Indien zwischen Bevölkerungsexplosion und Wirtschaftswunder

Wegen Überfüllung geschlossen?

Vielvölkerstaat Indien © US Government / Thomas Schoch / Jose Rosengurtt / GFDL

Mehr als 6,7 Milliarden Menschen leben heute auf der Erde – Tendenz noch immer stark steigend. Denn jede Sekunde kommen im Durchschnitt 2,6 neue Erdenbürger hinzu. Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass im Jahr 2050 bereits 9,2 Milliarden unseren Planeten bewohnen werden.

Entscheidenden Anteil an dieser Bevölkerungsexplosion hat Indien. Schon jetzt besitzt der Vielvölkerstaat weit über eine Milliarde Einwohner und ist damit nach China die Nummer zwei auf der Welt.

Doch vermutlich nicht mehr lange. Denn während im Reich der Mitte der Babyboom allmählich abflaut, ist das Bevölkerungswachstum im Gandhi-Land noch immer ungebrochen. Schon in knapp 20 Jahren könnte Indien China daher als bevölkerungsreichstes Land der Erde ablösen. Und um 2070 wird vermutlich jeder fünfte Mensch ein Inder sein – mindestens.

Dieter Lohmann
Stand: 11.07.2008

…und macht euch die Erde untertan

Wachset und mehret euch…

Früher war es noch richtig gemütlich auf der Erde – zumindest was die Bevölkerungssituation anging. In biblischen Zeiten, als Jesus von Nazareth, Herodes und Pontius Pilatus lebten gab es gerade mal 300 Millionen Menschen weltweit. Und auch tausend Jahre später, zur Blütezeit des Mittelalters, hatte sich daran noch nicht viel geändert.

Erst einige Zeit danach begann dann das, was Wissenschaftler heute als Bevölkerungsexplosion bezeichnen: die rasante Vermehrung der Gattung Mensch. Um 1800 hatte die Zahl der Erdenbürger bereits die Schwelle von einer Milliarde erreicht. 1930 waren es bereits über zwei Milliarden und bis zum Jahr 1980 hatte sich die Menschheit noch einmal mehr als verdoppelt.

Tumore, die mit der Maximumdosis-THerapie des Mittels Doxorubin behandelt wurden, wuchsen nach einiger Zeit wieder stark nach (oben), bei täglichen, niedrigen Dosen des gleichen Mittels war dies weniger stark der Fall. © Chan et al., 2016

Jedes Jahr 80 Millionen extra

Trotz sinkender Geburtenzahlen in den Industrieländern büßte das Bevölkerungswachstum auch in der Folge kaum etwas von seinem Tempo ein. Ganz im Gegenteil. Denn heute gibt es bereits 6,711 Milliarden Menschen auf der Erde (Stand Anfang Juli 2008). Und pro Minute kommen nach Berechnungen der Demografen vom US-amerikanischen Population Reference Bureau (PRB) 155 weitere hinzu. Das macht mehr als 220.000 pro Tag und über 1,5 Millionen in der Woche. Innerhalb eines Jahres wächst die Bevölkerung der Erde zurzeit um erstaunliche 81.267.634 Menschen – fast so viele wie momentan in Deutschland insgesamt leben.

Dabei klafft die Schere bei der Bevölkerungsentwicklung zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern auf der einen Seite und den Industrieländern auf der anderen mittlerweile immer weiter auseinander. „Der Bevölkerungszuwachs findet zukünftig ausschließlich in Entwicklungsländern statt“, sagt Jörg F. Maas, der Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) in Hannover. Und er weiß, wovon er redet.

Bazar in Delhi © Axel Boldt / public domain

Denn die aktuellen Projektionen der Vereinten Nationen sprechen eine deutliche Sprache. Danach wird die Bevölkerung dort bis zum Jahr 2050 von jetzt rund 5,45 auf 7,95 Milliarden steigen. Zusammen mit den 1,25 Milliarden Bürgern der Industrieländer – diese Zahl wird im selben Zeitraum nahezu stabil bleiben – werden sich dann insgesamt rund 9,2 Milliarden Menschen auf der Erde tummeln.

