Alter Feind in neuem Gewand

Influenza

Virus der Schweinegrippe neuen Typs: Influenza A H1N1 © CDC

Kommt die große Grippe-Pandemie? Wird die Schweinegrippe H1N1 zu einem Nachfolger der Spanischen Grippe von 1918? Noch kann diese Fragen niemand beantworten. Denn die Influenza ist unberechenbar. Niemand weiß, ob sich das bisher eher milde Virus zum Schlimmeren ändert, ob es sich mit dem Vogelgrippe-Virus verbindet oder doch alles im Sande verläuft.

Die Grippe ist ein alter Bekannter. Schon seit Jahrhunderten grassieren verschiedenste Varianten dieses RNA-Virus in Vögeln, Schweinen und auch im Menschen. Meist verlaufen die Influenzawellen eher harmlos: Alljährlich im Winter geht ein neuer Virenstamm um, um dann wieder zu verschwinden.

Doch alle paar Jahrzehnte ändert sich das Bild. Dann taucht – scheinbar aus dem Nichts – plötzlich ein besonders harter Gegner auf: Ein Influenza-Virus gegen das unser Immunsystem nicht gewappnet ist, das völlig neue Eigenschaften und Merkmalskombinationen besitzt. Leicht von Mensch zu Mensch übertragbar, rast es dann innerhalb von Wochen um die ganze Erde und hinterlässt eine Spur von Kranken und Toten.

Drei große Pandemien gab es allein im 20. Jahrhundert. Die schlimmste von ihnen, die Spanische Grippe von 1918-20 tötete in ihren drei Krankheitswellen mehr Menschen als die mittelalterliche Grippe in einem Jahrhundert. Mehr als 50 Millionen Todesopfer forderte die Influenza. Das Virus, Influenza A/H1N1, gehört dem gleichen Subtyp an wie das der neuen Schweinegrippe. Könnte uns eine Wiederholung von 1918 bevorstehen?

Nadja Podbregar
Stand: 29.05.2009

Die ersten Fälle der neuen Schweinegrippe

Eine neue Influenza taucht auf

30. März 2009, San Diego, Kalifornien. Ein zehnjähriger Junge bekommt plötzlich Fieber, Husten und muss sich Erbrechen. Seine Eltern sind besorgt, bringen ihn am nächsten Tag in eine Notfallaufnahme, um ihn untersuchen zu lassen. Die Ärzte behandeln die Symptome des offenbar an Grippe leidenden Kindes – soweit alles normal. Zufällig jedoch läuft zu dieser Zeit eine Studie zur Erprobung eines neuen diagnostischen Tests, dafür entnehmen die Mediziner dem Jungen eine Schleimprobe aus der Nase. Die Probe wird an ein Referenzlabor geschickt und dort auf seinen Virentyp hin analysiert. Der Junge übersteht die Krankheit währenddessen und ist nach einer Woche wieder gesund.

Influenzaviren des Typs A/H1N1 © CDC

Keine normale Grippe

Seltsamerweise identifizieren die Analysen im Labor zwar eindeutig einen Virus des Typs Influenza A, also den gängigen Grippevirus, aber etwas anderes stimmt nicht: Die Tests auf die Subtypen ergeben negative Ergebnisse sowohl für menschlichen H1- als auch für den menschlichen H3-Subtyp. Damit kann die Erkrankung des Jungen keiner der beiden zurzeit kursierenden menschlichen Grippestämme zugeordnet werden.

Alarmiert senden die Mediziner – inzwischen ist es bereits der 15. April – ihre Proben und Ergebnisse an die Centers for Disease Control (CDC) in Atlanta, der zentralen Seuchenschutzinstitution der USA. Hier wird schnell klar: Dieses Virus ist neu, beim Menschen ist es bisher nicht aufgetreten. Die Forscher geben sofort eine genetische Analyse in Auftrag und alarmieren ihre Zweigstellen im ganzen Land, nach ähnlichen Grippefällen Ausschau zu halten.

