Die Suche nach neuen Impfstoffen

Mit Gentechnik gegen die Infektion

Fresszelle mit Tuberkulosebakterien © MPI für Infektionsbiologie

Die Pocken sind ausgerottet, der Erreger der Kinderlähmung zurückgedrängt. Doch die Erfolgsserie der klassischen Seuchenbekämpfungen geht zu Ende: Gegen viele Infektionskrankheiten gibt es noch immer keine wirksamen Waffen. Teilweise sind aber auch die alten Mittel stumpf geworden. An der Tuberkulose, der „weißen Pest“, sterben heute so viele Menschen wie an keiner anderen Infektion. Gleichzeitig breiten sich neue Keime, wie HIV, aus und fordern immer mehr Opfer.

Einer solchen unheilvollen Entwicklung ist nur mit modernsten immunologischen und molekularbiologischen Methoden beizukommen. Das glaubt auch Professor Stefan E. Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. In seinem Labor gewinnen Wissenschaftler Schritt für Schritt Einsichten in das Ringen zwischen Wirt und Mikrobe. Ziel der international abgestimmten und teilweise von der Weltgesundheitsorganisation unterstützten Forschung ist es, diese Mechanismen für eine neue Generation von Impfstoffen zu nutzen.

Und einen ersten Erfolg hat die Forschergruppe bereits für sich verbucht: Nach erfolgreich absolvierten Tierversuchen ging ein von den Berlinern entwickelter Impfstoffkandidat gegen die Tuberkulose Anfang 2006 in den klinischen Test der Phase 1, den ersten Test am am Menschen. Er basiert auf dem herkömmlichen Tuberkulose-Impfstoff BCG, wartet aber mit einigen „Extras“ auf…

Nadja Podbregar
Stand: 23.06.2006

Ansatzstellen für wirksamere Medikamente gesucht

Neue Tricks im alten Wettlauf

Rund 17 Millionen Menschen, ein Viertel aller Todesfälle weltweit, sterben jährlich an einer Infektionskrankheit. Trotz der enormen Fortschritte in der Medizin ist ein dauerhafter Erfolg bei der Bekämpfung dieser Krankheiten bisher ausgeblieben. Häufig entwickeln bereits zurückgedrängte Bakterien und Viren neue Resistenzen gegen bestehende Impfstoffe oder Therapien und infizieren ihre Wirte mithilfe neuer Strategien. Gleichzeitig tauchen aber auch vollkommen neue, bis dahin unbekannte Krankheitserreger auf.

DNA-Sequenzierung am Seuchenbekämpfungsinstitut CDC © CDC

Um in diesem Wettlauf Schritt zu halten, suchen Wissenschaftler heute verstärkt nach neuen Ansatzstellen für Impfstoffe und Therapien. Dabei fahnden sie vor allem nach den so genannten „Drug targets“ – Zielmolekülen. Diese Zielmoleküle – meist Proteine – sind entweder im Stoffwechsel des Menschen oder aber des Erregers an chemischen Prozessen und Mechanismen beteiligt, die eine Krankheit erst ermöglichen oder aber blockieren können.

Im Idealfall bindet ein wirksames Medikament oder ein Impfstoff an ein solches Schlüsselmolekül und blockiert damit seine Funktion. Als Folge kann beispielsweise ein Virus nicht in die Zelle eindringen, weil ihm ein entscheidendes Enzym fehlt, oder aber das Immunsystem kann ein eingedrungenes Bakterium effektiver bekämpfen, weil seine „Tarnung“ aufgedeckt wird.

Experten schätzen, dass es etwa 200 chemische Mechanismen im Körper geben könnte, in denen verschiedene potenzielle Zielmoleküle existieren. Doch die bisherigen Wirkstoffe nutzen nur wenige dieser möglichen Ansatzstellen; die hundert wichtigsten Medikamente greifen heute beispielsweise nur 43 Zielmoleküle an. Hier neue Ansatzstellen – und die dazu passenden Wirkstoffe – zu identifizieren, ist daher eine der großen Herausforderungen der modernen Medizinforschung.


