hat angedockt. Der Neuankömmling startet nun unverzüglich seine Antriebsdüsen und schiebt den chinesischen Satelliten allmählich aber unaufhaltsam in die Tiefe – in Richtung Atmosphäre und damit der Zerstörung entgegen.

DLR-Greifer "DEOS" in Aktion: Hilfe oder Angriff? (Illustration des geplanten Einsatzes). Konzepte für das Ergreifen und "Abschleppen" kaputter oder aus ihrer Bahn geratener Satelliten könnten gegen die Zunahme des Weltraumscbhrots helfen. Doch auf aktive Satelliten angewendet wären diese Technologien auch eine Waffe. © DLR

Entsorgung oder feindlicher Übergriff?

Dieses Szenario ist noch reine Fantasie, doch was es so spannend macht, ist seine Interpretation: Was genau passiert hier? Ein harmloses Abschleppen eines Stücks Weltraumschrott? Oder etwa ein feindlicher Übergriff, die Ausschaltung eines voll funktionsfähigen Konkurrenten im Orbit? Diese Frage ist realer und drängender als es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Denn viele der bisher vorgeschlagenen und erforschten Anti-Schrottmaßnahmen lassen sich durchaus auch gegen funktionierende Satelliten und Sonden einsetzen. Damit werden sie zur Waffe.

„Alles, was hochsteigen kann, ein Schrotteil greifen und es wieder hinunterbringen kann, das kann auch den operativen Satelliten von Jemandem greifen und ihn herunterbringen“, erklärt Jerome Pearson vom Raumfahrtunternehmen Star Technology and Research. „Das ist auch eine Weltraumwaffe.“ Unter anderem deshalb ist der Erdorbit politisch noch immer ein viel zu heikles Parkett, als dass sich hier ein Staat im Alleingang vorwagen und damit möglicherweise dem Vorwurf eines aggressiven Akts aussetzen würde.

Schrott schwebt im rechtsfreien Raum

Auch die Frage der Haftung und Kostenübernahme ist bisher ungeklärt: Wer soll die teuren Räumaktionen bezahlen? Freiwillig dürfte da wohl kaum jemand „hier“ schreien. Solange die Raumfahrtnationen und kommerziellen Satellitenbetreiber nicht per Vertrag oder internationale Übereinkunft zum Zahlen oder Handeln verpflichtet werden, fließt das Geld für Entsorgungsprojekte spärlich, wenn überhaupt.

In Texas abgestürzter 250 kg schwerer Treibstofftank einer Delta-2-Rakete. Für solche Objekte und auch Schäden durch abgestüzte Satelliten gibt es eine Haftungsregelung. © NASA

Zwar regelt ein Vertrag aus dem Jahr 1972, dass Staaten für die Schäden aufkommen müssen, die ihre „Weltraumobjekte“ in der Luft oder durch herabstürzende Bruchstücke auf der Erde anrichten. Doch darüber hinaus gehende Haftungsregeln existieren bisher nicht, was den großen Raumfahrtnationen und Hauptschrottverursachern durchaus gelegen kommt. Auch was ein Weltraumobjekt im Sinne des Völkerrechts ist und was nicht, wurde bisher nicht genauer definiert. Es exiistiert nur die allgemeine Übereinkunft, dass es sich um „menschengemachte Gegenstände handelt, die für eine Tätigkeit im Weltraum bestimmt sind“. Weltraumschrott fällt nach Ansicht von Juristen hier bisher durch das Raster, gilt nicht als Weltraumobjekt im Sinne der damaligen Regelungen.

Internationale Lösungen gesucht

„Als die völkerrechtlichen Verträge rund ums Weltall geschlossen wurden, hat man an Weltraumschrott einfach nicht gedacht“, erklärt Stephan Hobe, Direktor des Instituts für Luft- und Weltraumrecht an der Universität Köln gegenüber der Süddeutschen Zeitung. „Da muss man ganz neu anfangen.“ Hobe und weitere Juristen, Weltraumforscher und Ingenieure trafen sich deshalb im April 2010 in Köln zu einer internationalen Konferenz, um konkrete Vorschläge für einen rechtlichen Rahmen zu erarbeiten, der den zukünftigen Umgang mit Weltraumschrott regeln könnte.