Viel zu viele Kinder pro Frau

„Für dieses rasante Wachstum der Bevölkerung sind vor allem die hohen Kinderzahlen pro Frau verantwortlich. In Afrika beispielsweise bringen Frauen im Durchschnitt noch immer fünf Kinder zur Welt“, erklärt Renate Bähr von der DSW. Der DSW-Datenreport 2007 belegt zudem, dass Afrika in Zukunft prozentual am stärksten wachsen wird. In den nächsten 42 Jahren wird sich die Zahl der dort lebenden Menschen sogar mehr als verdoppeln.

Nach Angaben der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) leiden aber schon jetzt 850 Millionen Menschen auf der Welt unter Hunger, 20.000 sterben sogar an den Folgen von Nahrungsmangel und Unterernährung – pro Tag.

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Afrika ist kein Einzelfall

Doch es ist längst nicht nur der Kontinent Afrika, der den Wissenschaftlern und Politikern heute Sorgen macht. Auch in vielen Teilen Asiens verschärft sich die Bevölkerungs- und Ernährungskrise immer mehr. Zu denen, die am schlimmsten von dieser Situation betroffen sind, gehören nicht nur die ärmsten Entwicklungsländer. Auch ein Staat, der längst als aufstrebende Weltmacht und Wirtschaftswunderland gilt, hat damit zu kämpfen: Indien.


Stand: 10.07.2008

Indien im 21. Jahrhundert

Land der Kontraste

Mumbai (Bombay) bei Nacht © public domain

Indien heute: Das sind Glanz und Glamour, ein einzigartiges Wirtschaftswachstum von neun Prozent und mehr, boomende Märkte und eine wachsende Mittelschicht mit enormer Kaufkraft. Aus Indien kommen die vielleicht besten IT-Spezialisten der Welt, hier werden Atombomben und Kernkraftwerke gebaut oder Satelliten ins All geschickt.

Leben dort bedeutet aber auch noch immer Hunger, Armut, Analphabetentum und ein desolates Bildungs- und Gesundheitssystem. Und noch eines ist typisch für das zwiespältige Image des Landes: Es besitzt den größten Slum Asiens. Im Elendsviertel Dharavi in Mumbai, dem ehemaligen Bombay, leben mehr als eine Million Menschen.

Nur 1,6 Prozent pro Jahr….

Zumindest eine der Ursachen für viele der Probleme ist die Überbevölkerung. Dabei klingt der Wert, der das jährliche Bevölkerungswachstum beschreibt, beinahe harmlos. Gerade mal um 1,6 Prozent steigt die Zahl der Inder innerhalb von zwölf Monaten an. Das Land liegt dabei in etwa auf dem Niveau von Aruba in der Karibik oder den Fidschi-Inseln. Anders sieht die Situation allerdings aus, wenn man nicht die relativen sondern die absoluten Zahlen betrachtet.

…bedeutet 17 Millionen mehr

Fast 1,148 Inder gab es laut dem „CIA World Fact Book“ im Juli 2008. Bei durchschnittlich 2,9 Kindern pro Frau wächst die Bevölkerung momentan zudem jährlich um rund 17 Millionen Menschen weiter – mehr als in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt und München zusammen leben. Nirgendwo anders auf der Welt nimmt die Bevölkerung vergleichbar rasch zu.

Deutlich wird das in Indien vor allem in den Städten. In den letzten 50 Jahren hat sich beispielsweise Mumbai zu einer Megacity mit weit über 18 Millionen Menschen entwickelt (1955: 3,5 Millionen). Nicht viel anders sieht dies in anderen Metropolen aus. Auch Kalkutta oder Delhi haben ihre Einwohnerzahlen im selben Zeitraum fast verdreifacht beziehungsweise sogar verzehnfacht.

Dieses Phänomen wird sich in den nächsten Jahren nach Ansicht von Wissenschaftler noch weiter verstärken – in Indien und anderswo. Mit allen dazugehörigen Problemen wie Elend, Verkehrsinfarkt, Umweltverschmutzung oder Krankheiten.