Stand: 23.06.2006

Vom Gen zum maßgeschneiderten Wirkstoff

Zielmolekül im Visier

Die Sequenzierung des menschlichen Genoms und des Erbguts von immer mehr Krankheitserregern gibt den Wissenschaftlern zwar erstmals die Möglichkeit, ihre Suche direkt an den Genen und den von diesen kodierten Proteinen anzusetzen, aber der Aufwand ist erheblich. Der Mensch verfügt über 30.000 Gene und ungefähr 200.000 Proteine – und jedes von ihnen könnte ein Zielmolekül sein.

Die Schwierigkeit besteht darin, aus der Vielzahl der Kandidaten die Erfolg versprechenden herauszufiltern.

Kiefer von Palaeonictis wingi © Jennifer Duerden / University of Florida)

Doch mit der Identifizierung potenzieller Zielmoleküle ist es nicht getan. Der nächste Schritt ist die Entwicklung von Wirkstoffen, die genau an diesem Zielmolekül ansetzen und entweder seine Funktion blockieren oder aber fördern – je nach dem. Forscher finden und „basteln“ diese, indem sie in Substanzbibliotheken nach möglicherweise bereits bestehenden Verbindungen suchen. Oder aber die optimale Wirkstoffstruktur zunächst maßgeschneidert am Computer entwerfen und dann gezielt nach Entsprechungen in der Natur oder Herstellungsmöglichkeiten auf chemischem Wege schauen.

Iist dann endlich ein Wirkstoffkandidat gefunden, geht die Arbeit erst richtig los: Jetzt muss getestet werden, ob er tatsächlich so wirkt, wie in der Theorie geplant und welche unerwünschten Nebenwirkungen er möglicherweise hat. Möglicherweise funktioniert die Substanz im Reagenzglas wunderbar, wird aber im lebenden Organismus entweder außer Gefecht gesetzt, oder aber richtet sogar selbst Schäden an.

Um all dies herauszufinden, muss jeder viel versprechende Kandidat eine Jahre dauernde Abfolge von Labortests, Tierversuchen und schließlich klinischen Tests am Menschen durchlaufen. Leider überstehen meist nur wenige der anfangs Erfolg versprechenden potenziellen Wirkstoffe die gesamte Testphase und werden am Ende als Medikament oder Impfstoff zugelassen. Entsprechend hoch sind die Kosten der Pharmafirmen für die Entwicklung neuer Wirkstoffe – und entsprechend groß ihr Interesse an einer hohen „Trefferquote“ bereits bei der Vorauswahl lohnender Kandidaten.


Stand: 23.06.2006

Der Infektionsmechanismus der Tuberkulose

Schutz durch „Verstecken“

Intrazelluläre Erreger, wie der Tuberkel-Bazillus oder das Aids-Virus HIV, sind die "listenreichen" unter den Keimen. Sie entziehen sich dem Abwehrsystem, indem sie sich in den Immunzellen selbst einnisten. Sie wählen gewissermaßen ihren "Exekutor" zum Wirt, bei den Tuberkeln die Fresszellen des Immunsystems, auch Makrophagen genannt.

Tb-Erreger Mycobacterium tuberculosis © CDC

Einmal über die Atemluft in die Lungen des Infizierten gelangt, lässt sich der Tuberkel-Bazillus in den Vakuolen, flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen der Fresszellen häuslich nieder, überlebt und vermehrt sich dort. Seine Anwesenheit verrät er nur durch Proteine, etwa aus seiner Hülle. Diese Proteine gelangen an die Oberfläche der Wirtszelle und werden als Antigene präsentiert. Eine solche Präsentation setzt die weitere Immunabwehr in Gang: T-Lymphozyten werden aktiviert. Es beginnt ein Kräftemessen zwischen Erreger und Wirt. Bei 90 bis 95 Prozent aller infizierten Menschen gelingt es den T-Lymphozyten, speziell den CD-4-Zellen, den Tuberkel in Schach zu halten. Sie kapseln die Bakterien ein und es entsteht ein so genannter Herd.

