Wie aussagekräftig ist der Waldzustandsbericht?

Waldsterben – das Update

Geschädigte Bäume. © USDA/NRCS

Fallende Nadeln, vergilbte Blätter, tote Äste – betrachtet man die amtlichen Zahlen des letzten Waldzustandsberichts sind Deutschlands „grüne Lungen“ sterbenskrank. Gerade mal ein knappes Drittel aller Bäume ist noch vital und ohne Makel. Der Rest ist mehr oder minder schwer geschädigt und dringend auf Hilfe angewiesen.

Doch das ist eigentlich nicht Neues. Schon seit 1984 zeichnet der Report alle Jahre wieder ein düsteres Bild von der Lage in den heimischen Forsten und malt das Schreckgespenst eines drohenden Waldsterbens an die Wand. Aber dazu ist es bisher nie gekommen.

Kritiker halten den Waldzustandsbericht denn auch für wenig aussagekräftig und die Schadensbilanzen für viel zu hoch. Sie verweisen auf aktuelle Forschungsergebnisse, die belegen, dass die Bäume in Mitteleuropa heute viel schneller wachsen als früher. Ergebnis: Die Holzvorräte in den deutschen Wäldern sind so groß wie nie zuvor. Tendenz weiter steigend.

Doch wer hat Recht? Hängt der Wald noch am Tropf oder ist er längst auf dem Weg zur Genesung?

Dieter Lohmann
Stand: 08.12.2006

Wie das Waldsterben begann

Dicke Luft über Deutschland

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Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren. Wie gewaltige qualmende Zigarren ragen die Schlote der Fabriken im Ruhrgebiet und anderen Regionen zu Hunderten in den Himmel hinauf. Immer höher und höher sind die Schornsteine in letzter Zeit geworden. Sie sollen so die „dicke Luft“, die über den Industrieparks und Städten liegt und die Gesundheit der Menschen bedroht, dort ablassen, wo sie weniger stört – weit oben.

Je höher die Schlote, desto weiter wird der Schadstoffmix aus Schwefeldioxid, Stickoxiden oder giftigen Schwermetallen vom Wind verteilt, so das Konzept der Wirtschaftsbosse und Politiker. Damit scheint zunächst allen geholfen. Den Bewohnern rund die Schwerindustrie, die wieder bessere Luft atmen können und auch den Industriebetrieben. Denn diese müssen dann nicht in wirksame, aber teure Filter und andere moderne Umweltschutztechnik investieren.

Waldsterben und saurer Regen

Die Maßnahmen zeigen durchaus Erfolg, die Schadstoffpegel in Städten wie Duisburg, Leverkusen, oder Ludwigshafen sinken. Problem gelöst? So scheint es. Doch schon bald hält ein neues, bis dahin unerklärliches Phänomen in Deutschland und in anderen europäischen Ländern Einzug: Waldsterben. Viele Baumbestände auch in abgelegenen Gebieten erkranken großflächig. Und dass, ohne dass Industrieansammlungen in der Nähe sind, die man direkt dafür verantwortlich machen könnte.

Waldschäden. © Harald Frater

Erstes Opfer sind die Weißtannen in Bayern und im Schwarzwald. Bald kommen schwere Schäden auch an Fichten, Buchen, Kiefern oder Eichen hinzu. Und nur wenige Jahre später ist dann ein knapp ein Drittel aller Bäume krank, wie die Analysen belegen. Bilder von endlosen Reihen mit Baumskeletten flimmern immer wieder über die Fernseher in den Wohnzimmern. Deutschland ist geschockt. Der Begriff Waldsterben wird zum Modewort und ist bald in aller Munde. Und beim Lametta-Syndrom denkt kein Mensch mehr an Weihnachtsschmuck, sondern an kahle, herabhängende Zweige geschädigter Tannen und Fichten.

Doch wieso kommt es zu den neuartigen Waldschäden? Werden die Wälder vielleicht falsch gemanagt? Gab es – warum auch immer – einen Nährstoffmangel in den betroffenen Regionen? Die Forscher wissen viel zu wenig über das komplizierte Ökosystem, um darauf eine schlüssige Antwort zu geben.

Ein Hype um das Waldsterben bricht los

Aber schließlich finden Wissenschaftler um den Bodenkundler Bernhard Ulrich von der Universität Göttingen doch eine einleuchtende Erklärung für das Phänomen. Danach ist die starke Luftverschmutzung und der daraus resultierende saure Regen für die verheerenden Waldschäden verantwortlich. Schon in fünf Jahren, so die Prognosen der Forscher, könnten erste Wälder vollständig verschwunden sein.

Die Theorie fällt auf fruchtbaren Boden. „Über allen Gipfeln ist Gift“ schreibt der Stern, ein „ökologisches Hiroshima“ sieht der Spiegel auf Deutschland zu kommen und „Saurer Regen über Deutschland. Der Wald stirbt“. Daran glaubt dann auch bald ganz Deutschland.

Laubwald. © IMSI MasterClips

Dass es den sauren Regen gibt, ist schnell bewiesen. Aber wie er sich konkret vor Ort in den Wäldern auswirkt bleibt zunächst unklar. Auch in Bezug auf das tatsächliche Ausmaß der Schäden tappen die Wissenschaftler im Dunkeln. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, machen Bund und Länder reichlich Forschungsgelder locker. Zwischen 1982 und 1998 fließen rund 270 Millionen Euro in die Waldforschung. Gut angelegtes Geld, denn die Forschungsprojekte bringen viele neue Erkenntnisse über das Ökosystem Wald und die Wirkungsweise der Schadstoffe.