Kinder als letzte Rettung

Doch was sind die Hauptgründe für die Bevölkerungsexplosion auf dem indischen Subkontinent? Da es weder eine Kranken-, noch eine Pflegeversicherung oder eine Rente für jeden gibt, müssen viele Inder im Alter oder bei Krankheit auf andere Strategien zurückgreifen: Was liegt da näher als wie schon immer üblich auf die Hilfe der Kinder zu setzen. Oder auf nahe Verwandte. „Wer keine Kinder hat, um den sorgen sich eben Neffen, Nichten oder die Geschwister“, sagte die Direktorin der Organisation HelpAge India, Nidhi Raj Kapoor 2008 im Spiegel.

Zudem fährt die indische Regierung unter Premierminister Manmohan Singh längst nicht so einen rigiden Kurs in Sachen Fruchtbarkeitseindämmung wie China mit seiner staatlich verordneten „Ein-Kind-Philosophie“.

Große regionale Unterschiede

Doch Indien ist nicht gleich Indien. Was das Bevölkerungswachstum angeht, gibt es im Multikultistaat mit den vielen verschiedenen Religionen gewaltige Unterschiede. So ist die Fruchtbarkeitsrate im Süden des Landes schon seit Jahren deutlich rückläufig und in verschiedenen Bundesstaaten wie Kerala oder Tamil Nadu sogar unter das Niveau von durchschnittlich zwei Kindern pro Frau gefallen.

Ganz anders sieht es dagegen im Norden Indiens aus. „In Bihar und Uttar Pradesh bringt eine Frau im Lauf ihres Lebens auch heute noch mehr als vier Kinder zur Welt“, beschreibt Carl Haub vom US-amerikanischen Population Reference Bureau (PRB) die Situation.

Das PRB steht im „Who is who“ der Demografen ganz weit vorne. Die Wissenschaftler dort analysieren nicht nur die aktuelle Weltbevölkerung auf der Basis der vorliegenden offiziellen Zahlen. Die Experten für Leben und Sterben geben auch präzise Voraussagen heraus, wie sich die Zahl der Menschen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln wird.


Stand: 11.07.2008

Einem Bevölkerungsriesen beim Wachsen zugeschaut

2070: Zwei Milliarden Inder?

Kinder in Agra © Sir Anon / CC 3.0

Die indische Regierung hat hehre Ziele: Laut dem nationalen Bevölkerungsprogramm aus dem Jahr 2000 („National Population Policy 2000“) will sie die Zahl der Kinder pro Paar auf durchschnittlich 2,1 drücken und so dafür sorgen, dass die Bevölkerung Indiens langfristig gesehen nicht mehr weiter wächst.

Doch noch sind die Politiker um Premier Manmohan Singh weit davon entfernt dieses Ziel auch nur annähernd zu erreichen. Zwar ist die Fruchtbarkeitsrate in den letzten 60 Jahren von sechs auf knapp drei Kinder gesunken, doch das ist noch immer viel zu viel um die Bevölkerungsexplosion in absehbarer Zeit auch nur ansatzweise einzudämmen. Denn Indien steckt in einem Teufelskreis. Viele Kinder und Jugendliche – in Indien ist etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung unter 15 Jahre alt -, bedeutet viele zukünftige Paare, die noch mehr Kinder bekommen…

Jaipur in Rajasthan aus der Vogelperspektive © Adrian Sulc / CC 3.0

Wird die 2-Milliarden-Grenze geknackt?

Wohin diese Entwicklung führen könnte, hat eine im Jahr 2007 erschienene Studie des US-amerikanischen Population Reference Bureau (PRB) gezeigt. Und die darin zusammen mit der Population Foundation of India ermittelten Zahlen für die Zeit bis zum Ende des 21. Jahrhundert haben es in sich.

Die Wissenschaftler um Carl Haub und Amulyaratna Nanda kommen in ihrem Report zu dem Schluss, dass Indiens Bevölkerung zwischen 2066 und 2071 die zwei Milliardengrenze überschreiten wird – selbst dann, wenn die Zahl der Kinder pro Frau allmählich auf den Wert von 2,1 absinken sollte.

2,181 Milliarden Inder im Jahr 2101?