Beseitigt ist der Erreger damit aber nicht, er kann jederzeit wieder die Oberhand erlangen und ausbrechen – und tut dies besonders dann, wenn das Immunsystem geschwächt ist, wie beispielsweise bei HIV-Infizierten. "Wie instabil dieses Gleichgewicht ist, zeigen alarmierende Zahlen", erklärt Tuberkuloseforscher Professor Stefan E. Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Fast zwei Milliarden Menschen, also ein Drittel der Weltbevölkerung, sind von Mycobacterium tuberculosis infiziert, pro Jahr bricht bei mehr als acht Millionen von ihnen die Tuberkulose aus, knapp zwei Millionen Menschen jährlich sterben an ihr.

Ändern könnte dies nur ein effektiver Impfstoff – doch den gibt es zur Zeit noch nicht. Denn das heute gebräuchliche Tuberkulose-Serum BCG, das aus abgeschwächten Keimen der Rinder-Tuberkulose besteht, verhindert nicht, dass der Tb-Erreger den Körper infiziert und dann dort latent ruht. Bei geschwächtem Immunsystem kann die Krankheit daher trotzdem jederzeit ausbrechen. Der Impfstoff ist zudem gegen die häufigste Tuberkuloseform bei Erwachsenen, die Lungentuberkulose komplett wirkungslos. Und genau hier setzt jetzt ein in am Max-Plack-Institut für Infektionsbiologie in Berlin entwickelter viel versprechender Impfstoffkandidat an.


Stand: 23.06.2006

Der Weg zum Impfstoff-Kandidaten

Ausstiegsluken ins Verderben

Im Labor von Professor Stefan E. Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin erforschen die Wissenschaftler Infektionsmechanismen um sie für eine neue Generation von Impfstoffen zu nutzen. Und einen ersten Erfolg hat die Forschergruppe bereits für sich verbucht: Nach erfolgreich absolvierten Tierversuchen ging ein von den Berlinern entwickelter Impfstoffkandidat gegen die Tuberkulose Anfang 2006 in den klinischen Test der Phase 1. Er basiert auf dem herkömmlichen Tuberkulose-Impfstoff BCG, wartet aber mit einigen „Extras“ auf.

Viren-„Trick“ gegen Bakterium

Der neue Impfstoff-Kandidat nutzt einen Mechanismus aus, von dem die Fachwelt bisher annahm, dass ihn das Immunsystem nur zur Abwehr von Viren benutze, nicht aber gegen Bakterien. Normalerweise sind es unterschiedliche Shuttlemoleküle, die die Erreger-Antigene von Bakterien und Viren zur Stimulierung einer Immunantwort an die Zelloberfläche des Wirtes, in diesem Falle der Fresszellen (Phagosomen) bringen.

Fresszelle mit TB-Erregern © MPI für Infektionsbiologie

Die Antigene von Bakterien werden von bestimmten Shuttlemolekülen, den so genannten MHC-II Molekülen an die Zelloberfläche transportiert und aktivieren dort spezielle Immunzellen, die CD-4-T-Lymphozyten, auch Helfer-T-Zellen genannt. Diese sorgen vor allem für die „Einkapselung" des Tuberkulose-Bakteriums, vernichten es aber nicht. Der Erreger bleibt damit im Körper. Virenantigene dagegen binden an MHC-I-Moleküle und aktivieren an der Zelloberfläche einen anderen Immunzelltyp, CD-8-T-Lymphozyten. Diese Killerzellen zerstören die Wirtszelle mitsamt den in ihr enthaltenen Viren, indem sie sie in den programmierten Zelltod, eine Art Selbstmord auf Zellebene, treiben. Der Erreger ist damit beseitigt.

Enzym bohrt „Ausstiegsluken“

Doch es gibt auch bei den Bakterien Ausnahmen von dieser Verteilung. Eine davon entdeckte Kaufmann bei Arbeiten an dem Erreger Listeria monocytogenes, Bakterien, die bei Menschen Hirnhautentzündungen hervorrufen können. Listeria stimuliert nicht nur die für Bakterien-Abwehr typischen CD-4-T-Zellen, sondern auch die CD-8-Killer-Zellen. Ihr Trick – oder besser Pech: Der Erreger kann sich mithilfe eines porenbildenden Proteins, dem Listeriolysin, „Ausstiegsluken“ aus den Vakuolen der Fresszellen schaffen. Dies wiederum löst den „Selbstmord“ des Makrophagen aus.

