Tiere und ihre Toxine

Gefährliche Giftmischer

Pfeilgiftfrosch © Thomas Villegas / Arachnokulture

Spinnen tun es, Schlangen tun es, Tintenfische tun es und die winzigen Baumsteigerfrösche in den Tropischen Regenwäldern Süd- und Mittelamerikas tun es auch: Alle diese Tiere verwenden Gifte, um Feinde auszuschalten oder Beute zu machen.

Im Laufe der Zeit haben sie dabei viele außergewöhnliche und trickreiche Strategien entwickelt, um ihren Opfern die brisanten Cocktails zu verabreichen und so im Kampf ums Dasein zu bestehen. Manche Arten schießen mit Harpunen, andere tragen ihre Toxine auf der Haut oder injizieren gefährliche Mixturen mithilfe von Stacheln oder Nesselzellen.

So verschieden wie die Gifttiere und ihre Methoden sind auch die Wirkstoffe, die innerhalb dieses „Rüstungswettlaufs“ zum Einsatz kommen. Starke Nervengifte gehören genauso dazu, wie Substanzen, die das Herz zum Stillstand bringen oder Verdauungsenzyme, die die Widersacher einfach von innen her auflösen.

Doch so rätselhaft und tödlich diese chemischen Waffen auch sein mögen, für den Menschen bieten sie auch eine Chance: Bei der Untersuchung der Tiergifte haben Wissenschaftler einige Substanzen entdeckt, die als Hoffnungsträger gegen Schmerzen oder bei der Behandlung von Neurodermitis und Epilepsie gelten…

Dieter Lohmann
Stand: 18.03.2005

Pfeilgiftfrösche

Winzlinge in tödlicher Mission

Dendrobates pumilio © Thomas Villegas / "Arachnokulture"

Sie heißen Erdbeerfröschchen, Baumsteiger oder Blattsteiger und sind leuchtend grün, gelb, blau oder rot. Das klingt zunächst einmal ganz harmlos, aber die kleinen Amphibien haben es in sich. Oder besser auf sich. Denn in der Haut der Winzlinge befinden sich Drüsen, die eine artspezifische Giftmischung absondern, die sich auf der Körperoberfläche verteilt. Diese Toxine sind bei einigen der kleinen Frösche so giftig, dass sie sogar Menschen töten können.

Die Indianer Mittel- und Südamerikas, wo mehr als 200 verschiedene Arten der Amphibien im tropischen Regenwald leben, nutzen diese Tatsache und bestreichen ihre Jagdpfeile mit den Giften. Sie werden so zu tödlichen Waffen, um Affen oder andere Nahrung zu erlegen oder Stammesfehden auszufechten.

Besonders beliebt als Lieferant für Pfeilgift ist Phyllobates terribilis, denn er trägt seinen Namen „der Schreckliche“ nicht umsonst. Das Gift eines einzigen Frosches – so haben Forscher ermittelt – reicht aus um mehr als 10.000 Mäuse oder zehn bis zwölf Menschen zu töten.

Nervengifte mit durchschlagender Wirkung

Doch um welche Gifte handelt es sich und wie stellen die Pfeilgiftfrösche die toxischen Substanzen her? Bei Phyllobates terribilis sorgt vor allem das Batrachotoxin für die „mörderische“ Wirkung beim Opfer. Dabei handelt es sich um eine Substanz, die schon wenige Minuten nachdem sie in die Blutbahn gelangt zur Muskel- und Atemlähmung und damit letztlich zum Tod führt.

Das Erdbeerfröschchen dagegen besitzt so genannte Pumiliotoxine, die aber ähnlich giftig sind. Und bei Epipedobates tricolor ist das Epibatidin, das 200 Mal so stark wirkt wie Morphium, für die fatalen Folgen beim Froschgegner verantwortlich.

Nur gesammelt und nicht selbst gemacht…

Phyllobates terribilis © Thomas Villegas / "Arachnokulture"

Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass die Winzlinge ihre Gifte selber herstellen. Doch Forscher der Universität von Miami haben im Jahr 2004 haben eine andere Quelle für die Gifte entdeckt: Die Tiere nehmen die Wirkstoffe mit der Nahrung auf.