Der zweite Fall

Zwei Tage später trifft erneut eine Probe beim CDC ein. Diesmal stammt sie von einem neun Jahre alten Mädchen aus dem Imperial County, ebenfalls in Kalifornien. Auch sie leidet seit dem 28. März an Fieber und Husten, auch bei ihr schlagen die gängigen Grippemittel an – und auch ihre Klinik nimmt zufälligerweise an einer klinischen Studie teil, diesmal einer Influenza-Überwachungsstudie. Wieder weisen die Klinikärzte zwar ein Influenza-A Virus nach, können aber den Subtyp zunächst nicht bestimmen. Erst im Naval Research Center in San Diego ergeben die Analysen Abweichungen von den gängigen H1- und H3-Varianten.

Ursprung Schwein, Überträger Mensch

In der Zwischenzeit ist bei der CDC die Genanalyse des ersten Falls abgeschlossen. Das Ergebnis: Es handelt sich um eine Abwandlung eines Influenza A Virus des Subtyps H1N1, das normalerweise nur bei Schweinen vorkommt. Doch Befragungen ergeben, dass der Junge keinerlei Kontakt mit Schweinen hatte. Als auch die Probe des Mädchens die gleiche Genkombination aufweist, obwohl beide Patienten nachweislich keinen Kontakt miteinander hatten oder anderweitig in Verbindung gebracht werden können, beginnt das internationale Seuchenprotokoll zu greifen.

Inzwischen sind in den USA acht Menschen erkrankt. Das CDC alarmiert noch am gleichen Tag die Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf, dass ein neuer Typ der Influenza, ein „Swine-Origin Influenza Virus“ (S-OIV) aufgetreten ist. Die Krankheitsverläufe sind bisher meist mild – glücklicherweise. Sie sind eher vergleichbar mit der saisonalen Influenza als mit der Vogelgrippe, bei der bis zu 80 Prozent der Infizierten sterben.

Nadja Podbregar
Stand: 29.05.2009

Ein Virus macht mobil

Auf dem Weg zur Pandemie

27. April 2009, Genf. Alarmiert durch Meldungen über Influenzafälle neuen Typs vor allem aus den USA, ruft die WHO die Pandemie-Warnstufe vier aus. Diese gilt dann, wenn örtliche Häufungen von Neuinfektionen ohne nachweisbaren Kontakt der Erkrankten zu bereits Erkrankten oder großflächige Mensch-zu-Mensch-Übertragungen auftreten. Zuvor herrschte wegen der noch immer auftretenden Vogelgrippe – ebenfalls eine Variante der Influenza A – bereits seit längerem die Warnstufe drei. Doch nun sieht alles danach aus, dass statt des Geflügelvirus ein Schweinevirus den Sprung zum Menschen und damit zu einer „emerging disease“, einer neu auftretenden Krankheit, geschafft haben könnte. Ärzte und Kliniken werden zur Überwachung und Meldung von Grippefällen aufgefordert und mit einem eilends entwickelten Gentest ausgestattet.

Influenza-Testset für die "Schweinegrippe" © CDC

Doch die Lawine rollt bereits. Immer mehr Fälle werden gemeldet. In Kalifornien ruft Gouverneur Arnold Schwarzenegger den Notstand aus. Auch aus Mexiko gehen nun Berichte über eine neue Grippewelle ein, an der vor allem in den Bezirken Mexico City, Baja California, Oaxaca und San Luis Potosi bereits 80 Menschen gestorben sein sollen. Den Beginn dieser Epidemie – und möglicherweise auch den Ursprung der gesamten neuen Schweinegrippe setzen die Epidemiologen auf den 15. Februar in Mexiko fest. Da dort jedoch gleichzeitig auch eine „normale“ saisonale Grippe grassiert, ist die Zuordnung der Fälle zunächst schwierig. Erst die neuen Schnelltests zeigen das ganze Ausmaß der Ausbreitung.

Warnstufe fünf – die Pandemie rückt näher

Schon am 29. April ruft die WHO die nächsthöhere Pandemie-Warnstufe aus. Stufe fünf ist als „erhebliches Pandemierisiko“ charakterisiert und gilt dann, wenn es mindestens in zwei WHO-Mitgliedsregionen zu fortdauernden Ausbrüchen kommt, bei denen eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung naheliegt.

Schon sechs Tage später, am 5. Mai, gibt es Influenzameldungen aus 21 Ländern, insgesamt 1.490 Fälle. 642 Erkrankte sind es allein in den USA, 140 in Kanada. Ein aus Mexiko zugereister Säugling stirbt in einem Krankenhaus in Texas. Vor allem Schulkinder und junge Erwachsene scheinen betroffen. Die WHO warnt vor unnötigen Reisen ins Ausland, Reisende und Angestellte an Flughäfen sollen zudem auf Menschen mit Grippesymptomen achten.