Dabei werden jedoch Antigene des Bakteriums in winzigen Bläschen, den Vesikeln, eingeschlossen und freigesetzt. Umliegende Zellen nehmen diese Vesikel – und damit die Bakterienantigene – in ihr Zellplasma auf .Hier treffen diese auf MHC-I-Shuttles, die sie quasi als Virus behandeln und sie an der Zelloberfläche den CD8-Killerzellen präsentieren. Diese sind damit aktiviert und können nun gezielt die Bakterien vernichten.

Der Trick der Impfstoffforscher bestand nun darin, den herkömmlichen BCG-Impfstoff durch gentechnische Manipulation mit dem Gen für das Enzym Listeriolysin auszustatten. Dadurch wird das porenbildende Enzym auch vom abgeschwächten Impferreger produziert und die Killerzellen des Immunsystems können so aktiviert werden.

Dass das tatsächlich funktioniert, zeigten sich bereits sowohl in Laborexperimenten als auch im Tierversuch: Der „Super-BCG“-Impfstoff schützte tatsächlich gegen Lungentuberkulose und sogar gegen den aggressiven und meist resistenten Beijing-Stamm des Erregers – gegen beide ist die herkömmliche Vakzine wirkungslos. "Wir hoffen, mit dem neuen Impfstoff eine wirksame Waffe gegen diese Bedrohung gefunden zu haben", hofft Kaufmann. Ob sich dieser Erfolg allerdings ohne Nebenwirkungen auf den Menschen übertragen lässt, müssen die klinischen Tests nun zeigen.


Stand: 23.06.2006

Impfstoffe im klinischen Test

Erfolgsquote acht von hundert…

Das Jahr 2006 bringt für gleich sechs verschiedene Tuberkulose-Impfstoffe den Beginn von klinischen Tests der Phase 1. Damit haben sie bereits eine im Durchschnitt zehn Jahre dauernde Phase von Labortests und Tierversuchen erfolgreich hinter sich gebracht und wurden offiziell zu Studien am Menschen zugelassen.

Der Schritt vom Tier zum Menschen

Doch mit den in der Regel drei klinischen Studienphasen folgt nun der entscheidende Schritt, denn geprüft wird einerseits, ob der Impfstoff auch beim Menschen medizinisch wirksam ist, andererseits aber, ob die Substanz auch verträglich, und damit gesundheitlich unbedenklich ist. Diese Hürde erweist sich in der Praxis allerdings für rund 90 Prozent aller Wirkstoff-Kandidaten als zu hoch: Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA bezifferte im Jahr 2004 den Anteil der Substanzen, die alle klinischen Testphasen erfolgreich durchlaufen und schließlich Marktreife erlangen auf gerade einmal acht Prozent.

Klinischer Test: Dokumentation der Ergebnisse © World Lung Foundation / Jad Davenport

In der ersten klinischen Phase wird zunächst an einer begrenzten Zahl von gesunden Freiwilligen untersucht, ob die Substanz verträglich ist und wie sie sich im Körper verhält (Pharmakokinetik). Tests bestimmen, wie schnell sie sich verteilt, wo und wie sie abgebaut und ausgeschieden wird. In der Regel führen die wissenschaftlichen Einrichtungen diese Studien in Kooperation mit Pharmaunternehmen durch, die im Falle eines Erfolgs auch die weitere Produktion und Vermarktung des Medikaments übernehmen.

Sechs Kandidaten in Phase I

Genau diese Tests werden – an unterschiedlichen Orten weltweit) – in diesem Jahr auch an den sechs Impfstoffkandidaten gegen Tuberkulose durchgeführt.

Vier der sechs Kandidaten basieren zwar auf dem herkömmlichen BCG-Impfstoff, sind aber gentechnisch veränderungen oder "abgespeckt". In der REgel bestehen sie nur aus einem besonders stark immunstimulierend wirkenden Antigen des Bakteriums (AG85), das mit weiteren Antigenen fusioniert wurde.