Im Magen der Pfeilgiftfrösche fanden sie die Überbleibsel von bestimmten Ameisen, die über fast baugleiche Nervengifte verfügen wie die Amphibien. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass die Pfeilgiftfrösche diese Substanzen im Körper anreichern und anschließend über die Haut abgeben. Wie allerdings die Ameisen zu dem Gift kommen, ist bisher ungeklärt.

Die Entdeckung der U.S.-amerikanischen Wissenschaftler erklärt frühere Beobachtungen, wonach die kleinen Tiere in der Gefangenschaft ihre Toxine verlieren und zu harmlosen Terrarienbewohnern werden. Schuld daran ist eine Umstellung der Speisekarte in ihren künstlichen Lebensräumen, auf dem die Ameisen und damit auch ihre gefährlichen Alkaloiden völlig fehlen.

„Vorsicht giftig!“

Dendrobates pumilio © Thomas Villegas / "Arachnokulture"

Wer über solche starken Gifte verfügt, braucht sich nicht auch noch gut zu tarnen. Ganz im Gegenteil. Um potenzielle Feinde abzuschrecken, tragen viele Pfeilgiftfrösche schillernde Farben, die bereits von weitem signalisieren „Vorsicht giftig!“. Sogar innerhalb einer einzigen Art haben sich dabei verschiedene Spielarten entwickelt. So gibt es den Baumsteiger Dendrobates pumilio sowohl in rot oder blau, aber auch in blauroten Mischformen.

Die Hautgifte dienen jedoch nicht nur zur Abschreckung, sondern verhindern auch, dass sich krankmachende Bakterien und Pilze auf den Fröschen breitmachen können.

Anhand eines Erbgutvergleichs haben Wissenschaftler der Universität von Texas in Austin mittlerweile zudem geklärt, wie die winzigen Frösche im Laufe der Evolution zu gefährlichen Giftzwergen wurden. Juan Santos und seinen Kollegen sind dabei auf ein überraschendes Phänomen gestoßen.

Wie die Studienergebnisse belegen, gibt es offenbar keinen „Urpfeilgiftfrosch“ aus dem sich alle anderen entwickelten, sondern der Besitz von Hautgiften ist mehrmals parallel „erfunden“ worden. Dies ist umso erstaunlicher, da die Spezialisierung auf Ameisennahrung und die Ausbildung von grellen Farben und gefährlichen Giften jeweils Hand in Hand abgelaufen sein muss.


Stand: 18.03.2005

Woraus bestehen tierische Waffen?

Gift ist nicht gleich Gift

Kaum ein Gift im Tierreich gleicht dem anderen. Zwar steht am Ende einer Giftattacke häufig der Tod des Opfers beispielsweise durch Atemlähmung oder Herzstillstand, doch welche Substanz letztlich dafür verantwortlich ist, und wie es zu dem Effekt kommt, ist bei vielen Giften selbst heute noch unklar.

Durch die systematische Analyse der Gifte und das anschließende konsequente Durchtesten der verschiedenen Bestandteile haben Forscher bei einigen Giften mittlerweile aber einen guten Überblick über die Art des Giftes oder ihre Wirkungsweise bekommen.

Muskelkrämpfe oder Lähmungen

Seeschlangen sind fast ausnahmslos giftig. Auch wenn sie eher scheu sind, attackieren sie doch in den tropischen Gewässern gelegentlich Taucher oder Schwimmer. Die Gebissenen klagen danach häufig über Übelkeit und Erbrechen, später versagt die Muskulatur und am Ende kann der Tod durch Atemlähmung stehen – es sei denn, es wird rechtzeitig ein Gegengift gespritzt.

Forscher wissen heute, dass vor allem ein bestimmter Bestandteil des Giftes, das Protein Neurotomin, für die Nervenlähmungen verantwortlich ist. Noch mehr haben Wissenschaftler über die Conotoxine der hochgiftigen Kegelschnecken Australiens oder das Tetrodotoxin der Igel- und Kugelfische oder Blauringkraken herausgefunden.

