Das GFZ und sein Global Change Observatory Zentralasien

Deutsche Geoforscher im Tien-Shan

Gletscher im Tien-Shan-Gebirge © Edda Schlager

Sie liegt auf 3.400 Meter Höhe im Tien-Shan-Gebirge, ihr direkter „Nachbar“ ist der riesige Inyltschek-Gletscher und sie soll das Herzstück des neuen Global Change Observatory des Deutschen GeoForschungsZentrums Potsdam werden: die Gottfried-Merzbacher-Forschungsstation, die in diesem Jahr ihren Dienst aufgenommen hat.

In den nächsten Jahren wollen die deutschen Wissenschaftler zusammen mit kirgisischen Kollegen den Klimawandel, Gletscherphänomene und Erdbeben erforschen. Doch warum gerade in Zentralasien?

Rund 30 Wissenschaftler, Alpinisten und technische Helfer aus Deutschland und Kirgistan waren an der Expedition „Inyltschek 2009“ beteiligt. Drei Wochen lang harrten sie auf einem steilen, nur wenige hundert Quadratmeter großen Stück Wiese direkt neben dem Inyltschek-Gletscher aus. Sie wohnten in Zelten, und schreckten nachts vom Lärm auf, wenn wieder eine Lawine in der benachbarten Schlucht abging oder ein riesiger Eisblock in Stücke zersprang.

Das Ziel der Expedition: Der Aufbau der Gottfried-Merzbacher-Station, die in den kommenden Jahren als Basis für das Global Change Observatory (GCO) dienen soll, einem Gemeinschaftsprojekt des Deutschen GeoForschungszentrums Potsdam (GFZ) und des Zentralasiatischen Instituts für Angewandte Geowissenschaften (ZAIAG) in Bischkek, der kirgisischen Hauptstadt.

Seit Jahren arbeiten die deutschen Forscher mit den Kollegen in Zentralasien zusammen und haben neben dem Klimaobservatorium auch zahlreiche weitere Projekte initiiert. Sie wollen die klimatisch, hydrologisch und seismologisch bedeutsame Region genauer als bisher untersuchen und so auch globale Zusammenhänge besser verstehen.

Edda Schlager / Tengri.de – Berichte, Analysen und Reportagen aus Zentralasien
Stand: 30.10.2009

Aufbau der Merzbacher-Station

Sieben Container am Propeller

Ein Container fliegt an © Edda Schlager

Endlich! Der Hubschrauber kommt! Und unten dran am Helikopter schaukelt ein grauweißer Container. Fast drei Wochen lang haben die deutschen und kirgisischen Wissenschaftler auf der „Poljana“, einer kargen Almwiese, dem zentralen Expeditionslager auf 3.400 Metern Höhe, auf diesen Moment gewartet.

Deutscher Forscher als Namensgeber

Ziel der Expedition des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ in Potsdam und des Zentralasiatischen Instituts für Angewandte Geowissenschaften (ZAIAG) ist es, hier oben direkt neben dem Inyltschek-Gletscher eine neue Forschungsstation zu errichten. Die „Gottfried-Merzbacher-Station“ – benannt nach dem gleichnamigen deutschen Forscher, der Anfang des 20. Jahrhunderts den Tien-Shan erkundete – wird das Kernstück des neuen Global Change Observatory (GCO) werden.

GFZ und ZAIAG wollen das Hochgebirgsobservatorium künftig gemeinsam betreiben. „Doch“, so Expeditionsleiter Ulrich Wetzel vom GFZ „wollen wir das Observatorium natürlich zu einem internationalen Projekt ausbauen. In Zukunft sollen auch Wissenschaftler der anderen zentralasiatischen Länder sowie Russlands, Chinas, Tschechiens und weiterer Länder beteiligt sein.“