Zur Lösung des Haftungsdilemmas schwebt ihnen beispielsweise die Einrichtung eines Fonds vor, in den alle Raumfahrtnationen einzahlen und aus dem Entschädigungen gezahlt werden, wenn beispielsweise eines der Millionen winziger Trümmerteilchen einen Satellitensensor trifft und außer Gefecht setzt. Damit umginge man das Problem, den Ursprung jedes Schrottpartikels klären zu müssen – was in vielen Fällen ohnehin nicht möglich ist. Schon gar nicht, wenn das Teilchen selbst Resultat einer Trümmerkollision ist. Ob und in welcher Form ein solcher Fonds jedoch jemals kommen wird, ist fraglich. Denn die Staaten reißen sich bisher nicht gerade darum, sich in punkto Weltraumschrott eine gesetzliche oder andere verbindliche Regelung auferlegen zu lassen.

Friedhofsorbit (gelb) für ausgediente geostationäre Satelliten. Diese sollen nach Empfehlung und Selbstverpflichtung der Raumfahrtnationen ihren letzten Treibstoff für ein Anheben in diese Höhe am Lebensende einsetzen. Bisher ist dies bei rund der Hälfte der Satelliten im geostationären Orbit vorgesehen. © ESA

Selbstverpflichtung zur Schrottvermeidung

Bewegung gibt es in naher Zukunft daher vermutlich allenfalls auf der Ebene freiwilliger Verpflichtungen. Immerhin haben sich die Vertreter der UNO bereits im Jahr 2009 auf erste Grundregeln einer nachhaltigen Raumfahrt geeinigt. Sie zielen allerdings bisher nur darauf ab, die Entstehung neuen Weltraumschrotts im Missionsverlauf und danach zu vermeiden. So sollen zukünftig alle Satelliten im geostationären Orbit ihren letzten Treibstoff dafür einsetzen, sich in einen 100 Kilometer höher gelegenen Friedhofsorbit zu katapultieren, bevor sie endgültig abschalten. Im niedrigen Erdorbit dagegen sollen Vorkehrungen getroffen werden, die Satelliten entweder kontrolliert absinken lassen, damit sie verglühen, oder aber sie in einen ungefährlichen Parkorbit oberhalb von 2.000 Kilometern hieven.

Vorreiter in dieser Hinsicht ist die ESA, die bereits seit Mitte der 1990er Jahre alle Raumfahrzeuge im Lower Earth Orbit am Ende ihrer Lebenszeit entsprechend entsorgt. Zusätzlich sind alle ihre Raketentriebwerke mit speziellen Restentleerungsmechanismen ausgerüstet, die verhindern sollen, dass Treibstoffreste in den ausgestoßenen Tanks explodieren und so neue Trümmerwolken produzieren.

Dass all dies nicht reicht, um langfristig eine sichere erdnahe Raumfahrt aufrechterhalten zu können, wissen auch die ESA-Verantwortlichen. „Langfristig ist die einzig effektive Methode, die Weltraumschrott-Situation auf einem sicheren Niveau zu stabilisieren, das Entfernen von Masse aus den Regionen mit den höchsten Objektdichten“, konstatiert sie auf ihrer Website. Nur die Kombination von Vermeidung und Entsorgung, und dies möglichst breit angelegt und zügig, könne ein unkontrolliertes Wachstum des Müllproblems verhindern. Wie schnell dieser Erkenntnis – auch bei den anderen Raumfahrtnationen – Taten folgen werden, bleibt abzuwarten…

Nadja Podbregar
Stand: 03.09.2010