So greifen bestimmte Conotoxine beispielsweise direkt in die Informationsübertragung im Nervensystem ein. In den Neuronen blockieren sie wichtige Ionenkanäle, die für Signalübertragung wichtig sind, und verhindern so, dass beispielsweise Befehle des Gehirns zur ausführenden Muskulatur gelangen.

Andere Conotoxine „vereiteln“ in den Synapsen das Andocken des Botenstoffs Acetylcholin an die Bindungsstellen der Nachbarzelle. Die Nervensignale werden aus diesem Grund ebenfalls nicht von Nervenzelle zu Nervenzelle oder zum Muskel weitergegeben und enden quasi im „off“. Beide Phänomene führen bei Nervenbahnen, die beispielsweise anregend auf den Bizeps wirken, im Endeffekt dazu, dass sich der Muskel nicht zusammenzieht und schlaff bleibt.

Gifte, die bestimmte Ionenkanäle in aktivierenden Nerven dauerhaft offen halten, erzeugen dagegen den gegenteiligen Effekt. Der Muskel kontrahiert dauerhaft. Dies erklärt, warum kommt es bei manchen Giftopfern zur Lähmung der Atemmuskulatur bei anderen aber zu heftigen Muskelkrämpfen kommt.


Stand: 18.03.2005

Toxincocktail statt Einzelgift

Die Mischung macht’s…

Latrodectus hasseltii (Rotrückenspinne) © Wolfgang Wüster

Neben den Nervengiften gibt es aber auch noch andere Wirkstoffe, die dem Opfer schwere Schäden zufügen oder es für immer außer Gefecht setzen können. So haben häufig auch Hämotoxine – Blutgifte – ihre Hand im Spiel. Sie vernichten Zellen oder Gewebe und machen in ihrer Zerstörungswut auch vor den roten und weißen Blutkörperchen nicht halt. Die Cardiotoxine einiger Schlangen dagegen verursachen Herzstillstand und führen so zum Exitus des Beutetieres.

So verschieden die einzelnen Giftmischer unter den Tieren auch arbeiten, eines haben sie stets gemeinsam: Ihre chemischen Waffen bestehen nie auf einem einzigen Stoff. Es handelt sich immer um einen Cocktail aus zum Teil hunderten oder tausenden von Substanzen, die zusammen für die Giftwirkung im Organismus verantwortlich sind. Nervengifte werden dabei munter kombiniert mit Blutgiften oder andersherum.

Bei manchen Tieren dürfen auch Verdauungsenzyme im Gift nicht fehlen. Nach dem Biss oder Stich ist die Beute in so einem Fall nicht nur gelähmt oder tot, sondern auch bereits für das Gefressenwerden bestens präpariert. Der Gift-/Enzymmix führt dazu, dass sich das Innere der Beutetiere nach und nach auflöst und anschließend vom Angreifer „ausgeschlürft“ werden kann. Übrig bleiben am Ende nur noch die widerstandsfähigen harten Überreste der Opfer wie beispielsweise ein Krebspanzer nach einer Tintenfischmahlzeit.

Um sich nicht selbst mit den gefährlichen Substanzen zu vergiften, lagern einige Arten die verschiedenen Bestandteile ihres Toxins getrennt. Erst kurz vor dem Biss oder Stich werden sie „zusammengemixt“ und können dann im Opfer ihre volle Wirkung entfalten.

Toxine als der Bakterienfabrik

Dendrobates auratus © Thomas Villegas / "Arachnokulture"

Längst nicht alle Gifttiere rühren ihre chemischen Waffen in eigener Regie an, manche wie die Pfeilgiftfrösche rekrutieren sie auch aus der Nahrung. Gelegentlich beschäftigen die giftigen Organismen sogar „Untermieter“, die die brisanten Giftcocktails für sie herstellen.