Sicherheit geht vor

Vier Männer ziehen den Container in die richtige Position © Edda Schlager

Noch ist es jedoch nicht so weit. Während der kirgisische Projektleiter des ZAIAG, Alexej Dudashwili, mit Walkie-Talkie und orangefarbenem Schutzhelm etwas abseits steht, haben sich vier Männer – ebenfalls mit Schutzhelmen – an den erst vor wenigen Tagen in schweißtreibender Handarbeit einbetonierten Stützpfeilern postiert. Die Stahlstreben sind die Fundamente für die Container, die künftig als Arbeits-, Schlaf- und Lagerräume dienen sollen. Dudashwili gibt den Arbeitern aus der Entfernung Anweisungen, stets besorgt um die Sicherheit der Männer, die hier einen nicht alltäglichen Job erledigen.

Mit Ohren betäubendem Lärm nähert sich der Hubschrauber, der Container schaukelt gefährlich hin und her, die vier Stahlseile, die ihn am Hubschrauber halten sind gespannt. Einer der kirgisischen Piloten liegt an der offenen Hubschraubertür, um die Position über dem Fundament besser einzuschätzen.

Erster Anlauf – missglückt!

Langsam senkt sich der Hubschrauber nun herab, die vier Mann unten werden vom Wind, den der Propeller verursacht, fast weggeweht. An den Ecken des Containers hängen vier weitere Seile, die die Männer packen, als der Helikopter nur noch wenige Meter über ihnen schwebt. Sie versuchen, den Container in die richtige Position zu ziehen.

Doch irgendetwas stimmt nicht! Die Tür zeigt nach Süden und nicht, wie vorher vereinbart nach Westen. Der Container passt nicht auf das Fundament!

Nachdem Piloten und die Männer am Boden einige Minuten vergeblich versucht haben, den Container aufzustellen, dreht der Helikopter ab. Frustriert stellen die Piloten die Last schließlich am anderen Ende der „Poljana“ ab und landen erst einmal zur Lagebesprechung.

Schließlich klärt sich die Sache: Die Piloten hatten den Container falsch an den Hubschrauber gehängt. Da sie mit dem Hubschrauber am steilen Talhang nur in einem bestimmten Winkel in der Luft „stehen“ können, ist das Unternehmen beim ersten Anlauf gescheitert.

Die Container stehen! © Edda Schlager

An diesem Tag sind die Piloten so erschöpft, dass sie zunächst unverrichteter Dinge zurück zur Hubschrauberbasis fliegen, die sich ein paar Dutzend Kilometer unterhalb der Gletscherstation befindet. Am nächsten Tag wird es auch nichts mit einem neuen Anlauf – das Wetter ist zu schlecht, der Hubschrauber kann nicht fliegen. Doch noch 24 Stunden später gelingt es schließlich, immerhin vier Container der neuen Station aufzubauen. Mit jedem Anflug werden Piloten und Bodentruppe routinierter.

Arbeit beginnt 2010

Und am vierten Tag schließlich stehen alle sieben Container, sechs davon auf der „Poljana“, einer auf der anderen Talseite, wo eine Nebenstation errichtet wird.Als der letzte Container an Ort und Stelle ist, ist die Erleichterung bei allen Beteiligten geradezu greifbar. Zentimetergenau haben die Piloten die Container auf die Stahlfundamente gesetzt, nur hier und da müssen die Blechhäuschen nun noch mit vereinten Kräften zurecht geschoben werden.

Schon ab dem nächsten Jahr soll die neue „Merzbacher-Station“ von Mai bis September besetzt sein und Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, unter weitaus komfortableren Bedingungen als bisher ihrer Arbeit nachzugehen.


Stand: 30.10.2009

Hochgebirgsobservatorium im Tien-Shan

Mitten in der Wetterküche

Die Station direkt neben dem Inyltschek-Gletscher © Edda Schlager

Um den Ausblick, den die Forscher auf der Gottfried-Merzbacher-Station künftig haben werden, sind sie wahrlich zu beneiden. Die Forschungsstation steht direkt neben dem Inyltschek-Gletscher, mit insgesamt fast 90 Kilometern Länge einer der längsten Gletscher in Zentralasien überhaupt. Der Eisriese liegt direkt an der Grenze von Kasachstan, Kirgistan und China.