Zum wichtigsten Instrument um die Waldschäden exakt zu diagnostizieren, wird der so genannte Waldzustandsbericht, den die Bundesregierung unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl bereits im Jahr 1984 aus der Taufe hebt. Seitdem liefert er jährlich die neuesten Zahlen über das Leben und Sterben in den deutschen Wäldern.


Stand: 08.12.2006

Die neuesten Zahlen

Waldzustand: besorgniserregend

Wald am Ende? © Harald Frater

Mehr als 70 Prozent des deutschen Waldes sind krank, 29 Prozent sogar schwer: Dies sind nicht etwa Zahlen aus dem allerersten Waldzustandsbericht im Jahr 1984, dem Höhepunkt der Waldsterben-Diskussion. Stattdessen stammt diese ernüchternde Bilanz vom 24. Januar 2006. An diesem Tag stellte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Peter Paziorek, den Waldzustandsbericht 2005 vor. In seiner Rede kam er zum Fazit: „Der Gesundheitszustand des Waldes bleibt besorgniserregend.“

Buchenwald. © Andreas Heitkamp

Die amtlichen Statistiken der Baumzählung und -bewertung unterstützten Pazioreks Meinung. Im Vergleich zu 1984 gab es zwischen Flensburg und Passau sogar 15 Prozent weniger gesunde Bäume, dafür aber sechs Prozent mehr Nadel- und Laubbäume mit deutlichen Schäden. Besonders schlimm betroffen waren 2005 Eiche und Buche. Bei diesen Arten zeigten 51 beziehungsweise 44 Prozent aller Bäume gravierende Krankheitsindizien.

NABU sieht existenzielle Bedrohung

„Bereits im vergangen Jahr verzeichnete der Waldzustandsbericht die stärksten Baumschäden seit Beginn der Aufzeichnungen. In diesem Jahr zeigt sich das gleiche jämmerliche Bild mit einer weiteren dramatischen Verschlechterung bei der Eiche und teilweise bei der Kiefer“, kommentierte NABU-Präsident Olaf Tschimpke die Ergebnisse 2005.

„Schadensbilder in dieser Wiederholung und Häufigkeit machen die existentielle Bedrohung unseres Waldes deutlich“, so Tschimpke weiter. Auch die neuesten Zahlen aus einigen Bundesländern für den in Kürze erscheinenden Report 2006 zeigen keine Trendwende. Ganz im Gegenteil. Aus Baden-Württemberg wird sogar das höchste Schadensniveau seit 1983 gemeldet: 45 Prozent der Waldfläche sind hier deutlich geschädigt.

Abgestorbene Nadelbäume. © IMSI MasterClips

In den letzten vier Jahren hat sich der Waldzustand dabei gegenüber früher gravierend verschlechtert. Ähnlich ernüchternde Zahlen haben im November 2006 auch Bayern oder Nordrhein-Westfalen vorgelegt. In NRW geht es dem Wald sogar so schlecht wie noch nie. Nur noch ein Viertel aller Bäume ist völlig gesund.

Note ausreichend im internationalen Vergleich?

So schlimm die Resultate auch aussehen, im internationalen Vergleich steht Deutschland noch einigermaßen gut da. Spitzenreiter bei den Waldschäden ist Tschechien. Dort sind mehr als die Hälfte aller Bäume deutlich beeinträchtigt. Es folgen die Ukraine, Italien und Norwegen mit 39,6, 38,4 und 27,2 Prozent (Stand 2001). Als Waldeuropameister können sich dagegen Österreich und vor allem Dänemark betrachten. Hier sind nicht einmal zehn Prozent des Waldes eindeutig erkrankt.


Stand: 08.12.2006

Pro und Contra Waldzustandsbericht

Wertvolles Instrument oder unbrauchbare Methode?

Er ist das Maß aller Dinge bei der Begutachtung des deutschen Waldes, er liefert jedes Jahr harte Zahlen darüber, wie krank oder gesund die Laub- und Nadelbäume wirklich sind. Und er füttert Politiker und Wissenschaftler, die sich um die Genesung des Waldes bemühen mit wichtigen und vor allem objektiven Informationen – angeblich.

Baumleiche. © Harald Frater

Dabei ist der seit 1984 jährlich erscheinende Bericht über den Zustand des Waldes schon seit Jahren heftig umstritten. Während Umweltorganisationen seinen Wert preisen und auf seinen Erhalt pochen, sieht dies bei Politikern und Wissenschaftlern zum Teil ganz anders aus. Kritiker bemängeln schon seit den 1980er Jahren, dass das Verfahren viel zu ungenau ist und zudem deutlich überhöhte Zahlen liefert. Damit habe es er vor allem in den 1980er Jahren die „Waldsterbepanik“ in Deutschland maßgeblich mit angestoßen.

Rückendeckung erhielten die Gegner des Waldzustandsberichts schon im November 1988 durch einen Artikel im Wissenschaftsmagazin Nature. Forscher konstatierten darin, dass die meisten der im Waldzustandsbericht aufgelisteten Schäden von selbst heilten, wenn die Bäume nicht zu arg in Mitleidenschaft gezogen sind. Damit könne nur ein Bruchteil der in diesem Report als geschädigt gelisteten Bäume als bedroht gelten und es sei deshalb falsch von einem „Waldsterben“ zu sprechen. Der Bericht, so das Resümee des Artikels, sei falsch oder missverständlich.