Die zehn bis 15 Zentimeter großen Blauringkraken vor der Küste Australiens beißen, wenn sie gereizt werden, gerne mal kräftig zu. Selbst ein Neoprenanzug kann dieser Attacke nicht standhalten. Das im Speichel enthaltene Tetrodotoxin, ein Nervengift für das auch der Kugelfisch berüchtigt ist, gelangt dabei in die Wunde. Das Toxin kann im Extremfall zur totalen Atemlähmung bis hin zum Tod führen. Erzeugt wird das gefährliche Gift nicht durch die Tintenfische selbst, sondern von winzigen Bakterien, die mit den Kraken in Symbiose leben.


Stand: 18.03.2005

Wie setzen Tiere ihre Gifte ein?

Spuckangriffe und Hautsekrete

So verschieden wie die Gifttiere, so unterschiedlich sind auch die Verfahren und Strategien, um die tödlichen Waffen ins Ziel zu bringen. Speikobras beispielsweise brauchen für ihre Attacken nicht einmal in die unmittelbare Nähe des Opfers zu kommen. Zum Teil aus mehreren Metern Entfernung spucken sie ihr Gift einem unvorsichtigen Gegenüber mitten ins Gesicht.

Eine „Schrotladung“ direkt ins Auge

Wie Zoologen der Universität Bonn herausgefunden haben, zeigen die Kobras dabei eine enorme Zielgenauigkeit. Mindestens 80 Prozent aller Spuckangriffe treffen mindestens ein Auge des Kontrahenten. Die ätzenden Substanzen des Toxins sorgen für schwere Verbrennungen, es kann dabei sogar zur Erblindung kommen. Doch wieso gelingt den Kobras so häufig der Schuss ins Schwarze?

„In der Superzeitlupe kann man deutlich erkennen, dass die Schlangen ihren Kopf beim Abschuss des Toxins schnell bewegen“, erläutert der Bonner Wissenschaftler Guido Westhoff die Ergebnisse einer Hochgeschwindigkeits-Videokamera. „Ganz ähnlich wie wir es machen, wenn wir beim Blumengießen mit dem Schlauch das ganze Beet wässern wollen.“ Beim Abfeuern ihrer „Schrotladung“ wird das Gift mit so hohem Druck durch die winzigen Kanäle in den Giftzähnen gepumpt, dass dabei selbst größere Entfernungen zwischen Angreifer und Opfer keine unüberwindliche Hürde sind.

Die Reptilien immer dann ihr Gift auf diese Weise, wenn sie sich verteidigen müssen. „Kobras spucken nur, wenn sie sich bedroht fühlen, nicht, um Beute zu machen“, so Westhoff, „alles andere ist Legende.“ Ist die Schlange hungrig, lauert sie dem Objekt der Begierde auf und tötet es mit einem blitzschnellen Giftbiss.

Hautgifte, Strahlen und Stacheln

Speikobra © Frank Luerweg / Uni Bonn

Andere Tiere wie die Pfeilgiftfrösche tragen ihre Toxine dagegen direkt auf der Haut und verderben so jedem Angreifer den Appetit. Einige Fische, darunter der Rotfeuerfisch im Indischen Ozean oder im Roten Meer, verfügen dagegen über Giftstrahlen. Beim Rotfeuerfisch sitzen sie auf den Flossen und sind mit Giftdrüsen ausgerüstet.

Für die toxische Wirkung des Rotfeuerfischs machen Forscher vor allem hitzeempfindliche Eiweiße in der injizierten Giftladung verantwortlich. Nach einem ähnlichen Prinzip arbeiten auch die „Stacheln“ in den Rückenflossen des Teufelsfisches Inimicus didactylus, der in den Gewässern Indonesiens lebt.

Giftstacheln nutzen auch die vielleicht bekanntesten Giftmischer unserer Breiten…


Stand: 18.03.2005

Strategien zum Übertragen der Toxine

Mit Giftharpunen und Stacheln gegen den Feind

„7 Stiche töten ein Pferd, 3 einen Mann“ – diese Mär aus dem Volksmund über die Giftigkeit der heimischen Hornissen ist zwar von Wissenschaftlern mittlerweile längst widerlegt, hält sich aber in großen Teilen der Bevölkerung immer noch hartnäckig. Manche Menschen werden geradezu hysterisch, wenn sie die lang gestreckten schwarzgelben Hornissen nur von weitem sehen.

