Die Entdeckung von Menschen, die vom „klassischen“ Albino mit heller Haut und weißem Haar abwichen, hat nicht nur das Bild des Albinos verändert, auch die Wissenschaftler profitierten davon. Denn ihnen gaben diese Variationen erste Hinweise darauf, wo sich die Ursachen der Krankheit verstecken könnten.
Genetische Analyse erleichtert Diagnose
Lange Zeit erfolgte die Klassifikation der Albinismusformen nur aufgrund der äußeren Erscheinung. Doch mit der Entwicklung der Genetik konntne die Forscher nun auch die genetischen Profile Betroffener miteinander vergleichen. Dabei stellte sich heraus, dass selbst äußerlich ähnliche Betroffene deutliche genetische Unterschiede aufwiesen, die Krankheit bei ihnen also nicht durch die gleiche Genmutation ausgelöst worden sein konnte. Umgekehrt bestätigten die Untersuchungen, dass die gleiche Genmutation ein breites Spektrum an äußerlichen Erscheinungsformen mit sich bringen kann.
Bei Mäusen sind heutzutage mittlerweile über 65 verschiedene Genorte bekannt, die Albinismus verursachen können. Beim Menschen sind es bisher immerhin zwölf.
Rezessiver Erbgang
Albinismus wird rezessiv vererbt, das heißt, das betroffene Gen muss auf beiden DNA-Strängen eines Chromosomen-Paares, den so genannten Allelen, die Mutation tragen und damit sowohl vom Vater als auch von der Mutter vererbt worden sein, um die Krankheit zum Ausbruch kommen zu lassen. Bei genetischen Untersuchungen hat sich jedoch gezeigt, dass bei den wenigsten Betroffenen beide Allele eines Gens genau dieselbe Mutation tragen. Meist ist zwar jedes der beiden Gene deaktiviert, aber jeweils durch eine andere Mutation. Dies wird als „compound heterozygot“ bezeichnet. In der Summe bedeutet dies, dass es kein funktionierendes Gen gibt – und damit Albinismus auftritt.
Die Gemeinsamkeit aller Mutationen ist, dass sie Störungen bei der Melaninsynthese nach sich ziehen. Je nachdem, welcher Teilprozess bei der Melaninbildung betroffen ist, werden innerhalb der beiden Grundformen des Albinismus, dem okulokutanen und dem okulären Albinismus, noch weitere Typen unterschieden.
Tyrosinase-Gen, Chromosom 11
Beim so genannten OCA1-Typ, der in Europa häufigsten Form des Albinismus, ist jenes Gen von einer Mutation betroffen, das für die Aktivität der Tyrosinase sorgt – des Enzyms, das in den Melanozyten die Umwandlung der Aminosäure Tyrosin in Melanin überhaupt erst in Gang setzt. 30 bis 40 Prozent der Patienten mit okulokutanem Albinismus leben mit diesem Gendefekt.
Die schwere Form OCA1A geht mit einer hundertprozentigen Unfähigkeit zur Melaninbildung einher – für die Betroffenen heißt das: Sie haben keinerlei körpereigenen Schutzschild gegen die UV-Strahlen der Sonne. Ihre Haut ist extrem empfindlich und sie müssen sich zeitlebens durch Kleidung oder Sonnencreme vor Verbrennungen schützen. Beim minder schweren OCA1B bleibt noch eine gewisse Restaktivität der Tyrosinase erhalten, die Betroffenen haben häufig Sommersprossen und Leberflecke und können in der Sonne sogar etwas Bräune bekommen. Es gibt auch Fälle, bei denen die Enzymtätigkeit temperaturabhängig ist und nur in kühleren Körperregionen Melanin gebildet wird. Diese Menschen haben an Unterarmen, Waden, Händen, Wimpern und Augenbrauen eine normale Haut- und Haarfarbe. An Kopfhaut, Achselhöhlen und im Genitalbereich dagegen sind sie pigmentarm und damit weiß.
P-Gen, Chromosom 15
Die häufigste Albinismus-Form weltweit, OCA2, wird dagegen durch eine Mutation des so genannten P-Gens auf Chromosom 15 hervorgerufen. Dieser Gendefekt wurde erstmals bei Mäusen entdeckt, wo er typische Veränderungen am Auge hervorruft. P steht für „pink eye“, rosa Auge, ist allerdings missverständlich, denn auch Albino-Mäuse haben eine schwach blau oder grau gefärbte und keine rote Iris. Das menschliche Pendant des Mäuse-Gens wurde danach ebenfalls P-Gen genannt. Welcher Prozess der Melaninsynthese durch ein mutiertes P-Gen verändert wird, ist bisher nur unzureichend geklärt. Sicher ist, dass die Bildung von Eumelanin negativ beeinflusst wird, möglicherweise durch einen erhöhten pH-Wert in den Melanosomen oder durch unvollständige Tyrosinase-Moleküle.
Albinismus in einer Familie in Kamerun © Rick Guidotti
OCA2 tritt mit einer Häufigkeit von 1:10.000 vor allem bei Afrikanern und Afroamerikanern auf. Das Spektrum der äußerlich erkennbaren Symptome ist auch hier sehr breit – sehr helle bis hellbraune Haare und Haut sind möglich, häufig mit Sommersprossen und Leberflecken. Darüber hinaus gibt es weitere Gen-Mutationen, durch die Proteine beeinflusst werden, die an der Melaninsynthese in den Melanozyten beteiligt sind, die allerdings weitaus seltener auftreten. Ihre Wirkungsweise ist deshalb bisher kaum erforscht.
X-Chromosom
Die genetischen Ursachen des okulären Albinimus, der Form, die nur die Pigmentierung der Augen betrifft und keine Veränderungen an Haut und Haaren mit sich bringt, unterscheiden sich deutlich von denen des okulokutanen Albinismus. Das zuständige Gen liegt auf dem X-Chromosom, weshalb fast ausschließlich männliche Individuen betroffen sind.
Obwohl Albinismus beim Menschen in den letzten Jahren immer besser erforscht wurde, ist man noch weit davon entfernt, die Zusammenhänge zwischen den Geno- und Phänotypen und die Wirkungsweise der verschiedenen Mutationen zu verstehen. Ein Drittel aller Patienten weist keine der bekannten Mutationen auf – sind aber dennoch eindeutig Albinos. „Wir wissen einfach noch nicht, wie viele Typen es wirklich gibt,“ so Barbara Käsmann-Kellner von der der Universitäts-Augenklinik Homburg.
Stand: 26.05.2006