Massive Vorbehalte hatten die Gegner des Waldreports vor allem gegen das Verfahren zur Ermittlung der Schäden. Speziell geschulte Mitarbeiter der Forstbehörden in den Bundesländern untersuchen dabei im Juli und August jeden Jahres den Zustand der Baumkronen vom Boden aus. Sie schätzen dabei, wie viele Blätter oder Nadeln der jeweilige Baum verloren hat und damit die so genannte Kronenverlichtung. Diese gilt dann als Indiz für die Schädigung der Fichten, Tannen und Eichen.

Fazit: abschaffen

Um eine klare Zuordnung vornehmen zu können, wurden zudem verschiedene, klar definierte Schadensstufen festgelegt. Die Bewertung 0 gibt es für gesunde Bäume mit Verlusten von null bis zehn Prozent und Schadensstufe 1 erhalten Individuen mit elf bis 25 Prozent Kronenverlichtung. Bäume der Schadenstufe 2 (26 bis 60 Prozent), 3 (61 bis 99 Prozent) und 4 (100 Prozent = bereits abgestorben) werden bei der Analyse der Ergebnisse meist zusammengefasst und mit dem Prädikat „deutlich geschädigt“ versehen.

Kiefern. © PixelQuelle.de

Für Kritiker ist diese Methode der Schadensermittlung nicht nur zu subjektiv und oberflächlich, sondern sie lässt auch keine gezielten Rückschlüsse auf die Ursachen für die Schädigungen an den einzelnen Standorten zu. Hinzu kommt nach Ansicht von Forschern, dass punktuelle Ereignisse wie Parasitenbefall oder Trockenheit einen zu großen Einfluss auf das Untersuchungsergebnis nehmen.

Denn längst nicht jeder Verlust von Nadeln oder Blättern ist gleich ein Zeichen dafür, dass der betreffende Baum krank ist. Vielmehr handelt es sich dabei teilweise um einen Überlebenstrick. Bei langer Trockenheit sorgt das Abwerfen der grünen „Anhängsel“ dafür, dass weniger Wasser über die Verdunstung abgegeben wird. Die Bäume können so mit den lebenswichtigen Wasserressourcen besser hauszuhalten.

Aufgrund der Mängel des Verfahrens kam schon ein 1996 für das damalige Bundesministerium für Forschung und Technik (BMFT) erstelltes Gutachten zu einem vernichtenden Ergebnis. 18 führende Wissenschaftler forderten als Resümee die Abschaffung des Verfahrens der Waldzustandserfassung wegen Unbrauchbarkeit.


Stand: 08.12.2006

Streit um den jährlichen Report

Waldzustandsbericht ade

Trotz aller Mängel ist der Waldzustandsbericht aber wohl doch kein Muster ohne Wert. Denn es gibt auch Wissenschaftler wie Professor Anton Fischer von der TU München, die Vorteile in diesem Verfahren sehen. „Wir könnten natürlich um jeden Baum herum ein wissenschaftliches Forschungsprojekt aufbauen, aber dazu fehlen die Menschen und das Geld. Wir brauchen eine Methode, die uns rasch einen ersten Überblick über den Waldzustand verschafft. Da ist die Bestimmung der Blattverluste in Prozent eine vergleichsweise einfache Methode, die sich relativ rasch und sogar in ganz Europa durchführen lässt. Es steht aber auch in jedem Waldschadensbericht, dass die Interpretation dieser gesammelten Daten sehr schwierig ist.“, so der Forscher in einem Interview mit der Tagesschau im Jahr 2006.

Wald © PixelQuelle.de

Und der frühere Staatsekretär der Bundesregierung Matthias Berninger sagte zu diesem Thema 2004 in der Wochenzeitschrift ZEIT: „Ich teile die Einschätzung nicht, der Bericht bringe überhaupt nichts. Dieses Jahr dokumentieren wir Zahlen für Buchen und Eichen, die alarmierend sind. Und was im vergangenen Jahr über das Borkenkäferproblem zusammengetragen wurde, das hat bereits im Winter zu einem verbesserten Krisenmanagement geführt. Solche Daten liefern uns durchaus Anhaltspunkte für Maßnahmen in der Forstpolitik.“

Klar ist jedoch: Schon in den 1980er Jahren gab es viel bessere Methoden zur Untersuchung von Waldschäden als die Schätzung der Kronenverlichtung. Vor allen Infrarotaufnahmen von Flugzeugen oder Satelliten aus erlauben seitdem nicht nur einen Zoom in einzelne Baumkornen. Sie geben auch präzise Auskunft über die Dichte der Vegetation und machen so Schäden besser sichtbar. Ein gesunder Baum „leuchtet“ im Infrarotbild rot.

“Wenn ich einen Wechsel habe von Rot hin zu Grün, dann ist es ein Zeichen dafür, dass die Vegetation krank, und wenn es ganz grün ist, tot ist.“ erläutert Professorin Barbara Koch vom Institut für Fernerkundung der Universität Freiburg in einem Beitrag für den Deutschlandfunk im Jahr 2004. “Hier können Sie gleich sagen: Was hat eine rote Farbe? Das sind die gesunden Bäume. Und was ist so grau, hier hellgrau dargestellt? Wenn sie ganz tot wären, wären sie grün. Das sind die geschädigten Bäume.“

Totschweigen statt gesunden lassen?