Nachbar Inyltschek

Genau gegenüber der Merzbacher-Station befindet sich die Talmündung, an der sich die Täler des nördlichen und des südlichen Inyltschek vereinigen. Einst hatte dieser zwei Nährgebiete, und die zwei Hauptströme vereinigten sich zu einem Gletscher. Doch seit etwa 30 Jahren schmelzen auch im Tien-Shan die Gletscher, so dass heute nur noch der südliche Inyltschek auf ganzer Länge das Tal ausfüllt. Der nördliche Inyltschek ist längst vom Haupteisstrom abgerissen und endet mehrere Kilometer oberhalb der Mündung.

Doch warum richten deutsche Wissenschaftler ausgerechnet hier im Tien-Shan in Zentralasien ein Klima-Observatorium ein? GFZ-Wissenschaftler Ulrich Wetzel, der den Bau des Global Change Observatory seit langem vorantreibt und koordiniert: „Hier haben wir eine der globalen Wetterküchen. Und wenn Sie für das Gesamtsystem Erde eine Aussage finden wollen, dann können Sie das nur, indem sie einzelne Regionen herausgreifen und versuchen, die genauer zu analysieren.“

Scheidepunkt zwischen Arktis und Monsun

Hier am Gebirgsknoten von Tien-Shan und Pamir, den nordwestlichsten Ausläufern des Himalaya-Massivs, kommen Einflüsse der nördlichen borealen Klimaregion und der Monsunregion zusammen. „Und beides trifft sich genau hier, nämlich auf dem Tien-Shan-Kamm.“

Mit der Merzbacher-Station werden die Wissenschaftler künftig nicht nur Klimadaten sammeln, sondern auch seismologische, hydrologische und glaziologische Messungen durchführen. Das Global Change Observatory wird damit zur Basis, um ein umfangreiches geowissenschaftliches Verständnis für Zentralasien zu gewinnen, das zu den jüngsten regionalen Schwerpunkten des GFZ gehört.

Weitere Projekte in Zentralasien

So ist das Klima-Observatorium auch nur eines von zahlreichen Projekten, die die Potsdamer in Zentralasien betreiben. Wichtigster Partner vor Ort ist dabei das ZAIAG in Bischkek, der kirgisischen Hauptstadt. Gemeinsam haben die deutschen und kirgisischen Wissenschaftler auch das Projekt CaWA (Central Asian Water) initiiert, mit dem der Wasserhaushalt Zentralasiens untersucht und modelliert werden soll. Außerdem wird derzeit am Aufbau des seismologischen Netzwerkes CAREMON (Central Asian Real-Time Earthquake Monitoring Network) gearbeitet.

Satelliten im Dienste der Seismologie

Die Merzbacher-Station am Inyltschek soll natürlich auch für diese beiden Projekte Daten bereitstellen. Eingesetzt werden dabei die neuesten Methoden.So wurde während der diesjährigen Expedition eine permanente GPS-Station eingerichtet. Damit können auch geringste seismische Verschiebungen und Bewegungen gemessen werden – in einem tektonisch äußerst aktiven Gebiet wie Zentralasien, ausgesprochen wichtig.

Um die aufgezeichneten Daten möglichst rasch und zeitlich flexibel abrufen zu können, ist die GPS-Station mit Satelliten-Empfänger und -Sender ausgestattet. VSAT (Very Small Aperture Terminal) heißt das System, das es ermöglicht, von einem Computer in Potsdam oder Bischkek per Satellit direkt auf die Station am Inyltschek zuzugreifen.