Diese Isolation einzelner Antigene des Tuberkulosebakteriums in so genannten Spaltvakzinen halten viele Forscher gerade auch in den USA für eine bessere ALternative als einen Lebendimpfstoff. Einer der klinischen Tests unter Leitung des Staten Serum Institut in Kopenhagen soll daher zeigen, ob ein aus BCG isoliertes Antigen möglicherweise besser wirkt als im Gesamtkontext des Impfstoffs.

Der sechste Kandidat ist das „Super-BCG“ der Max-Plack-Forscher, das die Bakterien im Inneren der Fresszellen enttarnt und dadurch angreifbar macht.


Stand: 23.06.2006

Tb in Deutschland und weltweit

Weltweit auf dem Vormarsch

Tuberkulose gehört neben Aids und Malaria zu den Infektionskrankheiten weltweit, gegen die ein wirksamer Impfstoff fehlt und die noch immer auf dem Vormarsch sind. Nach Angaben der WHO erkranken jährlich 8,8 Millionen Menschen an Tuberkulose, 1,7 Millionen Todesopfer fordert sie jedes Jahr. Anders ausgedrückt: Alle 15 Sekunden stirbt ein Mensch an Tuberkulose. Obwohl die internationale Staatengemeinschaft die Bekämpfung von Tuberkulose, Aids und Malaria als vordringliches Problem eingestuft hat, steigt die Anzahl der Tuberkulosefälle unverändert jedes Jahr um 0,4 Prozent.

Patientin mit chronischer Tb in Peru © Jad Davenport

Krankheit der sozial Benachteiligten

Die Ausbreitung der Tuberkulose wird durch Armut, Migration, medizinische Unterversorgung und bestehende Infektionen mit HIV begünstigt. Daher liegt der Hauptanteil der Erkrankungen in den ärmeren Ländern des Südens, insbesondere in Afrika und in Südostasien. Die Anzahl der Infizierten nimmt aber auch in Osteuropa zu: Dort ist die Infektionsrate in den vergangenen Jahren vor allem in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion als Folge des politischen Umbruchs und der damit verbundenen sozialen Veränderungen stark angestiegen.

Doch auch in Deutschland ist die Krankheit keineswegs beseitigt: Im Jahr 2004 registrierte das Robert Koch-Institut insgesamt 6.583 Tuberkulose-Erkrankungen, das entspricht rund acht Fällen pro 100.000 Einwohnern. „Die Tuberkulose darf trotz des rückläufigen Trends in Deutschland nicht unterschätzt werden“, warnte deshalb Reinhard Kurth, Präsident des Robert Koch-Instituts, anlässlich des Welttuberkulosetags am 24. März 2006 in Berlin.

Stumpfe Waffen

Als besorgniserregend gilt unter anderem die Tatsache, dass die herkömmlichen „Waffen“ gegen die Krankheit langsam stumpf werden: Bakterienstämme, die unempfindlich gegen mindestens eines der zurzeit verfügbaren fünf Standardmedikamente sind, nehmen weltweit zu. Diese Resistenzen können sich unter anderem bei solchen Patienten entwickeln, die schon einmal wegen einer Tuberkulose behandelt wurden oder eine Therapie vorzeitig abgebrochen haben. Die Behandlung solcher Fälle ist sehr viel schwieriger, langwieriger und um ein Vielfaches teurer.

Resistenztest: Felder mit hellen Flecken enthalten resistente Tb-Erreger © CDC

Besonders ungünstig sieht es allerdings für die Menschen aus, die an einer der multiresistenten Tuberkuloseformen (MDR-Tb) erkrankt sind. Die Erreger dieser Stämme sind gleichzeitig gegenüber Isoniazid und Rifampicin, den beiden „Hauptwaffen“ der Medizin gegen die Tuberkulose, resistent. Die WHO beziffert die Zahl der neuen Fälle solcher MDR-Tuberkulose auf 450.000 pro Jahr. Besonders dramatisch ist die Entwicklung in China aber auch in den Staaten des ehemaligen Ostblocks. . Dadurch stoßen auch in Deutschland Ärzte bei der Behandlung von im Ausland geborenen oder vorbehandelten Patienten immer häufiger auf solche Resistenzen.