Tote Bäume. © IMSI MasterClips

Die herbe Kritik und die durchaus vorhandenen methodischen Alternativen waren für die verschiedenen Bundesregierungen der letzten Jahre jedenfalls kein Argument, das 1984 eigentlich als Provisorium eingeführte Verfahren entscheidend zu verändern. Auf der einen Seite wollten die Politiker mit der Beibehaltung des Waldzustandsberichts die Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleisten. Anderseits fürchteten sie vermutlich die massiven Proteste der Umweltschutzorganisationen. Diese witterten bei entsprechenden Vorstößen sofort Verrat und argumentierten, dass der kranke Wald „gesundgelogen“ werden solle.

Doch im Jahr 2006 ist jetzt erstmals richtig Bewegung in den Streit um den Waldzustandsbericht gekommen. Initiiert hat die Diskussion um Sinn oder Unsinn des Reports Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer. Nach seinem Willen soll der jährliche Report schon bald der Vergangenheit angehören. Er hat vor die Waldinventur in Zukunft nur noch einmal alle vier Jahre vorzulegen. Offizielle Begründung: Bürokratieabbau und Straffung des Berichtwesens.

Es gibt im Ministerium sogar Überlegungen, den Waldzustandsbericht ganz abzuschaffen und in einer Gesamtbilanz zur Lage von Landwirtschaft, Fischerei und Forst aufgehen zu lassen.

Doch das letzte Wort ist in dieser Sache noch längst nicht gesprochen. Denn Umweltschutzorganisationen wie NABU, BUND oder der Deutsche Naturschutzring (DNR) laufen gegen dieses Vorhaben Sturm: „Durch Totschweigen wird der kranke deutsche Wald nicht gesunden“, sagte DNR-Generalsekretär Helmut Röscheisen im November 2006. Angesichts der nach wie vor erheblichen Aussagekraft dieser Berichte könnten hier Kostengesichtspunkte oder gar der immer wieder bemühte Bürokratieabbau keine Rolle spielen…


Stand: 08.12.2006

Warum Schadstoffe auch nutzen können

Dünger aus der Luft

So umstritten wie der Waldzustandsbericht ist auch der gesundheitliche Ist-Zustand der grünen Lungen Deutschlands. Denn trotz sauren Regens, hoher Ozonwerte, fallender Nadeln und kahler Äste geht es den Bäumen offenbar längst nicht so schlecht wie befürchtet. Dafür sprechen einige Indizien.

Wald in der Eifel © Andreas Heitkamp

Zum Einen gibt es in Deutschland so viel Wald wie schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Dies hat beispielsweise die letzte Bundeswaldinventur im Jahr 2002 gezeigt. Danach wachsen die Holzvorräte in heimischen Gefilden jedes Jahr ein Stückchen weiter an und haben mittlerweile Rekordwerte erreicht. Mit 3,4 Milliarden Kubikmetern Holz sind sie sogar höher als beispielsweise in Schweden.

Produktivität der Bäume hat zugenommen

Und noch ein Argument spricht gegen einen dahinsiechenden Wald: Die Bäume in Deutschland wachsen erheblich schneller als früher. Dies hat erstmals ein internationales Wissenschaftlerteam um Professor Heinrich Spieker vom Institut für Waldwachstum der Universität Freiburg im Jahr 1996 entdeckt. Die Studie „Growth trends in European forests“ des Europäischen Forstinstituts (EFI) zeigte, dass die Produktivität der Bäume in den letzten Jahrzehnten an vielen Standorten deutlich zugenommen hat.

Mehrere weitere europaweite Untersuchungen in den Folgejahren haben diesen generellen Trend bestätigt. Die ermittelten Wachstumsbeschleunigungen lagen bei Baumarten wie Fichte oder Kiefer zum Teil sogar bei 20 Prozent. „Seit den sechziger Jahren wachsen die Bäume an denselben Standorten deutlich schneller als jemals zuvor, sagte Risto Päivinen, der Direktor des EFI im Jahr 2002 in der ZEIT.

Gegenläufige Entwicklungen registrierten die Waldforscher nur bei extremen Wachstumsbedingungen wie intensiver Luftverschmutzung und extremen Klimabedingungen. Eine Pilotstudie des EFI zu den Gründen für das stärkere Wachstum ergab, dass ein gestiegener Stickstoffeintrag in den Wald – beispielsweise aus dem immer höheren Verkehrsaufkommen -, Ursache für diese Entwicklung sein könnte. Aber auch ein erhöhter CO2-Gehalt der Luft, höhere Temperaturen und Niederschläge kamen nach den Ergebnissen des EFI dafür in Betracht.

Mehr Stickstoff lässt Bäume wachsen

Genauere Aufschlüsse brachte dann im Jahr 2003 das EU-Projekt Recognition. „„Wir wissen jetzt, dass vor allem die Stickstoffeinträge aus der Luft das Baumwachstum beschleunigen“, sagt Päivinen. „Der Anstieg der Temperaturen und des Treibhausgases CO2 scheinen von geringerer Bedeutung zu sein. Allerdings könnte der Klimawandel in der Zukunft die Hauptrolle spielen.“, so Päivinen.