Insgesamt 20 solcher Stationen betreiben das GFZ und das ZAIAG mittlerweile in Kirgistan. Das ist, verglichen beispielsweise mit Japan, wo es über tausend derartige Messstationen gibt, verschwindend wenig. Doch, so gibt Ulrich Wetzel zu bedenken, seien die abgelegenen Bergregionen Kirgistans weitaus weniger erschlossen als das flächendeckend mit Satellitenempfang ausgestattete Japan.


Stand: 30.10.2009

Ein Paradoxon des Klimawandels

Modellgletscher Inyltschek

Inyltschek-Gletschersystem © GFZ / TU Berlin / ZAIAG

Der Inyltschek-Gletscher ist nicht nur aufgrund seiner Ausmaße ein interessantes Forschungsobjekt. Er stellt auch ein Paradoxon dar, das zu verstehen, neue Erkenntnisse zum Klimawandel bringen könnte.

Komplexes Gletscher-System

Der Gletscher ist im oberen Drittel in zwei Gletscherströme geteilt, den nördlichen und den südlich Inyltschek, die in zwei nahezu parallel verlaufenden Tälern liegen. Auf der Höhe der neu errichteten Gottfried-Merzbacher-Station vereinigen sich die beiden Täler.

Vor etwa 70 Jahren begann der nördliche Inyltschek abzuschmelzen. Heute endet die Gletscherzunge des nördlichen Inyltschek etwa fünf Kilometer oberhalb des Merzbacher-Sees – hinter einem mächtigen Moränenwall aus Schutt.

Die Mündung der Täler des nördlichen (oben) und des südlichen Inyltschek aus der Luft © TerraSAR-X / DLR

Das Phänomen: Während der nördliche Inyltschek zurückschmilzt, stößt der südliche Inyltschek weiter vor. Hermann Häusler, Geologe von der Universität Wien sagt dazu: „Innerhalb von wenigen Quadratkilometern herrschen also Bedingungen, die den einen Gletscher abschmelzen, den anderen jedoch vorstoßen lassen.“

Modellhafte Untersuchungen

Häusler und sein Kollege Diethard Leber, Fernerkundungsexperte und ebenfalls von der Uni Wien, waren an der diesjährigen Expedition zum Inyltschek-Gletscher beteiligt. Zusammen mit den Kollegen vom GFZ und vom ZAIAG wollen sie den Inyltschek in den kommenden Jahren modellhaft untersuchen. Die Erkenntnisse könnten dann höchstwahrscheinlich auch auf die Entwicklung anderer Gletscher in der Region übertragen werden.

Während sich die Kollegen vom GFZ und vom ZAIAG vordergründig um die klimatische Situation am Gletscher kümmern, wollen die Österreicher mit Hilfe von Fernerkundung und weiteren geophysikalischen Methoden den Gletscher selbst näher untersuchen.Dabei wolle man, so Leber, zentrale, aber bisher noch unbeantwortete Fragen zu den Eigenheiten des Gletschers klären: Wie ist die Gletschermächtigkeit? Gibt es Abflusssysteme im Gletscher? Wenn ja, wie groß sind diese ? „Das Ganze,“ so Leber, „mag vorderhand vielleicht etwas weit entfernt vom Thema Global Change aussehen, hat aber unmittelbar damit zu tun. Es ist immer schön, irgendwo zu stehen und zu sagen, ein Gletscher hat sich zurückgezogen. Tatsächlich muss man das alles irgendwie fassen oder beweisen können, man muss Formeln zugrunde legen und es berechnen können.“


Stand: 30.10.2009

Blick in den Untergrund

Referenz für Satellitenbilder

Mit Computertechnik im Feld – ERT-Messung © Edda Schlager

Zur Arbeit der österreichischen Wissenschaftler am Inyltschek-Gletscher gehört zunächst die Analyse der aktuellen Situation. Mit einer Methode, die sich ERT nennt, Electrical Resistivity Tomography, haben sie nun schon einmal den Untergrund im Tal des nördlichen Inyltscheks untersucht, und zwar im Vorland der noch aktiven Gletscherzunge des abschmelzenden Gletscher-Stroms. Dabei wird entlang eines Profils zwischen einhundert Elektroden eine elektrische Ladung aufgebaut. Gemessen wird dann der elektrische Widerstand, der wiederum Rückschlüsse auf das Material und den Schichtaufbau des Untergrunds erlaubt.