Doch das ist noch nicht alles. Endergebnis der Projektion wären schließlich 2,181 Milliarden Inder am Ende des Untersuchungszeitraumes im Jahr 2101. Dann würde zudem nahezu die Hälfte aller Einwohner des Landes in nur vier Bundesstaaten leben: Bihar, Mahya Pradesh, Rajasthan und Uttar Pradesh.

„Wenn die Kinderzahlen hier nicht deutlich abnehmen, ist es durchaus realistisch, dass die indische Bevölkerung die Zwei-Milliarden-Marke erreicht“, fasst Haub wichtige Ergebnisse der Studie zusammen.

Kinder in Delhi © Thomas Schoch / GFDL

Bevölkerungs-Peak zwischen 2081 und 2086

In einem zweiten Szenario, in dem die Demografen von einer niedrigeren Fruchtbarkeitsrate (1,85) ausgehen, würde die zwei Milliarden-Marke zwar nicht ganz geknackt, die Gesamtzahl läge aber mit knapp 1,9 Milliarden nur unwesentlich darunter.

Doch in dieser Modellrechnung hätten die Wissenschaftler immerhin einen Hoffnungsschimmer parat: Den Bevölkerungs-Peak gäbe es zwischen 2081 und 2086, danach würde die Zahl der Inder langsam wieder schrumpfen.

Soweit die Prognosen und Simulationen. Klar ist für Forscher wie Haub und Nanda jedoch eins: Indien wird in jedem Fall China bald als bevölkerungsstärkstes Land der Welt ablösen. Und zwar vermutlich um das Jahr 2025, denn dann gibt es bereits rund 1,45 Inder auf der Erde.


Stand: 11.07.2008

Indien zwischen Krise und Kommerz

Bevölkerungsexplosion macht Probleme

Straßenküche in Kolkata © KenWalker / CC 3.0 / GFDL

Hunger, Armut, zu viele Pestizide und Überdüngung in der Landwirtschaft, fehlende Lehrer und Schulen: Dies sind nur einige der Probleme, mit denen Indien auch aufgrund der Überbevölkerung schon heute zu kämpfen hat. Hinzu kommt die „dicke Luft“ durch eine ständig steigende Zahl an Pkws – vor allem die Großstädte ersticken im Verkehr – oder veraltete Kraftwerke.

Viel im Argen liegt auch beim indischen Gesundheitssystem. Dem unterfinanzierten öffentlichen Bereich fehlt es an Ärzten und Medikamenten, der private Bereich ist für die meisten Kranken kaum zu finanzieren. Wie die Weltbank in einer Studie festgestellt hat, reicht daher bei einem Viertel aller Haushalte im indischen Bundesstaat Maharashtra schon ein Krankheitsfall aus, um die jeweilige Familie in den Ruin zu treiben.

Politiker verbreiten Optimismus

Wenn Indiens Bevölkerung künftig jährlich um 17 Millionen weiter wächst, wird sich die Situation nach Ansicht von Experten in vielen Bereichen noch dramatisch verschärfen. Denn diese Menschen brauchen Ressourcen wie Land, Nahrung, Energie oder Wasser, die auf dem Subkontinent ohnehin knapp sind.

Schlangenbeschwörer in Jaipur © Public domain

Sie benötigen aber auch Arbeit, um überleben zu können. Aktuellen Berechnungen von Wissenschaftlern zufolge müssen aufgrund des Bevölkerungswachstums in Zukunft pro Jahr bis zu sieben Millionen Jobs zusätzlich entstehen, um den Bedarf einigermaßen zu decken.

Das Land braucht zudem 16.000 Primarschulen und 400.000 Lehrer jährlich extra, um zumindest eine Grundbildung der Babyboom-Kinder sicher zu stellen. Ein realistisches Szenario dank Wirtschaftswunder und wachsenden Auslandinvestitionen? Für indische Politiker offenbar schon.