Doch ist ein schneller in die Höhe schießender Baum auch gesünder? Und welche Folgen hat das Wachstum im Zeitraffer für das Ökosystem Wald? "Wenn die Bäume schneller wachsen, dann ist ihr Bedarf an Nährstoffen größer", sagte Spieker im Jahr 2002 im Wissenschaftsmagazin „nano“. "Nicht nur an Nährstoffen, auch der Bedarf an Wasser. Das bedeutet, dass möglicherweise, wenn mehr Nährstoffe dem Boden entzogen werden, hier unter bestimmten Bedingungen ein Engpass entstehen kann, der zu einer Nährstoffverarmung führt." Auf Dauer drohen damit möglicherweise ein langsameres Wachstum oder sogar schwerwiegende Schäden.

Fichtenwald © Andreas Heitkamp

Solche haben Forstforscher bei der Fichte längst ausgemacht: „Haben es die Fichten wärmer und werden mit Kohlendioxid und Stickstoff gedüngt, wachsen sie zwar schneller, aber ihr Holz wird weicher – so brechen die Bäume leichter im Sturm. Und dann kommen die Borkenkäfer – letztendlich geht es den Fichten also doch wieder schlechter“, so der Professor für Geobotanik am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München in einem Interview mit der Tagesschau im März 2006.


Stand: 08.12.2006

…aber der Stress bleibt

Waldsterben überlebt…

Mischwald am Rursee. © Andreas Heitkamp

Trotz aller Unkenrufe vor allem in den 1980er und 1990er Jahren hat der deutsche Wald das prognostizierte Waldsterben bis heute nicht nur problemlos überlebt, sondern ist dabei in den letzten Jahren sogar noch erheblich weiter gewachsen.

Unumstritten jedoch ist, dass die Bäume trotz aller Anstrengungen im Umweltschutz noch immer Stress haben, der zu schwerwiegenden Schäden führt. „Die durch Luftverschmutzung verursachten Stoffeinträge, insbesondere die Stickstoffeinträge und die Ozonbelastung, sind trotz Erfolgen in der Luftreinhaltung immer noch zu hoch. Nach wie vor werden auf nahezu allen Messflächen im Wald die kritischen Werte (Critical loads) für Stickstoff- und Säureeinträge überschritten.“, resümierte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Peter Paziorek, bei der Vorstellung des Waldzustandsberichts 2005 am 24. Januar 2006.

Doch das ist noch längst nicht alles: „Auch die kritische Ozon-Konzentration, bei deren Überschreitung nach aktuellem Kenntnisstand mit direkten negativen Auswirkungen auf Waldbäume zu rechnen ist (Critical level), wird großräumig überschritten. Zudem stellen die in den Waldböden bereits über Jahrzehnte akkumulierten Stoffeinträge eine latente Gefahr für die Qualität der Waldböden und des Grundwassers dar“, so Paziorek weiter.

Nicht ganz gesund und nicht gänzlich krank

Doch wie krank oder gesund ist der Wald nun tatsächlich? Hat er mittlerweile das Schlimmste überstanden? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. „Wenn die Bundesregierung nicht schnell die gesetzlichen Weichen in Richtung einer stabilisierenden Waldbehandlung stellt, werden sich die negativen Waldzustandsberichte in einigen Jahren mangels Wald von selbst erledigt haben“, behauptete beispielsweise NABU-Präsident Olaf Tschimpke noch am 24.01.2006.

Bergwald. © Harald Frater

Professor Ernst Hildebrand vom Institut für Bodenkunde und Waldernährung der Universität Freiburg hält solchen Unkenrufen in einem Beitrag für den Deutschlandfunk im Jahr 2004 entgegen: „Die Zeit des Waldsterbens ist in der Tat vorbei, die ist auch Gott sei Dank nicht in Sicht. Dennoch würde ich sagen, haben wir den Patient Wald nach wie vor.“

Und weiter: „Ich will es mal in einen Vergleich kleiden: Wenn wir es an der Ressource messen, dann ist der Wald gesund, wenn wir es an den Funktionen messen, dann ist er krank. Das ist genau so wie ein Mensch, der sich gesund fühlen kann, krank ist, oder zumindest einen Defekt hat, wenn er seinen Blutdruck misst, und feststellt, der ist zu hoch. Dann wird der Arzt sagen: Du hast da einen gewissen Defekt, und da muss man was tun. Ich denke: In einer ähnlichen Situation sind wir mit unseren Wäldern: Gewisse Funktionen sind nicht so, wie sie sein sollten.“


Stand: 08.12.2006

Klimawandel bedroht Bäume

Neuer Feind in Sicht

Mitten im Streit über den Gesundheitszustand des Waldes, ist seit einigen Jahren ein neuer „Feind“ auf den Plan getreten, der vielleicht schon bald entscheidenden Einfluss auf das Leben und Sterben der Bäume nehmen könnte: der Klimawandel. Denn geht es nach den Prognosen der Wissenschaftler um Daniela Jacob vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg werden die Temperaturen in den nächsten 100 Jahren voraussichtlich um 2,5 bis 3,5 °C steigen – je nachdem, wie sich die Treibhausgasemissionen in Zukunft entwickeln.

Beeinflusst der Klimawandel das Pflanzenwachstum? © IMSI MasterClips

Doch damit nicht genug. „Deutschland muss sich spätestens zur Mitte des Jahrhunderts auf die Zunahme extremer Wetterereignisse wie starker Sommergewitter oder längerer Trockenperioden einstellen. Der globale Klimawandel, in dem wir uns befinden, hat definitiv Auswirkungen auf Deutschland.“, prophezeit die Klimaforscherin.