Dabei wird entlang eines Profils elektrischer Strom in den Boden eingeleitet und die Potentialdifferenz an 100 Elektroden gemessen. Der elektrische Widerstand erlaubt dann Rückschlüsse auf das Material und den Schichtaufbau des Untergrunds.

Überraschung im Gletschervorland

Bei diesem Blick in den Untergrund haben die Wissenschaftler in diesem Sommer eine interessante Entdeckung gemacht. „Wir haben erwartet“, so Häusler, „dass wir hier Eislinsen haben und dann sehr bald auf einen Untergrund kommen, der von den Bergen her aufgefüllt worden ist, mit feinkörnigem Schutt, Mergelstein, Kalkstein.“ Da dort zeitweise ein Gletschersee existiert, gingen die Wissenschaftler davon aus, im Untergrund auch abwechselnd Eis und See-Sedimente zu finden.

Oben Pfützen, im Untergrund Eis © Edda Schlager

Doch schon die ersten Auswertungen der geoelektrischen Messungen vor Ort brachten etwas ganz anderes zutage. Zwischen zehn und fast 40 Metern Tiefe liegt unter dem graubraunen, von tausenden Pfützen überzogenen schlammigen Boden ein riesiger zusammenhängender Toteis-Körper. Dabei handelt es sich um nicht mehr aktives Eis, das aber einst zum Gletscher gehörte. Irgendwann wurde es abgerissen, von Schutt bedeckt und dann im Untergrund bis heute konserviert.

Wasser nagt am Toteis

Dies erkläre auch die Oberfläche im Vorland des nördlichen Inyltschek, so Häusler: „Die Moränen – also die Blöcke und das Feinmaterial, ein schluffiges, feinsandiges Material, das der Gletscher da zurück gelassen hat – zeigen eine wellige Oberfläche mit vielen, vielen Kratern, kleinen Seen, und Aufplatzungen, wo feines Material heraufkommt und große Blöcke, auch kubikmetergroße Blöcke einfach im Untergrund verschwinden.“

Die Wissenschaftler haben auch schon eine ziemlich genaue Vorstellung, wie die bizarre Landschaft entstanden sein könnte: Warmes Wasser rinnt in den Untergrund, das verschüttete Eis beginnt punktuell zu schmelzen. Dort wiederum sackt Material von oben nach, so dass tiefe Krater entstehen. „Dieses Phänomen“, so Häusler, „haben wir in verschiedenen Stadien gesehen und können das jetzt ganz eindeutig interpretieren.“

Für das große Ganze

Wichtig sind die Erkenntnisse deshalb, weil die Wiener Wissenschaftler den Gletscher künftig auch mit Fernerkundungsmethoden untersuchen möchten. Da sie jedoch nicht jeden Quadratkilometer selbst begehen und vermessen können, sind sie darauf angewiesen, die Satellitendaten richtig zu interpretieren. Dazu müssen sie allerdings wissen, wie bestimmte Landformen, die sie auf Satellitenbildern erkennen, tatsächlich im Detail aussehen.

Hier im Vorland des nördlichen Inyltschek haben sie nun eine Referenz für all jene Flächen, die sich auf den Satellitenbildern ähnlich darstellen.


Stand: 30.10.2009

Gletschersee-Ausbrüche – auf den Monat genau

Dem Geheimnis des Merzbacher-Sees auf der Spur

Abbruchkante an der Gletscherflanke – Hier staut sich der Gletschersee © Edda Schlager

Schon vor über hundert Jahren, als der nördliche und der südliche Inyltschek noch vereint waren, gab es am Zusammenfluss der beiden Eisströme einen Gletschersee. Entdeckt hat ihn Gottfried Merzbacher, ein deutscher Naturforscher. Er bereiste im Jahr 1903 den Tien-Shan und suchte einen Aufstieg zum Khan Tengri, dem nördlichsten Siebentausender der Erde. Ihm zu Ehren wurde der See von russischen Wissenschaftlern später Merzbacher-See getauft.