Die Initiative Stop-Tb

Ende Januar 2006 hat die „Stop-Tb Partnership", eine übergreifende internationale Initiative zur Bekämpfung der Tuberkulose, einen „Global Plan 2006-2015“ verabschiedet. Er hat zum Ziel, in den kommenden zehn Jahren 50 Millionen Menschen von Tb zu heilen und 14 Millionen Menschenleben zu retten. Dazu sollen auch neue Medikamente und ein effizienter Impfschutz entwickelt werden. Das von der WHO gegründete weltweite Netzwerk hat errechnet, dass dafür 56 Milliarden US-Dollar nötig sind. Bis Juli 2006 war jedoch nicht einmal die Hälfte davon zugesagt.


Stand: 23.06.2006

Die Krankheit und ihr Erreger

Steckbrief: Tuberkulose

Erreger:

Mycobacterium tuberculosis – ein stäbchenförmiges, säureunempfindliches Bakterium.

Übertragung:

Durch Tröpfchen-Infektion von Menschen mit ausgebrochener, „offener" Tb

Symptome:

Tb-Herde zeigen sich im Röntgenbild der Lunge © CDC

In der Regel bricht die Krankheit rund ein halbes Jahr nach der Infektion aus. Die Erreger verursachen lokal einen meist schnell eingekapselten Entzündungsherd, Lymphknoten schwellen an. In diesem Primärstadium treten kaum spürbare Symptome auf. Ist das Immunsystem geschwächt, beispielsweise durch eine HIV-Infektion, heilen die Herde nicht ab und bilden flüssigkeitsgefüllte Höhlen (Kavernen), die Lungenfunktion wird eingeschränkt. Neben der Lungentuberkulose, die mit rund 80 Prozent die häufigsteTb-Form darstellt, kommen durch Streuung der Erreger auch Nieren-, Knochen-, Nebennierenrinden-, Augen- und Hirntuberkulosen vor.

Diagnose:

Beim Tuberkulintest werden kleinste Mengen des Erregerbestandteils Tuberkulin in die Haut injiziert. Zeigt sich innerhalb der folgenden 24 bis 72 Stunden eine größere, gerötete Schwellung ist der Test positiv, was auf eine Infektion, aber auch auf eine durchgeführte Impfung, hinweisen kann.

Endgültig kann die Diagnose daher nur durch einen mikrobiologischen Nachweis des Erregers gestellt werden. Je nachdem, wo der Arzt den Infektionsherd vermutet, untersucht er Hustenauswurf, Magensaft, Bronchialsekret oder Urin. Die Ansteckungsgefahr ist am höchsten, solange der Erreger mikroskopisch nachweisbar ist.

Behandlung:

Behandelt wird die Tuberkulose heute mit einer Kombination aus wenigstens drei verschiedenen Antibiotika. Für Deutschland wird als Standardtherapie die Einnahme einer Kombination von Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol über zwei Monate und anschließend einer Zweierkombination von Isoniazid und Rifampicin für mindestens vier weitere Monate empfohlen.

Treten Resistenzen auf, muss auf andere Mittel ausgewichen und die Behandlungsdauer verlängert werden.

Impfung:

Die früher gängige Impfung mit dem abgeschwächten Erreger der Rindertuberkulose (BCG) wird von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut seit 1998 nicht mehr empfohlen. Gründe sind die begrenzte Wirksamkeit des Impfstoffs bei rückläufiger Tuberkulose-Fallzahl in Deutschland und die relative Häufigkeit von Impfkomplikationen. Dies entspricht den Empfehlungen der WHO, die vorgeschlagen hat, in Bevölkerungen, deren Infektionsrisiko für Tuberkulose unter 0,1 Prozent liegt, keine generelle BCG-Impfung mehr durchzuführen.


Stand: 23.06.2006

„Ein Ersatz für den klassischen BCG-Impfstoff“

Interview: Professor Kaufmann

g-o.de: Was unterscheidet den von ihnen entwickelten Impfstoffkandidaten vom alten BCG?