Und die Vorboten dieser Entwicklung haben Deutschland längst erreicht. Denn die so genannten Jahrhundertsommer häufen sich. Auch im Jahr 2006 gab es im Juni und Juli wieder Temperaturen von weit über 30 °C, kaum Wolken, geschweige denn Regen – und dies wochenlang am Stück. Zuletzt hatte 2003 eine ähnliche extreme Hitzewelle sogar für viele tausend Tote und Ernteschäden in Milliardenhöhe gesorgt – auch in der Forstwirtschaft.

Sprunghafter Anstieg der Schäden in 2004

„Ich denke, die größte Gefahr für den Wald sind heutzutage die Klimaveränderungen. Da ist es ja auch nachgewiesen, dass wir einen Wechsel zum wärmeren und in gewissen Jahreszeiten auch zum trockeneren Klima haben. Das wird dazu führen, dass der Wald sich zumindest verändert, dass Baumarten, die heute sehr gut bei uns existieren können mit dem Klimawechsel Probleme haben, ihren Standort bei uns zu haben … Aber ich denke, dass es auf jeden Fall zu einer Veränderung der Baumartenzusammensetzung führt. Die Tanne ist schon fast verschwunden. Andere Baumarten könnten folgen.“, so Professorin Barbara Koch vom Institut für Fernerkundung der Universität Freiburg im Januar 2004 in einem Beitrag des Deutschlandfunks.

Wie gravierend sich Hitze- und Trockenperioden auf die Vitalität der Bäume auswirken können, belegte der Waldzustandsbericht 2004. Die Baumbewerter und Nadelzähler registrierten damals einen sprunghaften Anstieg der Waldschäden um rund acht Prozent als Folge des Jahrhundertsommers 2003.

Fichten kämpfen ums Überleben

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Doch warum sind große Hitze und Trockenheit so schädlich für viele Nadel- und Laubbäume? Ein Beispiel: Fichtenwurzeln befinden sich nahe der Erdoberfläche und können daher keine Grundwasserreservoire tief im Boden anzapfen. Diese Art ist deshalb auf relativ kontinuierlich fallende Niederschläge angewiesen.

Als Reaktion auf einen längeren Wassermangel können die Bäume zunächst einen Teil ihrer Nadeln abwerfen, um so die Verdunstung einzuschränken und Wasser zu sparen. Ist es jedoch wie im Jahrhundertsommer 2003 zu lange zu trocken, wird es für die Fichten kritisch. Dann drohen massive Schädigungen in den Zellen und im Extremfall sogar das Absterben des Baumes.

Die Fichtenhaine werden durch den fehlenden Regen aber auf jeden Fall so geschwächt, dass sie eine leichte Beute für den Borkenkäfer werden. So hat die enorme Hitze und Trockenheit im Juni und Juli 2006 in Verbindung mit Massenvermehrungen der Schadinsekten dazu geführt, dass den Tieren allein in Bayern 5.600 Hektar Wald zum Opfer fielen.


Stand: 08.12.2006

Erste Maßnahmen zur Anpassung an Trockenheit und Hitze

Klimawandel baut Wälder um

Totholz im Buchenwald © Andreas Heitkamp

„Die nachhaltige Forstwirtschaft muss frühzeitig die Risiken und Chancen des Klimawandels in das Waldmanagement einbeziehen. So wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit der Wasserhaushalt einiger Waldböden deutlich verändern. Damit ändert sich auch die Konkurrenzfähigkeit der dort wachsenden Baumarten. Der Waldbesitzer muss heute die Baumarten auswählen, die sich übermorgen bewähren sollen“, sagte NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg am 29. November 2006 bei der Vorstellung des Waldschadensberichtes 2006 im Düsseldorfer Landtag.

Als Grundlage für die Entscheidung reichen aus seiner Sicht die vorhandenen großräumigen Klimamodelle allerdings nicht aus: „Wir müssen die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Wälder örtlich differenziert darstellen. Ich habe Untersuchungen mit dem Ziel in Auftrag gegeben, dass die Forstbetriebe frühzeitig die Wirkungen des Klimawandels auf den einzelnen Waldbestand erkennen und ihre Bewirtschaftungsmaßnahmen darauf abstimmen können. Ergebnisse hierzu erwarte ich im Frühjahr nächsten Jahres.“

Die Politiker haben – so scheint es – die Zeichen der Zeit erkannt und beginnen nach Strategien für eine Anpassung des Waldes an den Klimawandel zu suchen. Denn auch der Bayerische Landwirtschafts- und Forstminister Josef Miller hat Maßnahmen angekündigt, um die rund fünf Milliarden Bäume in seinem Bundesland beispielsweise im Bayerischen Wald, dem Spessart oder im Bergwald der Alpen fit zu machen für die Zukunft.

Geld und gute Ratschläge

Wald in den Alpen. © Harald Frater

Um dieses Ziel zu erreichen, stellt Miller in den nächsten beiden Jahren zusätzliche Finanzmittel in Höhe von 23 Millionen Euro bereit. Geplant sind aber auch „wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für Waldbesitzer“ zur Neugestaltung der Waldgebiete. Miller fordert beispielsweise den verstärkten Anbau wärme- und trockentoleranter Baumarten wie Eiche und Buche.

Im Auftrag des Ministers hat die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft zudem ein Notfallkonzept für den Waldumbau in der von Waldschäden besonders betroffenen Region Mittelfranken entwickelt. Es soll Förster und betroffene Waldbesitzer dabei unterstützen „individuelle, an die jeweilige Situation angepasste Lösungen für den Aufbau stabiler Mischwälder zu erarbeiten. Hierzu werden verschiedene Baumartenkombinationen für unterschiedlichste Ausgangssituationen vorgeschlagen“, so das Bayerische Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten am 17. November 2006.