2000 Kubikmeter pro Sekunde

Diesen gibt es noch heute – genau an derselben Stelle. Und wie vermutlich auch zu Merzbachers Zeiten, verschwindet der See regelmäßig und entsteht später wieder aufs Neue. In den letzten Jahren tat er dies allerdings mit so großer Regelmäßigkeit, dass die Wissenschaftler vor einem Rätsel stehen. Jedes Jahr Ende Juli, Anfang August bricht der Merzbacher-See aus. Mit 2.000 Kubikmetern Wasser und Schlamm pro Sekunde bricht sich der See dann seine Bahn. Es scheint kaum vorstellbar, doch das Wasser sucht sich einen Weg, der eigentlich durch den riesigen Gletscher versperrt ist. Es rauscht unter den Eismassen talabwärts, sucht sich im und unter dem von Gletscherspalten zerklüfteten Eispanzer einen Weg nach unten, bis es schließlich am Gletschertor herausgepresst wird und den hier beginnenden Inyltschek-Fluss spürbar ansteigen lässt.

Solche Gletschersee-Ausbrüche gibt es weltweit immer wieder. Verglichen beispielsweise mit ähnlichen Naturereignissen in Butan verlaufen die Ausbrüche am Inyltschek meistens geradezu harmlos. Weil die Region unterhalb des Eisriesen kaum besiedelt ist, sind die Verwüstungen hier nicht so verheerend, wie im Himalaya. Dort kamen bei vergleichbaren Katastrophen zum Teil schon Dutzende Menschen zu Tode.

Freie Bahn für Forscher

Reste des Gletschersees – Haushohe Eisblöcke © Edda Schlager

Doch warum verschwindet der Merzbacher-See so regelmäßig? Auch die Wissenschaftler vom GFZ Potsdam, dem ZAIAG und von der Universität Wien wollen dieser Frage nachgehen. Deshalb sind sie froh, dass der See zur Zeit der diesjährigen Expedition im August 2009 schon verschwunden ist. Denn so können sie zu Fuß auch dorthin, wo noch wenige Wochen zuvor nichts als Wasser war.

Übrig geblieben sind nur riesige, haushohe Eisblöcke, die kurz zuvor noch auf dem See schwammen und jetzt wild verstreut auf dem schlammigen Boden, dem ehemaligen Seegrund herumliegen.

Der Gletscher kalbt

Die Eisblöcke stammen vom südlichen Inyltschek, der hier beständig in das Seitental des nördlichen Inyltschek hineinkalbt. An der Talmündung liegt die Eisflanke des südlichen Stroms völlig frei, keine Moräne aus Schutt hält den riesigen Gletscher in seiner Bahn. Beständig schiebt der Gletscher deshalb Eis in das Seitental hinein. Solange der See besteht, landen die Eisblöcke im Wasser, ist er verschwunden, fallen sie direkt in den Schlamm.

Hypothesen, warum der See immer pünktlich im Hochsommer verschwindet, gibt es einige, doch die sind bisher nicht bewiesen, so der Wiener Geologe Hermann Häusler: „Es braucht Wasserdruck, es funktioniert nur, wenn eine gewisse Wassersäule vorhanden ist, die ist sicher 20, 30 Meter hoch. Hier steigt einfach der Druck, der hydraulische Druck, und wenn der offensichtlich ein bestimmtes Maß überschreitet, dann presst sich dieses gewaltige See-Volumen durch die Spalten und Höhlen des abdämmenden Gletschers und gurgelt dann da diese Kilometer hinunter und bricht dann aus.“