Spitze des Eisbergs

In einem CDC-Briefing am 18. Mai betont Anne Schuchat, Wissenschaftlerin am Zentrum für Immunisierung und Atemwegserkrankungen der CDC: „Wir wissen, dass unsere Fallzahlen unvollständig sind. Sie sind nur die Spitze eines Eisbergs.“ Denn wie viele Patienten mit milden Verläufen der Krankheit gar nicht erst zum Arzt gehen, ist unbekannt. „Es ist wichtig, dem Gedanken zu widersprechen, dass wir die Talsohle schon erreicht haben oder dass dies ein für uns nicht ernst zunehmendes Problem ist.“

WHO-Karte der Influenza-Fälle © WHO

Sie behält Recht: Rund drei Wochen später, am 26. Mai hat sich die Zahl der Influenzafälle bereits fast verzehnfacht: die Berichte vermelden 12.954 Infektionen in 46 Ländern und 92 Todesfälle. Die WHO veröffentlicht täglich Karten, die die aktuellen Zahlen und Entwicklungen zeigen. Schwerpunkt sind noch immer Mexiko, die USA und Kanada, aber auch in Japan, Spanien und Großbritannien überschreitet die Zahl der bestätigten Fälle die Hundertermarke. In Deutschland sind zu diesem Zeitpunkt 17 Menschen erkrankt.

Wann kommt Stufe sechs?

Nach Ansicht einiger Wissenschaftler sind sogar die Bedingungen für die Pandemie-Warnstufe sechs bereits erfüllt. Sie tritt ein, wenn in mindestens zwei WHO-Regionen eine regelmäßige Mensch-zu-Mensch-Übertragung erfolgt. Da sich die neue Schweinegrippe in Nord- und Mittelamerika konstant ausbreitet und auch in Asien und Europa Fuß gefasst hat, ist es Interpretationssache, wann dort auch eine solche „Regelmäßigkeit“ der Infektion vorliegt.

Tritt Stufe sechs allerdings tatsächlich in Kraft, dann hätte dies Konsequenzen für alle WHO-Länder. Denn dann müssen Notfallpläne, die die Bereitstellung von Medikamenten und Personal umfassen, sofort aktiviert werden. Noch aber zögert die WHO. Noch ist nicht eindeutig klar, ob sich nicht die Ausbreitung des Virus doch noch verlangsamt, die Epidemie gar ausläuft. Genauso möglich ist es aber, dass sich das Tempo noch beschleunigt, oder gar dass das gefürchtete Worst-case Szenario eintritt: dass sich das Virus weiter verändert und durch Rekombination beispielsweise mit dem Vogelgrippevirus noch deutlich tödlicher wird als bisher.

Obwohl heute absolut unklar ist, in welche Richtung die Entwicklung läuft, geht auch jetzt schon die Angst um. Längst haben die meisten Länder, auch Deutschland, ihre Bestände an den antiviralen Mitteln Tamiflu und Relenza geprüft, gezählt wie viele Dosen für welchen Prozentsatz der Bevölkerung im Ernstfall vorhanden wären. Nachbestellungen laufen, die Pharmakonzerne kommen mit der Produktion kaum mehr hinterher.

Nadja Podbregar
Stand: 29.05.2009

Der genetische Aufbau des Influenza A-Virus

Acht Genpakete mit tödlichem Potenzial

Wo kommt das neue Virus so plötzlich her? Was unterscheidet es von den normalen, alljährlich im Winter kursierenden Grippeviren und warum hat es so hohes Pandemiepotenzial? Einen Teil dieser Fragen kann nur ein genauerer Blick auf das Genom der Influenzaviren beantworten. Zwei amerikanische Forschergruppen haben genau dies getan und veröffentlichten Mitte Mai 2009 in der Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ genetische Analysen sowohl des neuen als auch eines „klassischen“ Schweinegrippevirus.