„Natürlich haben wir Probleme in unserem Land. Aber die Probleme sind längst nicht so groß, wie manche behaupten“, sagte beispielsweise der indische Planungsminister Montek Singh Ahluwalia 2006 im Spiegel. Und weiter: „Sie werden sehen: Langfristig werden von dem Wachstum in Indien alle ihren Nutzen haben.“

Bäuerin in Indien © public domain

Massenselbstmorde als Hilferuf

Für manche jedoch könnte es dann längst zu spät sein. So wie für viele Bauern im zentralindischen Baumwollgürtel, die schon jetzt aufgrund des Preisverfalls bei dem Naturprodukt immer stärker mit Überschuldung, Hunger und Sorge um das Wohl der Familie zu kämpfen haben. Die Folge: Die Selbstmordrate steigt enorm.

Allein in den Bundesstaaten Maharashtra, Kerala, Karantaka und Andrah Pradesh soll es in den letzten Jahren nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen 18.000 solcher Fälle gegeben haben.

Sozialer Bereich als Achillesferse

Für viele Experten ist es deshalb mehr als fragwürdig, allein auf das Prinzip Hoffnung und das aktuelle Wirtschaftswunder zu setzen, um mit dem rasanten Bevölkerungswachstum klar zu kommen. Der Wissenschaftler Christian Wagner kommt in einem Beitrag für „GIGA Focus“ des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) zu dem Schluss: „Die Achillesferse der indischen Demokratie ist bis heute ihre mangelnde Leistungsfähigkeit im sozialen Bereich, vor allem bei der Bereitstellung öffentlicher Güter.“

Angesichts der herrschenden Rahmenbedingungen, so Wagner weiter, werde das rasante Wirtschaftswachstum die sozialen Probleme kaum von selbst lösen – vor allem dann, wenn jährlich Millionen von Menschen hinzu kommen.


Stand: 11.07.2008

Was kann Indien gegen das Bevölkerungswachstum tun?

Verhütung, Familienplanung und viel mehr…

Ungewollte Kinder? © Thomas Schoch / GFDL

Statt dem Wirtschaftswachstum zu vertrauen, fordert die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung das „Übel“ bei der Wurzel anzupacken und die Bevölkerungsexplosion so weit wie möglich einzudämmen. Aber wie?

Ungewollt schwanger

„Den Frauen in diesen Ländern fehlt häufig das Wissen über richtige Verhütung oder sie haben Angst vor gesundheitlichen Folgen. Nur durch Aufklärung und Beratung können diese Hindernisse überwunden werden“, nennt Renate Bähr von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) eine der möglichen Maßnahmen.

Denn noch immer werden weltweit jedes Jahr 76 Millionen Frauen ungewollt schwanger. „Es muss dringend mehr in Familienplanungs- und Aufklärungsprojekte in Entwicklungsländern investiert werden“, so Bähr weiter.

Wirtschaftliche Zwänge diktieren Kindersegen

Doch eine bessere Bildung vor allem für indische Frauen ist ohnehin nur die eine Seite der Medaille. Denn um die Geburtenrate dauerhaft zu senken, müssen nach Ansicht von vielen Forschern beispielsweise auch wirtschaftliche Zwänge berücksichtigt werden.

Straßenbewohner in Mumbai © public domain

„In einem Land wie Indien, wo die eigenen Kinder die einzige Altersvorsorge darstellen, gibt es einen einzelwirtschaftlichen Zwang zur Großfamilie. Eltern müssen aus Vorsicht möglichst viele Kinder haben um sicher zu gehen, dass genug noch leben werden, wenn sie alt sein werden“, beschreibt Sylvain Coiplet vom Institut für soziale Dreigliederung einen der wichtigsten Auslöser für die Bevölkerungsexplosion in Indien. „Dieser Zwang muss dadurch beseitigt werden, dass man der Altersvorsorge eine breitere Basis gibt.“

Dies könnte seiner Meinung nach beispielsweise durch eine staatlich geförderte allgemeine Kranken- und Rentenversicherung geschehen oder durch private Nachbarschaftsfonds, in denen sich hunderte von Familien zusammenschließen.