Ulrich Wetzel vom GFZ vermutet dagegen, „dass der See ab einer bestimmten Größe Eisteile des Gletschers aufschwimmen lässt und sich so den Abfluss erzwingt.“

Auch Zufluss unklar

Nicht nur die Ausbrüche sind rätselhaft, auch wie sich der See stets so schnell wieder füllen kann, ist unklar. Die Wissenschaftler vermuten, dass dafür der nördliche Inyltschek und seine Abflüsse eine bedeutende Rolle spielen. Von dort fließt das ganze Jahr über Wasser auf den südlichen Gletscher zu und wird vom Eisstrom aufgestaut. Und scheinbar gibt es neben dem Hauptabfluss im Tal des nördlichen Inyltschek noch zahlreiche kleinere Flüsse und Rinnsale. Auch diese Fragen sind noch nicht erforscht.

Denn ein Handicap hatten alle Wissenschaftler, die in den letzten Jahren hier gearbeitet haben. Nur wenige Wochen im Jahr ist das Gebiet zugänglich, die Zeit für aufwendige Messungen bleibt meist nicht.

Auch für eine genaue Bilanz des Gletschersee-Zuflusses sind deshalb noch weitere Untersuchungen nötig. Mit ihren geophysikalischen Vermessungen des Untergrunds haben die Wiener Wissenschaftler auch dafür eine Grundlage geschaffen.


Stand: 30.10.2009

Kampf um Wasser im Tien-Shan

Die Chinesen warten schon

Die Forschungen am Inyltschek-Gletscher haben durchaus nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch praktischen Wert. Im Tien-Shan und im südlich gelegenen Pamir-Gebirge lagern zusammen etwa 90 Prozent aller Wasserreserven Zentralasiens. Kirgistan und das südliche Nachbarland Tadschikistan sind die beiden Länder an den Oberläufen der wichtigsten Flüsse, die von hier aus auch die Länder Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan, Kasachstan und China ganz oder teilweise mit Wasser versorgen.

Wasser im Sommer oder im Winter?

Wasserkraftwerk Nurek in Tadschikistan © Edda Schlager

Seitdem die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien unabhängig und damit auch wirtschaftlich selbstständig wurden, haben sich die Konflikte um die Wassernutzung verschärft. Usbekistan, Kasachstan und Turkmenistan, die Länder an den Unterläufen der Flüsse, werfen Kirgistan und Tadschikistan vor, das Wasser auf ihre Kosten für sich abzuzapfen. Die beiden Länder sind jedoch gleichzeitig die ärmsten und ressourcenärmsten Zentralasiens. Wasser ist für sie die einzige Möglichkeit, überhaupt selbst Strom aus zu erzeugen. Vorkommen an fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdöl oder Erdgas haben sie so gut wie keine, einen Markt für erneuerbare Energien gibt es nicht.

Den Strom brauchen Kirgistan und Tadschikistan vorwiegend im Winter, während die anderen Länder im Sommer ihre Felder bewässern wollen. So lassen die beiden Hochgebirgesländer vorwiegend in der kalten Jahreszeit das Wasser aus den großen Talsperren in den Bergen ab, um Strom zu gewinnen. Und genau das ist den anderen Ländern ein Dorn im Auge: Sie sehen sich dadurch benachteiligt und argumentieren, im Sommer zu wenig Wasser zur Verfügung zu haben.

Neuer Spieler auf dem Plan

Bisher spielten in diesem Konflikt die fünf zentralasiatischen GUS-Republiken eine Hauptrolle. Doch zunehmend meldet auch China Interesse anden Wasserressourcen des Tien-Shan und des Pamir an. Die Umsiedlungsprogramme des Landes, bei denen mehrere zehntausend Menschen in den bisher relativ dünn besiedelten Westen der Provinz Xinjiang umziehen sollen, haben gravierende Folgen. So brauchen die Menschen dort nicht nur Wasser für die Landwirtschaft, sondern auch Elektrizität.