Denn die Schweinegrippe ist keineswegs völlig neu. Sie ist unter Hausschweinen seit 1930 durchaus verbreitet, aber in den USA seit 2005 nur in elf Fällen von Schweinen auf Menschen übertragen worden. Auch hier ist der Erreger ein Influenza A Virus. Was ihn von der neuen, aber auch von der früheren, nicht auf Menschen übertragbaren Form unterscheidet, liegt im Genom verborgen.

Aufbau des Virus © gemeinfrei

Unabhängige Genpakete

Influenzaviren besitzen die Besonderheit, dass ihr Erbgut in acht einzelnen, voneinander getrennten Strängen vorliegt. Sie können sich frei kombinieren und unabhängig voneinander verändern, wichtig ist nur, dass von jeder Sorte ein Gen vorhanden ist. Die acht Gene kodieren unter anderem die Proteine der Virenhülle sowie Enzyme, die das Einbauen und Ablesen der Viren-RNA durch die Zellmaschinerie des Wirtes steuern.

Zwei der Gene sind für den Infektionserfolg des Virus besonders entscheidend: Eines kodiert das Oberflächenprotein Hämaglutinin (H), das dem Erreger die Bindung an die Wirtszelle ermöglicht und ihm damit quasi die Tür öffnet. Das andere steuert die Produktion des ebenfalls an der Oberfläche sitzenden Enzyms Neuraminidase (N). Dieses sorgt dafür, dass die neu erzeugten Tochterviren die Wirtszelle wieder verlassen können und liefert damit die Voraussetzung für eine weitere Vermehrung der Viren im Körper.

Das Geheimnis von „H“ und „N“

Wegen ihrer Bedeutung wird vor allem die Zusammensetzung dieser beiden Gene von Virologen genutzt, um verschiedene Subtypen der Influenza A zu unterscheiden. Aus der Kombination der durch Zahlen gekennzeichneten Genvarianten ergibt sich die Klassifizierung der Viren. Insgesamt existieren 16 Hämaglutinin- und neun Neuraminidase-Varianten, die meisten von ihnen in Vögeln.

Nadja Podbregar
Stand: 29.05.2009

Dreifacher Genaustausch im Schwein

Von der klassischen Schweinegrippe zum neuen Virus

H1N1 – das sind die Kennziffern des aktuellen Pandemiekandidaten, der neuen Schweinegrippe. Sie charakterisieren aber auch einen Stamm der normalen Saisongrippe sowie die ganz normale „klassische“ Schweinegrippe. Was unterscheidet diese Varianten voneinander, wenn doch ihre Gene dem gleichen Subtyp angehören. Die Antwort liefern wieder einmal die acht Genpakete des Virus.

Dank der handlichen Portionierung des Genoms ist es für das Influenzavirus besonders leicht, gleich ganze Gen-Stränge mit anderen, verwandten RNA-Viren auszutauschen. Denn einige ihrer Subtypen kommen gleich bei mehreren Tierarten vor. Und genau hier liegt das Problem: Ein Austausch zwischen den an verschiedene Wirte angepassten Stämmen.

Grundriss und Querschnitt der Gruben (A), Trichter (B), Topf (C), Amphore (D) ud Reste eines Ofens (E). © Wang et al./ PNAS

Austausch durch Mehrfachinfektion

Dies geschieht, wenn ein Wirt – häufig ist es das Schwein – von gleich mehreren unterschiedlichen Influenzaviren infiziert ist. Sie alle schleusen ihr Genom in den Kern der Wirtszelle ein und veranlassen die Produktion identischer Kopien ihrer einzelnen Genstränge. Diese werden ins Zellplasma transportiert, wo sie auf ihre Rekombination zu neuen Viren warten. Und genau hier passiert das so genannte Reassortment, die Vermischung: Statt gezielt nur die Genombestandteile des eigenen Virenstammes zu vereinen, finden sich hier wahllos auch Gene verschiedener Herkunft zu einem neuen rekombinanten Viruskörper zusammen.

Analysen eines Forscherteams um Vivek Shinde vom CDC haben Mitte Mai 2009 ergeben, dass dies schon beim klassischen Schweinegrippevirus geschehen sein muss. Bis 1990 hatte sich dies genetisch kaum verändert, dann jedoch taucht plötzlich ein neuer Typ auf. Dieser Subtyp trägt sowohl fünf Gene des Wirts Schwein, als auch zwei Gene von einer Vogelgrippe. Ein Strang, das Polymerase B1-Gen, stammt sogar von der menschlichen saisonalen Grippe des Subtyps H3N2. Nach Ansicht der Forscher hat demnach hier ein gleich dreifaches „Reassortment“ stattgefunden.