Markt in Hyderabad © public domain

Armut verhindert Weitsicht

Doch ob solche Ideen tatsächlich die gewünschte Wirkung zeigen, bleibt abzuwarten. Denn noch immer sind viele Inder mehr mit dem alltäglichen Kampf ums Überleben beschäftigt als mit vorausschauenden Zukunftsplanungen. Denn nach Angaben des Human Development Report 2006 des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen haben vier von fünf Bewohnern des Landes maximal zwei US-Dollar täglich zur Verfügung – für Nahrung, Kleidung und alle anderen Dinge des alltäglichen Lebens.


Stand: 11.07.2008

Bevölkerungswachstum treibt Klimawandel an

Klimasünder Indien?

Nur etwas mehr als eine Tonne CO2 wird in Indien laut der Earth Trends Database 2007 des World Resources Institutes pro Kopf und Jahr in die Luft gepustet – und dies trotz maroder Kraftwerkstechnik und Verkehrsinfarkt. Das ist gerade mal ein Zwanzigstel von dem, was auf einen US-Amerikaner entfällt. Noch. Denn wenn das Wirtschaftswachstum in Indien auch nur annähernd auf dem neun-Prozent-Niveau weitergeht, wird die CO2-Bilanz dort wahrscheinlich schon bald viel negativer ausfallen.

Wird Indien in Zukunft also zu einem der größten Klimasünder der Welt? Aktuelle Hochrechnungen haben zumindest gezeigt, dass sich die Treibhausgas-Emissionen dort auch wegen des Bevölkerungswachstums in den nächsten 25 Jahren mindestens verdoppeln werden. Doch auch dann würden sie noch immer nur einen Bruchteil von denen in vielen Industrieländern betragen.

Mehr Emissionen – weniger Armut?

Der Vorsitzende des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Rajendra K. Pachauri, stellte denn auch klar, dass die Hauptverantwortung bei der Emissionsminderung nach wie vor bei den Industrieländern liegt. „Ich glaube, die reichen Länder müssen ihre Emissionen senken. Wir dagegen sollten unsere Emissionen steigern können, denn das ist nötig, um die Armut zu vertreiben“, sagt Pachauri im Magazin „Welternährung“ der Welthungerhilfe.

Hiranandani Komplex in Powai, Mumbai © CC 2.5

Aber der Klimaexperte plädiert in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ auch dafür, dass Indien einen anderen, besseren Weg wählt als die USA, Deutschland oder Japan vor einigen Jahrzehnten. „Richtig, wir müssen anders bauen, Energie muss effizienter genutzt werden, und es fehlen noch mehr politische Vorschriften und Anreize. Aber auch auf diesem Feld gilt wie beim Verkehr: Die Industrieländer müssen Vorbild sein. Man kann nicht erwarten, dass Inder, die täglich im Fernsehen amerikanische Geländeautos sehen, darauf verzichten wollen.“

Und er geht noch einen Schritt weiter: „Viele hegen hierzulande schon lange den Verdacht, dass der Norden selbst nichts tun will und Druck auf den Süden ausübt, damit wir arm bleiben und damit emissionsarm.“

Bevölkerungswachstum belastet Klima

Wie sehr das enorme Bevölkerungswachstum in Indien oder anderswo in Zukunft das Klima belasten könnte, hat der Datenreport 2007 der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung gezeigt.

Danach würde es dem Klimaschutz nur wenig nützen, wenn die Industrieländer – wie Anfang Juli 2008 auf dem G 8-Gipfel in Japan beschlossen – den Kohlendioxid-Ausstoß bis 2050 um 50 Prozent reduzieren. Denn global betrachtet wäre das nicht viel mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein: Neue Berechnungen haben ergeben, dass nahezu die gesamten Einsparungen in Deutschland, England oder Frankreich durch die Bevölkerungsexplosion in den Entwicklungs- und Schwellenländern wieder kompensiert würden.

„Das Thema Bevölkerungswachstum muss in der gegenwärtigen Debatte um den Klimawandel stärker berücksichtigt werden“, fordert deshalb auch der Geschäftsführer der DSW, Jörg F. Maas. „Denn eine Verlangsamung des Wachstums der Weltbevölkerung kann einen wichtigen Beitrag leisten, den Treibhauseffekt zu verringern.“


Stand: 10.07.2008