Künstlerische Darstellung der Scheiben um die jungen Sterne HK Tauri A und B. © R. Hurt (NASA/JPL-Caltech/IPAC)

Dabei haben Forscher in verschiedenen Studien belegt, dass eine Hornisse nicht mehr Gift in den Körper des Opfers pumpt als eine Biene oder Wespe. Um einen durchschnittlich großen und schweren Menschen zu töten, sind deshalb bei allen drei heimischen Insekten immer mehrere Hundert Stiche notwendig – kein Grund zur Sorge demnach, es sei denn man hat eine Allergie gegen bestimmte Histamine oder Serotonine. Dann reicht unter Umständen ein einziger Stich, um in eine lebensbedrohliche Situation zu geraten.

Doch wie sieht eigentlich ein typischer Giftapparat beispielsweise bei einer Honigbiene aus? Der Stachel dieser Insekten hat sich im Laufe der Evolution aus der Legeröhre für Eier entwickelt. Deshalb können auch nur weibliche Bienen stechen. Gespeist wird der Stachel wie bei vielen anderen giftigen Arten von einer Blase, die als Depot für die toxischen Substanzen dient. Produziert und zusammengemixt werden die chemischen Stoffe zuvor jedoch von einer besonderen Drüse. Solche Organe haben sich häufig aus ehemaligen Speicheldrüsen entwickelt.

Wie einst Robin Hood…

Viel origineller und trickreicher als die relativ simplen Stacheln der Insekten sind jedoch die Giftharpunen, mit denen Kegelschnecken arbeiten.

Farbenprächtig, langsam und harmlos sehen diese Tiere aus, wenn man sie im flachen Wasser oder auf Riffen in den tropischen Meeren beobachtet. Doch der Anblick täuscht. Dies wird dem Strandwanderer und Trophäensammler schnell klar, wenn er die gerade mal wenige Zentimeter großen Tiere in die Hand nimmt. Denn die Kegelschnecken verfügen über starke Nervengifte, die im günstigsten Fall nur für Taubheitssymptome manchmal aber auch zu Bewusstlosigkeit oder zum Tod des Opfers führen.

Doch wie übertragen die Schnecken ihre gefährlichen Toxine? Ganz einfach: sie benutzen eine Giftharpune. Diese besteht aus einem hohlen umgewandelten ehemaligen Zahn, der aus dem Schlund der Schnecke heraus dem potentiellen Opfer entgegengeschleudert wird. An ihr befindet sich ein Widerhaken, der die Waffe im Körper der Beute sicher verankert. Über diesen „Pfeil“ fließt ein giftiges Drüsensekret in den Körper des Fisches oder Wurms und lähmt ihn in kürzester Zeit. Anschließend verspeist die Kegelschnecke ihre Beute dann mit „Haut und Haaren“.

So wie Robin Hood nach einem Schuss mit dem Bogen blitzschnell einen neuen Pfeil aus dem Köcher zieht, ersetzt auch die Kegelschnecke eine verbrauchte Harpune durch eine neue. Diesen Waffennachschub trägt das Weichtier in einem speziellen „Beutel“ im Inneren des Körpers immer bei sich.


Stand: 18.03.2005

Wettstreit zwischen Gifttieren und ihren Opfern

Der Klügere siegt!

Olive Seeschlange © GBRMPA

Je giftiger, desto besser, scheint das Motto vieler Tiere zu sein. Doch so wirkungsvoll die chemische Waffen vieler Arten heute auch sein mögen, meist erscheint im Laufe der Evolution irgendwann eine Spielart der Natur, die gegen das sonst so tödliche Gift immun ist. Manche Tiere haben aber auch durch Anpassung geeignete Panzer oder Schutzschilde entwickelt, um sich vor dem Gebissenwerden und dessen Folgen zu schützen.

Igel oder Kreuzotter: wer gewinnt?