Rätsel der europäischen Schweinegene

Was aber ist mit der neuen Schweinegrippe? Sind hier mehr Menschengene hinzu gekommen oder warum kann es sich jetzt so leicht von Mensch zu Mensch übertragen? Antwort darauf erhofften sich die Grippeforscher von der Genanalyse der neuen H1N1- „Swine-flu origin“-Variante, isoliert Anfang Mai aus Proben erkrankter Patienten in Kalifornien.

Doch das Ergebnis verblüffte: Anstatt weiterer humanpathogener oder aviärer Gene hatte das neue Virus nur zwei amerikanische Schweinegene gegen Genvarianten der eurasischen Schweinegrippe getauscht. Wie diese nach Mexiko und in die USA gelangt waren, ist bis heute ungeklärt. Ebenso, warum ausgerechnet dieses Reassortment dem Virus den Sprung zum Menschen so erleichtert hat.

Nadja Podbregar
Stand: 29.05.2009

Pandemien durch Rekombination mit Vogelgrippeviren

Tödliches Reservoir Vogel

China, 1957. In ländlichen Regionen leben Menschen in enger Gemeinschaft mit Schweinen und Hausgeflügel wie Enten, Hühnern und Tauben. Und genau hier geschieht es: Es kommt zu einer Doppelinfektion mit einem Vogelgrippe und einem Menschengrippevirus. Beide tauschen Genteile aus, die neue Variante Influenza A /H2N2 entsteht.

Treibhausgas-Emissionen © SXC

Durch diese Rekombination erwirbt das ursprüngliche menschliche Grippevirus auch Gene, mit denen sein Hauptwirt bisher nicht in Berührung gekommen ist. Das menschliche Immunsystem ist daher auf den Angriff vollkommen unvorbereitet. Zudem ist die Influenza dieses Typs besonders leicht übertragbar. Mit fatalen Folgen: Die Krankheit breitet sich rasend schnell unter den Chinesen aus. Durch chinesische Flüchtlinge gelangt sie auch nach Hongkong und von dort per Flugzeug in alle Welt.

Diese „Asiatische Grippe“ wird zur zweitschlimmsten Influenza-Pandemie des 20. Jahrhunderts. Bis zu zwei Millionen Menschen fallen ihr zum Opfer. Nach der Hauptwelle im Winter 1957/58 scheint die Pandemie zunächst vorüber zu sein. Doch das Virus ist nicht tot. Ganz im Gegenteil. Zwei Jahre nach dem ersten Ausbruch werden die USA erneut von H2N2 heimgesucht, wieder sterben tausende. Auch in anderen Gegenden der Welt ereignen sich immer wieder neue Ausbrüche, die Seuche will einfach nicht enden.

Das Blatt wendet sich erst 1968. Dann aber nicht zum Besseren. Denn das bisherige H2N2-Virus wird nun durch einen neuen Subtyp abgelöst. Diesmal ein H3N2. Es ist ebenfalls durch ein Reassortment entstanden, wieder war die Vogelgrippe mit im Spiel. Ein H3-Vogelvirus mit unbekanntem N-Typ hat sich mit dem bisherigen H2N2-Erreger verbunden.

Viren der Hongkong-Grippe © CDC

Wieder resultiert dies in einem Virus, das als „Hongkong-Grippe“-Pandemie um die Welt rast. In Europa beginnt es mit einer sehr milden ersten Welle im Januar bis März 1968, gefolgt von einer sehr viel schwereren im darauffolgenden Winter. Wieder erkranken tausende, viele sterben. In Deutschland sind es 30.000 Tote, weltweit rund eine Million. Diesmal allerdings ist der neue Influenza-Stamm seinem Vorgänger zumindest in einigen entscheidenden Merkmalen ähnlich genug: Menschen, die bereits an der Asiatischen Grippe erkrankt waren, besitzen eine Teilimmunität, bei ihnen verläuft die Influenza extrem mild.