Kaufmann: Wir haben den klassischen Impfstoff BCG stärker immunogen gemacht. Das heißt, wir haben ihn mit Hilfe molekularbiologischer Methoden so verändert, dass die durch den Impfstoff ausgelöste Immunantwort den Tuberkulose-Erreger besser bekämpfen kann. Obwohl BCG durchaus eine Immunantwort induziert, die ausreicht, die schlimmsten Formen der Tuberkulose bei Kleinkindern zu verhindern, ist diese Immunantwort nicht in der Lage, die häufigste Krankheitsform – nämlich die Lungen-Tuberkulose bei Erwachsenen – einzudämmen. Die Immunität gegen Tuberkulose wird von T-Lymphozyten getragen und zwar von unterschiedlichen T-Zell-Untergruppen. Der neue BCG-Impfstoff ist sowohl qualitativ als auch quantitativ besser, d. h. er stimuliert ein breiteres Spektrum an T-Zellen, die eine stärkere Antwort induzieren.

g-o.de: Wie sind Sie darauf gekommen, gerade bei den Makrophagen anzusetzen? Wie gehen Sie bei der Suche nach Ansatzstellen vor?

Kaufmann: Der Tuberkulose-Erreger ist ein intrazelluläres Bakterium, d. h. er überlebt in Makrophagen. Damit unterscheidet er sich von den meisten anderen bakteriellen Krankheitserregern, die von aktivierten Makrophagen abgetötet werden. Makrophagen werden durch T-Lymphozyten koordiniert, die die Makrophagen aktivieren sie, also in die Lage versetzen, besser mit den Erregern intrazellulär fertig zu werden.

Makrophagen spielen bei der Tuberkulose eine zweischneidige Rolle. Zum einen sind sie auch gegen Tuberkulose die wichtigsten Effektorzellen. Jedoch gelingt es den aktivierten Makrophagen lediglich die Tuberkulose-Erreger am Wachstum zu hemmen. Damit persistiert der Erreger im Makrophagen. Ja, er nutzt sie regelrecht als bevorzugten Lebensraum. Hinzu kommt noch eine dritte Rolle des Makrophagen sowie eines weiteren Zelltyps – die dendritischen Zellen – bei der Tuberkulose. Makrophagen und dendritische Zellen sind für die antigen-spezifische Stimulation der T-Lymphozyten zuständig.

Unser neuer Impfstoff treibt wahrscheinlich Makrophagen in den Selbstmord. Dies führt dazu, dass die absterbenden Zellen kleine Vesikel (Blässchen) bilden, in denen die Impfantigene stecken. Andere antigenpräsentierende Zellen, nämlich die dendritischen Zellen nehmen nun diese Bläschen auf und können dann besser die T-Zellen mit Spezifität für die Impfantigene stimulieren. Was uns also gelungen ist: Während der Impfstoff BCG für das Immunsystem teilweise nicht erkennbar ist, werden die Antigene des neuen Impfstoffs vom Immunsystem besser erkannt. Dies führt zu einer stärkeren Immunantwort gegen den Erreger.

g-o.de: Wie ordnen Sie diesen Impfstoffkandidaten gegenüber den anderen jetzt in der klinischen Phase befindlichen ein? Wie sehen Sie seine Chancen? Wann gibt es erste Ergebnisse?

Kaufmann: Unser Impfstoff ist als Ersatz für den klassischen BCG-Impfstoff gedacht. Andere Impfstoffe, die derzeit gegen Tuberkulose entwickelt werden, sind Spaltvakzinen, die in präklinischen Untersuchungen keinen besseren Schutz gegen Tuberkulose als BCG hervorrufen. Vielmehr ist dabei vorgesehen, den durch BCG induzierten Impfschutz zu verstärken. Dieses Impfschema wird als heterologes "Prime/Boost-Schema" bezeichnet. Man setzt einen "Prime" mit BCG und kommt später mit einem "Boost" mit einem Impfstoff, der ein oder zwei Antigene enthält. Dagegen stimuliert unser Impfstoff einen Schutz, der in präklinischen Untersuchungen deutlich besser ist als der durch BCG induzierte Schutz. Wir wollen also BCG durch unseren Impfstoff ersetzen.

g-o.de: Wie lange wird es ihrer Einschätzung nach dauern, bis ein umfassend wirksamer Impfstoff gegen die Tuberkulose auf dem Markt ist?