Neben Eiche und Buche sollen dabei auch Esche, Ahorn und Kirsche in den „neuen“ Wäldern eine größere Rolle spielen als bisher. Langfristig soll aber nicht nur Mittelfranken einer Radikalkur in Sachen Waldumbau unterzogen werden sondern auch die übrigen Regionen Bayerns.

Viele offene Fragen

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Während in den Wäldern schon erste Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden, versuchen Wissenschaftler weiteren Auswirkungen des Treibhauseffekts und der daraus resultierenden globalen Erwärmung auf die Spur zu kommen. So ist beispielsweise bisher nicht endgültig geklärt, ob Bäume in Zukunft noch schneller wachsen, wenn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre wie befürchtet weiter steigt.

Neue Forschungsergebnisse von Pflanzenökologen der Universität Basel scheinen dies eher in Frage zu stellen. Danach lässt ein mehr an Kohlendioxid die Bäume eher „kalt“. Nach vier Jahren künstlicher CO2-Erhöhung in einem Versuchsgebiet mit einem naturnahen Waldbestand ermittelten die Wissenschaftler jedenfalls keinerlei Wachstumsförderung. Wie die Forscher im Wissenschaftsmagazin Science berichten, deuten die Befunde an 35 Meter hohen, fast hundertjährigen Bäumen aber auf eine CO2-Sättigung unserer Wälder hin.

Noch nicht im Detail bekannt ist zudem, welche Folgen beispielsweise die prognostizierten milderen Winter auf den Waldzustand haben werden. Die höheren Temperaturen zwischen November und März könnten künftig dafür sorgen, dass Bäume noch früher austreiben und blühen als bisher. Überraschend auftretende Spätfröste würden dann zum Erfrieren der Blätter oder Blüten führen und dadurch die natürliche Verjüngung des Waldes massiv behindern.


Stand: 08.12.2006

Ursachen von Waldschäden

Saurer Regen als Baumkiller?

Tote Fichten © PixelQuelle.de

Viele Forscher sind heute davon überzeugt, dass ein Mix aus menschengemachten und natürlichen Faktoren wie Insektenbefall – speziell Borkenkäfer – oder Trockenheit zu den beobachteten Waldschäden führt.

Schwefeldioxid und Stickoxide wie Lachgas (N2O) oder Stickstoffdioxid (NO2) standen schon früh im Verdacht massive Erkrankungen an Bäumen auszulösen. Wichtigste Produzenten der Gase und Stäube sind Kraftwerke, Industriebetriebe oder der Verkehr. Obwohl die Schadstoffemissionen in den letzten drei Jahrzehnten durch moderne Filter- und Umweltschutztechnik zum Teil drastisch reduziert wurden, kann in Bezug auf die Luftschadstoffe noch keine Entwarnung gegeben werden.

Besonders gefährlich wird es für den Wald dann, wenn Schwefeldioxid und NO-Verbindungen in Wolken mit Wassermolekülen in Kontakt kommen. Denn dann entstehen stark ätzende Schwefel- und Salpetersäuren, die den Regen sauer machen. Während der pH-Wert von unbelastetem Regen bei 5,6 liegt, haben Forscher im Freiland oft Werte zwischen 4,0 und 4,5 gemessen. Wenn dieser saure Regen zu Boden fällt, kann er einerseits Blätter und Nadeln massiv schädigen, er senkt aber auch den pH-Wert von Waldböden und Grundwasser erheblich ab.

Kiefernadeln mit Wassertropfen © PixelQuelle.de

Auf den Blättern oder Nadeln der Bäume sorgt der saure Regen unter anderem dafür, dass sich die wasserundurchlässige Wachsschicht auflöst oder porös wird. Vor allem bei großer Hitze oder Trockenheit sind die Bäume dann nicht mehr in der Lage ihre Wasserabgabe zu kontrollieren und verdunsten "ohne Ende". Durch chemische Reaktionen werden darüber hinaus wichtige Nährstoffe wie Magnesium oder Calcium aus den Blättern herausgespült. Folge: Wichtige Stoffwechselprozesse in den Zellen kommen zum Erliegen.

Schwefeldioxid und Stickoxide können aber auch mit der Luft über die Spaltöffnungen direkt in die Blätter eindringen und dort die chemischen Prozesse durch eine Absenkung des pH-Wertes stören. Dadurch wird Chlorophyll zerstört, Blätter und Nadeln vergilben und das Wachstumstempo der Bäume sinkt.

Weniger Wurzelhaare, mehr Ionen

Durch die Bodenversauerung geht – wie Wissenschaftler festgestellt haben – die Anzahl der winzigen Wurzelhärchen zurück, die unter anderem für die Aufnahme von Wasser verantwortlich sind. Bei einem niedrigen pH-Wert sterben aber auch Bodenlebewesen wie Bakterien, Pilzen, Insekten ab. Sie sorgen normalerweise für eine gute Durchlüftung und Durchmischung des Bodens. Den Bäumen fehlen durch den Massenexitus unter den Mikroben deshalb lebenswichtige Mineralien, die diese Organismen normalerweise produzieren.