Nadja Podbregar
Stand: 29.05.2009

H1N1 gab es schon einmal

Die Fortsetzung von 1918

Die Angst vor einer neuen Influenza-Pandemie sitzt tief – und sie ist nicht unberechtigt. Die Influenza A/H1N1 breitet sich nicht nur immer weiter aus, sie trägt auch einen berüchtigten Namen. Denn schon einmal brachte ein H1N1-Virus Millionen Menschen den Tod: 1918, als Spanische Grippe. Wie man heute weiß, war es tatsächlich ein entfernter Vorfahre des heutigen Erregers, der die Pandemie auslöste.

Hospital während der Grippewelle von 1918 in Kansas © PLOS/CC-by-sa 2.5

Lange Zeit war der Ursprung der Spanischen Grippe unklar. Anfangs fehlen die wissenschaftlich-technischen Mittel, um eine umfassende Genanalyse durchzuführen. Später dann mangelt es an Proben für solche Untersuchungen. 1951 macht der Pathologe Johan Hultin einen Versuch, das Virus aus den Geweben von Toten zu isolieren. Er exhumiert dafür Grippeopfer aus einem Massengrab in Alaska in der Hoffnung, die Kälte habe das Material ausreichend konserviert. Doch er hat kein Glück. Das Virus entziehtt sich weiter der Analyse.

1997 startet dann Hultin einen zweiten Versuch – diesmal mit mehr Erfolg. Im Lungengewebe von vier Grippetoten finden sich Bruchstücke des Erregers. Gleichzeitig gelingt es auch einer Forschergruppe der U.S. Army unter Leitung von Jefferey Traubenberger, das Virus aus Gewebeproben von Soldaten des ersten Weltkriegs zu isolieren. Aus den Bruchstücken gilt es nun, die komplette Gensequenz der Spanischen Grippe zu ermitteln.

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Sprung zum Menschen ohne Reassortment

Im Oktober 2005 schließlich ist es soweit. Taubenberger und seine Kollegen haben den „Killer“ von 1918 unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in einem Speziallabor der Center for Disease Control (CDC) rekonstruiert. Mit überraschendem Ergebnis: Das Virus ist offenbar ohne Genaustausch mit menschlichen oder anderen tierpathogenen Grippeviren direkt vom Vogel auf den Menschen übergesprungen.

Wie die Forscher in „Nature“ berichten, hat der Erreger innerhalb von wenigen Mutationen diese Fähigkeit erlangt, ohne Reassortment, wie sonst häufig der Fall. Das zeigt sich an einem für das Auslesen der Gene entscheidenden Enzym, der RNA-Polymerase. Erst kurz vor Beginn der Pandemie ist hier die entscheidende Anpassung an den Menschen erfolgt.

H5N1: ein weiteres Vogelvirus auf Pandemiekurs?

Die Nachricht sorgt für Aufsehen und Besorgnis, denn zu dieser Zeit kursiert bereits ein weiteres Vogelvirus mit hoher Todesrate: H5N1. Von Asien aus breitet sich die Geflügelpest rasant weiter nach Westen aus. Zuvor eine harmlose Tierinfektion, hat sich das Virus seit 1997 genetisch verändert, ist pathogener geworden. Statt nur leichten Symptomen verenden tausende von Enten, Hühnern und Gänsen.

2004 dann eine weitere Genänderung: Eine Mutation im Hämagglutinin-Gen ermöglicht es dem Vogelvirus nun, auch Menschen zu befallen. Eine weitere Mutation im Polymerase-Gen erleichtert ihm zudem die Vermehrung im menschlichen Organismus. Eine ähnliche Genveränderung hatte auch dem tödlichen Virus von 1918 zum Sprung auf den Menschen verholfen. H5N1 ist nun keine reine Vogelseuche mehr. Zunächst in China, später dann allmählich auch in anderen Ländern, erkranken und sterben hunderte von Menschen.

„Zytokinsturm“ wie 1918

Und noch eine Genstruktur erweist sich als fatal: Am Ende des so genannten NS1-Gens identifizieren Forscher um Clayton Naeve vom St. Jude Children’s Hospital in Memphis einen Abschnitt, der bei H5N1 so modifiziert ist, dass er eine Überreaktion des menschlichen Immunsystems bewirkt. Diese schüttet Unmengen an Entzündungsbotenstoffen wie Zytokinen aus und kann letztlich zum Organversagen führen.