Kaufmann: Die ersten klinischen Studien der Phase I haben für mehrere Tuberkulose-Impfstoffkandidaten begonnen. Dabei wird die Sicherheit und Verträglichkeit des Impfstoffs überprüft. Ein Impfstoff-Kandidat wird bald in eine Phase II klinische Studie treten. In diesen Untersuchungen wird versucht, über die Messung der Immunantwort festzustellen, wie gut das Impfstoffpotential eigentlich ist. Frühestens 2008 geht es dann in die ersten großen Phase III Studien, die feststellen sollen, ob Schutz induziert wird. Danach muss man mit weiteren 10 Jahren rechnen. Unser Impfstoff wird mit aller Wahrscheinlichkeit Anfang 2007 in Phase I treten, so dass wir mit ersten eindeutigen Resultaten ca. 10-12 Jahre später rechnen können.

g-o.de: Wie könnte die Tuberkulose-Impfung der Zukunft aussehen?

Kaufmann: Aus meiner Sicht stellt sich die ideale Tuberkulose-Impfung als ein "Prime/Boost-Schema" mit dem bestmöglichen "Prime-Kandidaten" und dem bestmöglichen "Boost-Kandidaten" dar. Ich bin guter Hoffnung, dass unser Impfstoff der beste Prime-Kandidat sein wird.. In vergleichenden Impfstudien sollte festgestellt werden, welcher Kandidat sich als bester "Boost-Impfstoff" beweist. Dies dauert natürlich einige Zeit. Deshalb müssen wir von Anfang an Biomarker charakterisieren und definieren, die es uns ermöglichen, die Effektivität der einzelnen Impfstoffkandidaten so früh und so genau wie möglich zu bestimmen.

Mit Unterstützung der Bill und Melinda Gates Stiftung versuchen wir mit sieben Partnern in Afrika und mehreren Partnern in Europa und den USA sogenannte Biosignaturen zu definieren, die für Schutz und Schaden bei der Tuberkulose zumindest charakteristisch sind und hoffentlich sogar prädiktiven Wert haben. Unter Biosignaturen verstehen wir eine Gruppe von Biomarkern, die in ihrer Gesamtheit Aussagen über Schutz bzw. Schaden ermöglichen. Die Kenntnis solcher Biosignaturen sollte es uns erlauben, schon während früher Phasen der Impfstudien die Effektivität der getesteten Impfstoffe abzuschätzen. Damit können wir bereits früh Kombinationen aus unterschiedlichen Impfstoffen voraussagen, die dann wiederum in klinischen Phasen als "Prime/Boost-Schema" auf ihre Effektivität getestet werden können.

g-o.de: Welche aktuellen Ansätze in der Impfstoffentwicklung allgemein halten Sie für besonders viel versprechend?

Kaufmann: Alle unsere heutigen Impfstoffe sind das Ergebnis von Arbeiten des letzten Jahrhunderts. Die meisten wurden in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt. Dies alles geschah empirisch. Die Empirie hat nun aber mehr oder weniger ihre Grenzen erreicht. Die Impfstoffe, die auf diese Weise entwickelt werden können, wurden gefunden.

Nun müssen wir auf rationale Impfstoff-Entwicklungen bauen und hier können wir in erster Linie auf unsere neuen Kenntnisse in der Immunologie, der Molekularbiologie und der Zellbiologie setzen. Insbesondere unsere neueren Erkenntnisse in der Immunologie haben uns gezeigt, wie wir gezielt die Immunogenität verbessern können. Früher haben wir uns hauptsächlich auf die Identifizierung sogenannter protektiver Antigene fokussiert, also welche Antigene im Impfstoff präsentiert sein müssen.

Heute wissen wir, dass das für die Krankheiten, für die wir noch keine Impfstoffe haben, nicht ausreicht. Neben die Auswahl des protektiven Antigens, muss die Verbesserung der Immunogenität treten, d. h. die Stärke des Schutzes, die ein Impfstoffantigen induziert, muss deutlich verbessert werden. Wir lernen dabei von den Abwehrkräften, die sich bei natürlichen Infektionen entwickeln. Häufig reicht das aber nicht und wir müssen Wege entwickeln, diese natürliche Immunantwort weiter zu verstärken, d. h. wir müssen besser sein als die Natur. Dies ist nun möglich geworden.


Stand: 23.06.2006