Eine weiteres gravierendes Problem der Bodenversauerung: Es werden vermehrt Aluminiumionen freigesetzt. Diese vergiften dann die so genannten Mykorrhiza-Pilze, die mit Baumwurzeln in Symbiose leben und für die Nährstoffversorgung wichtig sind.

Um die Bodenversauerung in den Wäldern zu bekämpfen, sind in den letzten Jahrzehnten in vielen Regionen immer wieder Kalkungen vorgenommen worden. Eine Maßnahme, die nicht unumstritten ist. Denn wie Wissenschaftler festgestellt haben, wird dadurch zwar der pH-Wert des Bodens erhöht, Probleme aber gibt es in der Bodenschicht unterhalb des Kalkes. Dort ermittelten die Bodenkundler im Sickerwasser deutlich erhöhte Nitrat- und Schwermetallwerte…


Stand: 08.12.2006

Weitere Auslöser für Baumerkrankungen

Wehe wenn Nebel sauer wird

Auch saurer Nebel scheint für den Wald eine potentielle Gefahr darzustellen. Und zwar in einem viel größerem Umfang als bisher angenommen. Dies haben im Jahr 2001 Wissenschaftler der Universität Bern in einer neuen Studie belegt. Sie konnten nicht nur genau bestimmen, welche Wassermenge über den Nebel in einen Wald gelangt. Sie haben auch den pH-Wert und die genaue Konzentration der im Nebel enthaltenen Schadstoffe präzise bestimmen.

Als sie die neuen Ergebnisse mit Messungen aus den 1980er Jahren verglichen, ergaben sich überraschende Resultate: Die aktuellen Schwefel- und Stickstoffkonzentrationen im Nebel lagen deutlich über denen von vor 20 Jahren und hatten ihn noch saurer gemacht. Woher dieser Anstieg der Schadstoffe trotz verbesserter Filtertechnik in den Kraftwerken und Industriebetrieben stammt, ist noch nicht endgültig geklärt.

Für die höheren Stickstoffwerte könnte nach Ansicht der Berner Geografen aber eine starke Zunahme des Straßenverkehrs seit 1990 verantwortlich sein. Die enormen Schwefelkonzentrationen führen die Wissenschaftler dagegen auf die unmittelbare Nähe zum Großraum Zürich mit seinem gut ausgelasteten Flughafen zurück.

Sonnenlicht erzeugt brisantes Gas

Das so genannte bodennahe Ozon ist ein weiterer Faktor, der bei der Entstehung von Waldschäden eine wichtige Rolle spielt. Es entsteht immer dann in größeren Mengen, wenn Stickoxide mit Sauerstoff unter dem Einfluss des Sonnenlichts reagieren.

Der Rohstoff einer solchen photochemischen Reaktion ist das Stickstoffdioxid, der „Motor" des Prozesses ist die Sonne. Sie liefert die Energie, die gebraucht wird, damit von Stickstoffdioxid (NO2) zunächst ein Sauerstoffatom abgespalten werden kann. Dieses einzelne Atom ist sehr reaktiv, sobald es auf ein normales zweiatomiges Sauerstoffmolekül trifft, verbindet es sich mit ihm und es entsteht O3 – Ozon.

Das Ozon ist wie die Säuren an der Zerstörung der Wachsschicht der Blätter und Nadeln beteiligt. Es behindert mit ihnen zusammen aber auch die Funktionsfähigkeit der winzigen Spaltöffnungen. Diese sind in großen Mengen über das Blatt verteilt und bewerkstelligen den Sauerstoff- sowie CO2-Austausch zwischen Blatt und Atmosphäre. Dabei geben sie auch Wasserdampf in die Umgebungsluft ab.

Defekte Spaltöffnungen sind aber nicht mehr in der Lage sich je nach Bedarf zu öffnen und zu schließen und so den Wasserverbrauch regulieren. Ergebnis: Die Blätter verdunsten vor allem an heißen und trockenen Tagen viel zu viel Wasser. Reicht der Nachschub aus dem Boden nicht aus, droht die Austrocknung und die Blätter vertrocknen mit der Zeit.

Neues Projekt will Auswirkungen von Ozon klären

In den letzten Jahren ist die Konzentration des bodennahen Ozons in Deutschland und auch in Österreich immer weiter angestiegen. "Ozon ist ein schlafender Tiger. Die Belastung steigt kontinuierlich an, aber alle Auswirkungen auf den Stoffwechsel der Bäume und damit auf den Holzuwachs – die Verdickung des Stammes in Brusthöhe – sind noch immer nicht genau erfassbar; das wird sicher noch eine Wissenschaftergeneration dauern.", sagt der Pflanzenphysiologe Professor Harald Bolhar-Nordenkampf von der Universität Wien.

In einem neuen Forschungsprojekt will er deshalb zusammen mit Kollegen klären, wie Bäume und speziell die Fichte auf höhere Ozonbelastung im Detail reagieren. Ziel ist es aber auch zu klären, welche Baumschäden konkret aus der Ozonbelastung resultieren. "Es ist ein Trugschluss zu denken, dass trotz steigender Ozonbelastung Fichten einen geringeren Zuwachs zeigen. Bis jetzt haben wir herausgefunden, dass der Zuwachs etwa durch die erhöhte CO2-Konzentration und höhere Temperaturen, aber auch durch Blattdüngung über die Stickoxide der Luft nicht messbar verringert ist, obwohl viele Bäume aufgrund der permanenten Ozonbelastung eigentlich krank sind", so Bolhar-Nordenkampf.


Stand: 08.12.2006