So vertragen Igel manche Tiertoxine in vielen höheren Konzentrationen als der Mensch. Vor den Giftangriffen der Kreuzotter sind sie durch ihr dichtes Stachelkleid zudem so gut geschützt, dass die Igel diese Schlangen regelmäßig überlisten und auf ihre Speisekarte setzen. Clownfische in den tropischen Riffen dagegen zeigen sich von den Nesselzellen der Korallen unbeeindruckt und leben ungeschoren in ihrer Nähe, ja sie gehen sogar eine Symbiose mit ihnen ein.

Im Laufe der Jahrmillionen hat sich so eine Art Rüstungswettlauf entwickelt, bei dem mal die Gifttiere, dann wieder ihre potentielle Opfern einen Vorsprung haben. Gelegentlich entstehen innerhalb dieses dauernden Anpassungsprozesses auch völlig neue Arten.

Sanfte Warnung statt tödlicher Dosis

Auch Tiere müssen mit ihren toxischen Substanzen sparsam umgehen, da die für die Produktion verwendeten Grundbausteine wie Aminosäuren oder Kohlenhydrate sonst bei anderen Lebensvorgängen fehlen.

Deshalb handeln längst nicht alle Tiere bei ihren Giftattacken nach dem „Alles oder nichts“- Prinzip. Um sich lästige Feinde vom Leib zu halten, fahren sie zunächst einmal gar nicht ihre schlimmsten chemischen Waffen auf. Denn oft reicht auch schon eine ressourcenschonende milde Variante, damit ihre Widersacher die Flucht ergreifen.

Diese Strategie haben jedenfalls Wissenschaftler der Universität von Davis in Kalifornien beim Skorpion Parabuthus transvaalicus aus Südafrika entdeckt. Um Mäuse zu vertreiben oder kleine Beutetiere zu paralysieren, verwendet er jedenfalls nur ein Gift, das ein Gemisch aus Salzen enthält. Erst wenn es dem Achtbeiner akut an den „Kragen“ geht und er um sein Überleben fürchten muss, kommt das tödliche Sekret mit einer hohen Dosis an toxischen Proteinverbindungen zum Einsatz.


Stand: 18.03.2005

Gefährliches Australien

El Dorado für tödliche Kreaturen

Großer Tempel von Abu Simbel © Olaf Tausch / CC BY 3.0

Mit Australien verbindet man normalerweise vor allem den Ayers Rock, Kängurus, Metropolen wie Sydney oder Melbourne oder Surfer an den Stränden Queenslands. Dass das Land „Down under“ aber auch ein Paradies für giftige Tiere ist, hat sich bei den Scharen von Touristen anscheinend noch nicht unbedingt herumgesprochen.

Denn nur so ist es zu erklären, dass die Krankenhäuser vor allem im Bundesstaat Queensland im Osten des Landes oder in Sydney immer wieder schwere Giftunfälle und zum Teil sogar Todesfälle bei Badegästen und anderen Urlaubern melden. Sie gehen auf das Konto von hochgiftigen Tintenfischen, Quallen, Meeresschnecken, Spinnen oder Schlangen.

Eine tödliche Wespe unter Wasser

Schauplatz Queensland, genauer die Traumstrände zwischen Brisbane im Süden und Cairns im Norden. Trotz möglicherweise besten Wetters und optimalen Wasserverhältnissen befinden sich im australischen Sommer zwischen Oktober und Mai meist nur wenige Sonnenanbeter im Meer. Wenn überhaupt sind es Schwimmer mit dicken Neoprenanzügen oder so genannten „Stinger-Suits“, die sich ins Wasser trauen.

Einzelne allzu sorglose Touristen, die sich ohne Schutz in den kühlenden Ozean stürzen wollen, werden von Einheimischen energisch daran gehindert. Doch welche Gefahr lauert im Wasser?

Atrax robustus (Sydney Funnelweb Spinne) © Wolfgang Wüster

Es ist kein Hai, keine Seeschlange und kein Stechrochen vor denen sich die Menschen Jahr für Jahr zur gleichen Zeit sorgfältig in Acht nehmen, sondern die Seewespe Chironex fleckeri. Diese Qualle ist nach Ansicht von Wissenschaftlern der vielleicht giftigste Meeresbewohner überhaupt. Fürchten muss man sich jedoch nicht vor dem gerade mal 30 Zentimeter großen Schirm der Qualle, sondern vor den bis zu drei Meter langen Tentakeln der Seewespe. Sie sind über und über mit Nesselzellen besetzt sind.