Polizei mit Schutzmasken während der Spanischen Grippe in Seattle © gemeinfrei

Ein solcher „Zytokinsturm“ spielte vermutlich auch bei der Spanischen Grippe eine wichtige Rolle. Denn während bei der normalen saisonalen Influenza vor allem Kleinkinder und alte Menschen gefährdet sind, starben 1918 ungewöhnlich viele junge Erwachsene. Menschen über 65 Jahren blieben dagegen meist verschont. Dieses Verteilungsmuster sorgte zunächst für Verwirrung, eine Immunisierung der Älteren durch eine vorhergehende Pandemie des Jahres 1889 wurde zunächst postuliert. Doch inzwischen neigen immer mehr Forscher dazu, eine überschießende Reaktion des gerade bei Jüngeren sehr aktiven Immunsystems als Ursache zu sehen.

Nur noch zwei Mutationen?

Noch allerdings hat das H5N1-Virus es offensichtlich nicht geschafft, sich so effektiv an unseren Organismus anzupassen, dass die Übertragung auch von Mensch zu Mensch reibungslos funktioniert. Noch. Denn ein Forscherteam um James Stevens vom Scripps Research Institute hat nun eine Studie veröffentlicht, nach der sich die Influenza A/H5N1 Viren inzwischen deutlich weiter entwickelt haben. Im Vergleich zu den 1997 isolierten Stämmen hätten sich die Oberflächeneiweiße stärker dem Muster des Erregers der Spanischen Grippe angenähert, dem H1N1. Möglicherweise, so die Wissenschaftler, reichen inzwischen nur zwei weitere Mutationen, um auch die Übertragbarkeit innerhalb der menschlichen Bevölkerung zu ermöglichen.

Der Supergau: Kombination von H5N1 nd H1N1

Und in diesem Spiel könnte auch das zurzeit grassierende H1N1-Schweinevirus eine unrühmliche Rolle einnehmen. Denn eine der größten Befürchtungen von Seuchenexperten weltweit ist es, dass sich beide Pandemiekandidaten treffen – und rekombinieren. Wenn sich die neue Schweinegrippe beispielsweise in China oder anderen Ländern mit engem Tier-Mensch-Kontakt begegnen, ist die Chance groß, dass auch Mehrfachinfektionen mit beiden Viren auftreten.

Das Ergebnis könnte dann im schlimmsten Falle die leichte Übertragbarkeit des H1N1-Erregers mit der hohen Todesrate und dem schweren Krankheitsverlauf des H5N1 kombinieren. Eine Pandemie dieses Virus wäre kaum aufzuhalten und könnte Millionen Todesopfer fordern.


Stand: 29.05.2009

Grippemittel, Gendrift und die Impfstofffrage

Was tun gegen die neue Influenza?

Was kann getan werden gegen die neue Influenza? Noch sind die gängigen Mittel Tamiflu und Relenza wirksam, auch gegen die neue Schweinegrippe. Doch diese Waffen könnten schneller stumpf werden als uns lieb ist. Und einen Impfstoff giebt es noch nicht.

Grippeforscher im Labor © CDC

Virus-Blockade an nur einem Punkt

Die antiviralen Wirkstoffe Tamiflu und Relenza setzen jeweils nur an einem Oberflächenprotein des Influenzavirus an, der Neuraminidase. Sie hemmen dieses Enzym und verhindern damit, dass die in der Wirtszelle vermehrten Viren diese wieder verlassen können, um weitere Zellen zu infizieren. Der Nachteil: Eine Mutation dieses Proteins könnte die bisherige Ansatzstelle der Wirkstoffe verändern und sie so unwirksam machen.

„Wir haben bisher Glück, weil H1N1 gut auf die erhältlichen Wirkstoffe reagiert”, erklärt Robert Linhardt, Professor für Biokatalyse und Stoffwechsel am Rensselaer Polytechnic Institute. „Aber wenn das Virus grundlegend mutiert, könnten sich diese Medikamente als wirkungslos erweisen, da sie nur an einem Teil des Virus ansetzen.“

Linhardt und seine Kollegen haben nun einen neuen Wirkstoff konstruiert, mit dem das Influenzavirus gleich an zwei seiner Oberflächenproteine, der Neuraminidase und dem Hämagglutinin, angegriffen werden könnte. Das Hämagglutinin ist an der Bindung des Virus an die Oberfläche der befallenen Zelle beteiligt. Es öffnet damit der Influenza quasi die Tür in die Wirtszelle hinein.