Stand: 30.10.2009

Was China an Wasserkraftwerken in Kirgistan liegt

Halb zog sie ihn, halb sank er hin

Und dabei setzt China auf die Kooperation der Kirgisen. Bereits zu Sowjetzeiten, als Kirgistan noch eine Sowjetrepublik war, gab es Pläne im Tal des Flusses Saryjaz nördlich des Inyltschek-Gletschers eine Kette von Wasserkraftwerken zu bauen. Drei Kraftwerke mit einer Kapazität von fünf Gigawatt waren damals angedacht. Der Abfluss des Saryjaz hätte sogar das Potenzial für bis zu sieben Wasserkraftwerke, so die damaligen Prognosen.

Neue Pläne im Saryjaz-Tal

Saryjaz-Gletscher in der Nachbarschaft des Inyltschek © Edda Schlager

Mittlerweile zeigt China ein starkes Interesse, die Wasserkraftwerke im Saryjaz-Tal zu bauen und hat der kirgisischen Führung Unterstützung bei der Umsetzung des Projektes angeboten. Bereits im Jahr 2006 hat die Regierung in Bischkek eine Verordnung zum Bau einer Kaskade aus Wasserkraftwerken im Saryjaz-Tal verabschiedet und das Unternehmen „Saryjaz Energo“ für den Bau von fünf Wasserkraftwerken mit jeweils nicht weniger als 750 Kilowatt wurde gegründet.

Grundlage dafür waren erste Abmachungen mit China. Demnach sollen die Energie-Lieferungen an China einen jährlichen Umfang von 300 Millionen US-Dollar haben, der Bau der Wasserkraftwerke, bis zu drei Milliarden US-Dollar teuer, von China übernommen werden.

Unterschätzte Gefahr

Deutsche Wissenschaftler, die in dem Gebiet arbeiten, warnen, dass der Bau so vieler Wasserkraftwerke in dem tektonisch hoch aktiven Gebiet unvorhersehbare Gefahren mit sich bringen könnte. Allein die Auflast durch mögliche Talsperren sei ein Risiko, ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf den Wasserhaushalt der Region.

Doch Kirgistan ist in einer Zwickmühle. Das Land ist nicht nur eines der ärmsten der ehemaligen Sowjetrepubliken, auchdie Infrastruktur ist marode und der Abbau der wenigen Rohstoffe wie zum Beispiel Gold wird von ausländischen Firmen beherrscht. In jedem Winter muss der Strom selbst in der Hauptstadt Bischkek für mehrere Stunden abgeschaltet werden, in den entlegenen Regionen sogar tageweise. Hinzu kommen Misswirtschaft und Korruption, die von der Regierung eher gestützt als verhindert werden.

China buhlt um Kirgistan

Obwohl die bisherigen Ressourcen an Hydroenergie in Kirgistan bisher nur zu rund zehn Prozent genutzt werden, könnte das Land aus eigener Kraft keine neuen Wasserkraftwerke bauen. Auch der in der Region lukrative Export von Elektrizität bleibt den Kirgisen so verschlossen.

China jedenfalls hat – wohl um die kirgisische Regierung von den Vorzügen einer Partnerschaft zu überzeugen – schon einmal eine chinesisch-kirgisische Expedition finanziert. Im vergangenen Jahr wurden dabei die geologischen und seismischen Bedingungen im Einzugsgebiet des Saryjaz untersucht. Derzeit laufen weitere Studien zu Klima, Glaziologie, Biodiversität und Wasserhaushalt. Partner der Chinesen ist die Kirgisische Akademie der Wissenschaften.

Die kirgisische Regierung steht dem Vorhaben bisher noch verhalten gegenüber. Doch liegt dies wohl eher nicht an Bedenken wissenschaftlicher Natur, sondern an der Angst vor dem Ausverkauf des eigenen Landes.


Stand: 30.10.2009