Kommt ein Schwimmer mit ihnen in Kontakt platzen sie auf und das Gift wird mit Hilfe von dünnen hohlen Fäden, die die Haut durchlöchern, in das Opfer injiziert. Gleichzeitig setzt die Seewespe ein Sekret frei, das dazu führt, dass die Tentakel am Körper kleben bleiben und immer mehr Nesselzellen „abgeschossen“ werden können.

Verbrennungen, Schock und Nervengifte

Die unmittelbar nach Berührung mit Chironex einsetzenden rasenden Schmerzen durch Verbrennungen auf der Haut können allein schon zum Tod durch Schock führen. Beim eingesetzten Gift handelt es sich zudem um ein Nerventoxin, das sich mit dem Blut im ganzen Körper ausbreitet und zu Lähmungen der Muskulatur, der Atmung oder des Herzens führt.

Viele Opfer sterben schon in den ersten drei Minuten nach dem Zusammenstoß mit einer Seewespe. Im glimpflichsten Fall kommen die Betroffenen mit einem charakteristischen Verbrennungsmuster auf der Haut davon. Insgesamt gehen jährlich mindestens 50 Tote und tausende von leichteren Verletzungen auf das Konto der „anhänglichen“ und gefährlichen Würfelqualle.

An vielen Stränden versuchen die Behörden deshalb, die Seewespe und andere gefährliche Quallen aus dem Badebereich mithilfe von feinen Netzen fernzuhalten. Wer ganz sicher gehen will, sollte jedoch entweder ganz auf ein Bad im Südpazifik verzichten oder einen möglichst dicken Ganzkörperanzug tragen…

Macht die Umwelt giftig?

Känguru © IMSI MasterClips

Neben der Seewespe gibt es in Australien unter anderem noch die gefährlichste Spinne der Welt, die Funnel Web oder Atrax robustus, elf der giftigsten Schlangen der Erde oder den Blauring-Krake, der mit seinem Gift unvorsichtige Taucher oder Strandspaziergänger in wenigen Stunden töten kann.

Doch warum ist gerade Australien zum Tummelplatz für die giftigsten Tiere der Welt geworden? Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler schon seit langem. Bisher jedoch haben sie noch keine Erklärung dafür gefunden.

Manche Forscher vermuten aber, dass der Nahrungsmangel – beispielsweise in den australischen Wüsten – für die Entwicklung von außerordentlich starken Giften im Laufe der Evolution verantwortlich ist. Dort lebende Schlangen wie der Taipan müssen möglichst jedes potentielle Opfer schon mit dem ersten Biss erledigen, um ihre Speisekarte mit allem Lebensnotwendigen zu füllen. Ähnliches gilt auch für die vielen verschiedenen Seeschlangen, die in der Regel viel langsamer sind als ihre Beute…


Stand: 18.03.2005

Neue Medikamente aus Tiergiften

Mit Schnecken gegen Schmerzen

Das Wort Curare sorgt bei vielen für ein unbehagliches Frösteln auf der Haut. Das Pflanzengift führt beim Menschen zu massiven Lähmungen der Muskulatur, die meistens unweigerlich zum Tod führen. Das Unangenehme daran: Das Opfer kann sich nicht mehr bewegen, bleibt aber bis zum qualvollen Ende bei vollem Bewusstsein.

Dennoch ist Curare heute aus der Medizin nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile sind es jedoch synthetische Ersatzprodukte, die in den Kliniken zum Einsatz kommen. Sie besitzen die gewünschte Curarewirkung ohne die gefährlichen Nebenwirkungen des Pflanzengiftes zu zeigen. Gerade bei Anästhesisten sind diese Mittel beliebt, die die Muskeln erschlaffen lassen und damit beispielsweise Herzoperationen erst ermöglichen.