Nahansicht eines Influenzavirus © CDC

Molekülkonstruktion am Computer

Entdeckt wurde die neue Substanz mithilfe der „Klick-Chemie“: In Computern können gezielt Moleküle manipuliert und Teile ihrer Struktur entfernt, ergänzt oder anderweitig modifiziert werden. Linhardt nutzte dies, um ein neues Derivat der Sialinsäure zu erzeugen, einem Bestandteil der Zelloberfläche, an das das Influenzavirus bindet, um letztlich in die Zelle einzudringen. Die veränderte Substanz gaukelt dem Virus eine vielversprechende Wirtszelle vor, provoziert eine Bindung mit dem Virus und blockiert damit dieses für weitere Bindungsversuche an den echten Zellen.

„Indem wir beide Teile des Virus angreifen, das Hämagglutinin und die Neuraminidase, können wir sowohl die Bindung des Virus an die infizierte Zelle verhindern als auch das Knospen neuer Viren aus den Wirtszellen“, so Linhardt. Noch ist das Präparat aber erst in den allerersten Laborversuchen erprobt worden. Tests an Zellkulturen und infizierten Tieren stehen noch aus.

Impfstoffe: Das Problem der Antigendrift

Was aber ist mit einem Impfstoff? Warum wirken die bisherigen weder gegen den einen noch gegen den anderen Influenza-Stamm? Die Ursache dafür liegt ebenfalls wieder in der extremen Vielfalt und Wandlungsfähigkeit des Virus. Denn alle seine Gene verändern sich weiterhin fortwährend durch kleinere Mutationen.

Diese so genannte Antigendrift sorgt dafür, dass sich beispielsweise die Hämagglutinine des „normalen“ saisonalen Influenza-Erregers gerade so viel verändern, dass ein Impfstoff, der gegen die Vorjahresversion entwickelt wurde, nun nicht mehr wirkt. Seine Andockstelle passt plötzlich nicht mehr zum umgestalteten Oberflächenprotein des Virus. Aus diesem Grund müssen in jedem Jahr, sobald die ersten neuen Viren auftreten, auch neue Impfstoffe erzeugt werden.

Wettlauf mit Hinkebein

Und aus dem gleichen Grund sind auch Menschen, die bereits einmal an der Grippe erkrankt sind, nicht automatisch gegen den mutierten Erreger immun. Auch die neue Schweinegrippe ist daher mit bestehenden Impfstoffen nicht zu schlagen. Noch aber reichen die Informationen über das neue Virus nicht ganz aus, um den aufwändigen Produktionsprozess für einen neuen Impfstoff in Gang zu setzen.

Zu unsicher ist man sich momentan, ob das Virus vielleicht während seiner Ausbreitung noch einmal mutiert und so möglicherweise ausgerechnet die wichtigen Ansatzstellen verändert. Dann könnte es nach einer Sommerpause im Herbst in neuer Form und noch gefährlicher widerkehren – und die auf dem jetzigen Gengerüst basierenden Impfstoffe wären nutzlos. Oder H1N1 trifft tatsächlich mit dem Vogelgrippevirus H5N1 zusammen und ein Reassortment erzeugt einen komplett neu zusammengewürfelten Erreger.

Noch zu viele offene Fragen

Noch bleiben daher viele Fragen offen: Wird das H1N1-Virus die bisherige saisonale Influenza ablösen? Gibt es dann in Zukunft jährlich eine neue Welle mit jeweils leicht anderer Oberflächenzusammensetzung? Oder wird es neue Rekombinationen mit der ebenfalls saisonal kursierenden H3-Variante geben? Wie groß ist die Gefahr eines Reassortments mit dem Vogelgrippevirus?

Diese Unwägbarkeiten sind es möglicherweise auch, die die WHO noch zögern lassen, die Pandemie-Warnstufe sechs auszurufen und das offizielle Startsignal für die Impfstoffproduktion zu geben. Die Maschinerie dafür ist bereit, doch noch steht alles auf Standby…

Nadja Podbregar
Stand: 29.05.2009