Skorpion © U.S. Fish and Wildlife Service / Gary M. Stolz

Doch nicht nur pflanzliche, sondern auch tierische Toxine sind begehrt, um Schmerzen zu bekämpfen, die Hautkrankheit Neurodermitis zu lindern oder Herzrhythmus-Störungen zu beseitigen. Um den Geheimnissen der verschiedenen Gifte auf die Spur zu kommen, müssen die Wissenschaftler zunächst die Toxin-Cocktails von Kobras, Schwarzen Witwen oder Skorpionen analysieren und auf potentiell interessante Wirkstoffe untersuchen.

Oft scheitert dieses Vorhaben schon daran, dass nicht genügend Tiergift zur Verfügung steht. Um wenige Hundert Milligramm an Forschungsmaterial zu gewinnen, muss oft vielen Hundert Exemplare der betreffenden Art das Gift aus Zähnen oder Drüsen abgezapft werden. Eine mühsame und obendrein gefährliche Arbeit, denn freiwillig geben Giftschlangen oder Giftspinnen ihre Sekrete nicht her. Und schon so mancher Forscher ist beim „Melken“ selbst gebissen worden.

ACV1 wirkungsvoller als Morphium

Dennoch sind heute weltweit zahlreiche Forscher auf der Suche nach neuen Wirkstoffen aus dem Gift der Tiere. Einer von ihnen ist Professor Bruce Livett von der Universität in Melbourne. Schon seit Jahren beschäftigt er sich mit dem Gift der Kegelschnecken, die in vielen tropischen Meeren zu finden sind.

Australische Kegelschnecke © Universität von Melbourne

Livett hat im Jahr 2002 zusammen mit seinem Team aus dem extrem toxischen Conotoxin-Cocktail dieser Tiere eine Substanz extrahiert, die möglicherweise die chronischen Schmerzen von Krebs- oder Aidspatienten lindern kann. ACV1 – so der Name des Wirkstoffes – unterbricht die Schmerzweiterleitung im peripheren Nervensystem und verhindert so, dass die Schmerzsignale im Gehirn ankommen.

Dabei wirkt der Stoff viel länger und stärker als beispielsweise Morphium, macht aber trotzdem nicht süchtig. Auch andere Morphium-Nebenwirkungen wie Verstopfung oder Atemnot traten bei den bisherigen Labortests nicht auf.

„Mehr als 60 Prozent aller Menschen leiden im Laufe ihres Lebens irgendwann an chronischen Schmerzen. Der Weltmarkt für Medikamente, die diese Schmerzen bekämpfen, wächst immer weiter und hat längst die eine Milliarde Dollar-Marke überschritten. Die Ärzte warten trotzdem händeringend auf neue Mittel zur Therapie dieser Schmerzen“, sagt der Molekularbiologe Livett.

Gift der Kegelschnecken als Allheilmittel?

Er glaubt zudem noch an weitere Anwendungsmöglichkeiten für ACV1. So könnte der Wirkstoff in Zukunft auch bei Sportverletzungen oder Infektionskrankheiten wie Gürtelrose zum Einsatz kommen. „In Tierversuchen mit Ratten hat es zudem immer dann die Wundheilung verbessert, wenn dabei gleichzeitig Nervenverletzungen aufgetreten sind“, so Livett.

Doch noch ist ACV1 nicht auf dem Markt erhältlich. Zunächst muss noch ein umfangreiches Testprogramm durchlaufen werden, das nachweist, dass die Substanz tatsächlich auch beim Menschen wirkt und zudem ungefährlich ist.

Der Melbourner Forscher ist aber vom Erfolg seiner Entdeckung überzeugt und vermutet zudem, dass ACV1 nicht der einzige medizinische Wirkstoff aus dem Gift der Kegelschnecken bleibt: „Kegelschnecken besitzen ein bisher noch weitgehend unangezapftes Reservoir an Substanzen, aus denen Medikamente für die verschiedensten menschlichen Krankheiten entwickelt werden können. Das reicht von Schmerzen bis hin zur Epilepsie….“


Stand: 18.03.2005